Zweite Chance (1) – Kapitel 1
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Kapitel 1 – Der Anfang
Hm, ich muss wirklich mal auf Toilette. Mein rechter Zeigefinger knallt auf die Leertaste der Tastatur, die hakende, pixelige Wiedergabe auf dem rechten Monitor hält nach kurzer Verzögerung ebenfalls an. Mein Computer könnte noch so stark sein, wenn nach dem Rohschnitt die Farbkorrektur und Nachschärfe hinzukommen verkommen die Bilder auf dem Vorschaumonitor zu einem hakelnden Kästchenbrei. Ich könnte auch eine Windel anziehen, statt auf Toilette zu gehen, meine Produktivität würde dadurch bestimmt erhöht.
Nichtdestotrotz rolle ich auf meinem Stuhl zurück, drehe mich, und renne auf Toilette. Rennen auf Socken ist gefährlich, die Erfahrung hat vermutlich jeder schon gemacht, mit ein wenig Übung lässt sich so allerdings ein effektiver und schneller Laufstil samt „driften“ um die Kurven einüben. Auf Toilette sitzend denke ich über meine momentane Situation als Story nach, erzählt in POV-Sicht. Was ich ja überhaupt mag, sind geschriebene Erzählungen, in denen der Ich-Erzähler direkt mit den Lesern interagiert, durch Fragen Beispielsweise. Geht euch das auch so? Toilettenpausen sind immernoch die besten Denkpausen. Aber Denkpause vorrüber, der Tatendrang ergreift mich wieder. Durch den Flur gehe ich zurück in mein Zimmer, mit dem Plan mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl niederzulassen.
Pustekuchen. Mein Schreibtischstuhl ist besetzt. Ein schmaler, kleiner Junge sitzt auf ihm drauf, die Beine in der Luft schwingend, über den Beinen eine dunkelgrüne Cargohose, an den Füßen dunkelblaue, fast schwarze „Kangaroo’s“-Klettschuhe. Braune, kurze Haare, sehr viel mehr kann ich nicht erkennen, er hat sich mit dem Stuhl zum Fenster rechts vom Computer gedreht, und schaut aus selbigem. Die Rückenlehne verdeckt fast seinen kompletten Oberkörper, mein Subjekt der Betrachtung ist also sehr klein.
„Wer sind sie? Äh du! Und was machst du in meinem Zimmer?“
Ich habe die Angewohnheit, fast jeden zu siezen. Freunde meiner Mutter oder Eltern von Freunden. Aber bei einem geschätzt Zehnjährigen ist das nun vollkommen fehl am Platz.
„Dein Zimmer? Häää?“
Fragt er, und dreht sich um. Seine Augen weiten sich. Meine Augen auch. Ich schaue in seine dunkelbraunen Augen, die Pupille ist von der sie umgebenden Region kaum zu unterscheiden, so braun sind sie. Meine auch. „Wer bist du?“ Fragt er aufgeregt um misstrauisch. Ich auch, gleichzeitig. Ich schüttele meinen Kopf und sage:
„Ok, ich zuerst. Ich bin Giacomo, Giacomo Müller. Siebzehneindreiviertel Jahre alt …“ Der kleine unterbicht mich.
„Ich auch!“ Erwidert er aufgeregt und verwirrt, gleichzeitig aber auch erfreut, ein neugieriges Erfreutsein.
„Du bist siebzehn? Nichts für ungut, das kann ich mir nur schwer vorstellen.“ Sage ich und zeige auf ihn. Ich stecke eine Hand in meine rechte Hosentasche, erlöse mich von meiner Schockstarre und gehe auf meinen Schreibtisch und meinen Überraschungsgast zu.
„Nein, stimmt, natürlich nicht. Ich bin elf. Aber ich meine Giacomo Müller, das bin ich auch. Also der, nicht das.“
Er stockt, seine Pupillen drehen sich nach oben. Er neigt sich nach vorne und zeigt mit dem Zeigefinger auf mich.
„Wir sind Verwand! Deshalb siehst du meinem Vater so ähnlich!“
„Tue ich? Aber ja, ich finde auch, du siehst mir ähnlich. Verdammt ähnlich. Ich behaupte mal, ich sah mit elf genau so aus wie du. Und ich war auch genau so klein wie du.“
„Ich bin nicht klein!“, erwidert mein Gegenüber.
„Aber wie bist du jetzt hier hergekommen? Ich war nur kurz auf Toilette, und als ich zurückkam sitzt du auf meinem Stuhl, und ich habe keine Ahnung wie du hier hergekommen bist und wieso und mit wem. Wer bist du überhaupt? Wieso gibt jemand dir den gleichen Namen wie mir? Und wieso kennen wir uns nicht?“
Es bilden sich Fragezeichen in Giacomos Augen.
„Wer? Was? Welche Frage soll ich zuerst Beantworten? Ich bin von der Schule gekommen, habe mit meiner Mutter zu Mittag gegessen, und dann …“ Er kneift die Augen zusammen.
„Dann wurdest du auf meinen Schreibtischstuhl teleportiert? Wer sind überhaupt deine Eltern? Wo wohnst du?“
„Ich wohne in Iggelheim, Waldstraße 40. Meine Mutter heißt Carla, und mein Vater, der ist vor zwei Jahren gestorben.“
Nun bin ich wirklich überrascht. Verwirrt. Das ist meine Biographie, meine Biographie, als ich elf war. Der Junge, der so aussieht, als wäre er ich scheint ich zu sein. Oder aber er hat sich vor seinem Auftauchen über mich erkundigt, und will einen riesengroßen Scherz abziehen. Aber nein, die Art wie er redet, das Tempo in welchem mein Gegenüber redet, so bin ich, nur ich. Ich bilde mir eigentlich ein, einzigartig zu sein.
„Oha. Hm ….“ Ich knie mich vor Giacomo, mir scheint alles klar zu werden. Ich lege meine Hand auf sein rechtes Knie und schaue auf den Boden unter meinem Schreibtisch.
„Meiner auch. Ich weiß wie sich das anfühlt.“ Giacomo bleibt gefasst, gefasster als ich, der große Giacomo. Ich rede weiter, stocke aber erst, und hasple dann immernoch. „Aber meine Mutter, die heißt auch Carla. Und in der Waldstraße 40 wohne ich übrigends auch. Hier, das ist mein Zimmer. Denkst du dir das grade nur aus? Bist du ein Experiment und dir wurde mein Gehirn verpflanzt und jetzt denkst du du wärst ich? Oder bist du ein Zeitreisender? Oder bin ich ein Zeitreisender? Oder bin ich unter Drogen gesetzt und bilde mir das alles nur ein während die NSA versucht, an die innersten Geheimnisse meines Verstandes heranzukommen?“
„Hä? Wie jetzt?“
„Ja …“ sage ich, und stocke. „Warte mal.“ Ich drehe mich zum Schreibtisch, drücke die Windowstaste in Kombination mit dem E. Tastendrücke später präsentiert der Computer Giacomo ein Foto. „Das bin ich mit elf“, sage ich langsam, und schaue zu Giacomo herüber.
„Das Foto kenne ich! Das war in Capri! Das bin ich! Woher hast du das?“ Platzt es aus ihm raus, er schaut verwirrt auf meinen linken Bildschirm.
„Ich bin du. Oder du bist ich.“
„Warte, was? Ich bin du? Bin ich auch so fett?“
Ich muss lachen.
„Ey, so fett bin ich nicht! Also im Vergleich zu dem Strich den du Darstellst mö glicherweise schon …“
Der vor Aufregung bald überlaufende kleine Giacomo unterbricht mich abermals.
„Also aber wie kannst du ich sein? Bist du ein Zeitreisender aus der Zukunft?“
„Nicht das ich wü …“ Nun unterbreche ich mich bereits selber. „Welches Jahr haben wir?“ Frage ich, nun bin ich wohl der aufgeregte und überdrehte von uns beiden. Die Frage nach dem Jahr, das ist so ziemlich die Standart-Frage von Zeitreisenden, ich kenne wenig Werke, die ohne diese Frage auskommen, sie ist in etwa so verbraucht wie der Traum-Twist, in dem all das vorhergegangene nur ein Traum war, und durch das Erwachen nun ein Happyend geschmiedet wird.
„2007, wieso?“
„WAS?“ Würde ich grade chatten, hätte ich meinen Ausruf nun bestimmt in Capslock geschrieben. „Nein, bestimmt nicht!“, führe ich meine Antwort fort. Mein Mauszeiger gleitet auf die Uhr unten rechts, das Datum wird sichtbar. 24.04.2014. „Nein, es ist 2014, schau.“
„Ich bin in der Zukunft?“
„Ja, du kommst aus der Vergangenheit. Also oder ich bin mitsamt meines Zimmers in die Vergangenheit gereist. Und mitsamt des Internets, aber das glaube ich eher nicht.“
„Cool! Das ist irgendwie wirklich cool! Darfst du, also ich, dürfen wir mittlerweile länger als eine Stunde täglich am PC sitzen?“
Ich schmunzle, wuschle dem kleinen Giacomo durch die Haare, und antworte ihm bestätigend „Ja, also ich schon, aber ich glaube du nicht. Auch wenn wir 2014 haben, du bist trotzdem immer noch elf. Aber du bist wirklich ich? Man, das ist ja cool, ich wollte mich immer mal mit mir selbst unterhalten, und schauen, ob ich wirklich so schlimm bin.“
„Wer ist dein bester Freund?“ Fragt mich der anscheinend zeitreisende Giacomo, aufgedreht wie man uns kennt.
„Karl, immernoch, daran hat sich nicht viel geändert.“
„Warte mal, du weißt alles über mich, oder? Weil du warst ja mal ich. Kennst du noch mein großes Geheimnis?“
Ein Grinsen macht sich breit auf meinem Gesicht. Ich mag Windeln, das tat ich schon immer. Es ist das einzige große Geheimnis, was ich in dem Alter so hatte. Ich wollte unbedingt wieder Windeln tragen, im Nachhinein habe ich es schwer bereut, dass ich damals diesen Wunsch nicht ausgedrückt habe. Damals …
„Ja. Und an dem hat sich bis heute nicht viel geändert.“
„Hast du welche?“ Fragt mich mein kleines Ego, als ginge es hier um Drogen mit mir als Dealer. Giacomos Augen leuchten, allerdings sieht er dabei wirklich nicht aus wie ein Drogensüchtiger.
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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Der erste Teil ist sehr langweilig mal sehen ob es besser wird
manno 🙁
Ich finde es sehr toll was du geschrieben hast. Es ist nicht wirklich spannend, aber es ist alles andere als langweilig. Ich denke, dass der nächste Teil schon LANGE da ist also lese ich jetzt weiter.
Hallo,
ich habe die gesamte Geschichte vor etwa zwei Jahren als Buch gelesen und finde Sie bis heute einfach unaublich spannend und vielschichtig geschrieben !
Hast du noch diesem „.Meisterwedk“ noch weitere ähnliche Geschichten geschrieben ? Und wenn ja, wo finde ich Sie ?
Eine der drei besten Geschichten dieser Art, die ich je gelesen habe -. meine Hochachtung ?? !!