Die neue Mitschülerin (29)
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Kapitel 29: Zwei plus Zwei gleich Drei
Zwei Tage, nachdem sie Rat bei Frau Schulze gesucht hatte, stand Pia bereits einige Minuten früher an der Bushaltestelle, als es üblich war. Schnell wurde sie ungeduldig. Nur weil ich eher hier bin, heißt das ja nicht, dass Tamara auch eher hier ist, ärgerte sie sich. Sie nutzte die Gelegenheit, um eine Zigarette zu rauchen und nahm gerade den letzten Zug, als Tamara mit ihren Geschwistern um die Ecke bog und so in Pias Sichtfeld trat. An der Haltestellte angekommen nickte Tamara Pia kurz zu, während ihre kleinen Geschwister sie fröhlicher begrüßten.
„Hey ihr beiden,“ grüßte Pia die Zwillinge, „darf ich mal kurz mit eurer Schwester allein reden?“
Larissa und Max suchten Tamaras Blick und ließen es dann zu, dass Pia mit Tamara ein paar Schritte beiseite gingen.
„Hey, ich komme gleich zur Sache.“, kündigte Pia an.
„Was denn?“, fragte Tamara in einem Tonfall, der nicht allzu viel Gesprächsbereitschaft signalisierte.
„Ich will nicht streiten. Und ich weiß noch nicht, was genau das Problem ist, aber ich möchte versuchen, dass wir uns aussprechen. Hast du heute Nachmittag Zeit?“, fragte Pia.
„16 Uhr?“, schlug Tamara kurz angebunden vor.
„Klingt gut. Im Café am Marktplatz?“, ergänzte Pia.
„In Ordnung. Ehm…nur wir zwei?“, fragte Tamara unsicher.
„Weiß nicht…also ich weiß wirklich nicht, was mir lieber wäre.“, rätselte Pia mit.
„Möchtest du Anna fragen, ob sie Zeit hat?“, warf Tamara ein.
„Mache ich mal.“, sagte Pia, worauf Tamara wieder zu ihren Geschwistern ging und Pia alleine zurück ließ. Wie üblich in den letzten Tagen setzte Tamara sich mit den Zwillingen an einen anderen Ort im Bus, sodass sich Pia zu Anna und Chris setzte.
„Morgen.“, grüßten letztere etwas verschlafen.
„Lange Nacht?“, fragte Pia.
„Ja…haben gestern Abend wohl doch ein bisschen zu lange vor der Switch gesessen.“, sagte Chris.
„Ah…wisst ihr, wo Jonathan ist?“, wunderte sich Pia.
„Entweder wohl krank oder er hat erst später?“, beantwortete Anna das Offensichtliche.
„Geh bitte schon mal vor.“, bat Pia Chris, als die drei sich von der Bushaltestelle an der Schule aus auf den Weg Richtung Gebäude machten, „Ich möchte noch kurz mit Anna unter vier Augen sprechen.“
„Was gibt’s denn so Geheimes?“, war Annas Neugier geweckt, als Chris Pias Bitte nachgekommen war.
„Hast du heute Nachmittag Zeit? Um 16 Uhr? Habe eben mit Tamara gesprochen, wir wollen uns heute aussprechen…“, erklärte Pia direkt.
„Finde ich super! Aber warum braucht ihr mich?“, wollte Anna wissen.
„Also…wir sind uns beide nicht sicher…aber ich glaube, du könntest im Zweifel gut vermitteln und unparteiisch sein.“, antwortete Pia.
„Ich nehme das mal als Kompliment.“, kommentierte Tamara.
„Ist auch durchaus so gemeint. Also?“, blieb Pia nicht locker.
„Ist ok. 16 Uhr passt. Wo?“, musste Anna noch den Ort des Treffens erfahren.
„Im Café am Marktplatz.“, gab Pia die Information noch weiter.
„Bestimmt hat sie es sich anders überlegt.“, mutmaßte Pia aufgeregt und etwas verärgert. Sie saß bereits eine Viertelstunde vor der verabredeten Zeit im Café und war noch auf dem Weg dorthin Anna über den Weg gelaufen. Vor zehn Minuten hätte auch Tamara ankommen sollen. „Sie wird schon noch auftauchen. Oder sich mit einer guten Begründung entschuldigen. Oder beides. Ich bin mir sicher, dass sie keinen Rückzieher macht.“, versuchte Anna, Pia zu beruhigen. Das gelang ihr nur bedingt – diese zündete sich schon die zweite Zigarette an, seit sie im Café saßen. Auf Annas Worte zuckte sie nur kurz mit den Schultern.
„Kann es sein, dass das doch deutlich mehr geworden ist?“, fragte Anna und nickte dabei deutlich in Richtung Pias rechter Hand, in der sie die Zigarette hielt.
„Hm…Achso…ja, irgendwie glaube ich schon. Müsste ich mal genauer nachzählen.“, gab diese wenig interessiert zurück. Anna schüttelte leicht den Kopf. Irgendwie hatte sie das Bedürfnis, Pia ins Gewissen zu reden, ihren Zigarettenkonsum doch zumindest wieder zu reduzieren, andererseits war es nicht zu verkennen, dass sie zumindest in diesem Moment bei jeder Parkuhr mit diesem Anliegen mehr Erfolg gehabt hätte. Pia hatte gerade ihre Zigarette im Aschenbecher auf dem Tisch ausgedrückt, als Tamara doch noch erschien.
„Hey ihr beiden, entschuldigte bitte, dass ich euch habe warten lassen.“, grüßte sie und zeigte ihre schwarzen Hände.
„Was hast du denn angestellt?“, fragte Anna, während Pia nur erstaunt auf Tamaras Hände blickte.
„Mir ist die Kette unterwegs abgesprungen. Hat etwas gedauert, bis ich sie wieder dran hatte und dabei sind halt meine Handy dreckig geworden. Wollte dann ehrlich gesagt nicht alles in meiner Handtasche schmutzig machen, sonst hätte ich euch auch geschrieben, dass ich mich verspäte.“, erklärte Tamara.
„Ah“, gab Anna verständnisvoll zurück, „dann geh dir erstmal am besten die Hände waschen.“
„Hatte ich vor. Bis gleich.“, verabschiedete Tamara, die sich noch nicht gesetzt hatte, direkt wieder und kam etwas zwei Minuten mit den Worten „Puh…gar nicht so einfach, das alles wieder sauber zu kriegen.“ zurück an den Tisch.
„Habt ihr schon bestellt?“, wollte sie wissen und erhielt ein fast synchrones Kopfschütteln der anderen beiden als Antwort.
„Wollten auf dich warten.“, sagte Pia die ersten Worte, seit sie nicht mehr mit Anna allein am Tisch saß. Tamara bedankte sich, bestellte ebenso wie Pia einen Latte Macchiato, während Anna eine heiße Schokolade orderte. Bis die Getränke kamen und auch einige Zeit danach schwiegen sich die drei an, sodass Anna schon überlegte, ihren Vorsatz, nicht das erste Wort zu ergreifen, über Bord zu werfen, als Pia doch das Wort ergriff.
„Tamara…ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen.“, fing sie an.
„Nein…ich muss mich bei dir entschuldigen.“, unterbrach Tamara sie direkt, „Und bei dir auch Anna. Mein Abgang bei unserer Party letzte Woche war nicht nett und ich habe dir auch einige Dinge an den Kopf geworfen, Pia, die ich nur zu gern zurücknehmen würde.“
„Schon vergessen.“, kommentierte Pia, „Ich glaube, ich kann dich verstehen. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich dabei Hilfe von Frau Schulze hatte. Aber ich habe in den Ferien vermutlich viel zu viel über Ben rumgeheult. Ich merke so langsam erst, dass er dadurch auch nicht zurückkommt. Und im anderen Moment, wenn ich einen klareren Kopf habe, frage ich mich, warum ein Teil von mir das überhaupt will. Schließlich wollte er mich ja eh nur ins Bett bekommen. Das muss ich mir wohl deutlicher vor Augen führen. Auch wenn ich mich dann kurzzeitig angeekelt fühle. Aber genug von Ben. Tamara, du hast gesagt, dir geht es auch nicht gut. Ich war in den letzten Wochen wohl nicht die Freundin, die du gebraucht hättest…“
Bei diesen Worten konnte Pia ein Schluchzen und ein, zwei Tränen nicht vermeiden. Anna war schon drauf und dran, aufzustehen und um den Tisch zu gehen, um Pia zu trösten, allerdings kam ihr zu ihrem Erstaunen Tamara zuvor, die genau dies tat.
„Pia, ich weiß, dass auch du keine einfachen Ferien hattest.“, sagte sie, während sie ihren Arm um Pia legte, „aber ja, ich möchte auch ehrlich und aufrichtig sein: Ich hätte dich tatsächlich gebraucht.“
„Aber kein Grund zu weinen!“, fügte sie hinzu, als sie bemerkte, dass ihre Worte genau das bei Pia auslösten. Diese beruhigte sich tatsächlich schnell wieder. Tamara fuhr fort: „Ich kann genau so verzeihen.“
Nachdem sie sich wieder gesetzt hatte und die beiden sich kurz angelächelt hatten, fragte Pia: „Auch wenn es das nicht komplett wieder gut macht – erlaubst du mir, jetzt die Freundin zu sein, die du gebraucht hättest? Also…sofern Anna nicht irgendwie gehen muss deshalb…das fände ich unfair.“
„Alles gut.“, lachten Tamara und Anna gleichzeitig und Tamara ergänzte: „Anna kann ruhig bleiben. Ich habe mich ihr schon anvertraut.“ Damit sorgte sie bei Pia für ein kurzes Eifersuchtsgefühl, war sie doch schließlich ihre beste Freundin seit dem Kindergarten. Nur einen Augenblick später verstand Pia allerdings, warum Tamara sich Anna als Gesprächspartnerin ausgesucht hatte.
„Also, magst du jetzt erzählen?“, fragte Pia nochmals. Tamara nickte.
„Danke, dass du jetzt bereit bist. Ich warne dich vor, ich will ehrlich und aufrichtig sein, auch wenn es vielleicht hart für dich ist.“, begann Tamara und konnte sehen, wie Pia zwar schluckte, aber auch verständnisvoll nickte.
„Dann fang ich mal mit ehrlich und aufrichtig direkt an.“, setzte Tamara erneut an, „Ich war durchaus ziemlich genervt, immer von Ben und euren Bettgeschichten zu hören. Ich meine, das ist irgendwie…ekelig…finde ich.“
„Du findest Sex allgemein ekelig?“, fragte Pia verwundert.
„Ja…irgendwie schon…ich hab mit Hilfe von Anna und auch Frau Schulze…“, antwortete Tamara nur teilweise, weil sie erneut unterbrochen wurde.
„Du warst auch bei Frau Schulze?“, fiel ihr Pia rhetorisch fragend ins Wort.
„Ja, einen Tag nach dir. Also ich weiß auch nur, dass du da warst, mehr darf Frau Schulze ja sowieso nicht ohne dein Einverständnis erzählen.“, erklärte Tamara, „Also, weiter im Text: Das hat es für mich nicht gerade erträglicher gemacht, wenn du von dir und Ben erzählt hast. Also nicht dass ich das generell nicht hören möchte, aber in der Frequenz wie in den Ferien…naja…ich dachte selbst schon, ich sei nicht normal, wie du es mir unterstellt hast….“
„Das hab ich nicht so gemeint!“, warf Pia verteidigend ein, „Normal oder nicht normal ist doch egal. Das war einfach ein falsches Wort. Entschuldige bitte.“
„Ist ok, aber darf ich weiter erzählen?“, klang Tamara ein wenig vorwurfsvoll.
„Entschuldige. Nochmal bitte.“, bestätigte Pia.
„Also…wo war ich? Ach ja, jedenfalls habe ich mich die Ferien lange damit beschäftigt, ob ich – in deinen Worten – normal bin oder nicht, weil ich mit meinen 16 Jahren irgendwie ekelig finde, was du mit deinem Freund im Bett machst. Oder überhaupt zwei Menschen miteinander. Da hat Anna mir dann geholfen, die hatten da wohl was in Pädagogik. Jedenfalls gibt es Menschen, die mit Sex und so nichts anfangen können, die nennt man asexuell. Und ich glaube, da gehöre ich wohl zu.“, erzählte Tamara zunächst zu Ende.
„Wow…das wusste ich nicht…hätte ich das gewusst…ich meine, das macht es noch schlimmer, was ich gesagt habe.“, war Pia schuldbewusst.
„Pia, ist in Ordnung. Ich glaube, du kannst mich jetzt besser verstehen. Oder?“, versicherte Tamara sich.
„Ich denke schon. Auch wenn das gerade schon etwas viel ist, um das so schnell zu verarbeiten.“, merkte Pia an.
„Verstehe ich. Wie geht es dir eigentlich mittlerweile?“, fragte Tamara.
„Besser. Ich glaube, das Gespräch geht in eine gute Richtung, das tut mir wirklich gut. Ich hoffe, dir auch?“, fragte Pia zurück. Tamara nickte.
Pia erzählte weiter: „Ich hab es ja eben schon angedeutet, dass ich weiß, dass ich über Ben hinweg muss. Was wie womit wann und was für Fragen da noch alles hinter stecken, wird man wohl sehen. Naja, gut, eine Sache die hilft, kenn ihr ja…“ – Mit diesen Worten holte sie ihre Zigarettenschachtel hervor und zündete sich eine Zigarette an.
„Ehm…nicht, dass ich euch diese Dinger auch andrehen will, ich will nur höflich sein: Möchte wer von euch auch eine?“, fragte Pia.
„Ne, lass mal. Will damit nicht anfangen, aber danke für die gut gemeinte Geste.“, antwortete Tamara.
„Hm…vielleicht demnächst mal.“, sagte Anna, was dafür sorgte, dass vier verwunderte Augen auf ihr lagen.
„Anna?“, konnte Tamara nur hervorbringen.
„Sagt die, die mich fürs Rauchen verurteilt?“, war Pias Erstaunen deutlich zu spüren.
„Ich verurteile dich nicht. Aber an dem Tag als du Patricia eine Zigarette gegeben hast, hab ich mit ihr abends darüber gesprochen. Und als Sucht ist es sicherlich zu teuer und zu schädlich, aber als Genussmittel…Keine Ahnung, ich probiere vielleicht mal.“, erklärte Anna. Pia nickte, Tamara schaute Anna weiter stirnrunzelnd an.
„Naja, musst du wissen.“, sagte Tamara.
„Tamara“, sagte Pia schließlich, „wenn du mit mir über irgendwas reden willst, dann bin ich für dich da. Und wenn das nicht direkt klappt, dann sag mir das bitte. Dann werde ich alles dafür tun, für dich da zu sein und dir zuzuhören.“
Nun kamen Tamara die Tränen. „Danke“, schluchzte sie, „du genauso. Ich war vielleicht auch nicht die beste Freundin in den Ferien. Ich hätte dir auch besser zuhören müssen.“
„Nicht unbedingt. Ich hab in Ruhe nachgedacht und gerade mit dem, was du mir heute erzählt hast, glaube ich, ich habe dir doch zu viel zugemutet. Ich hatte ja keine Ahnung, wie es dir wirklich geht.“, erwiderte Pia.
„Frieden?“, fragte sie.
„Frieden.“, stimmte Tamara zu. Die beiden Mädchen standen auf und umarmten sich.
„Anna…sorry, dass du auch hättest zu Hause bleiben können. Komm her.“, forderte Pia die Dritte am Tisch auf, sich der Umarmung anzuschließen.
„Kein Problem, ich bin gerne hergekommen. Und freue mich, dass ihr euch versöhnt habt.“, sagte Anna schließlich.
„Morgen ist Freitag. Wie wäre es, wenn wir auf die alte, neue Freundschaft bei mir anstoßen. Mädelsabend. Können auch gerne bei mir zusammen übernachten?“, schlug Pia vor.
„Ja, das wäre super!“, freute sich Tamara über den Vorschlag.
„Ja…“, stimmte Anna zu.
„Was ist?“, fragte Tamara, der auffiel, dass Anna nicht vollends begeistert von der Idee war, „Stimmt was nicht?“
Anna schluckte, in ihrem Kopf hatten sich alle Zahnräder in Bewegung gesetzt. Die Ausrede mit ihren Eltern würde ihr nicht länger abgekauft werden, dachte sie. Und durch Patricia und nicht zuletzt auch durch Chris hatte sie erfahren, dass sie diese Ausrede nicht immer brauchte. Und Tamara und Pia gehörten mittlerweile definitiv zu den Personen, bei denen sie sich zutraute, die Karten auf den Tisch zu legen.
„Doch, alles in Ordnung. Bin gerne dabei. Aber vorher müssen wir zu mir, glaube ich…“, sagte sie.
Autor: Theseus (eingesandt via E-Mail)
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Freut das die Freunde sich wieder vertragen. Hoffentlich können Sie sich auch vertrauen! Bin schon auf den nächsten Teil gespannt.
Super Geschichte lese sie unheimlich gern, nun bin ich aber gespannt ob sie sich ihr wirklich anvertrauen. So das auch Tamara von ihrem Geheimnis erfährt und wie sie damit umgeht.
Schöne Geschichte … hat einen ganz eigenen Charme. Zuerst dachte ich, dass es zuviele Charaktere sind, aber mit diesen ganzen kleinen Nebengeschichten wird das rund.