Die Geheimnisse der Kerkwald-Geschwister (9)
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Kapitel 9 – Baby:
„Dafür sind … die Pipihosen ja da“
Es ist Herbst geworden in Kleinfeldern, einem kleinen Dorf irgendwo in der Provinz das wirkt, als wäre es zur Erläuterung des Adjektives „verschlafen“ erfunden worden. Umgeben von dichten, hohen Nadelbäumen zwischen denen, wenn es nach Jakob und seiner Bande geht, ein Geheimnis schlummert. Durch unterschiedliche Art und Weise haben sich die drei Kinder der Familie Kerkwald in ihre jeweils eigenen Geheimnisse verstrickt. Die fünfzehnjährige Robin, sonst das Musterkind ihrer Familie, deckt plötzlich ihre beste Freundin, die nichts Geringeres als eine Art Rachefeldzug gegenüber dem Bürgermeister durchführt. Ihr großer Bruder David hingegen hat ein Geheimnis, das so ungeheuer ist, dass er es sogar vor sich selbst verschlossen hält: Er steht auf Jungs! Genauer gesagt auf den neuen im Dorf, den mysteriösen Nick, der über allen Dingen zu schweben scheint.
Und Jakob, das Nesthäkchen in der Familie, wird bald Elf. Das ist kein Geheimnis. Was er hingegen vor den meisten anderen Menschen verborgen hält, sind seine Windeln. Aufs Klo gehen hat er immer noch nicht wirklich raus, trägt zur Sicherheit Pullups und würde Nachts jedes Mal sein Bett fluten, wenn er nicht wie ein Baby eine Pampers unter seinem Schlafanzug tragen würde. Aber das war eigentlich nichts neues. Das war schon immer so gewesen. Doch seit den schicksalhaften Vorfällen am Halloweenabend lernt er plötzlich eine ganz neue Seite an sich kennen: Die Windeln, die peinlichen, verzwergenden Babydinger, findet er plötzlich ganz ganz spannend.
Irgendwann am späten Vormittag, auf der Rückseite des Knopphofes
„Schau mal, ein Schuhabdruck“, bemerkte Jakob und kniete sich in das weiche Gras, dass den Boden zwischen dem Knopphof und den Bäumen des Waldes, säumte. Auf der breiten weißen Fassade hinter ihnen prangten vier große, mehr oder minder kreisrunde Farbkleckse von denen einzelne Tropfen heruntergeronnen und anschließend getrocknet waren. Fenix legte sein Geodreieck neben den Abdruck, der die obere Hälfte einer festen Schuhsohle zeigte und zückte die kleine graue Digitalkamera, die ihm sein großer Bruder eben mitgegeben hatte. Ein deutliches, dichtes Profil hatte den Maulwurfhügel an jener Stelle plattgedrückt und wies den Jungen dadurch sogar den Weg. Klar, der Abdruck konnte auch von Robin, Franzi oder Nick sein, die waren ja alle nacheinander in den Wald hineingerannt. Aber das lies sich ja leicht überprüfen, die beiden Jungen hatten sich bereits vorgenommen, vergleichs-Schuhabdrücke der drei Verfolger zu nehmen.
Neblige, kalte Luft lag über dem Boden, als sie den Wald betraten. Fenix knipste die mitgebrachte Taschenlampe an, obwohl es elf Uhr Vormittags war, so dunkel war es zwischen den Tannen, und schwenkte sie suchend zwischen den Baumstämmen umher. Wo waren der Attentäter und seine Verfolger gestern wohl langgelaufen? Fenix faltete die Sattelitenkarte, die ihm Nick ausgedruckt hatte, auseinander: „Also, wir haben sie irgendwo auf der Straße getroffen …“, grübelte er.
Jakob, der auf der Suche nach Spuren grade die Rinde eines Baumes begutachtete, sah zu seinem Freund rüber und kniff nachdenklich die Augen zusammen: „Ja! Direkt hinterm Parkplatz, wo die Straße so runter geht“, erinnerte er sich und deutete auf einen Punkt auf dem Zettel. Fenix versuchte, den Ort mit seinem Bleistift zu markieren: „Man das ist blöd, so kann man gar nicht malen!“, stellte er mit dem Zettel in der Luft fest, bevor er ihn an einen nahgelegenen Baumstamm drückte: „Das nächste Mal brauchen wir nen Klemmbrett. Aaaaaaber egal. Wir sind jedenfalls hier, auf der anderen Seite des Waldes“, fügte er nachdenklich an und umkreiste einen weiteren Punkt: „Und wenn die einfach geradeaus gelaufen sind, dann ist es voll einfach, den Weg wiederzufinden!“, realisierte er euphorisch. Doch dann begann er selbst zu zweifeln. Der Junge mit den kurzen blonden Haaren und dem leuchtend roten Anorak sah seinen neu gefundenen Freund nachdenklich an: „Glaubst du, die sind einfach so gradeaus gelaufen?“
Jakob spielte nachdenklich mit der Kordel des kleinen Reisekompasses in seinen Händen und drehte sich in Richtung Wald, so als würde dort, zwischen den Bäumen, irgendwo die Antwort auf Fenix Frage stehen. Er musste jetzt irgendwas sagen! Am besten irgendeine kluge Antwort, damit sein neuer Freund ihn cool fand! Aber was? „Weiß nich“, gab er unsicher zu.
„Ich auch nicht“, seufzte der Dorfneuling und sah wieder auf das kleine Sattelitenbild auf seiner Karte: „Oder wir gehen einfach erstmal nach links oben, und schauen, ob wir eine Spur finden. Und wenn nicht, dann schauen wir an der Straße, da wissen wir ja genau wo.“
„Was ist links oben auf dem Kompass?“, fragte Jakob verwirrt, während er zwischen dem kleinen grauen Kompass in seiner Hand und Fenix Karte hin und her sah.
„Ääääää …“, überlegte Fenix: „Dings … Nie … Nie ohne Seife waschen!“, erinnerte er sich an den Merksatz, den er vor einigen Jahren im Sachkundeunterricht gelernt hatte: „Norden, Osten, Süden, Westen – Wir müssen nach Westnorden!“
„Nordwesten“, kicherte Jakob, sah auf den Kompass und wies seinem neuen Freund mit der Hand den Weg. Die beiden Zehnjährigen wanderten quer durch den Wald, so aufmerksam wie schweigsam den von kraftlosen, hellgrünen Gras und Moos bewachsenen Waldboden begutachtend, in Richtung Landstraße, bis Jakobs Gedanken schließlich in eine andere Richtung abbogen: „Wie alt bist du?“
„Zehn, und du?“, antwortete Fenix mit einer interessierten Rückfrage während auch seine Aufmerksamkeit von dem immergleichen Waldboden unter seinen Füßen wegdriftete.
„Fast elf!“, antwortete Jakob ein wenig stolz. Cool, dass er auch mal endlich der Ältere war! Sonst war er immer der Kleine.
„Oh“, antwortete Fenix überrascht. Wenn er ehrlich war, hatte er schon seit gestern Abend darüber gegrübelt, was es mit Jakob wohl auf sich hatte. Max war Neun, das wusste er, denn das war so ziemlich das erste, was Fenix von dem Jungen, der ihn zum Kettcarfahren eingeladen hatte, erfahren hatte. Jakob auch, hatte er geschätzt, als der schwarzhaarige Ninja zu ihnen gestoßen war, immerhin waren Max und Jakob ziemlich gleich groß gewesen und schienen Freunde zu sein. Vermutlich kannten sie sich aus der Schule oder so. Doch als sie mit dem Agrotron unterwegs gewesen war und Max Jakob wegen seiner Windel geärgert hatte, da hatte Fenix seine Schätzung nach unten korrigiert. Jakob hatte noch Windeln an! Ging er noch in den Kindergarten? Nein, oder? Hatte er echt den ganzen Abend mit einem Kindergartenkind gespielt? Ausgeschlossen. Oder war Jakob behindert? Nein, definitiv nicht, soviel war sich Fenix mittlerweile sicher. War Jakob also einfach ein großer Junge, der noch Windeln trug? Tagsüber? Welche zum hochziehen, oder die Babydinger mit Klebestreifen? Und hatte er in dem Moment echt in seine Windel gemacht, als Max das gerufen hatte? Fenix hatte so viele Fragen, die er sich nicht getraut hatte zu stellen, doch die ihn so brennend interessierten.
„U … und … und …“, stotterte Fenix nervös und sah auf den schlammigen Waldboden vor seinen Füßen. Wie sollte er Jakob so etwas am besten Fragen? Ohne ihn dabei zu beleidigen und ohne ihn traurig zu machen?
„Wann seid ihr hier hingezogen?“, schnitt ihm der geheimnisvolle Windelträger neugierig und ohne groß nachzudenken das Wort ab: „Dein Zimmer ist ja noch voll leer!“
„W … Äh … vor ner Woche so“, antwortete Fenix überrumpelt und sortierte seine Gedanken: „Die Firma von Papa hat das Haus erstmal vorbereitet und er hat mitgeholfen, aber eingezogen sind wir erst …“, er musste die Tage selbst kurz im Kopf nachrechnen: „… Vor sechs Tagen“, realisierte er. Freitag letzte Woche war er zum letzten Mal aus der Geschwister-Scholl-Grundschule zurückgekehrt, war über die Kopfsteinpflaster der Fußgängerzone gelaufen, durch die große Holztüre in den Vorhof und anschließend in die große Altbauwohnung im ersten Stock des Hinterhauses an der Speicherallee, wo er sein ganzes bisheriges Leben verbracht hatte.
„Und, findest dus cool hier?“, fragte Jakob gespannt und es klang so, als wenn er enttäuscht wäre, wenn Fenix nun verneint hätte.
„Hm …“, musste er überlegen. Fand er es cool hier? „Jap, die Leute hier sind cool! Max, und Ludwig, und die Traktoren! Halloween gestern war echt krass. Und du, du bist auch cool!“
„Schatz, gibst du mir mal die Cola?“, fragte Laura ihren Freund. „Hier, Baby“, murmelte David und hielt die Dose in Richtung seiner Freundin ohne aufzublicken, während er auf das weiße Sony-Erricsson-Handy zwischen seinen Händen starrte. Es war der späte Vormittag eines schulfreien Donnerstages und Laura hatte ihren Freund, kaum hatten sie die Kirche verlassen, zu sich eingeladen.
Eine Einladung, die David besser nicht ausschlagen sollte, das hatte er gleich gewusst. Es war kompliziert mit ihnen. Die besten Momente hatten sie, wenn sie mit den anderen unterwegs waren. David konnte toll sein. Gab seiner Freundin das Gefühl, als würde sich die gesamte Welt nur um sie drehen, in diesen seltenen Momenten. Die Blicke der Anderen. Es war Gold. Sie waren eine Einheit und zusammen mehr als doppelt so geachtet, mehr als doppelt so cool, mehr als doppelt so vernetzt im Dorf und in der Schule wie allein. Doch nun lag Laura bäuchlings auf dem lilanen Hochflorteppich vor ihrem Queensize-Bett und hatte sich aus schierer Langeweile die Biohausaufgaben geschnappt, die eigentlich erst bis Montag fertig zu sein hatten weil Dave die ganze Zeit nur an seinem Handy hing! Es wirkte fast so, als wäre ihr Freund in diesem Moment lieber ganz woanders.
David starrte den blinkendem Cursor auf dem kleinen Display seines Mobiltelefons an während im Hintergrund der neuste Popsong der amerikanischen Popikone Rhianna aus dem CD-Spieler auf Lauras Schreibtisch schallte. War ein Kack-Lied, bei dem sich null Emotionen regten. Halb liegend, halb sitzend residierte er auf dem Bett seiner Freundin, hatte sich das rosane Kissen unter seinen Oberkörper geklemmt und tippte in die kleinen Tasten seines Handys.
,hey kennst du nick? Dem ich eine reingehaun habe?‘ Nee, kacke. Dave drückte auf Abbrechen doch formulierte sofort eine neue SMS.
‚hi kannst du mir nicks nummer schicken? Lauri will die‘ Nein, die Lüge würde früher oder später unweigerlich auffallen.
‚moin was weißt du über nick?‘, Okay, das klang, als würde er ein Verhör starten wollen.
Fuck, wie sollte er seiner Schwester nur erklären, warum er ausgerechnet Nicks Nummer haben wollte?
Scheiße ey!
Dave konnte nur an ihn denken. Es war verrückt. Das waren komische Gefühle. Immer wieder dachte er an den Blick, den sie gestern Nacht auf der Straße ausgetauscht hatten. Da war diese Neugier in ihm. Er wollte mehr wissen über Nick, wer er war, woher er kam, warum er so toll war. Aber warum? Ein Verlangen. Das einzige, was er in diesem Moment wirklich wollte, war in Nicks Nähe zu sein. Seiner undeutlichen, rauen Stimme lauschen, in seine blauen Augen schauen.
Verdammt, was war los mit ihm? Er war ja nicht schwul oder so! Immer schon war er ein loyaler Freund gewesen, hatte gradegestanden für dumme Aktionen seiner Freunde, selbst wenn er selbst nicht mitgemacht hatte. Weil man nachher gemeinsam drüber lachte. Es gab nichts tolleres, als sich auf seine Freunde verlassen zu können. Klar, auf eine gewisse Art, liebte David seine Freunde. Eine nicht-schwule Art, natürlich! Aber Nick?
Der breitschultrige Sechzehnjährige schüttelte energisch seinen Kopf, kniff die Augenbrauen zusammen und drückte wieder auf das Keypad seines Handys: ,kannst du mal nicks nummer schicken?‘, tippte er und zwang sich, die Nachricht ohne weiteres Zögern abzusenden. In einem hohen Bogen warf er das Handy ans Fußende des Bettes, als würde er damit auch all die Gedanken, die ihn in der letzten halben Stunde umschwirrt hatten, von sich lösen. David ließ seinen Kopf auf das breite roseweiße Kissen senken und starrte die hellbraune Holzdielendecke an.
Was würde Robin wohl denken, wenn sie diese Nachricht las? Würde sie überhaupt groß drüber nachdenken, warum er Nicks Nummer haben wollte? Kam wohl auf die Situation an, in der sie grade war. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er noch ein paar Stunden gewartet hätte, oder morgen erst gefragt hätte, während der Schule. Irgendwann, wenn Robin mal wieder voll im Stress war. Dann würde sie keine Zeit haben, sich groß Gedanken zu machen und hätte vermutlich ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden einfach nur den Kontakt gesendet.
Aber wenn sie Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen? Jetzt? Das er Nick als Freund wollte bestimmt. Als Freund, nicht als Freund-Freund! Genau. Er war einfach nur eine andere Art von Freund. Ein spannender, neuer Freund. Das musste es sein, was ihn so spannend machte!
„Schatz, wollen wir was machen?“, fragte Laura angesichts Davids Regungen.
David robbte zur Bettkante und drehte seinen Kopf so, dass er seine Freundin ansah: „Was denn, Baby?“, murmelte er müde.
Es gab nur zwei Menschen, die Dave ,Baby‘ nannte. Aus gradezu diametral gegensätzlichen Gründen. So Unterschiedlich, dass es ihm nicht einmal selbst bewusst geworden war.
Laura. Sie selbst nannte ihn ,Schatz‘, doch David hatte, kaum waren sie zusammen gewesen, damit begonnen sie ,Baby‘ zu nennen. Um klarzumachen, dass er stark war, seine Freundin beschützte und um zu zeigen, wie wichtig sie ihm war. In den Filmen nannten die coolen Jungs ihre Freundinnen ,Baby‘ oder ,Babe‘.
Und dann war da Jakob. Sein kleiner, unselbstständiger, verhätschelter, nervtötender Bruder. Man musste ihn nur ,Baby‘ nennen und der Zwerg wurde prompt wütend. Schrie herum, heulte. ,Baby‘, weil er noch Windeln trug wie ein Baby. Weil er rumheulte. Weil er klein war. Es war wirklich so verdammt einfach, den kleinen Hosenscheißer zu ärgern.
„Hmmm, wir könnten mit den anderen zu Mäcces. Mit dem Mofa?“, schlug Laura grübelnd vor, doch verlor postwendend Davids Aufmerksamkeit, die, kaum hatte sie angefangen, zu antworten, auf sein vibrierendes Handy gewandert war.
Wie ein Raubtier, das grade seine Beute fang fischte Dave mit einer beeindruckenden Verrenkung sein weißes Mobiltelefon, kaum hatte es begonnen, sich bemerkbar zu machen, von der unteren Bettkante: ,neee keine ahnung hab ich nicht. Warum denn?‘, lautete offenbar Robs Antwort.
Fuck! Kannte niemand fucking Nick?
Erst, als zwischen den kerzengrade in den Himmel ragenden Tannenstämmen langsam die Straße sichtbar wurde, als das Abrollgeräusch der vereinzelt durch den Wald rasenden Autos in ihre Ohren drang, erinnerten sich die beiden Zehnjährigen wieder an ihren eigentlichen, selbstgegebenen, Auftrag. Die letzte halbe Stunde waren sie Querfeldein, nur der Kompassnadel folgend, durch den Wald gelaufen. Waren ein paar Felsen hochgeklettert, hatten über einen kleinen, fast trockenen Bachlauf springen müssen und waren sich mittlerweile ziemlich sicher, dass das nicht der Weg sein konnte, den der Attentäter und seine Verfolger gestern Nacht gerannt waren. Aber wenn sie ehrlich waren, dann hatten sie das Thema bis grade auch ziemlich vergessen. gehabt Sie waren zu zweit durch den Wald geklettert, gerannt, spaziert und hatten sich über Gott und die Welt unterhalten. Darüber, dass Jakob nächste Woche Elf wurde. Über Ninjago! Fenix hatte von Lego Technic geschwärmt und sich fest vorgenommen, seinem neuen Freund sein Kran-LKW-Set zu zeigen, wenn er endlich seine Umzugskartons ausgepackt hatte. Warum sie umgezogen waren, das hatte Fenix seinem neuen Freund nicht erzählt. Eigentlich war es sinnlos, dass er nicht darüber reden wollte, das war ihm selbst klar. Aber davon zu erzählen, ließ ihn eben immer wieder realisieren, dass das wirklich passiert war. Es machte wahr, was er eigentlich vergessen wollte.
Dafür erzählte Fenix ausführlichst von seiner alten Schule. Eine von drei Pilotschulen in Hamburg hatte Fenix besucht, auf der man nicht nach der vierten Klasse auf die weiterführende Schule ging, sondern erst ab der Siebten. Am Ende der vierten Klasse hatte er einfach sechs Wochen Sommerferien gehabt und war anschließend in dasselbe Klassenzimmer gegangen und hatte sich an den selben Schreibtisch gesetzt wie einen Monat zuvor. Jakob war erstaunt: Dass sowas möglich war! Das wünschte er sich auch! Wieviel toller sein Leben wäre, wenn er jetzt in die fünfte Klasse der Grundschule Kleinfeldern gehen würde. Dann würden sie jetzt bald die selbstgebastelten Adventskalender an die großen Fenster hängen, Linus säße am Tisch neben ihm und in der großen Pause hätten sie die Auswahl zwischen Kettcar, Klettergerüst und Fußballfeld.
Erst als sie an der Landstraße angekommen waren, blieben die beiden Jungen kurz stehen und Fenix drehte suchend den Kartenausdruck in seinen Händen herum.
„Osten ist nach da, oder?“, fragte er ohne von der Karte aufzusehen.
„Ähhh“, überlegte Jakob und musste erstmal den Kompass wieder aus seiner Jackentasche herauskramen. Der Zehnjährige sah auf das kleine Plastikteil in seiner Hand und drehte sich mitsamt Kompass so, dass die Ostmarkierung exakt nach vorne zeigte: „Osten ist links“, antwortete er bestätigend und nickte dabei. Fenix gab nun die Antwort, wohin sie der Straße folgen mussten, doch plötzlich bemerkte Jakob, dass er in all der Spannung, der Spurensuche im Wald und dem aufregenden Gefühl einen neuen Freund kennenzlernen, eines völlig vergessen hatte: Sein Pipi-Problem. Zwischendurch mal darauf zu achten, ob er pinkeln musste, nach der ganzen Cornflakesmilch, die er vorhin getrunken hatte. Er musste ultradringend!
Er konnte nicht mal sicher sagen, ob er nicht schon während der Wanderung in seinen Pullup gemacht hatte, oder ob das Ding noch von heute Morgen so Nass war. In einer hektischen, zuckenden Bewegung zog er seine freie linke Hand aus der großen Jackentasche und drückte sie fest zwischen seine Beine. Nervös tippelte er mit seinen Füßen herum, biss sich auf seine Unterlippe und fror ein vor Anspannung.
„Mu … Mmm“, stotterte Fenix aufgeregt. Er hatte natürlich sofort verstanden, was sein neuer Freund da grade veranstaltete. Jakob errötete peinlich berührt und antwortete, bevor sein Gegenüber dessen Frage fertig artikuliert, hatte: „Nein, ich muss nicht!“
Doch Jakob sah in zwei zweifelnde blaue Augen. Fuck, Fenix dachte echt, dass er kurz davor war, sich in die Hose zu machen! Man, das war doch peinlich so! Um seinen Mitdetektiv vom Gegenteil zu überzeugen, ließ Jakob seine Hand wieder locker und steckte sie betont lässig in die rechte Hosentasche. Unüberlegt, grade zu hektisch. Hauptsache nicht aussehen,wie ein Kleinkind, dass sich jeden Moment in die Hose macht.
Pustekuchen. Sofort spritzte ein kräftiger Pipistrahl gegen die Vorderseite seiner Notfallwindel und der Zehnjährige hatte nicht die geringste Chance, noch irgendetwas einzuhalten. Fuck.
Das wars jetzt.
Seine Augen wurden wässrig. Unwillkürlich ging Jakob leicht in die Hocke während ihn eine wohlige Welle der Erleichterung überkam. Er war einfach nur froh, dass jetzt losgelassen hatte. Es fühlte sich sooo guuut an! Vom oberen Rand, knapp bis unter seinem Bauchnabel, zwischen seinen Oberschenkeln hindurch und bis zu seinem Po wurde die Drynites innerhalb weniger Sekunden heiß und triefend nass. Und immer noch stand Fenix direkt neben ihm und wusste genau, dass er sich grade volle Kanne in die Windel machte. Fuck.
Aber das konnte er grade nicht ändern. Es war zu spät. Wie in Zeitlupe ging Jakob tiefer in die Hocke während der Druck seiner Blase langsam erträglich wurde. Doch er dachte nicht daran, jetzt, wo es zweifelsohne problemlos möglich war, wieder einzuhalten sondern strullerte weiter. Die Drynites war längst so saturiert von der Sturmflut an heißem Urin, die aus ihm herausgeschossen kam, dass er wie früher Sorge haben musste, sie könne jeden Moment auslaufen. Doch Jakob strullerte weiter. Er hatte sich ins hohe Gras gehockt und sah herunter auf seine Klettschuhe, an deren Verschlüssen er jetzt verträumt herumpiddelte während der Pullup zwischen seinen Oberschenkeln immer weiter aufquoll. Er drückte nun extra doll, damit das Gefühl dieser unglaublichen Erleichterung bloß niemals enden würde. Jakob strullerte weiter, so lange es ging! Und als alles raus war, da war er wirklich enttäuscht.
Langsam hob er seinen Kopf, die Reaktion seines neuen Freundes fürchtend, während der heiße Pipisee an seinem Po langsam im dick gewordenen Saugfließ versickerte. Die Drynites drückte nun merklich gegen seine Oberschenkel und hing schwer in seiner Hose – die war zum zweiten Mal binnen weniger Tage gestrichen voll. Für einen kurzen Moment fühlte Jakob nur die Erleichterung und die Wärme, in welche die Windel ihn eingehüllt hatte. Das vertraute Gefühl des dicken, Pipidurchtränkten Fließ, so wohlbekannt von früher. Es tat so gut, endlich einmal wieder umhüllt zu werden von dieser unnachahmlichen, wolkig-weichen Wärme. Kurz schloss Jakob die Augen und seufzte leise und völlig entspannt. Doch plötzlich, einfach so, ohne dass er es gewollt hätte, überhaupt beeinflussen hätte können, drang wieder die Realität zu ihm vor. Hallo? Vor dir steht grade dein neuer bester Freund und du hast dir in die Hose gepisst! Dein Ernst? Ruckartig zuckte Jakob mit seinem Kopf nach oben und öffnete bereits den Mund um irgendeine hanebüchene Erklärung für das, was er grade getan hatte, loszuwerden.
Doch Fenix stand gar nicht mehr im Gras vor Jakob. Hatte mit alledem scheinbar nichts zu tun. Sicherlich hatte er mitbekommen, verstanden und begriffen, was sein neuer Freund da grade, hingehockt ins hohe Gras wie ein Kindergartenjunge, getan hatte. Musste er eigentlich. Aber zum Glück tat er ganz diskret so, als wüsste er nichts. War ein paar Meter weiter entlang der Landstraße gegangen und blieb in diesem Moment an einem der vielen schwarzweißen Begrenzungspoller stehen. „Woah“, rief er erstaunt, vergewisserte sich mit einem schnellen Schulterblick, dass sein Detektivkollege wieder einsatzbereit war und rief aufgeregt zu Jakob herüber: „Junge! Komm sofort, hier ist …“
„Awww Bärchen, das ist aber echt höchste Zeit …“, flüsterte Robin ihrem kleinen Bruder augenzwinkernd entgegen während sie ihm die feuchte, dunkelblaue Jeans aufknöpfte. Draußen dämmerte es schon und im Haus der Familie war wieder so etwas wie Abendruhe eingekehrt. David war noch vor ihr, ungewöhnlich früh, nach Hause gekommen und vor ein paar Minuten war auch Jakob, aufgeregt, mit strahlendem Gesicht und doch sichtlich ausgepowert, zuhause angekommen. Und sofort war es mit der Ruhe vorbeigewesen. Zuerst hatte Robin nur das Geschrei von unten mitbekommen, doch mittlerweile konnte sie sich recht sicher zusammenreimen, was grade an der Haustüre vorgefallen sein durfte.
Jakob hatte geklingelt. David musste ihm wohl anschließend die Türe aufgemacht haben. Und hatte im nächsten Moment bereits bemerkt, dass die Hose seines kleinen Bruders nass war, dass seine Sicherheitswindel übergelaufen war.
„Mama, das Pampersbaby hat die Hose nass, der braucht ne neue Windel“, hatte er gerufen, laut genug, dass Robin es selbst durch ihre geschlossene Zimmertüre gehört hatte.
Dann begann das Geschrei: „Du Hurensohn!“, hatte Jakob gekreischt. Daraufhin ein Schmerzensschrei von Dave, vermutlich hatte Jaki sich bei ihm mit einem Schienbeintritt revanchiert. Er wusste halt, wie man sich wehrt. Dann war das Gepolter auf der Treppe erklungen und schließlich hatte Jakob ihre Zimmertüre aufgerissen und war eilig hindurchgeschlüpft. Die Türe direkt hinter sich zugedrückt. Ängstlich und mit großen Augen hatte er sie angesehen, einen Finger auf seine Lippen gelegt und ein lautloses „Schhhh“ von sich gegeben.
„Wo bist du, du Vollidiot?“, hörten sie Dave währenddessen rufen, von der anderen Seite der Wand. Aus Jakobs Zimmer. Sie hörten, wie ein Legokonstrukt auf dem Boden zerschellte. Robin sah ihren kleinen Bruder mitleidig an, während sie ihren Mund öffnete um den kleinen Zehnjährigen zu fragen, was zur Hölle da draußen vor sich ging. Jakob biss sich auf die Unterlippe.
Doch dann öffnete sich ihre Zimmertüre. Nicht aufgerissen, wie die von Jakob, sondern behutsam geöffnet. Dave war zwar wütend, aber er wusste genau, wie weit er gehen konnte. Jakob zuckte erschrocken zusammen und versteckte sich geistesgegenwärtig im Dreiecksraum zwischen den Wänden und der Türe.
„Wo ist der Pisser??“, maulte Dave seine fast gleichaltrige Schwester an.
Jakob stand, noch in seiner Regenjacke und seinen verdreckten Klettschuhen in seinem Versteck und bemühte sich, keine Mucks zu machen. Robin lehnte sich zurück, drehte sich halb zu ihrem in der Tür stehenden großen Bruder und rollte mit den Augen: „Junge du bist sechzehn … meinst du nicht, das ist nen bisschen kindisch, was du hier veranstaltest?“, antwortete sie Dave und gab ihrem großen Bruder damit ungewohnt deutlich zu verstehen, was sie von den Zankereien zwischen Jakob und ihm hielt. Wenn sie ehrlich wäre, dann würde sie Dave jetzt anbrüllen. Es war echt scheiße, wie er zu ihrem kleinen Bruder war. Jakob war klein, schüchterner und kindischer als andere Kinder in seinem Alter und dann ausgerechnet einen starken Sechzehnjährigen zum Gegner zu haben war echt nicht das, was er verdiente. Doch Robin war geübt genug in Geschwisterdiplomatie um genau zu wissen, wie deutlich sie werden konnte ohne dass es auf Dave so wirken würde, sie wäre fest auf Jakobs Seite.
Daves Gesichtsausdruck wechselte von wütend zu überrascht, zu verwundert, zu unsicher-und-wütend: „Alter, der Wichser hat mir ultra gegens Schienbein getreten!“
„Ooh, soll ich mal pusten?“, neckte Robin ihren großen Bruder mit einer betont einfühlsamen, glockenhellen Stimmlage und Jakob hatte wirklich Mühe, sich in seinem Versteck hinter der Türe das Lachen zu verkneifen. Als würde sie grade mit einem ihrer Babysitterkinder, die sich das Scheinbein aufgeschlagen haben, reden!
Dave kniff die Augen zusammen und verschwand grummelnd in Richtung Flur, so schnell wie er gekommen war. Nur Jakob war geblieben. Drückte vorsichtig die Türe zu und war dann langsam aus seinem Versteck geschlichen gekommen: „Danke“, seufzte er erleichtert und hatte schon wieder ein Lächeln auf den Lippen. Und das war auch gut so, denn wenn Robin eines nicht ertragen konnte, dann, ihren kleinen Bruder traurig zu sehen. Jakob lachte eigentlich immer, wenn man so voller Energie war wie er, dann musste man vermutlich immer Lachen um nicht zu platzen oder so. Aber wenn Jakob die Augenbrauen zusammendrückte, seine Lippen aufeinander presste und dabei unabsichtlich einen Schmollmund bildete, dann wusste man sofort, dass da etwas ganz und gar im Argen lag.
Das hieß aber umgekehrt nicht, das alles in Ordnung sein musste, nur weil Jakob lachte. Tröstend hatte Robin ihre Arme ausgebreitet, doch als der Zehnjährige auf sie zuging, registrierte Robin plötzlich die Pipiduftwolke, die von ihrem kleinen Bruder ausging. Den dunklen Fleck, der sich links des Reisverschlusses auf seiner Hose gebildet hatte und der sich bis auf den Saum seines Sweatshirts erstreckte: „Bärchen, du läufst ja aus!“, realisierte sie schockiert.
Betreten erstarrte Jakob und blickte peinlich berührt zu Boden: „Ääääääh …“, setzte er an, wusste aber ehrlich nicht, wie er sich jetzt verteidigen sollte. Heute hatte ihm niemand gesagt, er sollte in die Hose machen. War ganz allein seine eigene Schuld. Das er in der Kirche eingeschlafen war und dabei in die Drynites gemacht hatte, dass er sich am Straßenrand vollgepinkelt hatte und dann später im Wald noch zweimal. Er war sogar unauffällig stehen geblieben. Hatte gar nicht so doll gemusst und noch kurz gezögert, ob er nicht doch einfach gegen einen der Bäume pinkeln sollte. Aber da unten war eh alles schon so nass gewesen. Und so himmlisch warm. So einladend weich und in-Watte-hüllend wie er seine Windeln von früher in Erinnerung hatte. Und so hatte er erneut die Wärme genossen, die entstand, wenn er einfach locker lies und sein Pipi langsam in die Sicherheitshose tröpfeln lies.
Waren seine eigenen Entscheidungen gewesen. Und so langsam bereute er sie. Die Windel war jetzt kalt, nass, juckte mittlerweile. War viel zu voll. Seine Hose fühlte sich klamm an.
Der ertappte Zehnjährige blieb abrupt stehen, kaum zwei Meter von seiner großen Schwester entfernt. Presste seine Arme zusammen und hielt sie über den nassen Fleck als würde sich das ganze Windelthema erledigen, wenn bloß seine nasse Hose nicht mehr sichtbar wäre. Robin neigte ihren Kopf um ihrem Bruder in die gesenkten Augen sehen zu können und sah, wie sich darin eine Träne bildete.
„Ach Kleiner, das ist doch nicht schlimm!“, beruhigte sie den kleinen Jungen in derselben Stimmlage, in der sie ihren großen Bruder noch vor ein paar Momenten geneckt hatte. Leise erhob sie sich von ihrem Stuhl, ging die fehlenden zwei Meter auf Jakob zu und umarmte ihn beruhigend. Jakob schniefte. Robin strich ihrem kleinen Bruder mit einer Hand beruhigend durch sein dichtes, schwarzes Haar, während ihre andere Hand mit der Routine vergangener Tage prüfend gegen Jakobs Windelpo drückte. „Och Jaki …“, konnte sie sich einen Tadel nicht verkneifen als sie realisierte, wie nass die Hochziehwindel des Zehnjährigen tatsächlich war und auch Jakob spürte in diesem Moment, wie die überladene Drynites an seinem Po stark rücknässte. Wie ein Schwamm, den man ausquetschte und der daraufhin angenehm warme Flüssigkeit von sich gab. Beschämt drückte er seinen Kopf stärker in die Umarmung seiner großen Schwester hinein und ärgerte sich über sich selbst: „Mann!“, murmelte er leise.
„Was ist denn passiert, Kleiner?“, flüsterte Robin besorgt. Jakob hatte sich total vollgepinkelt, so wie früher immer. Dafür musste es doch irgendeinen Grund geben.
„Als ich in der Kirche geschlafen hab, hab ich gepullert. Und dann als ich mit Fenix im Wald war, hab ichs zu spät gemerkt …“, murmelte Jakob.
Doch Rob sah ihren Bruder nur skeptisch an.
„Jaki …“, seufzte sie: „In die Pipihose hast du aber mehr als zweimal gepullert, flunker mich nicht an!“
Jakob drückte sich mit beiden Händen aus der Umarmung seiner Schwester weg und sah die Fünfzehnjährige schockiert an: „Pipihose?“
So hatten sie seine Drynites früher genannt, als die hellblauen Pullups seine Pampers ersetzt hatten. Pipihose, weil sie im Gegensatz zu den Windeln nur noch zum pullern gedacht waren und nicht für sein großes Geschäft. Früher war genau diese Situation ein gewohnter Anblick für Robin gewesen, ihr Bruder in bis zum Rand vollgepinkelten Drynites, deren Wechsel er selbst verschlampt hatte, bis sie sich schließlich darum kümmern musste. Aber jetzt? Er war doch mittlerweile Zehn und jene Zeiten doch – eigentlich – längst vorbei und die Pipihosen längst zur ,Sicherheitshose‘ geworden.
Robin presste verlegen ihre Lippen aufeinander und reüssierte, ob sie dieses Wort nicht verwendet haben sollte: „Jaaa …“, rechtfertigte sich und deutete mit ihrem Blick auf die Ausbeulung, welche die aufgequollene Drynites in Jakobs Schritt verursachte: „Sieht zumindest für mich so aus wie deine Pipihosen früher …“
Jakob schnaufte verlegen: „Moaaaaah … jaahaaa“, doch hielt dann kurz inne: „Stimmt eigentlich.“ Mit seinen großen, noch feuchten Kulleraugen blickte er seine Schwester an und fragte unsicher: „Schlimm?“
Robin lächelte beruhigt: „Gar nicht schlimm, Bärchen. Solange nix Schlimmes passiert ist. Hattest du nur keine Lust hattest, aufs Klo zu gehen, oder was?“
Kaum merklich nickte Jakob: „Mhm …“
Robin seufzte und sah sich bestätigt: „Ach … dafür sind …“
„… die Pipihosen ja da“, fiel Jakob, der genau wusste, was seine Schwester jetzt sagen wollte, derselben ins Wort während sich auch auf seinen Lippen wieder ein Lächeln aufbaute: „Wie früher!“, flüsterte er grade zu enthusiastisch.
„Nur im Gegensatz zu früher könntest du dich aber wenigstens auch mal wickeln, bevor deine Hosen nass werden“, kicherte Robin.
„Ähm …“, reagierte Jakob ertappt und wurde dann nachdenklich. Selbst das war wie früher gewesen, er hatte viel zu spät erst bemerkt, wie nass seine Sicherheitshose schon gewesen war.
Robin sah ihren kleinen Bruder erwartungsvoll an und reagierte erst, als einige Sekunden keine Antwort aus dem sonst so gesprächigen Mund des kleinen Jungen gekommen war: „Na komm Bärchen. Mach dich schnell frisch, bevor Mama das mitbekommt. Das gibt sonst wirklich Ärger, nach der Standpauke gestern erstrecht! Also hopp!“
Doch Jakob rührte sich nicht und sein Enthusiasmus wich wieder ein bisschen der Schüchternheit: „David ist doch noch draußen. Kannst du meine Sachen holen?“, bettelte er seine große Schwester an.
Robin war sich recht sicher, dass der Affektgroll, der ihren großen Bruder vorhin so auf Trab gehalten hatte, mittlerweile verflogen sein musste. Doch trotzdem willigte sie ein: „Sind deine Windeln noch da, wo sie früher waren?“, fragte sie, da hatte sie die Türklinke schon in der Hand. Es war sicherlich mehr als ein Jahr her, das sie zuletzt etwas mit Jakobs Windeln zu tun gehabt hatte.
Jakob nickte so stumm wie eifrig und Robin huschte schnurstracks ins Zimmer ihres kleinen Bruders. Ein großes Legoflugzeug lag halb kaputt auf dem Teppich und sie war sich sicher, dass für Jakob bei dem Anblick eine ganze Welt zerstört werden würde. Echt unnötig, Dave. Doch sie hielt sich nicht weiter damit auf. Routiniert fischte sie die oberste Hose aus dem Stapel seines Kleiderschrankes, schloss die Schranktüre wieder und öffnete in derselben Handbewegung die oberste Schublade der hellen Kiefernholzkommode neben dem Schrank. Griff beinahe automatisch nach einer Packung Feuchttücher, die Jakob gleich definitiv brauchen würde, sowie einer Cremedose, bevor sie abrupt innehielt und für einen Moment nachdenklich in die Reihen der feinsäuberlich gestapelten, hellblauen und weißen Windeln starrte.
Jakob hatte sich derweil wartend auf die Kante des großen Queensizebettes seiner Schwester gesetzt, ein Umstand der die Betteigentümerin, würde sie später seinen nassen Po bemerken, sicherlich nicht unbedingt glücklich machen würde. Doch daran dachte Jakob grade nicht. Er war schon immer schlecht darin gewesen, zu bemerken, dass er auslief. Erschöpft atmete er aus, während die Anspannung, die sich in den letzten Minuten in ihm gebildet hatte, von ihm abfiel. Beruhigt blickte er auf Robins geschlossene, weiße Zimmertüre. Lies sein Blick durch die erstaunliche Ordnung, die im Zimmer seiner großen Schwester herrschte, schweifen und wurde sich der Gewissheit Bewusst, dass er hier so etwas wie Asyl innehatte. David konnte ihm nichts tun, solange er hier war. Langsam und behutsam entledigte sich Jakob der mittlerweile doch sehr warm gewordenen Jacke und lies sich seufzend mit dem Oberkörper in die weiche Bettwäsche des großen Bettes fallen, während an seinen Füßen noch seine matschbefleckten, blauen Klettschuhe über dem Bettvorlegerteppich baumelten. Beruhigt schloss Jakob für einen kurzen Moment die Augen. Roch die Bettwäsche um ihn herum, irgendwie fruchtig, nach Erdbeeren. Und so weich. Es war so schön warm hier! Jakob legte seinen Kopf zur Seite, fuhr mit der Wange über das frische Laken und summte zufrieden.
Als Robin ihre Zimmertüre wieder öffnete, musste sie unwillkürlich kichern. War der Kleine jetzt einfach so eingeschlafen? Doch beim ersten Knarzen, das die alten Holzdielen unter ihren Füßen erzeugten, öffnete der Zehnjährige wieder seine Augen. Nicht überrascht, nicht erschreckt, ganz langsam. Und lächelte sie an. Nein, Jakob hatte bestimmt nicht geschlafen.
„Hab alles!“, berichtete Robin ihrem kleinen Bruder und hielt wie als Beweis ihre linke Hand nach oben, in der sich übereinandergestapelt eine cremefarbene Feuchttuchpackung, eine dunkelblaue Cremedose befanden sowie … eine weiße Pampers.
Eine Pampers! Es war höchstens halb Fünf am Abend! Ein Affront! Er war doch kein Baby …
Das waren alles Gedanken, die Jakob in diesem Moment nicht durch den Kopf schossen.
Wie in Trance lächelte er seine große Schwester stattdessen an: „Eine Pampi, wie früher?“, kicherte er belustigt.
Robin nickte mit einem bestätigenden Lächeln und hatte genau denselben Gedanken gehabt, als sie in der Schublade nach einer der Pampers gegriffen hatte: „Wie früher, Bärchen.“
„Dann mach aber duu!“, murmelte Jakob und in seiner Stimme schwangen neben dem üblichen Trotz und einer fröhlichen Aufgeregtheit auch eine Prise Wunsch mit.
Robin seufzte und verdrehte theatralisch die Augen, so wie es auch ihr Bruder oft machte. „Tseh“, kicherte sie durch ihre halbgeöffneten Lippen hindurch und kniete sich vor das Kopfende ihres Bettes, auf dem ihr kleiner Bruder lag, als hätte er die ganze Zeit nichts anderes vorgehabt, als sich gleich von seiner großen Schwester wickeln zu lassen. „Awww Bärchen, das ist aber echt höchste Zeit …“, flüsterte sie sanft, während sie die klamme Jeans aufknöpfte und langsam und behutsam bis zu den Knien herunterzog. Jakob schloss wieder die Augen und war völlig entspannt während Robin behutsam die Seiten des gelb angelaufenen Pullups aufriss und so langsam kehrte wieder so etwas wie Ruhe in dem kleinen Haus am Rande des Dorfes ein.
Ihr wünscht euch etwas für das nächste Kapitel? Habt eine Vermutung, wie es weitergehen könnte? Wollt Feedback abgeben? Ihr kennt das: Wenn euch die Geschichte gefallen hat, hinterlasst doch bitte einen Kommentar, um das zu zeigen! Und wenn nicht, dann bitte auch! Feedback ist das, was am meisten motiviert!
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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Wie wäre es wenn Robin wie früher als baby zum Mädchen erzogen wird und wieder in die Kita gebracht wird
Casiab. Wie wärs mit nein?
Sehr schöhne Geschichte, gefällt mir sehr gut, binn schohn gespannt wie es weiter geht. Währe cool wen Fenix und die Anderen Kinder noch mehr in die abschnitte bei denen es ums Windeln tragen usw.. geht, intensiver mit hineingenommen werden könnten, mit übernachtungen oder ähnlichen zum Beispiel. Du schreibst aber echt sehr gut und spannend.
Danke für deinen Kommentar! 😀 Ja, insbesondere Fenix wird noch viel mit Jakob und seinen Windeln zutun haben. Aber auch nicht nur er, im Dorf wissen ja ohnehin fast alle, das Jakob da unten noch Saugfähige Einwegunterwäsche trägt … 😀
Mehr will ich an dieser Stelle aber noch nicht verraten. 😀
Aww, so schön. Ich liebe diese Geschichte, da du die Stimmung so gut aufbaust.
Ich fände es cool, wenn sich David und Nick (warum auch immer) küssen würden und Jakob das sieht. David bemerkt das und verlangt von Jakob Schweigepflicht (vielleicht Schwur) Dieser willigt ein, aber nur, wenn David aufhört ihn Baby zu nennen und damit zu ärgern.
Aber ich bin auch mit jeglichem anderen Hergang zufrieden.
Mach weiter, ich freue mich.
Ich will es ja vermeiden zu spoilern, aber ich denke so viel darf ich verraten: Ich denke, die Geschehnisse rund um Nick und David werden dir bestimmt gefallen, wenn ich mir deinen Vorschlag anschaue! 😀 Und auch Jakob ist sicherlich clever genug, alle Informationen die er hat im Zweifelsfall gegen seinen großen Bruder zu verwenden verwenden. Und einen Kuss? Hmm, ich bin mir sicher, da wird es einen Kuss geben …
Die Geschichte ist super geschrieben. Man kann sich in alle Charaktere hineinversetzen und mitfühlen. Ich wäre gern wie Jakob hin und wieder xD.
Jaa, ich auch! Wobei ich manchmal auch echt gerne David wäre, die Jugend ist auch eine verdammt tolle Zeit! 😀
Eine tolle Fortsetzung.
Da ich Einzelkind bin, versuche ich mich so gut es geht in die Situationen der Kids hineinzuversetzen. Vor allem in die von Jakob.
Man wünscht sich schon ein wenig ein Teil der Familie zu sein.
Das Ende mit Jakob & Robin fand ich – für deine bisherigen Verhältnisse – tatsächlich sehr gewagt.
Weil es eine doch sehr intime Situation ist.
Bei der du aber im richtigen Moment abgebremst hast.
Bei Jakobs Wunsch an Zuneigung merkt man aber auch, dass im Hause Kerkwald die Mutter sehr vermisst wird und sie sich zu selten Blicken lässt.
Robin scheint sich aber auch wohl zu fühlen in der Rolle.
Und mag es gebraucht zu werden.
Bin gespannt wie es weitergeht.
Santa, danke für deinen tollen Kommentar! Du sprichst viele der Sachen an, die ich beim schreiben auch oft denke! 😀
Bin auch als Einzelkind aufgewachsen – umso spannender ist es, über eine Familie zu schreiben! 😀 Ich ertappe mich selbst viel mehr als bei „die Verwandlung“, das ich selbst in die Geschichte eintauche und auch abseits des Storyboards und der geplanten Szenen mich in die Charaktere hineinversetze, mich in „was wäre wenn“-Gedankenspielen verliere und Tagträume. Es ist schon eine sehr spannende Welt, da im Kleinfeldener Mikrokosmos … 😀
Bezüglich der Wickelszene: Ja, absolut! Auch wenn ich in „Zweite Chance“ früher auch desöfteren Wickelszenen eingebaut habe, waren die nie so „explizit“. Am Ende ist es eine sehr intime Situation, die für die beiden Geschwister irgendwie auch eine Art Grenzüberschreitung ist, aber auf der anderen Seite totale Routine „von früher“. Wenn ich die Szene selbst lese, dann gedanklich in einer leicht träumenden, nebligen Stimmung, so ein bisschen, wie sich Jakob in dem Moment fühlt. 😀
Was die Mutter der Familie angeht: Da stimme ich dir absolut zu! Robin ist manchmal mehr eine Mama für Jakob, als es seine Mutter eigentlich ist – wobei sich das vorallem in zukünftigen Kapiteln noch zeigen wird, da will ich gar nicht zu viel verraten. Eva hat es natürlich auch nicht leicht, ökonomische Zwänge und das Familienleben mit drei mehr oder weniger turbulenten Kindern auszutarieren – aber grade als drittes Kind geht man da dann schonmal unter. Gut, das Jakob seine große Schwester hat! 😀
Liebe Grüße,
Giaci