Die neue Mitschülerin (26)
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Kapitel 26: Neues Schuljahr, neuer Ärger
Am ersten Schultag traf Jonathan morgens an der Bushaltestelle auf Tamara, die mit ihren kleinen Zwillingsgeschwistern bereits auf den Bus wartete.
„Hi Jonathan. Du erinnerst dich an Larissa und Max?“, begrüßte sie ihn.
„Ja, hallo ihr beiden. Ihr geht jetzt also auch mit uns aufs Gymnasium?“, fragte er die beiden Kleinen. Max nickte unsicher.
„Jonathan ist ein Freund von mir. Ihr braucht keine Angst vor ihm haben.“, beruhigte Tamara ihre Geschwister, die aber offensichtlich von der Situation überfordert waren. Die neue, große Schule, die sie gestern bei der Einschulung am letzten Ferientag kennengelernt hatten, hatte Eindruck hinterlassen.
„Hey…ähm…ich ziehe mich erstmal etwas zurück. Also zumindest, solange Pia dabei ist.“, kündigte Tamara an.
„Willst du eigentlich darüber reden, was los ist?“, fragte Jonathan.
„Wenn ich ehrlich bin…aktuell lieber nicht…ich kümmere mich heute erstmal um die beiden Mäuse hier.“, antwortete Tamara, die sich schließlich entfernte und einige Schritte weiter hinstellte, als sie sah, dass Pia sich der Haltestelle näherte.
Im Bus begrüßte Tamara, die an der hinteren Tür einstieg, Chris und Anna und setzte sich mit ihren Geschwistern dann etwa in die Mitte des Busses. Jonathan und Pia gesellten sich hingegen zu ihnen.
„Mann, bei euch ist ja wirklich Eiszeit.“, stellte Chris fest, nachdem sich die vier begrüßt hatten.
„Ja…ach soll sie doch. Ich glaube, ein paar Tage Auszeit brauchen wir. Ich werde mal nächste Woche spätestens was unternehmen, um die Wogen zu glätten.“, verkündete Pia.
„Na hoffentlich hilft’s.“, merkte Anna an.
„Irgendwann bestimmt. Ich meine, wir sind quasi seit dem Kindergarten beste Freundinnen. Aber ich glaube, so einen schlimmen Streit hatten wir noch nie.“, sagte Pia. Man kam nicht umhin, zu bemerken, dass sie die Sache sehr mitnahm. Auch deshalb bat sie, das Thema zu wechseln. Nachhaltig gelang es den Vieren nicht, diesem Wunsch nachzukommen, denn über das Thema Leistungskurse dauerte es nicht lange, ehe Pia feststellte, dass sie die gleichen Leistungskurse wie Anna gewählt hatte. Und aus den Stundenplänen ging hervor, dass sie tatsächlich in den gleichen Kursen waren, auch wenn es nicht nur einen Deutsch-Leistungskurs gab. Diesen Kurs besuchte auch Anna, die sich zwischen die beiden setzte und konsequentes Schweigen von beiden Seiten erhielt. Bereits in der ersten Doppelstunde war sie davon so genervt, dass sie ihren Mut zusammennahm, vor allem was Pia betraf, und sich die beiden Streithähne vorknöpfte.
„Also so wie heute kann das nicht weiter gehen. Das halte ich nicht lange aus, wenn ich von beiden Seiten angeschwiegen werden.“, sagte sie entschieden.
„Ich glaube, ich weiß noch nicht ganz, wo eigentlich eure jeweiligen Probleme liegen. Aber ich erwarte, dass ihr versucht, euer Kriegsbeil zu begraben. Ich helfe euch gerne und ich vermittle gerne. Ich mag euch beide wirklich sehr gern und glaube auch, dass ich neutral sein kann.“
Pia setzte gerade zum Gegenschlag an, diesen erstickte Anna aber bereits im Keim: „Nein, Pia, jetzt nicht. Du nimmst das, was ich gesagt habe, jetzt so hin und wenn dir was an Tamara liegt, weißt du auch, dass ich Recht habe.“
Das hatte gesessen – Pia zog ohne ein weiteres Wort ab und schmollte leicht. Tamara blickte Anna halb dankbar, halb hilfesuchend an und machte sich ebenfalls von dannen, sodass Anna nicht wirklich wusste, woran sie bei den beiden war. Die impulsivere Pia war vermutlich die größere Baustelle, glücklicherweise hatte Anna eine ziemlich genaue Idee, wo sie Pia finden könnte. Tatsächlich fand sie sie an der Raucherecke am Rand des Schulhofs. Rauchen war dort zwar nicht erlaubt, schon gar nicht für Minderjährige, aber ihren Beobachtungen aus dem letzten Schuljahr zufolge schien es so, als würde es geduldet werden. Pia, die in den letzten eineinhalb Minuten bereits die Hälfte ihrer Zigarette aufgeraucht hatte, sah Anna auf sich zukommen, verhielt sich aber so, als hätte sie ebendies nicht bemerkt.
„Bist du sauer auf mich?“, fragte Anna, nachdem sie sich neben Pia gestellt hatte und einige Momente vergeblich auf eine Reaktion gewartet hatte.
Pia blies den Rauch in die Luft und sah endlich ihre Freundin an. „Nein“, sagte sie, „auch wenn ich es ehrlich gesagt gerne wäre. Aber ich weiß, dass du es nur gut meinst.“
„Na immerhin.“, warf Anna ein.
„Anna, ich verspreche, ich nehme mir deine Worte eben zu Herzen.“, versicherte Pia glaubwürdig.
„Sicher? Also nicht dass du das jetzt nur so sagst.“, hakte Anna nach.
„Ja, sicher. Ein Versprechen ist ein Versprechen.“, bestärkte Pia dieses und lächelte dabei sogar.
„Ok.“, gab Anna sich zufrieden, „Ich geh dann mal wieder rein. Die nächste Stunde geht ja gleich los.“
„Wartest du noch kurz?“, fragte Pia, die ihre fast aufgerauchte Zigarette demonstrativ hoch hielt.
„Ja gut, aber beeil dich.“, forderte Anna Pia auf.
„Schaaatz…ich glaub jemand ruft dich an.“, sagte Chris am darauffolgenden Samstagmorgen verschlafen zu Anna, nachdem er das Geräusch, das ihn geweckt hatte, als Vibration von Annas Handy eingeordnet hatte.
„Hm…“, machte Anna und drehte sich widerwillig in Richtung Wand. Chris nahm sich nun das Handy seiner Freundin, um zu schauen, wer sie so früh störte.
„Patricia“, sagte er.
„Mh…was will die so früh?“, fragte Anna gleichermaßen verschlafen und genervt.
„Keine Ahnung, soll ich rangehen?“, stellte Chris eine Gegenfrage.
„Mach ruhig.“, erlaubte Anna, zog dabei die Decke leicht weg und rollte sich enger in diese ein.
„Hi Patricia, Chris hier.“, meldete Chris sich.
„Anna, na endl…warte, Chris? Was ist mit Anna?“, grüßte Patricia aufgeregt zurück.
„Die schläft noch. Hast du mal auf die Uhr geguckt?“, erklärte Chris.
„Ah, ist ja auch egal. Stell mal auf laut.“, forderte Patricia ihn auf.
„So, jetzt noch mal, Anna kann mithören.“, sagte Chris kurze Zeit später, nachdem er einen Moment braucht, um herauszufinden, wie man den Lautsprecher an Annas Handy aktivierte.
„Ey, ihr glaubt nicht, was ich gerade in der Post hatte.“, fing Patricia an, wartete scheinbar auf eine Reaktion, die aber nicht so schnell erfolgte, wie sie erwartete.
„Na, dann fragt halt nicht.“, sagte Patricia und fuhr fort, „Dieser Penner vom Überfall auf die alte Frau hat mich wegen Körperverletzung angezeigt!“
„Was!?“, riefen Chris und Anna gleichzeitig, die vom einen auf den anderen Moment hellwach waren und sich nun im Bett hinsetzten.
„Ja! Pass auf, ich les mal vor.“, begann Patricia, „Also: Sehr geehrte Frau Wankmann, Sehr geehrter Herr Wankmann, Ihre Tochter Patricia wird beschuldigt, gemäß irgendwas mit Paragraphen am Dienstag, den 05. Juli dieses Jahres eine Körperverletzung gegen Herrn Frank Tanner, geboren am 19.01.1982 in Bielefeld begangen zu haben, indem sie mit ihrer Handtasche das Opfer am Kopf geschlagen hat. Weiter wird sie beschuldigt, ihr Opfer grundlos festgehalten zu haben, indem sie sich auf seinen Rücken setzte und ihm dabei erhebliche Schmerzen zufügte. Erst als die herbeigerufene Polizei eintraf, ließ sie von ihrem Opfer los. Sorgen Sie als Erziehungsberechtigte dafür, dass Ihre Tochter den Anhörungsbogen innerhalb von 14 Tagen ausfüllt und unterschrieben mit dem beigefügten Umschlag zurücksendet. Einer von Ihnen als Erziehungsberechtigte hat ebenfalls eine Unterschrift zu leisten. Mit freundlichen Grüßen blablabla.“
Anna genügte Patricias Stimme, um sehr genau zu wissen, dass sie ihren „Leg-dich-besser-nicht-mit-mir-an“-Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte, den sie das ein oder andere Mal in der Schule gesehen hatte, als sie geärgert wurde und Patricia sie beschützte. Auch Chris brauchte einen Moment, um Patricias Worte zu verdauen und einzuordnen.
„Was fällt dem ein?“, fragte Chris entsetzt.
„Kein Plan.“, antwortete Patricia immer noch unverändert energisch, „Aber der hat doch definitiv nicht mehr alle Tassen im Schrank.“
„Eindeutig.“, brachte sich Anna nun ins Gespräch ein, „und was bedeutet das jetzt für dich?“
„Weiß nicht. Meine Eltern versuchen gerade, unseren Anwalt zu erreichen.“, sagte Patricia.
„Klingt vernünftig.“, sagte Chris und Anna fügte hinzu: „Wir können doch auch sagen, was wirklich passiert ist.“
„Bestimmt.“, ermutigte Chris weiter, „Du brauchst dir sicher keine Sorgen zu machen.“
„Einfacher gesagt als getan.“, kommentierte Patricia, „Meine Mutter hat mich gerade gerufen, ich hoffe mal, die haben den Anwalt erreicht. Ich halt euch auf dem Laufenden.“
„Mach das.“, setzte Anna zur Verabschiedung an, „Viel Glück!“
„Danke.“, sagte Patricia noch, ehe das Tuten zu hören war.
„Was fällt dem ein?“, fragte Anna empört, nachdem Patricia aufgelegt hatte und sie sich vergewisserte, dass sie nicht träumte.
„Keine Ahnung. Aber klingt, als könnte da für uns auch noch Ärger zukommen.“, mutmaßte Chris.
„Vermutlich. Lass uns runter gehen, da sollten wir mit meinen Eltern drüber sprechen. Und deine solltest du auch anrufen. Wäre bestimmt sinnvoll, wenn die herkommen könnten“, schlug Anna vor. Die beiden zogen sich also ihre Windeln und Schlafanzüge aus und machten sich auf den Weg zum Frühstück. Während Anna im Bad war, rief Chris seine Eltern an, die sich sofort auf den Weg machten.
„Macht euch keine Sorgen.“, waren sich alle vier Eltern einig.
„Ihr habt ja eure Aussagen gemacht. Und das klingt alles glaubwürdig und ihr widersprecht euch auch nicht.“, befand Rudolf.
„Ja…wahrscheinlich hast du Recht, Papa.“, antwortete Anna, immer noch zweifelnd.
„Wartet es ab. Wenn ihr noch irgendwie damit etwas zu tun habt oder ihr nochmal aussagen sollt, werdet ihr davon erfahren. Und dann können wir uns immer noch um Anwälte kümmern.“, versuchte Karin, die beiden Teenager weiter zu beruhigen. Die Stimmung während des Frühstücks blieb angespannt, auch wenn es bei dem Thema zumindest noch nichts Weiteres zu diskutieren gab.
Autor: Theseus (eingesandt via E-Mail)
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