Zweite Chance (2) – Kapitel 14
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Kapitel 14 – Bruderfreie Zone
Was bisher geschah:
Hi, ich bins, Felix! Oh … ihr kennt mich nicht? Echt jetzt? Ok, dann nochmal ganz von vorne. Ich bin Felix, naja ok, eigentlich bin ich nichtmal Felix. Im Juli 1996 wurde ich mit dem Namen Giacomo in einer großen Stadt im Rheinland geboren und heute, im Jahre 2014 bin ich schon Elf! Wenn ihr etwas besser in Mathe seid als ich, werdet ihr jetzt bemerkt haben, dass da etwas nicht stimmt. Wenn nicht, dann solltet auch ihr vielleicht nochmal in die fünfte Klasse! Ist witzig! Worum gings grade? Genau! Wieso ich erst 11 bin? Ich habe eine Zeitreise gemacht! Aus dem Jahre 2007 ins Jahr 2014!
Da ist eine Menge passiert! Nun bin ich dauerhaft in der Zukunft, wurde von geheimen Spezialforschern untersucht und das Ich aus dem Jahre 2014, also der Siebzehnjährige Giacomo haben wegen irgendeines Problems sogar kurz Körper getauscht, das heißt, ich war sogar schon mal 17 Jahre alt! Irgendwie.
In der einen Woche, die ich jetzt schon in 2014 bin, ist wirklich krass viel passiert. Fast als erstes habe ich eine der Sachen, die ich mir immer gewünscht habe. Nein, nicht die Legopolizeiwache! Windeln! Ja, schaut nicht so, ich weiß, das ist für einen Elfjährigen eher unnormal ist, aber Pampers sind echt voll cool! Und so trage ich seit sieben Tagen Windeln, sogar rund um die Uhr – wie ich das immer wollte. Auf Klo gehen ist voll out! Jedenfalls heiße ich mittlerweile nicht mehr Giacomo, denn das ist ja offensichtlich mein großer Bruder, also der siebzehnjährige Giacomo. Ich bin jetzt Felix und außer mir, meinem neuen Bruder Giacomo und meiner Mutter weiß auch niemand etwas von meiner Zeitreise, alle denken stattdessen, ich wäre irgendwann 2003 geboren. Ist aber nicht so! Seit Gestern gehe ich auch schon wieder in die Schule und habe auch schon einen neuen Freund gefunden, Fabi. Der könnte auch mal Windeln gebrauchen, finde ich, aber das ist eine andere Geschichte. Wobei, nö, eigentlich nicht, das ist auch diese Geschichte. So, dass wars auch schon! Tschöööö mit ö! Und T, s, c und auch dem h. (:
Kapitel 14:
Während draußen noch der laute, kalte Regen niederprasselte und auch der Wind sein bestes leistete, um den Weg vom Auto zu Fabians Haus ungemütlich zu gestalten, ist es im Eingangsflur, des noch neu riechenden Einfamilienhauses in welchem Fabian offenbar wohnt, wirklich schön warm. Zwar ist der schicke, schwarze Boden unter unseren Füßen, wie auch der in unserer Wohnung, aus Steinfliesen, allerdings sind diese im Gegensatz zu den kalten Dingern bei uns angenehm warm. Vermutlich Fußbodenheizung. Cool.
„Na Fabian, du bist ja früh zurück!“, stellt Fabians Mutter etwas verwundert fest während auch Fabi seine Schuhe abstreift und neben meine stellt. Ein bisschen wie die typische Hausfrauenmutter sieht Fabians Mama aus, mit kurzen aber trotzdem vollen blondgrauen Haaren und passenderweise einer umgebundenen Schürze. Wie die Mütter, die für ihre Familie auch Wochentags um sechs Uhr zum Bäcker gehen und frische Brötchen kaufen, die ihre Kinder dann mit in die Schule nehmen, während ich nur Graubrot als Pausenbrot habe. Voll unfair! Recht alt sieht sie allerdings aus, zumindest verglichen mit Mama. Aber nett wirkt Fabians Mama definitiv und so lege ich meine Schüchternheit ziemlich schnell ab.
„Ja Mama, die Batterien sind schon wieder alle!“, meckert Fabian rum, während er die Box mit seinen Legosachen abstellt, sich anschließend aus seiner Jacke wurschtelt und selbige an der großen Garderobe neben eine pinke Mädchenjacke hängt. „Habt ihr wenigstens Spaß gehabt an eurer Eisenbahn?“, fragt Fabis Mutter
„Ja, wir haben eine Riesenstrecke gebaut …“ „… und das ganze mit einem Computer gesteuert!“ „Mit Überwachungskameras!“, sind nur kleine Ausschnitte aus dem Wortschwall den Fabi und Ich in den nächsten Minuten von uns geben, denn von dieser wirklich verdammt coolen Aktion haben wir einiges zu erzählen! Von dem Computer mit den Kamerabildern, den drei Zügen und den verschiedenen Bahnhöfen in der ganzen Wohnung. Nur Fabians kleinen Unfall lassen wir natürlich weg.
„Dürfen wir denn dann jetzt DS? Bitte? Ich war heute den ganzen Tag noch nicht!“, beendet Fabian schließlich irgendwann unsere Erzählungen während wir mittlerweile in der Küche auf der Eckbank sitzen und warmen Kakao schlürfen.
„Na von mir aus“, antwortet Fabians Mutter leicht resigniert: „Du warst ja heute wirklich den ganzen Tag noch nicht und es regnet ja auch. Und du hast wirklich keinen Nintendo, Felix?“, fragt sie nun mich interessiert.
„Nö“, antworte ich verwundert. Ist das mittlerweile normal, dass man einen DS hat? Vermutlich schon, oder? „Hab keinen“, schiebe ich als Bestätigung noch nach: „Vielleicht wünsch ich mir einen zu Weihnachten.“
„Solange können wir ja mit meinem spielen!“, lautet Fabians Schlusswort, während selbiger bereits eilig von der Eckbank aufspringt und mich mehr oder weniger hinter sich herzieht: „Komm, Knochentrocken machen wir fertig!“, entschließt er während wir die Treppe in den ersten Stock hochstürmen. „Bruderfreie Zone“, prangt auf einem Warnschild an einer der vier Türen im ersten Stockwerk, direkt unter dem Schriftzug „Johanna“, welcher in bunten Holzbuchstaben an der Türe prangt. „Fabian“ steht hingegen auf der Türe, durch welche wir das Zimmer meines gleichnamigen Freundes betreten. Flauschiger Teppichboden begrüßt meine Füße, gefolgt von mehreren Fußballspielern im Nationaltrikot, welche mich aus Postern an der gegenüberliegenden Wand anschauen. Manuel Neuer, Mario Götze und Lukas Podolski der Schrift auf den Postern nach zu deuten. Hey, Poldi kenne ich noch! Aber wo sind Ballack und Olli Kahn abgeblieben?
Offenbar ist Fußball aber nicht das einzige, was Fabian interessiert, denn auch ein paar Poster von schnellen Autos kleben an den mit einer Fußballtapete dekorierten Wänden, ergänzt von einer Reihe großer Modellautos die auf einer Kommode neben dem Bett stehen. Karl wüsste jetzt sicherlich, was für Autos das wären, ich hingegen kann nur vermuten, dass es sich bei einem um einen Ferrari und bei einem anderen um einen Porsche handelt. Generell erinnert das Zimmer etwas an Karls Zimmer, zumindest wenn man von der Größe absieht und davon, dass Fabians Zimmer verglichen mit dem von Karl relativ aufgeräumt ist. Und der PC fehlt!
Zielstrebig geht Fabi nun auf seinen Schreibtisch zu, ein ziemlich großer Tisch aus hellem Holz mit leicht nach vorne angewinkelter Tischplatte dessen Frontseite in erheblichem Maße durch Aufkleber bedeckt ist. Ein FC-Bayern-Logo klebt recht prominent auf einer der drei Schubladen welche Fabian soeben herauszieht, direkt neben einem großen Aufkleber von Donald Duck im Robin-Hood-Kostüm, Asterix und Nemo. Wortlos nimmt der Fünftklässler seinen DS aus der ansonsten mit Spielhüllen gefüllten Schublade heraus und wirft sich dann auf sein Bett als wäre dieses eine Couch. Schnell sitze ich neben meinem neuen besten Freund und noch während der DS hochfährt, überlegen wir uns bereits eine Taktik, um diesmal zu gewinnen. Schnell haben wir beide alles um uns vergessen und sind damit beschäftigt, diesmal nicht als Verlierer aus der Partie hervorzugehen bis wir irgendwann von der Haustürklingel aufgeschreckt werden.
„Ach, das ist bestimmt Papa der Johanna vom Reiten abgeholt hat!“, antwortet mir Fabian auf meinen fragenden Blick, bevor er das nächste Minispiel startet und mir die kleine Spielkonsole in die Hand drückt, TNT-Lunte-Bomben-Nicht-Explodieren-Lassen. Keine Ahnung, wie das wirklich heißt! Meine Freude an dem Minispiel währt allerdings nur kurz.
„Hi Fabi!“, hören wir aus dem Flur, kurz bevor sich Fabians Zimmertüre öffnet und zu unserer Überraschung nicht dessen kleine Schwester sondern Robin, das Zimmer betritt.
„Was machst du denn hier?“, fragt Fabian ziemlich verwundert und auch ich bin erstaunt, wo denn der Sechstklässler mit den ständig offenen Schnürsenkeln auf einmal herkommt.
„Naja, ich darf wegen Latein diese Woche nicht mehr DS und bei dem Regen wars draußen auch kacke und da hab ich gedacht, schau ich mal bei dir vorbei!“, erklärt selbiger, während er offensichtlich etwas verwundert über meine Anwesenheit ist, erstmal schüchtern im Zimmer herumsteht und mit seinem rechten Fuß verlegen auf dem Boden herumfährt und so eine 8 in den Teppich malt: „Ach und hi Felix! Gehts deinem Kopf wieder besser? “
„Hi! Ja, alles wieder gut“, antworte ich und tippe mir neben die kleine verbliebene Beule auf die Stirn während die Bettnässerunterlage über Fabis Matratze raschelt als Robin sich neben mich aufs Bett setzt. Klingt genau so wie die Unterlage auf meiner neuen Matratze und auch Robin ist dieses Geräusch offenbar schon gewohnt.
„Was spielt ihr?“, fragt Robin ziemlich interessiert während er auf den im Pausemodus wartenden DS zwischen meinen Händen blickt. „Marioparty. Bob-Omp“, klärt Fabian ihn auf, während ich die Pause-Taste erneut drücke und mich darauf konzentriere im richtigen Moment die A-Taste zu drücken.
„Kann ich gleich auch mal?“, fragt Robin kurz darauf mit einem leicht ungeduldigen Ton.
„Ich dachte, du darfst diese Woche nicht DS?“, kommt von Fabian als Antwort zurück.
„Du sollst nicht denken, das klappt nicht so gut!“, schlägt der Zwölfjährige verbal zurück: „Bitteee!“, fügt er am Ende noch an.
„Ok, aber wehe du verkackst!“, stellt Fabian als Bedingung, während die Bombe platzt, kurz nachdem ich sie Peach zugeworfen habe.
„Boah, das war knapp!“, stellt Robin fest und Fabian präzisiert das Ganze mit „verdammt knapp!“.
„Hab ich gut gemacht, oder?“, frage ich nicht ohne Stolz, während ich den DS zu Robin reiche, welcher nun unseren Yoshi weiter übers Spielfeld wandern lässt. Fabian stellt derweil fest, dass er gar nichts vom Spiel sehen kann wo der DS nun in den Händen des quirligen Sechstklässlers liegt und kniet sich kurzerhand zwischen mich und Robin auf sein Bett um zwischen unseren Köpfen hindurchzuschauen. Mal wieder Bootsrennen. Haarscharf nimmt der Zwölfjährige jede Kurve des Rundkurses an ihrer engsten Stelle und oft denke ich, dass er gleich gegen eine der Wasserpylonen fährt, so knapp sind seine Manöver. Er fährt beinahe so wie Karl vor ein paar Tagen in World Racing gefahren ist. Also abgesehen davon, dass es hier um Boote geht.
Da schnell klar wird, das Robin das Rennen eh im Griff hat, schweifen sowohl mein Blick als auch meine Gedanken schnell wieder ab vom Minispiel und meine Sinne fahren damit fort, womit sie aufgehört haben, bevor wir mit dem Videospiel begonnen haben: Fabians Zimmer. Gleich an zwei Seiten des Raumes sind große Fenster in der Wand, sodass es wirklich schön hell in dem Zimmer ist, selbst während es draußen in Strömen regnet. Das große Regal neben der Türe, genau gegenüber vom Bett beherbergt viele durchsichtige Plastikkisten mit unterschiedlichem Inhalt, Lego, Spielzeugautos, aufgebaute Lego-Technik-Kreationen, Bücher aber auch eine größere Auswahl an Fußbällen.
Während Robin mittlerweile in der vorletzten Runde angelangt ist, wird meine Pampers plötzlich warm. Ich musste mal, und noch bevor mir das ganz bewusst geworden ist, habe ich da unten auch schon alle Schleusen geöffnet und lasse den leckeren Kakao von eben wieder aus mir hinaus und in meine flauschige Windel hineinlaufen. Noch während sich das warme Pipi in Richtung meines Pos ausbreitet fällt mir auf, dass hier ja grade ein Schulkamerad neben mir sitzt, jemand vor dem ich meine Windeln ja eigentlich geheim halten wollte. Nun aber sitze ich neben Robin und habe eine wie immer schon ziemlich nasse Windel um und nicht etwa eine – sofern man sie rechtzeitig wechselt – ziemlich unsichtbare Drynites. Eine unbeachtete Bewegung und meine Windel könnte zum Vorschein kommen, wie im Ikea mit Fabian vor ein paar Tagen. Wenn ich mich jetzt zu weit nach vorne beuge zum Beispiel. Oder wenn die Windel voller wird und man wieder eine Beule in meinem Schritt sieht. Oder am Po. Ein mulmiges, unwohliges Kribbeln kommt in meinem Bauch auf, so wie immer, wenn ich darüber nachdenke, wer meine Pampers eigentlich sehen könnte. In solchen Momenten würde ich gerne aufstehen und mir das coole Ding da einfach ausziehen und wieder eine Unterhose tragen. Aber das will ich nicht!
So ein Body, wie ich ihn demnächst in der Schule tragen soll, wäre jetzt echt praktisch, wobei auch der nicht helfen würde, wenn meine Pampi nachher noch dicker und schwerer zwischen meinen Beinen hängt – glaube ich zumindest. Was kann ich jetzt tun, um die Pampers sicher vor Robin zu verbergen? Tshirt in die Hose stopfen damit sich da kein Spalt bilden kann? Und was ist, wenn die Windel später dicker geworden ist? Die Lage sieht nicht gut aus für mich und je länger ich darüber nachdenke, desto schlechter wird es. Wie vor kurzem im Englischunterricht.
„Beeil dich!“, flüsterte mir Karl erneut sehr aufgeregt zu, während eine Hand schon leicht an seinem Englischheft zog, denn genau so wie ich Interesse daran hatte, nicht beim Abschreiben meiner Englischhausaufgaben erwischt zu werden hatte er Interesse daran, nicht dabei erwischt zu werden, wie er mir das Material zum abschreiben lieferte. Denn unsere Englischlehrerin bestrafte beide, mit der blöden Begründung, dass sie ja nicht wissen könnte, wer abgeschrieben hatte und von wem das Original kam. Nun befanden wir uns mittlerweile in der Hausaufgabenkontrolle und besagte Lehrerin war nur noch acht Tische von unserem gemeinsamen Tisch entfernt während ich mit meinem Füller hastig ein „b)“ aufs Papier brachte. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen, wurde mir immer bewusster. Ich hatte die Hausaufgaben nicht gemacht, die verbleibenden Sekunden bis zur Kontrolle reichten nicht mehr aus um diese abzuschreiben und die Möglichkeit einer Zeitreise war mir damals noch gänzlich unbekannt. Langsam resignierend setzte ich den Füller ab, legte ihn auf der Tischmitte ab und klappte mein Englischheft wieder zu. Ein weiterer Hausaufgaben-vergessen-Strich. Erleichtert zog auch Karl sein Englischheft hastig wieder in seine Tischhälfte zurück, war doch zumindest er nun sicher, keine Strafe aufgebrummt zu bekommen.
Wenn ich darüber nachdenke bin ich vielleicht ganz gut darin, zu erkennen, wann meine Chancen aussichtslos sind. In dieser Englischstunde waren sie es und ziemlich sicher sind sie es auch jetzt bei dem Unterfangen, meine Windel vor Robin zu verbergen. Er wirkt auch nicht wie jemand, der einen deswegen auslachen würde, grade wenn ich daran denke, wie er sich um mich gekümmert hatte, als ich gegen die Glastür geknallt bin und auch zu Fabian ist er nett gewesen, als dieser eine nasse Hose hatte. Langsam löst sich meine Anspannung wieder und ich richte mich darauf ein, alles wie immer zu machen.
Derweil ist Robin in der letzten Runde angelangt, Fabian schaut ihm immer noch gespannt über die Schulter und auch ich schüttele die Gedanken wieder aus meinem Kopf heraus und lasse mich wieder auf die Mario-Party-Party ein. Eine letzte Kurve und schon ist das kleine Miniboot auch schon durchs Ziel durch. „Ich sag doch, das ist kein Problem!“, resümiert Robin während er den DS wieder an Fabian weitergibt: „Bootsrennen ist echt einfach.“
„Hast du meine Filzer genommen?“, wird unsere kleine Runde allerdings jäh unterbrochen, bevor wir unseren Sieg gebührend zelebrieren können und zwar durch ein plötzlich in Fabians Zimmer hereinplatzendes Mädchen. Wenn ich richtig kombiniere wohl Fabis Schwester Johanna. Genau so blonde Haare wie Fabian, nur mit einem Zopf hinten, ein bisschen so wie man sich das bei Rapunzel vorstellt. Und einen ziemlich grimmigen Gesichtsausdruck: „Ich weiß, dass du sie hast!“
„Was will ich mit deinen blöden Glitzerstiften?“, verteidigt sich Fabi ebenso erbost und laut.
„Natürlich hast du die! Du warst doch auch schon neidisch als ich die geschenkt bekommen hab und du nicht!“, beharrt Johanna während sie ihre Arme verschränkt. Gleichzeitig kommt ein kichern von Robins Seite.
„Hä stimmt gar nicht, ich hab dir direkt gesagt die sind voll peinlich!“, wehrt sich selbiger.
„Hast du gar nicht! Und musst du grad sagen!“, keift besagtes Mädchen zurück. Ich sags ja, Mädchen sind doof!
„Hab ich wohl!“, beharrt Fabi.
„Nein! Du weißt dass ich recht hab!“
„Hast du überhaupt nicht!“, schreit mein neuer bester Freund zurück und lässt seine Spielkonsole dabei unachtsam auf den Boden fallen: „Und jetzt raus aus meinem Zimmer, du nervst!“
„Du hast mir gar nichts zu sagen! Ich bleibe hier bis du mir meine Filzer wiedergibst!“, macht Johanna ihren Standpunkt klar, während sie mit ihrem linken Fuß auf den Boden stampft. Oh man, ich bin echt froh, dass ich keine kleine Schwester habe!
„Ich bin dein älterer Bruder, ich trage die Verantwortung. Natürlich hab ich was zu sagen!“, beharrt Fabian und ich finde, damit hat er Recht.
„Ja und“, fragt dessen kleine Schwester frech zurück, während sie bereits die Schubladen des großen Schreibtisches durchwühlt: „Maaamaaaaaaaa, Fabian hat meine Filzer geklaut!“, ruft sie währenddessen in Richtung Erdgeschoss und kurz darauf steht bereits die Mutter der beiden in der Türe, während Robin und Ich immer noch unbeteiligt auf dem Sofa herum sitzen und versuchen, möglichst nicht in den Streit hineinzugeraten.
„Was ist denn hier schon wieder los?“, fragt Fabians Mama fachmännisch: „Und einer nach dem anderen. Johanna?“
„Mama! Fabian hat mir meine Filzer geklaut! Bevor ich zum reiten bin lagen die noch bei mir auf dem Tisch und jetzt sind sie einfach weg!“
„Hab ich gar nicht!“, ruft Fabian immer noch ziemlich aufgebracht zurück. Kurz ist es still, dann setzt Fabian aber wieder zum reden an: „Hä? Bevor du zum reiten bist? Da war ich doch gar nicht mehr zu Hause du dumme Kuh!“, setzt er dahinter und spricht nun zwar in der Anwesenheit seiner Mutter wieder merklich leiser, kann sich die Beleidigung in Richtung seiner kleinen Schwester aber wohl nicht verkneifen. Oh man, die scheinen sich ja echt zu mögen!
„Ein wasserdichtes Alibi“, kommentiere ich. Oh man Felix, einmal die Klappe halten! Kommt mir direkt danach als Gedanke während Johanna nun mich ziemlich böse anstarrt. Ist doch so!
„Siehst du!“, grinst Fabian nun während seine Schwester grade damit beschäftigt ist, nichts zu sagen.
Ein paar Minuten später, sind die beiden wieder aus Fabians Zimmer raus und auch Johanna hat sich schnell wieder abgeregt und Fabian ein erstaunlich ehrliches „Entschuldigung!“ entgegengebracht. Aber so ist das wohl häufig bei Geschwistern, dass die sich streiten und dann direkt wieder vertragen. Also außer bei mir und Giacomo, aber wir sind ja auch keine echten Geschwister.
„Oh man“, kommentiert Robin nur während Fabians mobile Spielekonsole wieder ihren Weg in die Hände desselben findet und dieser sein Glück und Können im nächsten Minispiel herausfordert. Unterdessen stehe ich langsam vom Bett auf und schaue mir Fabians Zimmer genauer an, während dieser unseren Yoshi durch ein weiteres Minispiel lotst. Auf Dauer wird das Zuschauen halt doch langweilig. Ein paar Pokale von Fußballturnieren stehen ganz oben auf dem Regal in der Nähe des Schreibtisches, Pokale, wie ich sie auch mal hatte. Oder immer noch habe? Danach muss ich mal Giacomo fragen. Ein paar bronzene Pokale säumen das Regalbrett, einige silberne und ein einziger in goldener Farbe. Turniersieger. Interessiert strecke ich mich nach dem goldgelben Kelch und schaffe es auf Zehenspitzen stehend auch so grade, diesen zu erreichen. „F-Junioren Turnier 2014, Platz 1“, steht auf dem kleinen Schild am Standfuß, zusammen mit dem Namen von Fabians Mannschaft. Geistesabwesend stelle ich den Pokal auf Fabis Schreibtisch ab und schaue die beiden DS-Spieler an. Von den beiden DS-Spielern scheint allerdings nur noch Fabi zu spielen, Robin hingegen starrt grade wo anders hin. Auf mich!
„Hö? Is was?“, frage ich den Sechstklässler der aussieht als hätte er einen Geist gesehen so eben.
„Ähhh“, antwortet mir dieser: „Nö, nix. Hab mir nur den Pokal angeschaut“, bevor er seinen Blick wieder schüchtern zu Fabians Spielkonsole richtet. Unbeirrt durch das komischen Verhalten von Robin setze ich meine Erkundungstour fort und gehe zielstrebig am großen Schrank mit Spiegeltüre vorbei und auf die Lego-Technik-Modelle meines neuen Freundes zu. Ein rotes Feuerwehrauto sticht direkt ins Auge, mit Drehleiter. Vorsichtig nehme ich das Ding aus seinem Regalplatz zwischen dem Kran und einem insektenartigen Ding heraus. Nicht vorsichtig genug allerdings, denn während ich die Drehleiter in der Hand halte, klappt sich diese in drei Stufen auf und lässt den Rest des Feuerwehrautos auf den flauschigen Teppichboden knallen: „Upsi“, kommentiere ich peinlich berührt, muss allerdings feststellen, dass der Besitzer des Feuerwehrautos immer noch in sein Minispiel vertieft ist und das Robby über mein Missgeschick nur leicht kichern muss. Ist ja witzig, eine ausklappbare Drehleiter! Fasziniert knie ich mich neben das für Lego-verhältnisse riesige Feuerwehrauto und inspiziere es genauer. Wie echte Feuerwehrautos hat es an den Seiten ausfahrbare Stelzen um dem Ding zusätzlichen Halt zu geben wenn die Drehleiter ausgefahren ist. Die müssen jetzt natürlich auch ausgefahren werden, Ordnung muss sein! Nachdem nun auch die Pfeiler des Wagens richtig stehen, mache ich mich daran, auch die überaus lange Drehleiter in eine passende Position zu bringen. Schade, dass ich da jetzt keinen Feuerwehrmann zum draufsetzen habe. Gibt es überhaupt Legomenschen in Lego-Technik Größe? Die normalen Lego-Männchen wären ja ein bisschen klein für das Modell. Wobei, wäre auch witzig, so kleine Schlümpfe dann, hihi.
So, die Leiter steht auch. Und das Modell immer noch, obwohl die Leiter riesig in Fabis Zimmer hineinragt, Kippt das Modell nicht um. Sowas will ich auch! Fasziniert beobachte ich die Standfestigkeit des Feuerwehrautos auch im Spiegel des Kleiderschrankes an welchen die Leiter fast heranragt während ich diese drehe. Sieht echt witzig aus! Klack. Das War der Spiegel. War wohl doch etwas zu nah. Während ich die Spiegelung des großen roten Legogebildes weiter anschaue, erhascht etwas anderes meine Aufmerksamkeit im Spiegel. Nicht etwas, sondern jemand. Robbys Augen sind wieder direkt auf mich gerichtet. Erstaunen, liegt in seinem Blick, erstaunen und Neugier. Nicht lange allerdings, denn kurz nachdem ich bemerkt habe, dass Robin mich anschaut, hat er auch bemerkt, dass ich ihn bemerkt habe, und so wandert sein Blick wieder auf Fabians DS, wie eben peinlich berührt und leicht schüchtern. Was ist mit dem denn heute los?
Während ich noch über das Verhalten des coolen Sechstklässlers grübele, fällt mein Blick auf mein Spiegelbild und mir wird schlagartig klar, wieso Robin mich so entgeistert angestarrt hatte. Ja, richtig geraten. Meine mittlerweile mal wieder ziemlich nasse Pampers. Ich knie auf dem Teppich. Und natürlich ist mein Tshirt dabei nach oben gerutscht und hat dabei meine Windel unübersehbar freigelegt. Und eben als ich mich nach dem Pokal gestreckt hatte, ist mein Tshirt vermutlich ebenfalls nach oben gerutscht. Ok, dann weiß Robin jetzt wohl von meinem kleinen Geheimnis. Das ging schneller als erwartet. Was er wohl davon denkt? Im Gegensatz zu Fabian spricht er mich jedenfalls nicht direkt darauf an.
„Boah, das war knapp!“, stellt Fabi fest, der wohl als einziger auf den DS geachtet hat in den letzten zwei Minuten: „Hab ich das nicht gut gemacht?“, fragt er den neben ihm sitzenden Zwölfjährigen.
„Ja“, antwortet dieser leicht Geistesabwesend.
„Felix, was machst du mit meinem Lego?“ schiebt Fabian direkt nach.
„Habs mir nur angeschaut“, wehre ich ab und falte die Leiter eilig zusammen: „Ist nix kaputt gegangen, wirklich!“, kommentiere ich noch während ich das Ding wieder vom Boden aufhebe und an seinen Regalplatz zurückstelle. In dem Moment spüre ich, wie mein Tshirt sich erneut hochzieht und ich weiß, dass der Rand meiner Pampers grade sichtbar ist: „DS ist irgendwie langweilig, wollen wir was anderes machen?“, frage ich Fabian dabei.
„Ja, zu dritt ist das echt nicht so cool“, stimmt mir Fabian zu und ich kann kurz darauf hören, wie dieser seine Spielkonsole zuklappt bevor ich mich selbst wieder umdrehe. Mal wieder, sind die beiden grünen Augen von Robin auf mich gerichtet. Scheint ihn wohl echt zu beschäftigen, das mit meiner Pampers.
„Was wollen wir jetzt machen?“, frage ich während ich mich wieder neben Robin aufs Bett werfe.
„Hm. Wir hatten doch Carrerabahn überlegt?“, erinnert sich Fabi.
„Stimmt!“, platzt es aus mir heraus.
„Das ist zu dritt sogar noch besser!“, lässt sich Fabi von seinem Vorschlag begeistern während Robby weiterhin eher still ist.
„Ja dann komm!“, rufe ich mit Begeisterung und springe ruckartig vom Bett auf: „Wo ist das Ding?“, frage ich Fabi.
„Ähmmmm …“, kommt von dem nur als Antwort, scheinbar hat er, obwohl sein Zimmer verglichen mit meinem ziemlich ordentlich ist nicht den wirklichen Durchblick über seine Sachen: „Ich frag mal Mama.“
„Maamaaaaaaaaa?“, ruft Fabian. Während er seine Zimmertüre öffnet und in den Flur geht. „Ja, mein Großer?“, schallt es als Antwort aus der Küche. Hihi, Großer. Ich werd immer nur Kleiner genannt.
„Weißt du, wo meine Carrerabahn ist?“, fragt Fabian, während er den Geräuschen nach zu urteilen die Treppe herunterläuft. Echt witzig wäre es, wenn Fabi nun bei seiner Schwester ins Zimmer platzen würde und diese beschuldigen würde, seine Carrerabahn geklaut zu haben. Macht er aber nicht.
„Sag mal, kann ich dir mal eine Frage stellen?“, fragt der immer noch auf dem Bett sitzende Robin nun zögerlich während ich mich wieder neben diesen aufs Bett fallen lasse und mich diesmal mit dem Oberkörper hinlege um die fluoreszierenden Plastiksterne an der Decke zu betrachten. Solche bräuchte ich auch, dann wäre es nachts nicht so dunkel in meinem Zimmer!
„Klaro“, antworte ich gespannt.
„Äh, findest du das auch komisch, dass Fabian sich noch so oft in die Hose macht?“
Hm, ich hatte jetzt eher eine Frage zu meiner Windel erwartet: „Weiß nicht. Is mir noch nicht aufgefallen.“, antworte ich. Stille. Robin scheint die ganze Situation ziemlich peinlich zu sein und auch ich bin aufgeregt. Aufgeregt wie man bei einem gruseligen Moment im Fernsehen ist. Man weiß, dass gleich etwa spanendes passiert und man will einfach dass es sofort passiert damit der Moment in dem man sich erschreckt endlich vorbei ist weil man so aufgeregt ist: „Ist schon ok. Ich weiß, dass du es gesehen hast“, antworte ich Robby daraufhin während ich krampfhaft die Sterne anschaue um nicht den Gesichtsausdruck meines Gesprächspartners zu sehen.
„Ähm“, antwortet Robin: „Du trägst eine Windel, oder?“
„Ja.“
„Wieso?“, ist alles, was Robin daraufhin fragt.
„Ist ne lange Geschichte“, fange ich an: „Ohne die Dinger wäre das Bett hier jetzt vermutlich nass, du weißt schon. Brauche die“, antworte ich, und füge noch ein: „leider.“ hinzu. Nix leider!
„Immer?“, fragt Robin daraufhin.
„Ja. Und bevor du fragst: Ja, auch in der Schule. Da hab ich die allerdings was besser versteckt. Wäre ja beschissen wenn das da jemand sehen würde!“
„Stimmt“, pflichtet mir der Sechstklässler zu: „Wie ist das so? Immer Windeln zu tragen?“, fragt er weiter während sich unsere Anspannung langsam löst.
„Och“, antworte ich und denke nach. Was antworte ich hierauf am besten? „Keine Ahnung. Normal. Ich trag die Dinger ja immer, kenn das doch gar nicht anders. Wie fühlt es sich denn an, keine zu tragen?“
„Ähhhh“, antwortet Robby daraufhin: „Normal halt.“, worauf wir beide loskichern. Robin hat keinerlei Erfahrung mit Windeln und ich gebe vor, noch nie eine Unterhose getragen zu haben und so können wir dazu wohl beide nichts zu sagen.
„Soviel dazu“, stelle ich fest: „Aber keine Ahnung … ist nichts besonders tragisches. Wie gesagt, normal für mich.“
„Merkst du denn, wenn du aufs Klo musst?“, fragt Robin weiter: „Wenn meine Fragen scheiße sind, sag bescheid. Sorry, hab sowas halt noch nie gesehen.“, schiebt er noch hinterher.
„Dann bräuchte ich wohl kaum Windeln, oder? Ne, ich merks erst wenns zu spät ist.“
„Oh, das tut mir Leid.“
„Geht“, antworte ich: „Gibt Schlimmeres.“ Sehr viel Schlimmeres. Keine Windeln zu tragen zum Beispiel!
„Wo bleibt Fabi eigentlich?“, dreht nun Robin das Thema um: „Der wollte doch nur schnell seine Carrerabahn holen!“
„Keine Ahnung, vielleicht hat er sich verlaufen?“, scherze ich.
„Oder wurde von einem Drachen gefressen. Oder noch schlimmer, von Johanna!“
„Oder er hat sich in die Hose gemacht“, scherze ich weiter.
„Ey, das war gemein“, zügelt der schwarzhaarige Sechstklässler mich während er aber selbst kichern muss. Ja, das war wirklich ein bisschen gemein. Tschuldigung, Fabi.
„Hey, ich trag Pampers, ich darf darüber Witze machen!“, bringe ich zu meiner Verteidigung hervor. Man, hätte ich statt Pampers nicht wenigstens Windeln sagen können? Das klingt ja nur noch peinlicher so!
„Hm, vielleicht wäre das auch was für Fabi“, antwortet mir Robin daraufhin während wir immer noch lachen.
„Aber Hauptsache ich bin gemein, hm?“, verteidige ich meine unüberlegt getätigte Aussage und schubse Robin scherzhaft zur Seite.
„Ja, bist du!“, beharrt Robin immer noch kichernd während er vom Bett aufsteht: „Komm Kleiner, lass mal nach Fabi schauen“, schlägt er vor.
„Ok“, stimme ich zu: „Wieso nennst du mich eigentlich immer Kleiner?“, klage ich ihn allerdings direkt darauf an während wir Fabis Zimmer ebenfalls verlassen.
„Keine Ahnung. Weil du klein bist! Du bist sogar noch kleiner als Fabian!“
„Bin ich nicht! Ok. Aber nur ein bisschen. Außerdem bist du auch nicht grade nen Riese!“, verteidige ich mich.
„Ich bin sieben Zentimeter Größer als Fabian, also bestimmt zehn Zentimeter Größer als du!“
„Ja und? Du bist ja auch schon älter! Ich bin nächstes Jahr bestimmt auch mindestens so groß wie du!“, verteidige ich mich.
„Hättest du wohl gerne! Glaub ich nicht!“, antwortet mir Robin daraufhin kampflustig während er die Treppe herunterläuft.
„Hey, pass doch auf!“, ruft ihm Fabian entgegen, woraufhin Robby nur ein verwundertes „Ohaa!“, entweicht während er reflexartig nach links ausweicht um nicht über den mit einem Karton in den Händen aus dem Keller hochlaufenden Fabian zu stolpern.
„Das hat aber lange gedauert!“, stelle ich fest nachdem Robin sich wieder gefangen hat.
„Ja, die Carrerabahn war noch in den Umzugskartons vom alten Haus“, erklärt Fabian während er die Treppe hochstapft. Da hätten wir lange suchen können! Zum Glück wusste Mama das noch.
„Das war echt cool als du noch in Schweinfurt gewohnt hast!“, klinkt sich Robin daraufhin ein.
„Ja“, antwortet Fabian: „Aber ihr zieht ja jetzt auch endlich um! Dann wohnen wir wieder fast nebeneinander! Wollen wir ne acht bauen? Dann können die wagen in der Mitte crashen!“, lenkt er das Gespräch wieder auf die Carrerabahn.
„Boah wie cool!“, freue ich mich. Autocrashs fand ich schon immer cool!
Ziemlich schnell bauen wir zu dritt die Bahn auf, mitsamt schiefer Kurven und dazu passender Pfeiler, noch bevor wir die Autos allerdings losflitzen lassen können, werden wir erneut durch die Türklingel unterbrochen. „Ach, das ist bestimmt Papa“, vermutet Fabi wieder und wieder liegt er damit falsch, denn diesmal steht Robins Vater in der Türe.
Autor: giaci9 (eingesandt via E-Mail)
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