Die neue Mitschülerin (13)
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Kapitel 13: Neugieriges Verhör
Es war bereits hell draußen, wie Chris durch die wenigen Schlitze in der Jalousie erkannte, als er am nächsten Morgen aufwachte. Einen Moment lang brauchte er, um sich zu orientieren und zu erkennen, wo er war. Dann fielen ihm die Ereignisse des gestrigen Abends ein. Er lächelte und drehte sich zur neben ihm liegenden Anna um, die mit einem „Na, auch schon wach, Schlafmütze?“ und einem Kuss einen guten Morgen wünschte. Sie legte ihr Buch weg, Chris hatte gar nicht mitbekommen, dass das Leselicht am Bett angeschaltet war.
„Morgen.“, nuschelte Chris noch etwas verschlafen.
„Da ist ja jemand noch richtig müde.“, stellte Anna fest, „Das müssen wir ändern.“, sagte sie und begann, Chris zu kitzeln. Das zeigte Wirkung: Chris wehrte sich vehement und fühlte sich gleich viel wacher.
„Stopp, hör auf.“, forderte er seine Freundin auf, die aber erst auf das kurze Zeit später folgende „Ich muss mal auf Klo.“ der Aufforderung nachkam.
„Müsste ich eigentlich auch mal.“, sagte Anna.
„Dann geh du ruhig zuerst.“, schlug Chris vor, was Anna aber ablehnte.
„Och wieso? Ich muss ja nicht aufstehen.“, grinste sie und merkte, wie ihr Gesicht ein wenig warm und auch rot wurde, auch wenn sie letzteres nicht sehen konnte. Sie hatte bereits entschieden, den zu erwartenden Fragemarathon von Chris zuzulassen, das war sie ihm einfach schuldig, nachdem sie ihn doch sehr beansprucht hatte, was das Nicht-Zusammen-Übernachten in den letzten Tagen und Wochen anging. Da sie von Chris Offensive erwartete, beschloss sie, dies ebenfalls zu tun und machte so den ersten Schritt.
„Oookay…“, sagte Chris, der einen Moment brauchte, um Eins und Eins zusammenzuzählen, und verschwand. Kurze Zeit später hörte Anna die Spülung im Bad nebenan, gefolgt von Wasserplätschern ins Waschbecken. Chris setzte sich nun auch ins Bett und sah Anna in die Augen.
„Darf ich dich fragen?“, tastete er sich vorsichtig heran.
„Ja, darfst du. Alles, was du willst. Ich…bin dir das glaube ich schuldig, deine Fragen zu beantworten.“, erwiderte Anna. Wieder zitterte ihre Stimme leicht, was Chris bemerkte:
„Okay, danke. Aber…fühl dich nicht genötigt, alles zu beantworten. Wenn du mir irgendwas nicht oder noch nicht sagen willst, ist das ok.“
„Frag doch erstmal, ich kann das ja dann entscheiden.“, forderte Anna auf.
„Also…ich frage mal das Naheliegende: Hast du gerade in deine Windel gepinkelt?“, begann Chris das Verhör.
„Ja, habe ich…ich hole mal ein bisschen aus.“, begann Anna die Antwort, während Chris ihr gebannt lauschte, „Also, an sich finde ich Windeltragen überhaupt nicht schlimm. Weißt du, das Problem für mich ist eher, dass ich nicht Windeln tragen MÜSSEN will, sondern lieber komplett selbst entscheiden würde, wann ich welche trage und wann nicht. Das Schlimme ist sonst noch die Angst, dass andere Leute das herausfinden, dass ich welche brauche, und nicht so reagieren wie du. Tatsächlich sind Windeln sogar durchaus praktisch. Wenn ich ehrlich bin… ich bleibe wenn ich nicht zur Schule muss morgens nach dem Aufwachen gerne noch ein bisschen im Bett und lese oder spiele am Handy. Und wenn ich dabei muss…muss ich halt nicht aufstehen. Meistens geht das auch gut, und wenn die Windel dann doch mal zu voll war von der Nacht, hab ich ja immer noch den Matratzenschutz.“
„So hatte ich das noch gar nicht betrachtet. Aber das klingt interessant und auch logisch.“, befand Chris und erinnerte sich an den letzten Abend. Vorm Schlafengehen bat Anna noch, ihr zu helfen, den Matratzenschutz aufzuziehen, wo er gerade schon da war. „Dann bleibt die Matratze auf jeden Fall trocken.“, erklärte sie, wobei Chris mittlerweile zu müde war, um das in Gänze zu verstehen und zu hinterfragen.
„Warum hast du ihn denn abgemacht?“, wollte Chris wissen.
„Weil ich nicht geplant habe, dass mein Geheimnis gestern rauskommt. Und das wäre es, wenn wir in mein Zimmer gegangen wären und du den Schutz gesehen hättest, vermutlich.“, hatte Anna zugegeben.
„Trägst du dein Leben lang nachts Windeln?“, stellte Chris die zweite Frage.
„Nein. Ich war mit vier oder fünf nachts trocken und hatte glaube ich tagsüber im Kindergarten nie eine Windel an. Ganz sicher bin ich mir aber nicht. Mit dem Bettnässen ging es wieder los, als ich in die vierte Klasse gekommen bin und meine Oma gestorben ist. Das hat mich damals echt mitgenommen.“, fing Anna an.
„Oh, das tut mir leid.“, teilte Chris sein Mitleid mit.
„Muss es nicht.“, antwortete Anna, „ich habe zwar ein paar Jahre und viel Unterstützung von meinen Eltern und einer Kinderpsychologin gebraucht, aber dann habe ich verstanden, dass sie halt sehr krank war und der Tod wahrscheinlich wirklich das Beste gewesen war. So doof sich das anhören mag.“
„Im Gegenteil, ich kann mir gut vorstellen, was du meinst, auch wenn es meinen Großeltern zum Glück noch gut geht.“, erwiderte Chris.
„Naja, jedenfalls kam das Bettnässen dann wieder dazu. Das hat mich natürlich auch total fertig gemacht und da in der vierten Klasse eine Klassenfahrt anstand, hatte ich echt Angst, dass die anderen das merken. Das war so schlimm, dass ich meine Eltern dann nach langer Diskussion überredet habe, nicht mit zu müssen. In der Schule hat das auch niemand gemerkt, auch auf dem Gymnasium nicht. Bis zur siebten Klasse, als wieder eine Klassenfahrt stattfand. Das war wieder ein großes Drama, aber meine Eltern hatten herausgefunden, dass es in meiner Klasse noch ein anderes Mädchen gab, dass nachts Windeln benötigte. Sie haben mir nicht gesagt, wer, sondern nur, dass wir zu zweit auf ein Zimmer kommen würden. Ganz glücklich war ich nicht, aber das Argument, dass ich keine Angst haben müsse, dass sie mein Geheimnis ausplaudert, hat mich letztlich überzeugt. Und so wurden Patricia und ich beste Freundinnen.“
Chris stand der Mund offen. Das ergab alles Sinn, was seine Freundin ihm erzählte. So recht wusste er nicht, wie er weiter fragen sollte, weshalb er sich letztlich mehr reflexartig als wirklich bewusst für ein „Und wie geht’s weiter?“ entschied.
„Das war auch alles kein Problem. Unsere Lehrerin hat unser Zimmer abends immer als letztes kontrolliert, damit keiner mitbekam, wenn sie länger in unserem Zimmer war, um uns beim Wickeln zu helfen. Sie hat uns das dann erklärt, wie das alleine geht, das haben wir dann beide in der Woche auch hinbekommen.“, beantwortete Anna die unspezifische Frage.
„Schön, wenn man sich auf seine Lehrer verlassen kann.“, warf Chris ein.
„Oh ja. Ich bin ihr auch echt dankbar dafür. Und ich habe sogar heute noch hin und wieder Kontakt zu ihr, weil so ein Geheimnis zwischen dir und deinem Lehrer auch irgendwie eine besondere Verbindung ist. Schau mal, diesen Brief habe ich kurz vor den Herbstferien bekommen.“ Während sie dies erzählte, kramte sie in einer ihrer Schreibtischschubladen und holte einen zusammengefalteten Zettel hervor, den sie Chris mit Abschluss ihrer Ausführungen in die Hand drückte. „Lies ruhig“, forderte sie ihn auf.
Liebe Anna,
du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich über deinen Brief und vor allem das, was du geschrieben hast, freue. Ich finde es wirklich schön, dass es dir in Brogenberg gut geht und du schnell Freunde an deiner neuen Schule gefunden hast! Und ich drücke dir die Daumen, dass sich das gute erste Date mit Chris noch oft wiederholt!
Ich erinnere mich noch gut an unser letztes Gespräch am letzten Schultag. Auch wenn du nicht die einfachste Zeit hier hattest, weiß ich noch genau, wie traurig du warst, dass du gehen musstest. Aber du hast mir von deinen Plänen erzählt, die Gelegenheit zu nutzen und dich so zu präsentieren, wie du sein möchtest, ohne, dass dich jemand schon vorverurteilt. Das hat ja dann wohl auch wirklich gut funktioniert!
Und was dein Problem mit dem Bettnässen angeht: Erinnere dich an die Klassenfahrt in der 7 zurück. Du wolltest erst nicht mitkommen und bist nur mitgekommen, weil du wusstest, dass du nicht allein bist. So wie ich euch beobachten konnte, ist deine Freundschaft mit Patricia wirklich eine besondere und gute Freundschaft. Ich verstehe das Problem und deine Angst, dass Chris auf dein Problem vielleicht nicht so reagiert, wie du es gerne hättest. Aber lass dich davon nicht aufhalten. Wenn ihr euch näher kommen solltet, wird er das irgendwann erfahren müssen – ich bin mir aber sicher, dass er darauf gut reagieren wird, wenn er dich so sehr mag wie du ihn.
Ich würde mich freuen, falls du in den Ferien mal hier bist, wenn wir dann mal einen Kaffee trinken und uns ausführlicher unterhalten können. Melde dich einfach, wenn dir danach ist.
Weiterhin alles, alles Gute für deinen Weg!
Viele Grüße,
Vanessa Schmitz
„Ich glaube, so eine Klassenlehrerin kann man sich nur wünschen.“, kommentierte Chris das Gelesene, sichtlich beeindruckt.
„Naja, als Lehrerin war sie ziemlich oft ziemlich streng.“, erzählte Anna weiter, „Aber wie du siehst: Menschlich ist sie ausgezeichnet.“
„Das definitiv. Geht’s mit deiner – ich sag mal Windelbiografie – eigentlich noch weiter?“
„Ey“, beschwerte sich Anna in der für sie typischen, ironischen Lockerheit, um direkt danach wieder angemessen ernst zu werden, „Ja, aber nicht mehr so spektakulär. In der neunten wurde ich dann nachts wieder trocken, nachdem das in der achten schon immer unregelmäßiger wurde. Leider ging es dann wieder los, als ich hörte, dass wir umziehen. Auch wenn ich eigentlich nur Patricia hatte, war ich doch insgesamt zufrieden mit meinem Leben und meiner Situation an der Schule. Also fing es im letzten Winter wieder an und ich machte sogar wieder täglich ein, als die Abschlussprüfungen stattfanden. Witzigerweise wurde es mit dem ersten Schultag wieder weniger. Bis im Moment, wie gesagt, etwa ein- bis zweimal die Woche.“
„Irgendwie finde ich deine Geschichte total faszinierend.“, zeigte Chris sein großes Interesse am bisherigen Lebensweg seiner Freundin nun auch mit Worten.
Einige Minuten saßen sie schweigend im Bett. Chris verarbeitete das gehörte, während Anna geduldig darauf wartete, dass er die nächste Frage stellte.
„Ehm…“, setzte Chris zu dieser schließlich an, „wie fühlt sich das eigentlich an?“
„Was meinst du?“, hakte Anna nach.
„Wie fühlt sich das an, in eine Windel zu machen?“
„Achso“, lachte sie, „ehrlich gesagt finde ich es ganz angenehm. Also wenn du pinkelst, wird es warm. Je nach dem, wie viel und wie schnell, merkst du auch, wie sich das verteilt. Das Vlies in der Windel saugt sich dann voll und wird fast wie ein Polster.“
„Interessant…“, gab Chris zurück, der wieder einen Moment brauchte, um die nächste Frage zu stellen. „Hast du auch schon mal groß reingemacht?“
„Jetzt wirst du aber intim“, wich Anna der Frage zunächst aus, legte ihren Zeigefinger aber mit den Worten „Nein, kein ‚Sorry‘“ auf Chris‘ Lippen, als sie erkannte, dass dieser sich für seine Frage entschuldigen wollte. „Also“, setzte sie zur tatsächlich Antwort an, „erinnern kann ich mich nur einmal, vor etwa drei Jahren muss das gewesen sein. Ich hatte eine schwere Erkältung und war kaum in der Lage, aus dem Bett aufzustehen. Meine Mutter hatte mir an dem Tag sogar Essen ans Bett gebracht. Auch wenn ich nicht so viel Appetit hatte, musste ich irgendwann groß und habe das einfach gemacht. Meine Ma war nicht wirklich begeistert davon, es war wohl einiges an Aufwand, das wieder sauber zu machen. Deswegen habe ich das danach nicht mehr gemacht, auch wenn ich glaube, dass ich das Gefühl damals nicht schlecht fand. Aber genau kann ich mich nicht mehr dran erinnern, an dem Tag war ich einfach nur komplett durch.“
„Das verstehe ich.“, gab sich Chris mit der Antwort zufrieden. „Noemi!“, rief er plötzlich.
„Was ist mit ihr?“, fragte Anna spielerisch unwissend.
„Sie auch, oder?“ – Anna atmete einmal tief durch und setzte zur Antwort an: „Ja, sie auch. Deshalb war ich auf der Stufenfahrt mit ihr auf einem Zimmer und deshalb ist sie auch nicht bei der Übernachtungsparty über Nacht geblieben. Aber behalt das bitte für dich.“
„Selbstverständlich.“, versprach Chris, „Und auch, dass du ihr Schicksal teilst, behalte ich für mich. Also, außer, du wärst damit einverstanden, wenn ich das jemandem erzähle.“
„Danke, aber ich glaube, da muss ich im Zweifel selber durch. Und vielleicht hört es ja bald auch wieder ganz auf.“, gab sich Anna dezent hoffnungsvoll.
„Eine Frage habe ich noch.“, wollte Chris noch mehr wissen.
„Was denn?“, fragte Anna neugierig zurück.
„Trägst du auch einfach mal so zwischendurch eine Windel?“
Sie schaute Chris etwas fragend an. „Achso, das meinst du. Also…ähm…ja, ehrlich gesagt schon. Also nicht nur, dass ich sie morgens meistens noch ein bisschen anbehalte, wenn ich am Wochenende länger alleine hier oben bin, ziehe ich mir schon manchmal eine Windel an. Meine Eltern merken das nicht, ich habe ja meinen eigenen Windeleimer im Bad, wie du ihn ja gestern Abend dann auch gesehen hast.“ Etwas geknickt schaute sie nach unten in ihren Schoß. „Jetzt hältst du mich aber bestimmt für seltsam.“
„Was? Nein, wo denkst du hin?“, konnte Chris das nicht recht glaube, „im Gegenteil, ich finde das…echt spannend.“, brachte er nach einem kurzen Zögern hervor.
„Wirklich?“, schaute Anna ihn ungläubig an.
„Wirklich.“, versicherte Chris, „Anna, ich liebe dich. Und wie oft du welche Windeln trägst, wird daran ganz sicher nichts ändern.“
Anna lächelte und warf Chris um, sodass er nun zwischen der Matratze und ihr lag. „Ich bin so froh, dich zu haben.“, sagte sie, ehe sie sich küssten. „Ich glaube, so langsam muss ich meine Windel dann mal ausziehen.“, lachte sie und ging für einen kurzen Moment aus ihrem Zimmer.
Autor: Theseus (eingesandt via E-Mail)
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Ist schon toll die Akzeptanz von Chris. So eine Freundschaft / Beziehung wünschte ich mir! Freu mich auf den nächsten Teil. Ich hab so eine Ahnung, das Chris es auch ausprobieren wird. Mal sehn ob ich Recht behalten soll.
Wieder ein sehr schöner neuer Teil!
Ich hätte es aber gut gefunden, wenn das zu Bett gehen und gemeinsame Einschlafen etwas genauer beschrieben worden wäre. Dafür das die ersten 10 Teile ohne Windeln waren, geht es jetzt recht schnell zur Sache.
Danke für die Rückmeldung.
Ich möchte die Geschichte auch weiterhin mit dem Schwerpunkt auf den Figuren und deren Entwicklung erzählen.
Dabei entstehen fast schon zwangsläufig solche Leerstellen. Es steht dir natürlich frei, diese für dich selbst im Kopf zu füllen 😉