Zweite Chance (1) – Kapitel 6
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Kapitel 6 – Muhkuh
Das Gelände des Forschungszentrums erinnert einen leicht an eine Kleinstadt, eine recht große Hauptstraße aus Betonplatten, welche vom Haupteingang aus ringartig durch das Gelände führt, die Bushaltestellen der Institutsbusse und derer des öffentlichen Nahverkehrs sowie die vielen unterschiedlichen Gebäudekomplexe aus Lagerhallen, gläsernen Bürogebäuden und älteren Backsteingebäuden verstärken diesen Eindruck noch, das Wirrwarr und die vielen Abbiegungen die wir machen müssen, um an unserem Ziel anzukommen, fügen sich da gut ein.
Nichtdestotrotz ist diese Abbiegung vorerst unsere letzte, denn Thomas hält grade auf einem Parkplatz vor einem Gebäude mit Glastreppenhaus. Beim Aufstehen aus meinem Sitz sehe ich, dass sich Giacomo sein neues Spielzeugauto in die Hosentasche einsteckt, ich lasse mich noch einmal in den Sitz fallen, und mache dasselbe, wer weiß, wie lange dass da drin dauern wird.
Giacomo zieht sich die Hose hoch, sie ist ihm oben doch noch ein Stück zu weit, und die ganze Materialforschung von Pampers nützt nichts, wenn seine Hose Giaco an den Oberschenkeln hängt und damit die Sicht auf die Windel freigibt. Wir gehen durch die supermarktartigen automatischen Schiebetüren, und treffen kurz darauf eine Art Empfangstresen. Im Gegensatz zur Werkshalle der Zentralabteilung Technologie, in deren angrenzenden Büroräumen ich mein Praktikum verbrachte, scheint dieses Gebäude recht neu zu sein, und auch recht beschaulich. „Guten Tag, Müller mein Name“, meldet sich meine Mutter an: „Wir haben hier um … jetzt einen Termin.“ „Dürfte ich fragen, bei wem?“ Ist daraufhin die Antwort des Empfangsazubis. Ich schalte mich ein, denn meiner Mutter ist meines Wissens nach nicht bekannt, bei wem wir einen Termin haben: „Bei Professor Ismael, ich hab gestern mit ihm telefoniert.“
„Hm, das ist merkwürdig, ich sehe hier auf dem Plan keinen Termin“, antwortet der sichtlich überraschte Empfangsbeauftragte: „und ich dachte, ich hätte dieses Outlook endlich verstanden hier!“, murmelt er vor sich hin. „Ok, ich frage mal bei ihm nach.“ Er nimmt den Hörer vom monströsen Cisco-Telefon ab, Giacomo entfährt dabei ein „Das ist ja garnicht schnurlos!“. Ob ihm 2014 wohl wie die Zukunft vorkommt?
„Ja, hallo Herr Professor, hier steht eine Familie, die sagt mir, sie hätte jetzt gleich einen Termin bei ihrem Team, aber ich finde sie im Websystem nicht.“ Wurden wir grade als Familie bezeichnet? Der Gedanke scheint mir gewöhnungsbedürftig. Das Telefonat wird beendet, kurz daraufhin kommt ein großer, stämmiger, braungebrannter Mann durch eine der weißen Holztüren, neben ihm eine jüngere rothaarige Frau mit Laborkittel. „Guten Tag, ich bin …“ sein Blick wandert über mich und Giacomo: „Professor Ismael. Bitte, kommen sie doch mit.“ Wir folgen dem zweiköpfigen Team in einen beschaulichen Korridor, woraufhin wir in ein kleines Zimmer gelotst werden, in welchen sich ein Bürosessel an einem Schreibtisch, zwei Stühle und eine Liege befinden, es sieht stark wie in einer Hausarztpraxis aus.
Ich setzte mich auf einen der Stühle, Giacomo entscheidet sich, sich an den Fuß der Liege zu setzten, meine Mutter wählt den Sitzplatz neben mir, Thomas steht daraufhin ohne Platz im Raum herum. Meine Mutter flüstert ihm kurz etwas zu, daraufhin steht er nicht mehr im Raum herum, sondern geht in Richtung Flur. „So, und mit dir hatte ich gestern gesprochen?“ fragt der Herr Professor in meine Richtung. „Ähm, ja.“
„Ich muss sagen, ich bin überrascht, dass du wirklich hier eingetroffen bist, ich muss gestehen, ich habe den Anruf für einen Scherz gehalten. Einen sehr hartnäckigen wohlgemerkt.“ Während er spricht, drückt Ismael mit einem Kugelschreiber auf der Tischplatte herum.
„Ja, das hatte ich fast schon vermutet. Bei diesem Sachverhalt wohl auch sicherlich nachvollziehbar“, ich würde es mir ja selbst nicht glauben, wenn ich nicht mit ihm …“, ich schaue zu Giacomo, welcher mit den Beinen rumschaukelt: „… gesprochen hätte. Entweder, er hat ein Implantat in meinen Kopf gesetzt, und weiß deshalb alles über mich, oder … nun ja, er ist ich.“
„Soso, verstehe ich das richtig, der Kleine ist also der Zeitreisende von euch?“, führt er das Gespräch fort.
„Ich bin nicht klein!“ hört man von hinten den Funken der Rebellion.
„Ja, genau, oder ich bin mitsamt meinem ganzen Umfeld in die Vergangenheit gereist!“ Ich grinse dabei.
„Ok, ich denke mal, das überprüfen wir erstmal“, sagt er, und verschwindet daraufhin in einem Nebenraum. Ich schaue erst zu meiner Mutter, welche mich gespannt anschaut, und dann zu Giacomo, welcher grade seinen Kopf an sich herunterbeugt, sein T-Shirt hochgezogen hat, und sich anschaut, wie weit die Pampers über seine Hose heraussteht. Ganze drei Finger breit. Als er bemerkt, dass ich ihn anschaue, lässt er das T-Shirt wieder herunter, und grinst mich daraufhin mit schiefgelegtem Kopf überzogen an. Die Tür geht wieder auf, Professor Ismael kommt wieder, mit hochprofessionellem medizinischen Equipment. Mit zwei Formblättern und einem schwarzen Schwamm. „So, jetzt bräuchte ich bitte von euch beiden den rechten Zeigefinger“, sagt er, und fängt bei mir mit der Fingerabdruckaufnahme an. „Werden wir jetzt in IAFIS registriert, oder wie?“ scherze ich wieder einmal. Ismaels Lachen signalisiert mir, dass ich mit meinem Humor hier nicht völlig fehl am Platz bin. Nach mir ist Giacomo dran, welcher ebenfalls seinen Fingerabdruck abgibt, nicht ohne sich danach ausgiebig beide Blätter anzuschauen. „Da ihr ja beide dieselbe Person seid, sollte die Überprüfung deiner Geschichte ja recht einfach ausfallen.“
Er legt die Blätter auf einen Flachbrettscanner, kurz daraufhin schaut er auf einen der beiden kleinen Monitore. „Wow“. Ismael kneift die Augen zusammen, und schaut genauer auf den Bildschirm: „Das ist ja interessant, der Fingerabdruck ist ja weitgehend identisch. Gut, wie zu erwarten ist die Skalierung aufgrund eures Altersunterschiedes unterschiedlich, aber die einzelnen Wirbel und so, die sind wirklich gleich. Ihr könntet Zwillinge sein! Wenn ihr nicht so … unterschiedlich alt wärt!“ Ismael spricht noch mit sich selbst, geht daraufhin wieder aus dem Raum raus. Kurz darauf kommt er mit der Frau, welche wir schon am Eingang trafen, wieder herein: „Soo, Mund auf bitte, Giacomo.“ Sagt er, und meint damit uns beide. Anfangen tut er bei mir, noch bevor ich die Chance habe, etwas zu sagen, weshalb ich das dann nachhole, als das Wattestäbchen in meinem Mund Speichel aufsammelt: „DNA-Teft?“ „Ja, genau“, antwortet Ismael bestätigend.
„Wunderbar, ich wollte schon immer wissen, was in meinen Genen alles nicht stimmt!“, sage ich, als das Stäbchen wieder aus meinem Mund gewandert ist und fahre mit meiner Zunge die Innenseiten meiner Backen ab, ein kribbeliges Gefühl ist von dem Stäbchen geblieben, es kitzelt leicht. Das scheint auch Giacomo so zu sehen, er kichert leicht und fällt dabei fast nach hinten.
„So, das dauert jetzt ein bisschen, Desoxyribonukleinsäure zu vergleichen geht nicht einfach im Massenspektrometer. Wir sind aber auch keine Polizeidienststelle, zwei bis drei Stunden, mehr nicht.“ Beschwichtigt er uns, während er beide Stäbchen in zwei Plastikbehälter steckt: „Wenn wir beim AFLP herausfinden, dass ihr genetisch identisch seid, dann werden wir erstmal untersuchen, vorallem dich …“, er schaut auf Giaci: „ob ihr einen Schaden durch die Zeitreise genommen habt. Und natürlich setzen wir uns mit dem Institut für Grundlagenforschung und möglicherweise auch anderen Forschungszentren in Verbindung. Es ist besser, wenn ihr euch auf etwas gefasst macht …“
Nun schaltet sich meine Mutter ein: „In den zwei bis drei Stunden machen sie also erst einmal nichts? Müssen wir währenddessen hier bleiben, oder können wir uns frei bewegen? Denn wie sie sehen, braucht Giacomo dringend neue Kleidung und auch sonst vieles, die Zeit könnten wir wirklich gut nutzen …“ führt sie aus. Ismael quittiert die Bitte meiner Mutter mit einem Nicken.
„Ja, gut, dagegen lässt sich wenig einwenden. Aber für alle Fälle, wenn das mit der Zeitreise wirklich stimmt …“, er wird von zwei Giacomos unterbrochen.
„Es stimmt!“
Ismael lacht herzhaft: „Verzeiht mir, wenn ich das als Physiker nicht direkt glauben kann, womit ich aber auch bestimmt nicht sagen will, dass ihr lügt. Also zumindest nicht absichtlich. Wo war ich? Achja, wenn sie einkaufen gehen, bitte hängen sie das mit der Zeitreise nicht an die große Glocke.“
„Echt? Man, ich wollte Giaci so ein cooles „I was first to succes timetravel and all I got was this nasty T-Shirt“-Shirt drucken lassen!“ scherze ich noch, und erhebe mich von meinem Stuhl, der Rest der Mannschaft tut es mir gleich. Ismael wünscht uns viel Spaß. Es ist interessant, wie dieser gestandene Physiker so humorvoll bleiben kann, obwohl vor ihm zwei Leute stehen, die behaupten, einer von ihnen wäre ein Zeitreisender aus der Vergangenheit, und damit Einsteins Relativitätstheorie so nebenbei als falsch beweist. Ich streiche mir die Haare zur Seite, so wie es in den letzten Jahren bei mir zur Gewohnheit geworden ist, meine Mutter hat sich kurz Giacomo geschnappt und ihm die Hose hochgezogen, auch wenn mir die Dreiviertelhose viel zu klein ist, ihm ist sie wirklich zu groß. Das hat er mittlerweile auch erkannt, und steckt eine Hand in eine der Hosentaschen, um die Hose oben zu halten.
Nach ein paar Metern sind wir aber auch wieder im Auto, in dem Thomas noch mit seinem Handy telefoniert. „Ist das so eine iPhone-Fälschung?“ fragt Giacomo neugierig Thomas, welcher sich sein schwarzes iPhone 5 ans Ohr hält. Meine Mutter raunt ihm ein „psssst!“ zu, denn Thomas ist noch am telefonieren. „Nein, das ist das aktuelle iPhone, das iPhone 5. Die Teile haben sich in der letzten Zeit auch weiterentwickelt“, kläre ich ihn flüsternd über das eckige Design auf. „Cool, der hat ein echtes iPhone?“ fragt er daraufhin erstaunt.
„Naja, iPhones sind nichts so besonderes mehr wie früher, Smartphones, also auch für nicht technikaffine Leute bedienbare PDAs sind heutzutage extrem verbreitet, ich hab ja auch so ein Teil“, ich greife in mein Tasche, und reiche Giacomo mein Handy. Grau, Nokia Lumia 920 mit Windows Phone. Auch wenn einem das Leben im Jahr 2014 nicht so vorkommt, als hätte sich in den letzten fünf Jahren großartig viel verändert, irgendwie ist es doch so. Man ist nicht mehr offline, soziale Netzwerke sind an der Tagesordnung, einen Brief schreibt fast niemand mehr, und wenn ich etwas wissen möchte, kann ich es innerhalb von Sekunden überall herausfinden, mit der Suchtaste. Thomas ist mittlerweile fertig mit dem Telefonat, steckt sein Handy weg, und fährt los. Er unterhält sich mit meiner, unserer Mutter über Rasenmäher.
„Hm, das ist ja groß!“ Sagt er erstaunt, als er das Gerät in den Händen hält. Er drückt neugierig an den wenigen Tasten herum, bis er den Anschaltknopf an der Seite gefunden hat. „Welche Spiele hat das?“ fragt mich das kleine Spielkind, das ich selbst mal war, nein, das ich selbst noch bin. „Naja, die kannst du dir im Store runterladen, das ist sowas wie Chip-Online, da sind quasi alle Programme für das System gesammelt. Installiert hab ich aber keine Spiele, tut mir leid.“
„Hm“, bekomme ich nur zu hören, Giacomo klickt sich durch das System. Ich ergreife die Chance, um mich zurückzulehnen, aus dem Fenster zu schauen und meine Gedanken zu ordnen. Nicht lang allerdings, Giacomo hat mir schon etwas Neues zu berichten: „Das ist ja total schnell! Und da ist ja sogar richtiges Internet drauf, wie am PC!“ Dann fängt er wieder an zu flüstern: „Achja, hab ich dir schon von dem Pampers erzählt, wie die sind? Das ist megatoll! Kurz nachdem man reingepinkelt hat, sind die wieder total trocken, das fühlt sich richtig gut an! Und die werden auch so dick wie die Pullups, nur nicht so hart, sondern vooooll weich!“
Ich grinse, und antworte ihm ebenfalls in Flüsterlautstärke: „Ja, ich weiß. Die sind besser als alle Windeln, die ich kenne. Deshalb tue ich mir auch immer eine von denen in meine Windeln rein, ansonsten fühlt man sich da so nass, glaub mir, das ist wirklich schlimm!“ Meine Mutter schaut nach hinten: „Worüber redet ihr da? Wer flüstert, der lügt!“ „Das ist Nichts als die reine Wahrheit, worüber wir hier reden!“ gebe ich daraufhin zurück, und werde bestärkt durch ein „Wirklich!“ aus Giacomos Munde. Giacomo drückt weiter auf meinem Handy herum und schaukelt wieder mit den Beinen, ich schaue aus dem Fenster.
An mir vorbei fährt eine private Regionalbahn, auf der anderen Seite sehe ich nichts als Felder. Langsam kommen wir in die gewohnte Gegend der Kreisstadt, in der ich in der Schulzeit jeden Schultag bin. Meine Mutter lotst Thomas, welcher im Nachbarkreis wohnt, und sich hier deshalb nicht ganz so gut auskennt, durch die Straßen, Giacomo hat sich mein Handy mittlerweile in seine Hosentasche gesteckt, und schaut sich gespannt um, auf der Suche nach allem, was sich verändert hat. Diese Neugier schlägt anscheinend schnell in Ernüchterung um, denn baulich hat sich in dieser Kleinstadt in der letzten Zeit wirklich sehr wenig verändert. Er lässt sich resigniert in seinen Stuhl zurückfallen: „Wollen wir gelbes Auto spielen? Mir ist irgendwie langweilig“, sagt Giaci, welcher das komplette Internet in seiner Tasche hat. „Ja, mir auch! Auf jeden Fall!“ gebe ich erfreut zurück, denn für mich ist die Fahrt erst recht nicht interessant, diese Gegend sehe ich beinahe jeden Tag. Ich bin leicht im Vorteil, an meinem Platz sieht man die Gegenseite besser, weshalb ich meine Nase nun auch gegen die Scheibe drücke. „zählen ADAC und DHL-Wagen auch?“ frage ich Giacomo, klare Regeln erleichtern ein Spiel. „Ja, sonst sehen wir ja garnix!“ gibt Giacomo zurück, und bemerkt, dass er wirklich gar nichts an seinem Platz sieht, gerade jetzt, wo wir über einspurige Nebenstraßen fahren. Deshalb lehnt er sich nun nach vorne, und legt seine rechte Hand auf den Sitz meiner Mutter. Sein T-Shirt rutscht nach oben, und gibt den Blick auf die grinsende Kuh auf der Rückseite der Windel frei, es ist erstaunlich, wie weit hoch bis zum Rücken die Pampers reicht. „Gelbes Auto!“ ruft Giacomo, deutet auf den Bus mit Werbung des örtlichen Radiosenders und ich bekomme einen Stupser auf meinen Oberschenkel ab. Vielleicht sollte ich meinen Blick von Giacomos Pampers lösen und mehr auf die Straßen richten.
Gesagt, getan. Gibt es irgendeine Art Trick, um bei diesem Spiel zu punkten? Die Auswertung von ortsnahen Webcams mit Augmented Reality? Oder mit Hilfe statistischer Daten des Kraftfahrzeugbundesamtes? Ich muss nachher mal beim Forschungszentrum nachfragen. Da! Ein gelb … Giacomo unterbricht meine Gedanken: „Gelbes Auto!“ Mist! Mein Oberschenkel bekommt noch ein Stoß ab, und der VW-Multivan der Post biegt um die Kurve ab.
Ich sehe viele Autos, silber, schwarz, aber ein gelbes ist nicht zu sehen. Wir halten an einer Kreuzung, unweit der Kaufhof-Filiale der Stadt. Wenn ich mich nicht langsam beeile, dann wird diese Fahrt wohl ein eindeutiger Sieg für Giaci, ohne jede Chance für mich. „D! Oh! Gelber fucking Polo!“ schreie ich förmlich. „Mist!!!!“ gibt Giacomo zurück, nicht unbedingt leiser. Ich schnipse mit meinem Zeigefinger gegen die Kuh auf Giacos Pampers. „Ey! Meine W … Wange!“ er dreht sich um, und piekst mich in meine rechte Hüfte. Wäre jetzt nicht die Mittelkonsole im Weg, würde ich wohl Opfer des göttlichen Zornes meines jüngeren Ichs werden.
Kurz bevor der Spaßkampf zwischen mir und Giacomo eskaliert, kommen wir auf dem Parkplatz an. Schnell mache ich die Tür auf, und springe förmlich heraus, leider macht Giacomo dasselbe, rennt von hinten auf mich zu, und nimmt einen Arm von mir in seine Fänge, was sich für ihn aber leider als Boomerang-Effekt erweist, denn mit meinem linken Arm schleudere ich ihn jetzt vor mich. „Uaaaah!“ er zappelt wie ein gefangener Fisch. „Nochmal!“ fordert er von mir, ich gebe der Forderung nach. Tja, zwei lebhafte Kids untereinander, nach dem dritten rumschleudern höre ich aber auch erstmal auf da wir nun durch die recht gut gefüllte Fußgängerzone gehen. Auch Giacomo geht nun wieder recht ruhig neben mir her, so ruhig wie ein aufgedrehter Elfjähriger eben gehen kann. Ich halte ihn kurz an, und ziehe die Hose wieder hoch, die Pamperskuh muht mich schon wieder geradezu an. Vor uns erhebt sich das Kaufhausgebäude, neunzigerjahre Kieselsteinfassade mit Braunumrandeten Fenstern. Ich persönlich bevorzuge ja Hennes und Mauritz als Kleidungsausstatter für mich, aber gefühlt haben die Sachen dort eine minderwertige Qualität, für einen Giacomo, der noch verspielter ist als ich eher unpraktisch.
Die Türen des Kaufhofs sind im Gegensatz zu denen des Gebäudekomplexes 16.4 nicht höflich genug, sich automatisch zu öffnen, sondern erfordern Handeinsatz. Der ungewohnte Duft eines Kaufhofs knallt mir förmlich in mein Gesicht, ich komme ins Nachdenken, wie lange ich hier wohl nicht mehr war, Giacomo macht mich wirklich nostalgisch. „Kinderbekleidung – 2. OG“ informiert uns das Schild am Eingang, wir gehen in einer geschlossenen Formation über die hellen Marmorplatten zu den Rolltreppen in der Mitte des Gebäudes, geradewegs durch die Uhrenabteilung. „Brauchst du nicht auch eine Uhr?“ fragt mich meine Mutter in Anspielung auf die blaue Digitaluhr an Giacomos rechtem Handgelenk.
„Ja, auf jeden Fall, die Breitling Navitimer wäre auf jeden Fall mal was!“ Thomas schaltet sich ein: „Auja, für mich am besten auch!“ und lacht dabei. „Ok, wieviel kostet die?“ fragt meine Mutter ahnungslos. „Zu viel, glaub mir“, antworte ich, während ich auf die Rolltreppe steige. Schon bald sind wir im zweiten Obergeschoss, und alle damit beschäftigt, einen Kleiderschrank für den kleinen Giacomo zusammen zu stellen. Giacomo selbst schaut gerade nach passenden Jeans für sich, meine Mutter sucht nach Schlafanzügen, Thomas sucht ein Hemd, und ich habe mich auf die Suche nach einem Kapuzenpullover mit Taschen vorne begeben. Der Einsatz einer so großen Mannstärke hat Erfolg, denn passend zu unserem geringen Zeitfenster sind wir nach zehn Minuten fertig nach der Suche nach dem meisten, und schicken Giacomo in eine Umkleidekabine. Meine Mutter und Thomas verschwinden schnell, „Wir sind mal eben in der Erwachsenenabteilung.“ Ob damit die Erwachsenenkleidungsabteilung gemeint ist, oder ein andersartiger Ü18-Bereich? Gibt es mittlerweile ein Beate-Uhse-Franchise im Kaufhof?
Ich werde damit betraut, Giacomos Styling-Berater zu sein, vor seiner Tür zu warten und ihm Kleidung reinzureichen. Ich sehe meine Dreiviertelhose auf den Boden der Umkleidekabine unter dem Vorhang hinfallen, kurz daraufhin ruft er mich herein. Er steht in einer dunkelblauen Jeans mit ab Werk verwaschenen Knien und mehreren Nähten auch auf der Vorderseite vor mir. „Ja, passt, steht dir gut, ist nicht zu klein, und auch nicht zu groß. Und die Pampers ist darunter auch nicht zu offensichtlich“, füge ich noch in vorsichtigerem Ton hinzu. Giacomo grinst, zieht die Hose wieder aus, und reicht sie mir.
Ich schlage den bordeauxroten Vorhang leicht zu Seite, nehme sie an, gehe wieder zum Kleiderstapel und reiche ihm die nächste. Hellblau, mit Taschen an den Seiten und eine Art Schlaufe an den Oberschenkeln. Ich reiche sie durch den Vorhang, welcher vor meiner Hand zurückweicht, und den Blick auf Giacomo freigibt. Der steht nun mit leicht gespreizten Beinen da, hat den Hals nach vorne gerenkt, und schaut auf seine Windel. Es ist eindeutig, er testet, ob die Pampers auch nach dem zweiten Einnässen noch trocken und weich sein wird. „Und, wie isses?“ „Huch! D…die Hose?“ fragt er, und schaut hoch. „Neein, die Pampers!“ „Tooll!“ sagt er nur, grinst, legt beide Hände vorne an die Pampers und drückt sie sich gegen seinen Körper: „Und die wird immer weicher!“ Dann nimmt er die Hände wieder weg, grinst unschuldig, und nimmt die Hose an. Ich schaue noch schnell auf seine Windel, sie hängt schon merklich zwischen seinen Beinen und ist auch im Schritt schon recht breit geworden. So langsam bekomme ich auch wirklich Lust auf eine Windel, was auch Giacomo zu bemerken scheint: „Na, neidisch?“ Fragt er mich grinsend, und streckt mir die Zunge heraus.
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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