Die Verwandlung (3)
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Die Verwandlung
Day Three – Cornflakes, Echsenmenschen und eine außergewöhnliche Nacht
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„Nice, dann bis morgen!“, nuschelte Finn zum Abschied müde in sein Headset und warf selbiges zwischen Monitor und Tastatur. Routiniert bewegte er seine Maus auf die „Squad verlassen“-Schaltfläche und schickte kurz darauf Frankenstein, wie er seinen PC liebevoll-satirisch nannte, in den Schlafmodus. Im Schlafmodus war er selbst jetzt auch. Null Uhr und eine Minute, offenbarte ihm der letzte Blick auf sein Handy, bevor er selbiges neben seinem Bett am Ladegerät ansteckte. Auch das kleine Wunderding musste jetzt erstmal wieder Energie tanken. Genau wie er, denn nach unzähligen Stunden im Freibad und einer späten Stunde Battlefield 5 war Finn jetzt echt sehr müde.
Unter normalen Umständen wäre er einfach ins Bett gefallen und sofort eingeschlafen. An diesem Abend aber war das anders. Alles war anders. Finn stand regungslos in der Mitte seines Zimmers und blickte geistesabwesend die blau blinkende Standbyleuchte seines Monitors an. Abwesend betastete er seine dünne dunkelblaue Schlafanzughose. Unwirklich. Unwirklich fühlte sich der Gedanke an, jetzt in seinen Schlafanzug zu pinkeln. Und das einfach so im Stehen, sondern in seinem warmen, bequemen Bett. Finn hatte lange darüber nachgedacht, er wusste nicht, wann er das letzte Mal ins Bett gemacht hatte. Er konnte sich nicht erinnern, wie es sich angefühlt hatte. Warm? Bestimmt. Warm, nass und flutschig, so musste es sein! Finn konnte es eigentlich kaum erwarten. Und lag nun dementsprechend im Bett, blöderweise vor Aufregung hellwach. Noch eine ganze Weile starrte Finn gegen die in der Dunkelheit kaum erkennbare Zimmerdecke und ging seinen Plan noch mindestens ein Dutzend mal durch. Er musste ein bis zwei mal pro Nacht auf Toilette, dementsprechend würde er sein Bett zwei mal pro Nacht fluten und seine Mutter würde jeden Morgen zwei Ladungen Bettwäsche waschen müssen. Und den Mehrverbrauch gegenüber den Echsenmenschen rechtfertigen, wenn diese das nächste Mal zum Steuern eintreiben durch die Menschensiedlung laufen würden. Ja, Finn war schließlich doch eingeschlafen befand sich mittlerweile in einem tiefen, verwirrenden Traum.
Als schließlich die Revolution gegen die alles unterjochenden Echsenmenschen begann, spürte Finn plötzlich deutlich, dass er jetzt dringend mal musste. Wieso hatte er das vorher nicht bemerkt? Blöder Zeitpunkt, grade versteckte er sich hinter einem großen, knallbunten Zylinderstrauch und würde jeden Moment die Sprengfalle für das landende Raumschiff aktivieren. Er konnte grade nicht weg! Und er konnte auch nicht riskieren, dass ihn die Einheiten der Symketischen Garde, die Wachposten der Echsenmenschen-Dynastie entdecken. Diese Entscheidung viel Finn nicht schwer, ohne lange drüber nachzudenken, pinkelte er in seine Badehose. Aus irgendeinem Grund trugen die Revolutionäre alle Badehosen. Es war für die Mission! Und außerdem hatte er selbst sowieso kein Problem damit. Er blickte auf seine Badehose und merkte, wie die eigentlich hellblaue Shorts langsam immer dunkler wurde und wie sich nach wenigen Sekunden ein Pipipstrahl spritzend über sein rechtes Schienbein zum Boden schlängelte. Aber wieso ließ der Druck nicht nach? Und wieso fühlte es sich nicht nass an?
Finn drehte seinen Kopf, spürte das Kopfkissen und mit einem Mal war die Revolution abgblasen. Der Traum verpuffte so schnell wie er entstanden war und Finn blinzelte kurz, drehte sich müde auf die Seite. Kurz blieb er noch liegen, schlug dann die Bettdecke zur Seite und kraxelte langsam, noch bevor er die Augen richtig aufhalten konnte, aus dem Bett. Kalt. Er musste echt dringend!
Ein routinierter Griff nach der Nachttischlampe. Fuck, verdammt Hell! Finns Augen waren direkt wieder zu. Wieso musste das dumme Ding auch so hell sein? Blinzelnd, die Augen die meiste Zeit geschlossen haltend, tapste er durch sein Zimmer und hatte kurz darauf die Türklinke in der Hand. Erst als er schon halb im Flur war, wurde er wach genug um zu realisieren das er grade etwas falsch machte! Fail. Alles umsonst. Jahrelange Gewohnheiten legt man eben nicht so schnell ab. Über sich selbst schmunzelnd ging Finn rückwärts, schloss seine Tür wieder und kuschelte sich wieder in sein bequemes Bett. Licht aus. Das hätte er sich auch sparen können. War er nun eben noch sehr verschlafen und konnte seine Augen angesichts der späten Stunde kaum aufhalten, jetzt war Finn hellwach. Sein Herz pochte. Finn zählte still bis drei.
Eins. Gleich würde er einfach lockerlassen. Zwei. Gleich würde es verdammt nass werden! Er, seine Schlafanzughose, die Matratze, vermutlich auch die Bettdecke, sogar sein Schlafanzugshirt? Drei. Es passierte nichts. Finn traute sich nicht. Er konnte doch nicht einfach ins Bett pinkeln! Was würde aus der nassen Matratze werden? Konnte man die irgendwie trocknen oder waschen? In die Waschmaschine passte das Ding jedenfalls nicht.
Unruhig drehte sich Finn auf die Seite, drückte seinen Kopf tief ins Kissen und kniff seine Beine zusammen. Er wusste nicht, wie das gleich ablaufen würde. Er würde sein Bett nassmachen, aber dann? Wie würde die Matratze wieder trocken werden, was würde mit der Bettdecke geschehen? Scheiß drauf! Würde er wirklich ins Bett machen, hätte er sich darüber vorher auch keine Gedanken gemacht. Er drückte, doch alles blieb trocken. Er musste so dringend aber doch wollte nichts aus ihm raus. Er war einfach zu wiedersinnig,
Er warf sich wieder auf den Rücken, auf die andere Seite und schließlich auf den Bauch. Wieder auf den Rücken. Verdammt! Finn war schon drauf und dran, aufzugeben und schnell aufs Klo zu rennen als es schließlich endlich lief. Plötzlich, beinahe ungewollt strömte auf einmal heißes Pipi aus ihm heraus. Schnell wurde Finns Schlafanzughose nass und dann, als Finn merkte wie er instinktiv wieder einhalten wollte und stattdessen extra drückte, auch noch das Oberteil seines Schlafanzuges. Er pullerte soviel er konnte und nach einer viel zu kurzen Zeit war schließlich alles aus ihm heraus. Kurze Zeit war es einfach heiß und nass, wirklich angenehm. Finn blieb wie angewurzelt liegen. Alles da unten fühlte sich nass an und er tastete behutsam mit seiner linken Hand unter der Bettdecke umher. Langsam strichen seine Finger über das nasse Bettlaken, berührten die ebenso nasse Bettdecke, stellten fest, dass seine gesamte kurze Hose völlig durchnässt war und seine Beine ebenfalls. Sein Schlafshirt bis hoch zur Brust.
Und jetzt? Finn lag im Bett. Müde war er definitiv nicht mehr, stattdessen klopfte sein Herz wie wild. Jetzt musste er aufstehen und seinen Eltern bescheid sagen. Aber, er traute sich nicht! Man, war das peinlich! Fuck!
Wie in Trance schlug er zwar die nasse Bettdecke von sich weg, blieb aber dennoch noch eine Weile regungslos in seinem nassen Bett liegen. Das Gefühl der Peinlichkeit, des Schams war zu groß. Er hatte alles bis ins Detail hinein geplant, aber wie er sich jetzt fühlte, das hatte er nicht bedacht. Unmerklich leise flüsterte er, kaum seine Lippen bewegend: „ich habs nicht gemerkt! Es ist einfach passiert! Plötzlich war es nass!“ Dieser Gedanke tat gut. Es war keine Absicht gewesen, er konnte gar nichts dafür! Paul war es doch auch nicht peinlich, wenn er die Windel nass hatte. Aber … Schluss damit, dachte er sich, sprang voller unüberlegter Entschlossenheit aus dem Bett um dann doch leise und sachte, langsam und behutsam über den Flur zu tapsen. Pipitropfen rannen vereinzelt seine Beine entlang und platschten neben seinen Füßen auf den Boden. Ohne es zu bemerken, hinterließ Finn kleine, nasse Fußabdrücke im Flur. Die kurze, leichte Schlafanzughose klebte förmlich an ihm, das Tshirt ebenfalls. Warm fühlte es sich an, wirklich gut. Nur, als plötzlich eine leichte Brise durch die geöffneten Fenster des Flures wehte, fröstelte es ihn kurz und erinnerte ihn daran, dass Nässe häufig auch Kälte bedeutet. Still war es draußen, als Finn schließlich unschlüssig vor der großen Türe des elterlichen Schlafzimmers stand, sich nicht mehr bewegte und die wenigen Tropfen, die auf den Parkettboden platschten das einzige war, was noch Geräusche erzeugte, hörte er da draußen irgendwo leise Grillen zirpen.
Behutsam klopfte er gegen die Schlafzimmertüre. Keine Reaktion. Klaro, wer hört schon das Klopfen an einer Türe wenn er schläft? Langsam öffnete Finn die Türe, tapste einen Schritt in den dunklen Raum hinein und murmelte leise: „Mama?“ Keine Reaktion. Finn schlich weiter, an die Bettseite seiner Mutter und murmelte noch einmal: „Mama? Wach auf!“. Er zerrte leicht an der Bettdecke. „Finn?“, schreckte seine Mutter schließlich abrupt auf, sodass auch Finn sich erschreckte: „Was ist denn los?“, fragte sie sichtlich verwirrt und schlaftrunken.
„Mein … Das … Ich hab ins Bett gemacht.“, platzte es aus Finn heraus.
„Was?“, fragte seine Mutter verwundert und schläfrig.
„Ich hab ins Bett gemacht! Ich hab geschlafen und irgendwann bin ich aufgewacht und alles war nass!“
„Ohhh Finn“, flüsterte seine Mutter und richtete sich auf, während sich sein Vater auf die andere Seite drehte. Klack, machte der Schalter der Nachttischlampe. Plötzlich war es hell und sowohl Finn als auch seine Mutter kniffen erst einmal die Augen zu. Finns Vater grummelte, drehte sich auf die andere Seite und vergrub seinen Kopf unterm Kissen.
„Du bist ja ganz nass!“, stellte seine Mutter erstaunt fest. Achwas, dachte Finn sich leicht schmunzelnd und stand regungslos da. „Mein armer Junge!“ Finn drückte verlegen seine Beine zusammen, ließ den Kopf hängen und blickte auf die Bettkante. Oh man, das war jetzt echt peinlich. Aber um es sich anders zu überlegen war nun zu spät.
„Ach Finni, das ist doch nicht schlimm!“, sagte seine Mutter in einem hohen, ruhigen Ton, während sie vom Bett aufstand und Finn behutsam streichelte. Der Zwölfjährige spürte die noch warme, nasse Innenseite der leichten Schlafanzugshorts und zupfte mit seiner rechten Hand beschämt am Saum ebenjener herum.
„Ach mein Kleiner“, sprach seine Mutter nun voller Mitleid in einem beruhigenden Tonfall, wie man eigentlich eher mit kleineren Kindern sprach: „Das ist doch nicht schlimm, das passiert Kindern von Zeit zu Zeit“, sagte sie. Kindern, als wäre er ein kleiner Junge und kein zwölfjähriger Jugendlicher. „Mmh“, summte Finn zustimmend und fuhr mit seinem rechten Fuß über seinen Linken.
„Na komm, Finni“, nannte seine Mutter ihn erneut mit dem Spitznamen, den er eigentlich schon längst abgelegt hatte, während sie eine Hand um seine Schulter legte und zusammen mit demselben Richtung Flur ging: „Hüpf doch mal schnell unter die warme Dusche, damit du wieder sauber wirst! Und lass den Rest mal meine Sorge sein, das ist doch nicht deine Schuld! Du musst dich dafür nicht schämen!“
Finn hatte langsam den Kopf gehoben, blickte seiner Mutter kurz in die Augen und murmelte erleichtert: „Danke“. Seine Mutter wirkte auf ihn zu seinem Erstaunen auch wirklich keineswegs gereizt oder enttäuscht, im Gegenteil. Als Finn seine Mutter letztens einmal früh morgens geweckt hatte, weil er seinen Haustürschlüssel nicht finden konnte, war sie wesentlich verärgerter. Nun allerdings blickte sie ihn an wie einen kleinen Jungen dem eben ein Malheur passiert war. Etwas, wofür er nichts konnte. Sie strich ihrem Sohn noch kurz durch die Haare und lächelte ihn aufmunternd an, bevor Finn schließlich im Bad verschwand, seinen nassen Schlafanzug ablegte, einfach auf den Boden liegen ließ und in die geräumige Dusche stieg. Er bemerkte es selbst nicht, aber auf Finns Lippen hatte sich ein leichtes aber deutliches Lächeln gebildet. Während die Regendusche warmes Wasser über seinen Körper fließen ließ und er wohl etwas länger als notwendig duschte, flogen seine Gedanken und Gefühle wild in seinem Kopf umher und Finn begann zu realisieren, wie sehr es ihm Geborgenheit vermittelte, mal nicht wie ein Jugendlicher, sondern wieder wie ein kleines Kind behandelt zu werden.
Als er schließlich den Wasserhahn zudrehte und den Duschvorhang zur Seite zog, stellte er fest, dass sein nasser Schlafanzug verschwunden war und nun stattdessen auf dem geschlossenen Klodeckel ein frisches, grün-weißes Exemplar lag. Musste seine Mutter wohl ausgetauscht haben, während er unter der Dusche war.
Finn seufzte erst einen Moment, bis er zuerst in seine Schlafanzughose und dann in das Oberteil schlüpfte, sich kurz an die angenehm warme Heizung anlehnte, den beschlagenen Spiegel beobachtete und dann schließlich, langsam und behutsam, zum Waschbecken ging und sich noch ein Glas Wasser eingoss. Alles war so friedlich und entspannt grade. Aus der Duschkabine waberte noch der heiße Wasserdampf heraus, ein paar Tropfen knallten auf die Fließen, ansonsten war es still. Ganz entspannt trank Finn das warme Wasser, stellte das Glas möglichst leise zurück auf den Keramikrand des Waschbeckens und öffnete zaghaft die Tür. Sauber fühlte er sich jetzt an. Sauber, warm und irgendwie … beschützt? Finn wusste nicht ganz, wie man dieses Gefühl nennen sollte.
Aus seinem Zimmer drang Licht in den ansonsten unbeleuchteten Flur und erzeugte wundersame, langgezogene Schatten auf dem Boden und den Wänden. Finn schlich in Richtung seines Zimmers und blickte interessiert auf seine nasse Matratze, welche mittlerweile Hochkant auf dem Lattenrost seines Bettes stand während seine Mutter das nasse Bettlaken zusammenknüddelte.
„Am besten schläfst du im Gästebett weiter“, sagte seine Mutter auffordernd, legte eine Hand um den zierlichen Finn und drückte ihn sanft wieder in den Flur zurück: „Dann kann dein Bett in Ruhe trocknen!“, erklärte sie fast schon fröhlich, während sie die Tagesdecke vom Gästebett herunterzog, das Kissen aufschüttelte und die Decke richtete. All das, während Finn neben ihr stand, keine Aufgabe hatte, leicht vor und zurück wippte und seine Hände verlegen ineinander verschränkt herabbaumeln ließ. Das Bett hätte er ja sicherlich nicht selbst machen können, dachte er sarkastisch.
„Mhhh“, murmelte Finn und zupfte am Saum seiner frischen Schlafanzughose herum.
„So, das wars schon!“, sagte seine Mutter und schlug die Bettdecke im Dreieck zur Seite, damit Finn ins Bett steigen konnte: „Ist doch nix dabei, Finni! Siehst du, alles wieder gut!“, sagte seine Mutter noch leise, strich ihrem Sohn durch die Haare und verließ leise das Zimmer, während Finn „Gute Nacht“ murmelte und die Augen schloss. Mehr zum Schein allerdings, denn zum weiterschlafen war der Zwölfjährige nun viel zu aufgeregt. Er war erstaunt. Finn hatte Ärger erwartet. Aber stattdessen hatte ihn seine Mutter umsorgt, liebevoll behandelt und alle Spuren, die Finns „Unfall“ hinterlassen hatte, wie durch Magie verschwinden lassen. Achteten Finns Eltern sonst immer darauf, den Jungen zur Selbstständigkeit zu erziehen, in dieser Situation hatte seine Mutter alles für ihn übernommen. Finn hatte ins Bett gemacht, seiner Mutter bescheid gesagt, kurz geduscht, einen neuen Schlafanzug angezogen und lag jetzt in einem trockenen Bett. Finn fühlte sich richtig glücklich. Alleine schon das ins Bett machen war, wenn man nun im Nachhinein die Aufregung, die sich aus Sorge vor der Reaktion seiner Mutter in ihm aufgebaut hatte, wegdachte, fantastisch gewesen. Das seine Mutter ihn anschließend so umsorgt hatte als wäre er nur halb so alt, fand er besser, als er es sich anfangs selbst eingestehen wollte. Irgendwie gefiel ihm die Rolle des kleinen Jungen. Statt cool und jugendlich zu sein fühlte es sich grade an, als würde er nach einer langen Reise endlich wieder in ein Zuhause kommen indem alles geblieben war, wie er es in Erinnerung hatte. Als Finn, viele wirre Gedankenstränge später, schließlich doch einschlief, verstand er nicht mehr so recht, wieso eigentlich alle immer Erwachsen werden wollten.
Desorientiert wachte Finn auf. Er blinzelte kurz und erblickte eine ältere Raufasertapete in einem Raum, der vom Dämmerlicht erhellt war. Wenige Sekunden später war sein Gehirn hochgefahren und Finn erinnerte sich daran, wie er heute Nacht im Gästebett gelandet war. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, ploppten in seinem Kopf bereits Benachrichtigungen auf wie bei einem Handy wenn man es morgens das erste Mal in die Hand nimmt. „Du musst dringend auf Toilette!“, sagte ihm die Blasen-App. Finn drückte gedanklich den „Als Gelesen Markieren“-Knopf. Diesmal zweifelte er nicht. Ohne sich zu bewegen, noch während er blinzelte und seine Augen sich an das spärliche Licht gewöhnten, presste er und spürte kurz darauf, wie heißes Pipi über seine Oberschenkel lief, seine Schlafanzughose durchnässt wurde, anfing an seiner Haut zu kleben und sich die Wärme unter ihm ausbreitete. Er spürte, wie es an seinem Bauch nass wurde, wie sich die Wärme an seinem Rücken ausbreitete und wie der Druck in seiner Blase nachließ. Es war bequem. Einfach nur bequem. Diesmal wusste Finn auch, dass er sich keine Gedanken darüber machen musste, was mit der Matratze, seinem Schlafanzug oder der Bettwäsche passieren würde. Er würde gleich seiner Mutter bescheid sagen, und die würde sich um alles kümmern. Wieviel Uhr es wohl war? Das war grade die einzige Frage die ihn beschäftigte, während er bei vollem Bewusstsein ins Bett pinkelte. Müde vergrub er seinen Kopf im Kissen und blieb noch eine Weile liegen, nachdem er fertig gepinkelt hatte, bis die Nässe schließlich nicht mehr warm war, sondern anfing zu stören. Der Schlafanzug klebte an ihm, es wurde kalt und alles wurde bääääh.
„Mamaaaaa“, flüsterte Finn nur wenige Minuten später erneut, tippte seiner schlafenden Mutter auf die Schulter und präzisierte sein Anliegen: „Es ist wieder passiert.“ Das war alles, was er sagen musste. „Och Finni“, murmelte seine Mutter überaus müde und verschlafen. Auch Finn war mittlerweile ziemlich groggy und wischte sich wenige Momente später im Badezimmer lustlos die Beine mit einem Waschlappen sauber. Er wollte weiterschlafen. Als er, diesmal mangels weiterem trockenen Schlafanzug, in Unterhose und Tshirt bekleidet aus dem Bad kam, merkte er, dass er da nicht der einzige war: „Am besten schläfst du jetzt wieder in deinem Bett“, nuschelte seine Mutter gähnend, wuschelte dem Zwölfjährigen durch die Haare und klopfte ihm ein weiteres mal aufmunternd auf die Schulter: „Ist bestimmt nur ein Ausrutscher, mein Kleiner.“, sagte sie. Ist es bestimmt nicht, dachte sich Finn: „Gute Nacht“, sagte er zugleich müde und entspannt und schlüpfte unter die Sofadecke, die nun in Ermangelung einer weiteren trockenen Bettdecke auf seinem Bett lag. Seine Mutter hatte die bereits teilweise getrocknete Matratze von Finns Bett in der Not kurzerhand umgedreht und mit ein paar Handtüchern ausgepolstert. Der Zwölfjährige hörte nur noch, wie sich seine Zimmertüre leise schloss bevor er erschöpft wieder einschlief. Und auch seine Mutter, deren Schritte noch kurz durch den Flur hallten, war wohl froh, nun weiterschlafen zu können.
Desorientiert wachte Finn auf. Eine Armada von Sonnenstrahlen drückte ihre Photonen durch die nur teilweise geschlossenen Rollladen und entsprechend warm war Finn. Was war denn mit seiner Bettdecke … Achja, die Sofadecke. Wow, dachte er sich. Hatte er das letzte Nacht wirklich getan? War definitiv kein Traum gewesen, stellte er fest als er mit seinem Daumen über den weichen Frottestoff der Sofakuscheldecke rieb. Normalerweise war einer der ersten Bewegungen, die der Bald-Siebtklässler nach dem Aufstehen vollführte, der routinierte Griff nach seinem Smartphone auf dem Nachttisch, aber heute blieb Finn erstmal regungslos liegen. Sein Fenster stand noch auf Kipp, vermutlich um den Geruch der nassen Wäsche entweichen zu lassen. Nun drang stattdessen das zirpen der Grillen aus den Gärten der Nachbarschaft, das Geräusch eines Rasenmähers sowie die Hitze des beginnenden Sommertages in Finns Zimmer. Der Zwölfjährige schloss noch einmal kurz die Augen, die Nacht war anstrengend gewesen. Für ihn und auch für seine Mutter, die im Gegensatz zu ihm aber heute nicht hatte ausschlafen können.
„Bin dabei!“, war das erste, was Finn auf die Notifications des Morgens antwortete. Immerhin war es bereits 11 Uhr, seine Freunde hatten schon einige Stunden gehabt, um die Gruppe mit Messages vollzuspammen. Jetzt waren sie schon fast im Schwimmbad, während Finn noch im lag. Nun begann das normale Leben des Zwölfjährigen. Keine nassen Betten, stattdessen ein weiterer Tag im Freibad.
Eillig lief er nun herunter in die Küche, sammelte schnell alles zusammen, was er für sein Frühstück brauchte und warf sich auf seinen Stuhl am Küchentisch. Kurz durchlas er die letzten Nachrichten im Gruppenchat, während er, ohne hinzuschauen, Milch über seine Fruity-Loops-Cornflakes goss bis die Cornflakesschüssel überschwappte. Fuck! Darum würde er sich nachher kümmern, beschloss Finn und nahm einen großen Löffel der bunten Getreide-Chemie-Ringe während er sein Gesicht weiter über seinem Handy auf der rechten Seite neben seinem Handy vergrubvergrub.
Luca würde diese Woche das letzte Mal im Schwimmbad sein, bevor er ab Sonntag dann am Strand liegen würde, hatte dieser vor ein paar Minuten großspurig angekündigt. Stimmt, da war ja was. Das war der Nachteil an den Sommerferien: Nach und nach verschwanden irgendwie alle in den Urlaub. Vorallem, wenn man wie Finn dieses Jahr die gesamten Sommerferien zu Hause bleiben würde, um dann im Gegenzug im Herbst in den Urlaub zu fliegen. Gemeinsam hatte die dreiköpfige Familie bereits vor Monaten beschlossen, dass sie die Sommerferien dieses Jahr zu Hause in Grundhausen verbringen würden und dafür in den Herbstferien für zwei Wochen nach Nordamerika fliegen würde. Für Finn klang das damals nach einem ausgezeichneten Plan, aber so langsam begann er zu zweifeln.
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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Diese Geschichte ist genau wie andere Geschichten des Autors ganz großes Kino. Außergewöhnlich gut und mit viel Liebe zum Detail.
Ich freu mich auf mehr ?
Danke für das Lob! Das nächste Kapitel kommt dann auch bald! 🙂
REPTILOIDENATTACKE