Der Winterurlaub (16)
Windelgeschichten.org präsentiert: Der Winterurlaub
Kapitel 16
Zuerst einmal ging es durch die tief verschneite Winterlandschaft, was alsbald in eine wilde Schneeballschlacht mit Beteiligung aller Anwesenden überging. Besonders Jan merkte man an, dass er am Vormittag nicht wirklich ausgelastet gewesen war, der tobte nur so durch die Gegend. Ich war jetzt doch froh, wieder den Schneeoverall an zu haben, die normalen Sachen wären wohl sehr schnell ziemlich nass gewesen.
Etwa eine halbe Stunde wanderten wir durch die Natur, dann bogen die Elterneinheiten ab in Richtung Ort und alles beruhigte sich etwas. Wir liefen jetzt einigermaßen gesittet durch die Gegend, Irene und Wolfgang vorne weg, dahinter Jakob mit Jan und am Ende dann Jorin und ich. Nach einigen Metern griff Jorin nach meiner Hand, schaute mich herausfordernd an und so outeten wir uns quasi vorm Rest der Welt. Naja, was soll’s. Jakob würde uns schon beschützen.
Der Feldweg ging in eine kleine Gasse über, die Gasse in eine Nebenstraße, die Nebenstraße in eine größere Straße und irgendwann waren wir auf dem Markt angekommen. Dort stand ein großer, mit bunten Lichtern behängter Weihnachtsbaum, an seinem Fuße mehrere noch geöffnete Marktbuden. Es herrschte ziemlicher Betrieb. Eigentlich verwunderlich, bei uns hatte der Weihnachtsmarkt am 24.12. gar nicht mehr geöffnet. Naja, vielleicht war das ja in dieser Touristenhochburg anders.
Wir schlenderten ein wenig herum, guckten uns die Buden an, hörten Weihnachtsmusik und landeten am Ende beim Glühweinstand.
„Also ich weiß nicht wie ihr das seht, aber ich brauch jetzt was zum Aufwärmen!“
„Komisch Wolfgang, ich hatte gerade die gleiche Idee.“
„Great minds think alike!“
„Wird wohl so sein.
So, Jakob, Glühwein?“
„Ja klar!“
„Lucas, Jorin, Jan: heiße Zitrone oder Kinderpunsch?“
„Och Mutti, können Lucas und ich nicht auch Glühwein bekommen? Wir sind doch schon 14!“
„Nein, kommt gar nicht in die Tüte. Ihr wollt doch bestimmt heute Abend etwas von der Bowle abbekommen, oder? Zwei alkoholische Getränke an einem Tag sind nicht drin.“
Wir ergaben uns unserem Schicksal und entschieden uns für den Kinderpunsch, während Jan lieber eine heiße Zitrone wählte. Und das kurz darauf bereute. Hätte ich ihm gleich sagen können. Süßmaul Jan und saure Zitrone? Passte irgendwie nicht wirklich.
Wir setzten uns auf eine Holzbank, nach dem Rumgelaufe brauchten unsere Beine etwas Erholung. Das schien Irene aber nicht so zu gefallen.
„Jungs, passt bloß auf, das ist doch viel zu kalt zum Sitzen.“
„Nee, Mutti, keine Bange, die…“
Ich rammte Jorin meinen linken Ellenbogen in die Rippen. Zum Glück kapierte er es noch rechtzeitig.
„…die Schneeanzüge isolieren wirklich gut.“
„Na gut, aber wenn es kalt wird steht ihr sofort auf!“
Würden wir natürlich tun, auch ich wollte nicht mit dem Hintern festfrieren. Allerdings bestand diese Gefahr wohl nicht wirklich, wie mir auch Jorin flüsternd bestätigte.
„Danke, dass du mich gestoppt hast. Ich hätte beinahe gesagt, dass die Windeln ein schönes warmes Polster bieten.“
Genau das hatte ich befürchtet, daher auch mein Ellenbogeneinsatz.
Wir tranken unseren Punsch und ich lehnte mich gemütlich an Jorin, der mir sofort seinen rechten Arm umlegte und mich noch dichter heranzog. So musste wohl das Paradies aussehen…
„Schaut doch mal, der Junge mit seiner Freundin, ist das nicht niedlich.“
Hm. Welcher Junge mit seiner Freundin war hier niedlich? Ich schaute mich um, selbst wenn er eine Freundin hatte, einen niedlichen Jungen schaute ich mir immer gerne an.
Komisch. Ich sah kein junges Pärchen? Mein verwunderter Blick war Jakob aufgefallen.
„Ihr braucht euch gar nicht so umzuschauen, ihr seid gemeint.“
Wir? Also Jorin und ich? Aber wieso „der Junge mit seiner Freundin?“. Die hielten doch nicht etwa… also nein! Das war ja nun wirklich der Gipfel! Die meinten tatsächlich Jorin mit seiner Freundin Lucas! Oder Lucas mit seiner Freundin Jorin? Das wurde auch sofort von dem Rentnerehepaar, welches ich jetzt als Urheber des auslösenden Satzes ausgemacht hatte, bestätigt.
„Ja, euch zwei hat mein Mann gemeint. Hach, junge Liebe ist doch wirklich immer wieder was besonders Schönes!“
„Vielen Dank, aber das ist nicht meine Freundin, das ist mein Freund.“
Das wollte ich wohl meinen! Gut, dass Jo das gleich klargestellt hatte.
Die beiden alten Leutchen schauten einen Moment verdutzt, dann lächelten sie aber sofort wieder.
„Ist doch egal. Wo die Liebe hinfällt, da soll man sie willkommen heißen.“
Oh? Das klang ja wirklich mal positiv. Damit hatte ich nun nicht unbedingt gerechnet. Meist war es so, dass die Leute uns gegenüber umso intoleranter auftraten, je älter sie waren. Da waren wir wohl genau an die Ausnahme geraten, welche bekanntlich die Regel bestätigt.
„Finde ich auch.“
Mit diesen Worten gab mir Jorin einen Schmatzer auf meine linke Wange. Das Oma—Opa—Pärchen lächelte noch mal, dann machten sie sich daran uns wieder zu verlassen.
„Dann noch viel Freude zusammen, ihr zwei.“
„Danke!“
In Stereo. Das hatten sich die netten Senioren wirklich redlich verdient.
Während dies alles ablief, stand der Rest der Sippschaft ein paar Meter abseits und beobachtete erst vorsichtig und dann amüsiert die Unterhaltung. Nachdem die Rentner abgezogen waren, kam Wolfgang zu uns rüber.
„So Jorin, wenn du und deine Freundin ausgetrunken habt, dann können wir eigentlich weitergehen.“
Argh!!! Na Prima, das Thema „Freundin“ würde ich wohl zukünftig öfters aufs Brot geschmiert bekommen. Ich wollte den Rentnern nun böse sein, aber irgendwie konnte ich das nicht.
Da unsere Punschtassen mittlerweile auch leer waren, erhoben wir uns von der Bank und schlossen uns den anderen an.
„Wir machen uns jetzt langsam wieder auf den Heimweg, bis wir da sind ist eh bald Kaffeezeit.“
„Au ja, und Bescherung!“
Jan, wer sonst. Obwohl, das war ganz gut so, dass der Stift dermaßen scharf auf die Bescherung war. Da brauchte ich mir nicht anmerken zu lassen, dass es mir genauso ging. Das wäre schließlich mit meiner Ehre und meinem Image als coolem Teenager unvereinbar gewesen. So übernahm halt der Zwerg die Rolle des Bescherungsdränglers, die sonst immer ich zuhause in Ermangelung eines kleinen Geschwisterchens spielen musste.
„Passt mal bitte kurz auf Jan auf, ich muss schnell noch was besorgen und komme dann hinterher geflitzt.“
Nanu, was wollte Jakob noch besorgen? Aber bevor wir ihn das noch fragen konnte, war er auch schon im Marktgewimmel verschwunden. Also übernahmen wir den jüngsten Brennerspross und liefen hinter Irene und Wolfgang her. Damit der Zwerg uns nicht verloren ging, nahmen wir ihn in unsere Mitte und jeder griff sich eine Hand.
So entfernten wir uns langsam aber sicher vom Marktplatz, und nach einigen Minuten kam auch Jakob wieder angehetzt.
„Was musstest du denn noch so Dringendes besorgen, Jakob?“
Gut dass Wolfgang fragte, da brauchten wir nicht unsere brennende Neugierde zu zeigen.
„Ach, nur ein kleines Geschenk für Jo—Baby und seine Freundin.“
Schade, ich hatte keinen Schneeball parat. Dafür hätte ich sogar noch einen Stein reingepackt!
„Jake, du bist doof!“
„Ach quatsch, ist doch nicht böse gemeint, Lucas.“
Ich grummelte trotzdem vor mich hin, Jorin hingegen dachte schon wieder praktisch.
„Was für ein Geschenk?“
„Gibt es erst zur Bescherung.“
„Ach komm schon!“
Jakob zögerte etwas, dann gab er sich jedoch einen Ruck.
„Na gut, könnt ihr eh jetzt gleich gebrauchen. Hier, bitteschön. Könnt ihr sofort anziehen.“
Anziehen? Gleich hier vor Ort? Wir trugen Windeln, Strumpfhosen, Schneeanzüge, Mützen, Handschuhe — was sollten wir denn da NOCH anziehen? Aber die Auflösung nahte bereits.
„Als ich euch vorhin so Händchen haltend gesehen hab, habe ich mich an etwas erinnert, was ich mal in einem Katalog gesehen hab. Und erfreulicherweise gab es das auch an einer der Marktbuden. Hier, bitte schön, Liebeshandschuhe.“
Liebeshandschuhe? Was waren denn das nun wieder für Dinger? Aber auch dies wurde sofort aufgeklärt. Es handelte sich um einen rechten und einen linken Fausthandschuh, und dazu gab es einen Doppelhandschuh! So konnte ein verliebtes Pärchen die jeweils äußere Hand mit dem normalen Handschuh vor der Kälte schützen, und dann die inneren Hände zum Händchenhalten in den Doppelhandschuh stecken! Darin hatte man nun richtigen Hautkontakt, anstatt nur Stoff auf Stoff zu spüren. Die knallroten Strickhandschuhe lösten allgemeine Heiterkeit aus und wie vom experimentierfreudigen Jorin nicht anders zu erwarten, zog er sich sofort seine bisherigen Handschuhe von den Händen, schlüpfte mit der linken Hand in den linken Fausthandschuh und mit der Rechten in den Doppelhandschuh. Dann schaute er mich groß und bittend an. Hatte ich schon mal gesagt, dass ich solchen Blicken von ihm einfach nicht widerstehen kann?
Also zog auch ich meine Handschuhe aus, zog den rechten Fausthandschuh an und schlüpfte dann mit der linken Hand zu Jorins rechter in den Doppelhandschuh, wo sich unsere Finger fanden und umgriffen.
„Süüüüüüüß! Jakob, das war eine tolle Idee!“
Typisch Mutter. Diese Menschengattung fand irgendwie alles süß, auch wenn es für den betroffenen Teenagernachwuchs irgendwie peinlich war, als süß angesehen zu werden. Naja, da mussten wir wohl oder übel durch.
Nach etwa einer Viertelstunde hatten wir den Ort wieder hinter uns gelassen und wanderten durch die freie Natur. Eines musste ich den neuen Handschuhen lassen: es war wirklich viel schöner, direkt Jorins warme Hand zu spüren als mit zwei Lagen Stoff dazwischen. Auch Jakob hatte also ab und an mal eine gute Idee, da würden wir uns wohl noch mal bei ihm bedanken müssen.
Von Ferne hörten wir dann plötzlich ein Motorengeräusch, welches immer näher kam. Das klang ganz nach einem Schneemobil. Ob da wohl Tom und Martin unterwegs waren?
Tatsächlich, es dauerte nicht lange bis einer der beiden Motorschlitten auftauchte, mit dem wir am Tag vorher soviel Spaß gehabt hatten. Vorne saß Martin, dahinter klammerte sich Thomas an ihn. Als sie uns erreicht hatten, hielten sie an und Martin stellte den Motor ab.
„Hallo zusammen.“
Nach der allgemeinen Begrüßung wurde Wolfgang neugierig.
„Was fahrt ihr denn in der Gegend rum?“
„Wir kommen gerade von Martins Eltern und fahren jetzt zu meinen Leuten.“
„Ach ja, das hattet ihr ja schon erwähnt.“
Während Martin das erzählte, hatte Tom unsere Spezialhandschuhe entdeckt.
„Guck mal Martin, die Handschuhe!“
Der Angesprochene schaute nun auch auf unsere Hände.
„Wow, die sind ja obercool!“
Jakob grinste breit.
„Fand ich auch, deshalb hab ich sie den beiden gerade geschenkt.“
„Wo hast du die her? Solche hab ich noch nie gesehen!“
„Die gibt es unten auf dem Markt an einer Bude.“
Tom schaute auf die Uhr.
„Mist, die machen in einer Viertelstunde zu! Schaffen wir das noch, Martin?“
„Wir fahren so weit es geht mit dem Schneemobil, wenn wir dann rennen, müssten wir es noch schaffen.“
Damit war der Plan gefasst, die beiden verabschiedeten sich hastig von uns und entfernten sich dann laut und mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Handschuhverkaufsbude. Wir hingegen wanderten weiter auf unser Ziel zu. Irgendwann war es dann soweit, der Kinderpunsch wollte raus, und ich schaffte es mittlerweile, die Windel zu füllen ohne großartig darüber nachdenken oder mir Mühe geben zu müssen. Allerdings war Jorin wohl meine Erleichterung aufgefallen.
„Du hast gerade in die Windel gemacht, stimmts?“
Zum Glück hatte er mir das nur ins Ohr geflüstert, aber trotzdem spürte ich, wie nicht nur der Pegel in der Windel stieg sondern auch der Blutpegel in meinem Kopf.
„Ja, aber das musst du nicht gleich überall rumerzählen.“
„Tu ich doch gar nicht. Außerdem ist meine schon ne ganze Weile nass.“
Wie beruhigend.
„Was ist denn das für ein Getuschel da hinten?“
„Ach nichts, Mutti. Wir haben uns nur darüber unterhalten, dass unsere Windeln nass sind.“
Okay, die Liebeshandschuhe zeigten soeben einen weiteren, ganz erheblichen Vorteil. Ich konnte Jorin in den Handballen kneifen, ohne dass da zwei schützende Lagen Stoff dazwischen waren.
„Autsch! Was soll das?“
„Ich hab dir doch gesagt, dass du das nicht gleich überall rumerzählen sollst!“
„Sorry… Ist doch aber wahr. Und genau dafür sind die Windeln doch da!“
„Ja schon…“
„Meine Windel ist noch trocken!“
Na prima, jetzt musste auch Jan noch seine Meinung dazu herauskrähen! Leicht eingeschnappt stapfte ich forsch weiter, während Jorin noch stehen blieb, mit der Folge, dass seine rechte Hand aus dem Doppelhandschuh rausrutschte.
„Jorin, da hast du was bei deinem Liebsten gutzumachen.“
Das hatte Irene, die ich mittlerweile passiert hatte, ganz richtig gesehen. Da kam mir ihr böser mittlerer Sohn auch schon nachgeflitzt.
„Och Lucas. Entschuldige bitte, das war doch wirklich nicht böse gemeint.“
Ich stapfte wortlos weiter durch den Schnee. Sollte der ruhig noch etwas zittern und bangen.
„Luki—Baby, ich liebe dich doch und das war auch ganz liebevoll gemeint.“
Wie eine Mitteilung über vollgepisste Windeln liebevoll gemeint sein konnte, musste er mir bei Gelegenheit mal ausführlich erklären.
„Sei doch bitte nicht mehr böse, ich verspreche dir auch, mich zukünftig etwas zurückzuhalten.“
Jorin und sich zurückhalten. Da würde ich doch eher wieder anfangen, an den Weihnachtsmann zu glauben. Aber wie üblich gelang es mir nicht, ihm länger als ein paar kurze Minuten böse zu sein.
„Manchmal nervst du wirklich, Jorin.“
„Ich weiß, es tut mir auch wirklich ganz ganz ehrlich leid. Verzeihst du mir?“
Wie sollte ich diesem treuen, bettelnden Hundeblick widerstehen? Ich konnte das einfach nicht.
„Na gut…“
„Danke, danke, danke! Ich liebe dich so sehr!“
Er zog mich an sich heran und presste seine Lippen auf die meinigen. Okay, wenn verzeihen immer so angenehme Folgen hatte…
„Ist ja schön, dass ihr euch wieder vertragt, aber wir sollten langsam weiter.“
Hm, schade. Na gut, musste wohl sein. Wir lösten uns voneinander und Jorins rechte Hand gesellte sich wieder zu meiner linken in den Doppelhandschuh.
Der Rest des Weges zum Ferienhaus verlief ohne weitere Überraschungen, Unglücke oder Katastrophen und bald standen wir im Korridor und entledigten uns der Stiefel.
Autor: Mark (eingesandt via Nachricht)
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