Die Verwandlung (15)
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Day 19 – Pyjamaparty
„Finn, kommst du?“, rief Elisabeth aus dem Erdgeschoss. Finn stopfte noch schnell sein Handyladegerät in den Rucksack und lief eilig die Treppe runter. „Na komm, Schnuffel“, sagte seine Mutter gleichermaßen liebevoll wie angespannt, wuschelte ihrem Sohn durch die unordentlichen, dunkelbraunen Haare und öffnete die Haustüre.
Nachdem er gestern Nachmittag von seiner wundervollen Shoppingtour zurückgekommen war, hatten ihn seine Eltern direkt abgefangen. Dabei hatte er doch eigentlich nur schnell seine Hochziehwindel wechseln, Schwimmsachen mitnehmen und ins Freibad fahren wollen. Stattdessen hatten seine Eltern am Küchentisch sitzend auf ihn gewartet und Finn, noch bevor er seine brandneuen Klettschuhe abgestreift hatte, hinübergerufen. Merkwürdige Situation. Finn fühlte sich an die sehr ähnliche Szenerie vor zwei Wochen erinnert, als ihm seine Eltern vor ganz ähnlicher Kulisse behutsam von dem Gedanken überzeugen wollten, für seine nächtlichen Unfälle doch einmal Hochziehwindeln auszuprobieren. Damals hatten sie offene Türen eingerannt, war es doch das gewesen, was Finn sich immerzu sehnlichst gewünscht hatte. Diesmal war es anders.
Finns Eltern hatten erstaunlich lange um ihr eigentliches Anliegen herumgeredet. Sich immer wieder gegenseitig hilfesuchende Blicke zugeworfen, sich versehentlich unterbrochen, gestockt und dann doch wieder dem anderen das Wort überlassen. Dabei war das eigentliche Anliegen seiner Eltern nicht unbedingt kompliziert gewesen: Ihr zwölfjähriger Sohn sollte das Wochenende bei einem Freund verbringen, Freitag bis Sonntag. Die Gründe dafür, dazu sagten seine Eltern gar nichts.
Elisabeth hatte sich im Vorfeld außergewöhnlich viele Gedanken darüber gemacht. Vor ein paar Wochen hätte sie ihrem Sohn einfach vorgeschlagen, bei seinem besten Freund Luca zu übernachten. Tat er ohnehin oft und gerne genug. Doch hatte sie ihren zwölfjährigen Sohn, seitdem das nächtliche Bettnässen losgegangen war, lange nicht mehr so verletzlich erlebt. Beim Gedanken, Finn mit seinen Windeln zu einer Übernachtung zu schicken, war ihr gar nicht wohl.
Als Finn realisiert hatte, was seine Eltern von ihm wollten, fing auch sein Gedankenkarussell augenblicklich an, sich zu drehen. Luca? War ja blöderweise in Amerika und fiel damit raus. Lars? Hmm, bei dem Zuhause wars eigentlich immer relativ langweilig. Sarah kannte er nicht gut genug, um bei ihr zu übernachten und bei einem Mädchen war das eh komisch. Die Pampers, die ihm seine Mutter vermutlich für die Nacht einpacken würde, würde er natürlich einfach nicht anziehen und tief im Rucksack verstecken. Brauchte er schließlich nicht wirklich. Und statt Pullups einfach seine normalen Unterhosen tragen. Als Übernachtungsoption blieb also noch Tobi. War irgendwie nicht schlecht, Tobis Haus war echt geil und sie durften eigentlich auch meistens so lange aufbleiben wie sie wollten.
„Vielleicht ja bei Yannik?“, schlug sein Vater nach ein paar stillen Momenten vor: „Ihr versteht euch ja wirklich prächtig und auf dem Bauernhof wird dir doch auch bestimmt nicht langweilig!“
„Boah ja!“, hatte Finn wesentlich enthusiastischer gerufen, als es seine Eltern erwartet hätten.
„Was ist das eigentlich für ein Tshirt, ist das auch noch von Yannik? Finn, du solltest die ihm doch zurück …“, fragte Elisabeth, während beide am Mittag des nächsten Tages in den kleinen SUV stiegen und wurde prompt von ihrem Sohn unterbrochen.
„Das ist eines von denen, die ich gestern gekauft hab!“, antwortete Finn unbekümmert. Er trug das gelbe Bagger-Tshirt, welches er sich gestern ausgesucht hatte, aus seinen neuen alten Klettschuhen ragten farbenfrohe, gelb-blau geringelte Socken heraus und über seinem Pullup trug er die enge, olivgrüne Cargohose. Das Einzige, was zu seinem sorgsam ausgewählten Grundschulkind-Outfit nicht passte, war der stylische Burton-Rucksack auf seinem Schoß.
„Och Finni, das ist ja süß! Das ist doch viel schöner als das, was du sonst so kaufst“, befand Elisabeth entzückt, strich über den Ärmel des Tshirts und wurde nachdenklich: „So eines hat Pauli doch auch, kann das sein?“
„Oh … ähm … hmm … Kei … Keine Ahnung, glaub schon“, antwortete der Sechstklässler ertappt.
Ohne Finns Antwort groß zu registrieren, startete Elisabeth den Motor, justierte den Rückspiegel und fragte ihren Sohn routiniert: „Willst du nochmal fix auf Toilette gehen, bevor wir losfahren?“
„Nööö“, antwortete Finn, doch da rollte der Wagen bereits aus der Garage.
Finn versank nachdenklich in seinem Sitz und piddelte an der Schnalle seines Rucksackes rum, während er mit seinem Kopf zur Radiomusik wippte. „Last Friday Night“ von Katy Perry lief leise im Pop-Gedudelsender auf den das Autoradio von Elisabeth eingestellt war. Manchmal überredete Finn seine Mutter, dass er stattdessen wesentlich coolere Musik von seinem Handy abspielen durfte, aber grade dachte er über ganz andere Sachen nach. Finn fühlte sich etwas verloren.
Sicher, vermutlich war der Plan seiner Eltern für dieses Wochenende äußerst sinnvoll. Zweieinhalb Tage nur zu zweit für Karl und Elisabeth, ein paar hundert Kilometer entfernt in einem schönen Hotel. Das war genau das, was die beiden jetzt brauchten, hoffentlich. Lisi hatte für Karl und sich darüber hinaus als Überraschung zwei Karten für die „Not in this Lifetime“-Tournee von „Guns N‘ Roses“ besorgt, die am morgigen Samstag nicht weit von ihrer Unterkunft in Leipzig halt machte.
Elisabeth hatte ihrem verunsicherten Sohn ausführlich von ihren Planungen für das gemeinsame Wochenende erzählt, nachdem sie Finn gestern Abend weinend in seinem Bett vorgefunden hatte. „Lasst ihr euch jetzt scheiden?“, hatte er seine Mutter wütend angeschrien.
Nachdem das Küchentischgespräch gestern abgeschlossen war, brach Finn eillig auf, hatte schnell seinen durchnässten Pullup gegen ein frisches Exemplar ausgetauscht, wieder die schwarze Jeansshorts angezogen, irgendwo noch ein sauberes, cooles Tshirt hervorgefischt und war mit seinem Longboard zum Freibad aufgebrochen. Nur die Klettschuhe an seinen Füßen deuteten auf sein geheimes Doppelleben als Grundschulkind hin und verschwanden direkt als erstes im Metallspind des Freibades. Erst als er im Wasser lag, dachte Finn über das, was seine Eltern ihm eben erzählt hatten, nach. Er hatte eigentlich gar nicht genau hingehört. Sie wollten, dass er ein Wochenende nicht zu Hause war, sie warfen ihn sozusagen für zwei Tage einfach raus! Vermutlich, weil sie sich so viel stritten, dabei war das in den letzten Tagen doch eigentlich wieder besser geworden, das hatte er jedenfalls bis jetzt gedacht. Ob sie sich scheiden lassen würden? Ob sie dann umziehen würden? Zu wem würde Finn dann ziehen? Würden seine Eltern das etwa dieses Wochenende alles machen und musste er deswegen weg? Irgendwann war Finn einfach aus dem Freibad abgehauen, ohne sich von seinen Freunden zu verabschieden, war nach Hause gefahren und hatte sich auf sein Zimmer verkrochen.
Finns ganze Welt geriet ins Wanken und dem Zwölfjährigen kam es vor, als würde sich grade alles um ihn herum verändern, ohne dass er auch nur das geringste daran bestimmen konnte. Wie am Ende eines Tracks im Club, wenn die Melodie langsam versiegte, nur noch der Beat den Takt vorgab und allen klar machte, dass gleich die Leadmelodie des nächsten Songs losfeuern würde. Dabei wollte Finn nichts sehnlicher, als dass der DJ an dieser Stelle einmal einen Loop reindrückte. Vier Beats lang, damit alles so blieb, wie es grade war. Das, natürlich, war eine Analogie, die Finn, würde man sie ihm erzählen, erst in einigen Jahren verstehen würde.
Elisabeth setzte sich an die Bettkante und erzählte ihrem Sohn ausführlich, was die beiden für das anstehende Wochenende geplant hatten und entgegen seiner Befürchtungen, klang das absolut super. Fast schon schade, dass er nicht dabei sein konnte, aber irgendwie verstand Finn das auch. Die Konzertidee seiner Mutter war megatoll und Finn, der sich niemals hätte vorstellen können, dass ausgerechnet seiner Mutter so etwas cooles einfallen würde, freute sich echt darauf, die Reaktion seines Vaters dazu zu erfahren.
Der Zwölfjährige atmete langsam aus. Was war also sein Problem? Er konnte es selbst nicht genau sagen, immerhin sahen seine Aussichten für die nächsten Tage alles andere als schlecht aus. Yannik war im Moment wohl die coolste Person, mit der man ein Wochenende verbringen konnte, völlig ohne sich verstellen zu müssen. Darüber hinaus hielt er auf seinem Schoß einen Rucksack fest, der bis auf ein paar seiner neuen Klamotten und dem Handyladegerät vollgestopft war mit Windeln für die nächsten Tage. Pro Tag drei Stück seiner Notfallhöschen hatte Finn eingepackt und dazu noch vier Exemplare der wundervollen Pampers! Als Finn kurz vor dem Beginn der Sommerferien das letzte Mal bei Lucca übernachtet hatte, waren im Rucksack stattdessen noch Maus und Tastatur, Bluetoothbox und eine Chipstüte gewesen.
Eine Viertelstunde später verabschiedete sich der Zwölfjährige für die nächsten Tage ausgiebig von seiner Mutter, hüpfte aus dem Auto und lief einem bereits aufgeregt am alten, schiefen Gartenzaun wartenden Yannik entgegen. Dieser schien heute noch etwas flippiger zu sein als sonst und hatte sich offenbar schon viele Gedanken über die nächsten beiden Tage gemacht: „Was magst du lieber? Nordreportage oder „Feuer und Flamme“? Oder wollen wir heute Abend lieber Minecraft spielen? Oh, kennst du Otto? Wir könnten aber auch …“, präsentierte der Zehnjährige ihm ein sorgsam ausgewähltes Abendunterhaltungsprogramm. Finn musste zuerst schmunzeln, ließ sich aber schnell von der kindlichen Aufregung seines kleinen Klassenkameraden anstecken. Eine Übernachtung schien plötzlich wieder wie etwas Besonderes. Sie durften heute Abend lange aufbleiben, sich einen Film aussuchen, es gab sogar Pizza! Klar, das war nichts, was Finn nicht auch schon vor vier Jahren gemacht hätte. Im Gegenteil, Freitag Abends bei Luca zu übernachten und zu dritt oder viert mit dessen großen Bruder zu zocken bis nach Mitternacht, so hatte er dieses Jahr eigentlich schon viele Wocheneden verbracht. Das waren tolle, lustige Stunden gewesen. Aber dennoch, so gegrinst wie er es jetzt in diesem Moment tat, hatte Finn damals nicht.
„Wir haben ne Gästematratze, aber du kannst auch in meiner Hängematte schlafen, wenn du willst!“, redete Yannik weiter und schien sich vorerst völlig damit zu begnügen, dass von Finn keine Antworten kamen und er stattdessen ungebremst weiter mit Fragen losfeuern konnte: „Oder brauchst du so ne Schutzunterlage? Mein Cousin braucht die und dann kann man natürlich nicht in der Hängematte schlafen!“
In Yanniks Redeschwall tauchte tatsächlich so etwas wie eine Pause auf. Finn hatte kurz die Gelegenheit, eine unbedachte Rückfrage zu stellen: „Hö, was für ne Schutzunterlage?“
„Weil er manchmal ins Bett macht“, erklärte Yannik und senkte mitten im Satz seine Stimme, als ihm auffiel, was er da grade ansprach. Ein unsicherer Blick haschte hinter seinen Strubbelhaaren zu Finn herüber.
Finn versuchte erfolglos, sein Grinsen durch zusammenpressen seiner Lippen zu verbergen: „Oh, achso …“, druckste er herum und kicherte: „äh nö, dafür sind ja die Pampers.“
„Pampers?“, fragte der Zehnjährige sichtlich überrascht und konnte auch seinerseits ein verwundertes Kichern nicht vermeiden: „Sorry, war nicht so …“, entschuldigte er sich, während Finn, zur Situation unpassend, verspielt mit seinem Kopf hin- und herwackelte: „Öhhh ja, die hab ich für Nachts, weil die Notfallhöschen da nicht …“
„Sorry Finn“, unterbrach Yannik seinen neuen besten Freund und legte einen Arm um die Schulter des Zwölfjährigen: „Wollte dich nicht schon wieder auf das Zeugs ansprechen, weiß doch das dir das peinlich is! Aber du kannst doch nix dafür und ich find dich trotzdem cool! Ehrlich, is doch egal! Ich verrat niemandem was!“
Finn sah verlegen auf seine tollen neuen Grundschulkind-Klettschuhe herab und blieb auf halber Strecke zur Eingangstüre stehen. Wie hatten sie nur so gemein zu Yannik sein können in der Schule? Wie nice er einfach zu ihm war! Klar, Finn hatte impulsiv-absichtlich von seinen ,Pampers‘ gesprochen, weil es einfach weniger nach einem bettnässendem Teenager klang und mehr nach dem kleinen Jungen, der er ja sein wollte. Gut überlegt hatte er sich das aber nicht und nüchtern betrachtet war das ja mal sowas von obermega-peinlich gewesen.
Das erste, was Yannik aber dazu einfiel, war, ihn zu trösten, ihm zu vermitteln, dass das schon in Ordnung wäre und dass er sich deswegen nicht schämen müsste! Die meisten seiner normalen Freunde kannte er bereits seit der Grundschule und hatte mit manchen echt viel erlebt, grade mit Luca. Dem konnte man eigentlich alles erzählen. Aber wenn Finn ihm sagen würde, das er Nachts Pampers tragen würde? Einfach so gedankenlos, wie er es grade Yannik gesagt hatte? Vermutlich würde Luca ihn damit nicht dauerhaft ärgern und das für sich behalten, dafür kannten sie sich ja auch zu lange. Aber im ersten Moment würde sich sein bester Freund sicherlich nicht beherrschen können und würde laut loslachen, bis ihm irgendwann auffallen würde, wie weh das Finn täte. Und Yannik? Der verstand sofort, wie Finn sich fühlen musste: „Also, willst du in der Hängematte schlafen?“, wechselte der Zehnjährige elegant das Thema.
„Jip!“, antwortete Finn und sprintete zur Eingangstüre vor, nur um an der Türklinke angekommen euphorisch: „Erster!“ zu rufen. Schnell huschten die beiden Jungen durch das dunkle Fachwerkhaus, Finn warf seinen Rucksack in Yanniks Zimmer und die beiden stürzten sich in das Legochaos, welches sie vor ein paar Tagen unvollendet hinterlassen hatten. Darauf folgte nach nicht allzu langer Zeit Minecraft, bis sie von Yanniks Vater nach draußen gescheucht wurden und bis zum Abendbrot verdammt viel Spaß damit gehabt hatten, im Garten hinter der Scheune den kleinen Schützengraben weiter auszuheben.
Als beide schließlich um kurz vor sieben durchs Küchenfenster zum Abendbrot gerufen worden, war Finns neue Hose ein Fall für die Wäsche, Yanniks Jeans ebenso verdreckt und Lena hatte ziemlich viel Mühe damit, die zwei aufgedrehten Kinder wieder so weit zu beruhigen, dass sie still am Esstisch saßen. Finn ließ sich erschöpft auf die große Eckbank im Esszimmer fallen und registrierte erst in diesem Moment wieder seine Windelhose. Er war so damit beschäftigt gewesen, Spaß zu haben, das er das magische Saugpolster völlig vergessen hatte. Bis auf die zwei Male, wo er plötzlich bemerkt hatte, wie dringend er eigentlich pullern musste. Da war das Ding superpraktisch gewesen, hatte klaglos alles aufgesaugt und lag nun heiß-glibberig in seinem Schritt. Auch Yannik war zu sehr mit allem anderen beschäftigt um Finn auch nur einmal ans Auf-Klo gehen zu erinnern, immerhin hatte er ja nicht einmal bemerkt, wie der Zwölfjährige sich zwischendurch in die Hose gemacht hatte. Nach und nach beruhigten sich die Jungen und es kehrte eine gefräßige Stille an der großen Tafel ein, sodass Finn und Yannik eine halbe Stunde später schließlich satt, zufrieden und um einiges ruhiger vom Tisch aufstanden und direkt weiter ins Wohnzimmer huschen wollten.
„Halthalthalt, Jungs! So kommt ihr mir nicht auf die Couch! Zieht euch doch schonmal eure Schlafanzüge an!“, dirigierte Yanniks Mutter die beiden Kinder geistesgegenwärtig: „Und ab mit euren Hosen in die Wäsche!“, fügte sie lachend, aber eindeutig hinzu. Yannik lief direkt nach oben in Richtung des großen Badezimmers, doch Lena nahm Finn noch schnell und diskret bei Seite: „Am besten kümmerst du dich auch noch um deine Spezialunterwäsche, hm?“, zwinkerte die einfühlsame Endzwanzigerin dem verspielten Zwölfjährigen zu. Klar hatte sie Finns nassen Pullup erkannt, immerhin hatte er die Hose ja extra gekauft, weil man seine Windeln darunter so deutlich sehen konnte. Der Sechstklässler nickte unbekümmert, trottete ebenfalls die steile Holztreppe nach oben und konzentrierte sich bei jedem Schritt auf das Gefühl der benutzten Hochziehwindel zwischen seinen Beinen. Konnte man eigentlich echt nur schwer übersehen jetzt, stellte er fest, als er an sich selbst heruntersah und die Beine neugierig zusammendrückte. Vermutlich war Yannik der einzige gewesen, der nichts bemerkt hatte. Oder hatte er einfach nichts gesagt, wegen der Sache vorhin? Finn stand noch eine Weile lang oben im Hausflur, quetschte seine nasse Windel zusammen und ließ die Gedanken umherstreifen während er erst jetzt merkte, wie erschöpft ihn eigentlich das herumtollen in der Sommerhitze gemacht hatte. Irgendwann riss ihn überraschend das Quietschen der Badezimmertüre aus den Gedanken und ein Yannik im kuscheligen Schlafanzug schlüpfte von ebendort heraus: „Koomm, beeil dich!“, sagte er enthusiastisch aber ebenfalls wesentlich ruhiger und gelassener und lief direkt wieder nach unten.
„Na kommt schon Jungs, jetzt aber ab ins Bett!“, ermahnte Lena die beiden Sechstklässler, die eben auf der Couch eigentlich schon fast eingeschlafen waren, doch nun beim Zähneputzen wieder munter herumalberten.
„Jaaaa Mami“, gähnte Yannik, während er gemächlich über die knarzenden Holzdielen des Flures schlich, in sein Zimmer einbog und die Hochbettleiter hochkrabbelte. Finn spülte sich noch schnell seinen Mund aus, setzte den Zahnputzbecher klirrend am Waschbeckenrand ab und folgte seinem Spielkameraden gähnend. Es war kurz vor Elf, durch das gekippte Fenster drang friedlich-präsentes Grillenzirpen in den sonst so stillen Hausflur und die unverkleideten, altmodischen Glühfadenlampen-nachempfundenen LED-Birnen, die an der Decke hangen tauchten den Flur in ein gemütliches und beruhigendes Licht. Nachdem sie bis zum Abendessen draußen getobt hatten, verbrachten sie die letzten zwei Stunden auf der gemütlichen Couchlandschaft im Wohnzimmer und hatten eine spannende Feuerwehr-Dokuserie geschaut, so wie Yannik es ausgesucht hatte. Drei Folgen lang hatten sie einer Berufsfeuerwehrwache im Ruhrgebiet dabei zugeschaut, wie die tapferen Feuerwehrfrauen und -Männer zu Einsätzen aufgebrochen waren, Brände gelöscht hatten, eingeklemmte Personen befreiten und Übungen durchführten. Da konnten auch Battlefield-Highlight-Zusammenschnitte von Twitch-Streamern nicht mithalten, musste Finn zugeben. Irgendwann hatte Lena die beiden schließlich zum Zähneputzen geschickt und danach in Richtung Bett geleitet. Finn wusste gar nicht mehr so recht, wann er das letzte Mal ins Bett geschickt worden war, grade bei einer Übernachtung, aber irgendwie fühlte es sich echt toll an. Geborgen, behütet.
Okay, vielleicht kam dieses Gefühl auch von der Pampers, die unter seinem kuscheligen blaugrünen Dino-Schlafanzug raschelte, musste Finn sich eingestehen, während er in die bereits von Yanniks Mutter mit Kissen- und Bettdecke ausgestattete Hängematte kletterte.
Als Lena ihm nach dem Abendbrot diskret vorgeschlagen hatte, nicht nur seine verdreckte Kleidung gegen den Schlafanzug zu tauschen sondern auch seine saugfähige Unterwäsche zu erneuern, hatte Finn nicht lange mit sich gehadert und unter seinem neuen Schlafanzug die dazu passende Pampers angezogen. Aufgeregt war er danach runter ins Wohnzimmer geschlichen, jeder seiner Schritte begleitet von einem leisen, aber unmissverständlichen Knistern und hatte sich bemüht, so zu tun als wäre das für ihn ein ganz normaler Freitagabend; um Acht Uhr Abends, mit dicker Nachtwindel unter dem Schlafanzug auf dem Sofa herumzulümmeln. Er hatte jede einzelne Minute genossen. Dem Zwölfjährigen war auch Yanniks verwunderter Blick nicht entgangen, als dieser sah, dass aus der Hose seines Freundes nun nicht mehr ein reinweißes Notfallhöschen hervorlugte, sondern eine mit einem orangenen, freundlich lächelnden Comiclöwen bedruckte Kinderwindel, deren Bündchen weit abstanden und sich des Öfteren zwischen Finns grünen Dino-Langarmshirt und der Schlafanzughose verfingen. Oft hatte Yannik noch unauffällig zur auffälligen Unterwäsche seines neuen Freundes herübergelinst. Klar, das war eigentlich nicht fair Finn gegenüber, aber Yannik war immer noch mehr als überrascht davon, dass sein Klassenkamerad so selbstverständlich Windeln trug.
Das hätte er niemals vermutet, in der Schule hatte er Finns Windeln ja nicht einmal in der Sportumkleide gesehen, geschweige denn, dass er bemerkt hätte, wie Finn sich einmachte. Aber beim Spielen mit ihm in den Ferien, hier oder auch im Freibad, hatte sich der Zwölfjährige doch total oft in die Hose gemacht. Es war für Yannik ein wenig wie in einem Detektivfilm, wenn ein spannendes Geheimnis einer der Hauptfiguren gelüftet worden war. Etwas, das man niemals erwartet hätte. Jetzt wollte Yannik mehr wissen!
Kurz war es still im dunklen Kinderzimmer, während Yannik seine Decke zurechtstrampelte und Finn mit einer Hand an seiner bereits mehrmals benutzten Pampers herumquetschte. Dann traute sich Yannik schließlich, eine Frage zu stellen: „Du, Finn? Ähm, darf ich dich was fragen?“
„Nö“, kicherte Finn: „Tust du doch schon, lol!“, scherzte der Junge kichernd und schaukelte langsam in der Hängematte umher.
„Ähm …“, antwortete der Zehnjährige, der sich nun selbst erstmal zaghaft seine Frage überlegte: „Warum trägst du eigentlich Windeln?“, fragte er schließlich.
„Das sind keine …“, setzte Finn wie einstudiert zur Antwort an und brach dann ab. ,Das sind Notfallhöschen‘, das hatte er antworten wollen. Aber das war ja falsch. Das, was er da grade anhatte, war unzweifelhaft eine Windel: „Naja … weil sonst deine Hängematte nass werden würde!“, scherzte er kindisch: „Aaalso, irgendwie ist das bei mir nicht so wie bei anderen. Meine Blase ist wohl ziemlich klein und wenn ich muss, dann merke ich das erst sehr spät. Und blöderweise muss ich ja echt oft, halt wegen der kleinen Blase. Und Nachts merke ich garnix.“
Finn machte eine kurze Pause und wartete auf eine Reaktion von seinem Freund. Yannik hingegen wusste nicht, was er jetzt sagen sollte und so redete Finn einfach weiter: „Und naja, für Nachts hab ich deshalb die Windeln, damit das Bett nicht nass wird. Und tags manchmal die Notfallhöschen, zur Sicherheit. Die krieg ich, wenn wir auf Reisen sind, oder in der Schule, damit meine Hose nicht nass wird wenn ichs nicht rechtzeitig schaffe.“
„Oh, ok“, antwortete Yannik betroffen: „Und warum hattest du dann die letzten Tage auch die Notfallhöschen an?“, fragte er immer noch neugierig.
„Ääääähm“, antwortete Finn unsicher, zögerte kurz, suchte nach einer plausiblen Lüge und stellte fest, dass die Wahrheit wohl am besten war: „Die muss ich tragen, weil ich in den letzten Wochen zu oft in die Hose gemacht hab.“
„Ohhh, das tut mir leid“, antwortete Yannik mitfühlend: „Soll ich dich mal öfters daran erinnern, strullern zu gehen, damits dir nicht so oft passiert?“
„Hmmmm“, überlegte Finn überrascht und unschlüssig.
„Finn, geh doch am besten jetzt direkt! Wir haben doch voll viel getrunken bei der Doku!“, fiel Yannik aufgeregt ein.
„Neee, ich hab doch schon die Pampers an“, antwortete Finn gähnend.
„Hä? Ja und?“, fragte Yannik hörbar verwundert und aufgeregt.
„Die kann man nicht so einfach runterziehen, um aufs Klo zu gehen wenn man muss wie bei den Notfallhöschen, das geht nicht“, verteidigte Finn sich nun peinlich berührt.
Yannik war verwirrt: „Hä, wie jetzt? Und wenn du trotzdem mal musst?“
„Dann mach ich halt rein“, antwortete der Zwölfjährige kindisch-trotzig und ein bisschen beleidigt.
„Waaas? Auch wenn du wach bist? Einfach so?“, fragte der Zehnjährige etwas behutsamer aber immer noch erstaunt darüber, was ihm sein Klassenkamerad da grade erzählte.
„Mmmh“, nickte Finn gähnend, während ihn bereits die Müdigkeit überkam. Es war ein langer Tag gewesen.
„Macht dir das nix aus?“, wunderte sich Yannik.
Nun zögerte Finn doch, rieb sich müde die Augen, richtete sich langsam in der Hängematte auf und sah nach oben zum Hochbett. Als Yannik realisierte, dass von seinem Freund keine Antwort kam, rutschte er an die hölzerne Brüstung des Bettes und sah nach unten, sodass sich die Blicke der beiden Freunde kreuzten. Das war eine blöde Situation. Finn wusste, dass er jetzt lügen musste, damit das ganze Konstrukt was er sich aufgebaut hatte stabil blieb, aber eigentlich wollte er seinem Freund einfach nur die Wahrheit beichten. Yannik blickte aufmunternd zu seinem neuen Freund herab, während Finn verlegen murmelte: „Naja … ach … es geht. Ach nein. Fuck. Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“
„Klaro“, antwortete Yannik, presste als Bestätigung seine Lippen aufeinander und verschloss pantomimisch seinen Mund.
„Macht mir gar nix aus. Im Gegenteil, ich bin immer froh, wenn ich abends die Pampers anziehen darf. Dann muss ich nicht immer aufpassen ob ich grad pinkeln muss, werde nicht andauernd gefragt, ob ich aufs Klo muss, bekomme keinen Stress wegen einer nassen Hose und muss auch keine bescheuerten Pipi-Tagebücher führen!“, sprudelte der Frust über das Drama, was seine Eltern über das Windelthema erzeugten völlig ehrlich aus dem Zwölfjährigen hinaus: „Dann ist für ein paar Stunden alles wieder wie früher.“
Jetzt war es wieder still in Yanniks großen, dunklen Kinderzimmer. Finn sah nervös nach oben und versuchte, zu erahnen, was sein Freund jetzt wohl dachte. Dieser zögerte nun selbst mit dem was er darauf antworten wollte. Er rang sichtlich mit sich selbst: „Willst du auch mein Geheimnis wissen?“, flüsterte er verschwörerisch.
„Auf jeden Fall“, antwortete Finn überaus erstaunt und rätselte, was ihn jetzt wohl erwarten würde.
Doch anstatt etwas zu sagen, verschwand Yannik wortlos von der Brüstung seines Hochbettes und rollte auf die andere Seite seines Bettes. Finn kniff die Augen zusammen und versuchte trotz der Dunkelheit zu erkennen, was sein Freund da grade veranstaltete. Es dauerte nicht besonders lange, da tauchte der Zehnjährige wieder aus den Untiefen seines Hochbettes auf und Finn musste zweimal hinsehen, bis er glauben konnte, was er grade sah: Yannik hatte einen Schnulli im Mund!
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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Wirklich sehr gut gelungen. Bitte schreib weiter! Bitte lass die Mutter bei Finn im popo fiebermessen und dann lässt sich Yannik aus solidarität auch im popo fiebermessen und sich wickeln
Ich finde es eine schöne Geschite ich freue mich auf die Fortsetzubg
Ich les erst, nachdem ich die 5 Sterne vergeben habe.
Tolle Schreibweise!
Gerne davon mehr!
wow was für eine interessante Wendung. Wer hätte das von Yannik gedacht? 🙂
Schön das es wieder eine Fortsetzung gibt.
superschöne Geschichte und eine unerwartete Wendung 🙂
Freut mich riesig die Fortsetzung zu lesen.
Ich hätte das auch gerne im WB Forum kommentiert aber es gelingt mir nicht mich da anzumelden. Scheinbar hat der Webmaster sämtliche email Anbieter in seine Spamliste aufgenommen und antworten tut er auch nicht….
Mal wieder ein super Kapitel. Den Plottwist am Ende hab ich absolut nicht kommen sehen. Was wohl als nächstes passiert? Ist Yanniks Verhör schon zu Ende,
Mal wieder ein super Kapitel. Den Plottwist hab ich echt nicht kommen sehen. Was wohl als nächstes passiert? Ist Yanniks Verhör schon beendet?
Wieder aufs neue ein Traum! Bitte lass die Geschichte nie enden 🙂 würde es nochmal richtig gut finden, wenn finn sich ohne Windel mal in die Hose macht ^^
Echt nice. Warum verlinkt ihr nicht jeweils die letzte Geschichte, statt die erste?
Wirklich eine tolle Geschichte. Ich freue mich jedes mal, wenn ein neues Kapitel rauskommt.