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Florians Schatten (24)

08/07/2025 10 comments Article Jungs, KI Geschichten michaneo

Dieser Eintrag ist Teil 24 von 25 der Serie Florians-Schatten
Windelgeschichten.org präsentiert: Florians Schatten (24)

Annette schaute mich sofort an, als ich das gefragt hatte. Ich sah, wie ihre Augen groß wurden, aber nicht böse. Nicht wie Mamas Augen früher, wenn ich was gefragt hab, was ich nicht sollte.
„Ach, mein Schatz…“, sagte sie leise. Ihre Stimme klang weich, so wie wenn sie mir was ganz Wichtiges erzählen will.
Ich spürte, wie meine Finger sich fester in Pandi klammerten. Mein Herz klopfte immer noch schnell. Und in meinem Bauch war so ein komisches Gefühl, als wäre ich ganz leicht und gleichzeitig ganz schwer.
Annette legte ihre Hand auf mein Knie.
„Florian, hör mal… du musst keine Angst haben vor der Polizei. Die Polizei ist dafür da, um den Menschen zu helfen. Nicht, um Kinder wegzunehmen.“
Ich schluckte. Ich wusste nicht, ob das wirklich stimmt. Mama hat immer gesagt, dass sie die Polizei holt, wenn ich wieder alles falsch mache. Wenn ich nicht so bin, wie ich soll. Wenn ich nerve oder zu viel frage oder nicht aufhöre zu weinen. Dann würden die kommen und mich mitnehmen, weil ich halt ein schlechtes Kind bin. Weil ich’s verdient hab.
Annette schaute mich immer noch an, ganz ruhig.
„Weißt du, warum du jetzt denkst, dass die Polizei dich abholt?“, fragte sie leise.
Ich zuckte nur mit den Schultern. Ich wusste nicht, ob ich das überhaupt erzählen darf. Oder ob das dumm klingt.
Aber Annette wartete. Nicht böse, nur geduldig.
„Mama hat das immer gesagt“, flüsterte ich schließlich. „Wenn ich nicht mache, was ich soll… dann holt sie die Polizei. Dann muss ich ins Kindergefängnis.“
Meine Stimme zitterte. Ich spürte, wie mein Gesicht ganz heiß wurde.
Annette atmete tief ein, aber sie sagte nichts Schlimmes. Sie zog mich ein Stück zu sich und nahm mich in den Arm.
„Ach, mein kleiner Schatz… das war nicht richtig von deiner Mama, dir das zu sagen. Es gibt kein Kindergefängnis und die Polizei kommt nicht, um kleine Jungs mitzunehmen, weil sie nicht immer alles richtig machen. Die Polizei kommt nur, wenn jemand wirklich in Gefahr ist oder wenn jemand Hilfe braucht. “
Ich drückte mein Gesicht in ihren Pulli. Da roch es so gut und vertraut.
„Aber… sie sind jetzt da“, murmelte ich leise.
„Ja, das stimmt“, sagte Annette ruhig. „Aber sie suchen auf dem Hof  nach etwas ganz anderem. Nicht nach dir. Und du hast auch nichts falsch gemacht. Du musst dir keine Sorgen machen, mein Schatz.“
Sie streichelte mir über den Rücken, ganz langsam.
„Die Polizei ist nicht dein Feind. Sie ist dafür da, damit alles wieder gut wird.“
Ich schluckte wieder. Ich wollte ihr glauben. Aber in meinem Bauch war immer noch dieses komische Gefühl.
Annette drückte mich noch einmal fester an sich.
Und in dem Moment fühlte ich mich ein kleines bisschen sicherer. Auch wenn die Angst noch da war.
Annette:
Ich hielt Florian einfach nur fest in meinen Armen. Er war so klein in diesem Moment, so zerbrechlich. Sein Kopf lag schwer an meiner Brust, und seine kleinen Finger hatten sich in meinen Pulli gekrallt, als würde er untergehen, wenn er loslässt. Als könnte allein mein Stoff verhindern, dass die Welt ihn wieder verschluckt.
Mein Herz wurde schwer. Es war dieser stille, hilflose Klammergriff, der mehr sagte als jedes Wort. Wie konnte man einem Kind wie ihm – einem Kind, das einfach nur geliebt werden will – beibringen, dass die Polizei kommt, um es zu holen, wenn es nicht „funktioniert“?
Ich konnte es nicht begreifen.
Was ist bei seinen Eltern bloß so furchtbar schiefgelaufen, dachte ich, dass sie so etwas in sein kleines Herz gepflanzt haben?
Wie tief muss die eigene Ohnmacht, die eigene Wut sitzen, um ein Kind glauben zu lassen, dass es abgeschoben gehört, wenn es traurig ist? Oder laut? Oder einfach nur… ein Kind?
Er war doch in so vielem noch fast ein Kleinkind – in seinem Blick, in der Art, wie er sprach, wie er Nähe suchte. Und trotzdem hatte man ihn eingeschüchtert. Ihm eingeredet, dass er ins Kindergefängnis kommt, wenn er nicht gut genug ist. Wenn er „nervt“. Wenn er zu viel ist.
Es machte mich wütend. Aber noch mehr machte es mich traurig.
Ich streichelte ihm sanft den Rücken. Immer wieder, in ruhigem Rhythmus. Nicht weil ich glaubte, dass es die Angst sofort vertreiben würde – sondern weil ich wollte, dass er spürt: Jetzt ist jemand da.
Ich bin da. Und ich bleibe.
Ich sagte nichts. Worte hätten nichts bewirkt in diesem Moment. Aber meine Arme, mein Atem, mein ruhiger Herzschlag – vielleicht war das genug, um ihm für diesen Augenblick ein kleines bisschen Sicherheit zu geben.
Ich werde ihm jeden Tag zeigen, dass er keine Angst mehr haben muss.
Dass man ihn nicht bestraft, wenn er Fehler macht.
Dass Liebe nichts kostet.
Dass er nichts leisten muss, um bleiben zu dürfen.
Ich senkte den Kopf und küsste ihn sanft auf die Stirn.
Er roch nach Kind – nach Shampoo, Wärme, Leben.
Und in diesem Moment wusste ich wieder ganz genau, warum ich das alles tue.
Dann – ein Klopfen.
Leise, aber bestimmt. Drei Schläge, nicht laut, und doch reichten sie aus, um alles in ihm zu erschüttern.
Ich hob den Kopf – automatisch, wie auf Kommando. Mein Körper spannte sich, als hätte mich jemand bei der Hand gepackt. Und noch bevor ich richtig reagieren konnte, spürte ich es.
Florian zuckte zusammen. Nicht sichtbar für andere – aber ich, die ihn hielt, ich spürte es ganz genau. Sein kleiner Körper versteifte sich schlagartig, als hätte das Geräusch einen Schalter in ihm umgelegt. Und dann begann er zu zittern. Ganz leicht zuerst. Fast unmerklich. Aber es war da – dieses feine, angespannte Beben unter meiner Hand, das mir verriet: Seine Angst war nicht verschwunden. Sie hatte nur kurz geschlafen.
Er rückte noch näher an mich heran, klammerte sich an meinen Pullover, als wollte er sich darin verkriechen. Sein Kopf vergrub sich tiefer in meiner Brust. Er sagte kein Wort – aber er musste es auch nicht. Ich spürte ihn. Spürte, wie groß seine Angst gerade wieder war. Und dass sie ihn fast überrollte.
Bitte nicht jetzt, dachte ich. Nicht jetzt, wo er gerade ein kleines Stück Vertrauen gefasst hat. Nicht, wo sein innerer Sturm für einen Moment still geworden war.
Ich zwang mich zu einem ruhigen Tonfall.
„Nur die Visite, mein Schatz“, flüsterte ich ihm zu, ganz nah an seinem Ohr. Sanft. Ruhig.
Und doch pochte mein eigener Puls schneller, als ich es mir eingestehen wollte.
Nicht wegen des Klopfens. Sondern wegen dem, was es mit ihm gemacht hatte.
Die Tür öffnete sich leise. Schwester Laura trat als Erste ein – dieselbe, die uns gestern auf der Kinderstation empfangen hatte. Ich mochte sie. Sie hatte diese ruhige, unaufgeregte Art, die man in einem Krankenhaus nicht oft findet. Gestern hatte sie uns mit einem Blick signalisiert, dass wir willkommen sind – heute wirkte sie vorsichtig, fast zärtlich, als sie das Zimmer betrat.
„Guten Morgen, Frau Wagener“, sagte sie leise, während ihr Blick zu Florian wanderte.
Er stand vor mir, mit dem Rücken zur Tür, tief in meinen Armen vergraben. Er hatte sich keinen Zentimeter bewegt, nicht einmal den Kopf gehoben, um zu sehen, wer hereinkam. Seine kleinen Hände klammerten sich immer noch an mein Shirt, seine Stirn lag schwer an meiner Schulter. Ich spürte, wie er ganz leicht zitterte. Er hatte das Klopfen nicht nur gehört – er hatte es gespürt. Und es hatte etwas in ihm ausgelöst, das noch immer nicht abgeklungen war.
Hinter Schwester Laura betrat eine ältere Pflegerin mit randloser Brille das Zimmer – streng im Auftreten, aber nicht abweisend. Ihre Bewegungen waren geübt, ruhig. Schwester Kerstin, wie ich später erfuhr.
Dann folgten zwei weitere Frauen. Eine jüngere mit klarem, wachem Blick und einer feinen, hellen Bluse unter dem Kittel. Und schließlich eine Frau Mitte vierzig, mit einer aufmerksamen Ausstrahlung, ruhig, präsent, aber nie aufdringlich.
Sie trat ein paar Schritte vor, sah sich kurz im Zimmer um – ohne Hast, ohne Unruhe – und wandte sich dann mir zu.
„Guten Morgen, Frau Wagener“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Ich bin Dr. Schneider, Kinderärztin. Das sind Schwester Laura, Schwester Kerstin und Frau Mangold, unsere Kinderpsychologin.“
Dann blickte sie zu Florian – nicht direkt, sondern mit einem feinen Gespür für die Distanz, die er brauchte.
Ihre Stimme wurde noch sanfter.
„Und du bist bestimmt Florian, stimmt das?“
Er sagte nichts. Aber er drehte ganz leicht den Kopf, gerade so weit, dass sie ihn sehen konnte. Ein kaum sichtbares Nicken folgte. Dabei hielt er Pandi fest an sich gedrückt, als wäre er seine wichtigste Stütze.
„Ich freu mich, dich kennenzulernen.“
Sie entdeckte den Panda in Florians Armen, und ein warmes Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Oh, dein Panda sieht aber richtig kuschelig aus. Der passt bestimmt gut auf dich auf, oder?“
Sie sprach ein wenig verspielter weiter:
„Vielleicht hilft er uns gleich ein kleines bisschen – ich glaub, so ein starker Panda wie deiner traut sich das bestimmt.“
Dann hielt sie kurz inne und sah zu mir.
„Darf ich fragen, ob alles in Ordnung ist?“
Ich zögerte, dann erklärte ich leise:
„Wir hatten eben ein Telefonat… und das hat einiges bei ihm ausgelöst. Alte Erinnerungen, die plötzlich wieder da waren.“
Dr. Schneider nickte mit ernstem Verständnis.
„Das tut mir leid. Dann wollen wir jetzt sehr behutsam sein.“
Sie trat ein wenig näher.
„Wäre es vielleicht möglich, dass Sie Florian für die Untersuchung auf das Bett setzen?“
Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, spürte ich, wie Florian seine kleinen Hände fester gegen mich presste. Sein Körper spannte sich, als hätte allein das Wort „Untersuchung“ ihn innerlich zurückgeworfen. Ich fühlte, wie sehr er meine Nähe gerade brauchte.
Dr. Schneider bemerkte es sofort.
„Oder Sie nehmen ihn einfach auf den Schoß, das ist natürlich auch völlig in Ordnung.“
Ich beugte mich zu ihm hinunter, sprach sanft:
„Möchtest du bei mir auf dem Schoß bleiben, mein Schatz?“
Er antwortete nicht mit Worten, aber ich spürte, wie er leicht nickte – kaum merklich, aber eindeutig.
Behutsam hob ich ihn hoch, spürte, wie er sich mit seinem ganzen kleinen Körper an mich schmiegte – nicht krampfhaft, sondern suchend. Seine Stirn ruhte an meinem Hals, seine Arme umfassten mich, als dürfe er mich nicht loslassen.
Ich setzte mich mit ihm auf die Bettkante. Meine Arme fest um ihn gelegt. Ich wartete. Atmete mit ihm. Spürte, dass er sich nicht entspannte, aber auch nicht weiter anspannte. Ein Zwischenraum – ein vorsichtiges Aushalten.
Dr. Schneider trat langsam näher, nahm ihr Stethoskop zur Hand.
„Ich hör jetzt erst mal deinen Panda ab – und dann dich, ja? Ich bin ganz vorsichtig.“
Sie tippte das Stethoskop leicht gegen Pandis Brust. Florian beobachtete sie still – seine Augen wach, aber nicht mehr panisch.
„Oha, dein Panda ist ganz aufgeregt – sein Herz schlägt ja richtig schnell“, sagte sie gespielt überrascht.
Dann versetzte sie das Stethoskop leicht. „Und… ich glaube, dein Panda hat auch einen ordentlichen Pandaschnupfen. Der braucht später bestimmt einen Verband!“
Florians Blick blieb auf sie gerichtet. Und dann, ganz leise, schüttelte er den Kopf.
„Wieso schüttelst du den Kopf?“ fragte Dr. Schneider mit einem Lächeln.
Florian flüsterte kaum hörbar: „Da hilft kein Verband.“
Sie legte die Stirn schief. „Oh… stimmt. Du hast recht. Dann lieber Eukalyptustee, was meinst du?“
Er nickte langsam, beinahe feierlich.
„Ich geb zu, mit Pandas kenne ich mich nicht so gut aus“, sagte sie entschuldigend. „Aber ich lerne dazu.“
Dann sah sie wieder zu ihm. „Und darf ich jetzt dich abhören?“
Er nickte erneut – ein klein wenig schneller.
„Gut. Dann machen wir jetzt bitte einmal das T-Shirt hoch.“
Ich zog ihm langsam und vorsichtig das T-Shirt über den Kopf, gab Acht, ihn nicht unnötig zu bewegen. Als sie den großen, dunklen Bluterguss auf seiner Bauchdecke sah, zuckte sie innerlich sichtbar zusammen – nicht schockiert, sondern betroffen. Ihre Augen verrieten, dass sie wusste, was so ein Fleck bedeutete.
Sie legte das Stethoskop sanft auf seine Brust. Florian hielt still. Kein Zucken. Kein Widerspruch. Nur stille Tapferkeit.
Sie hörte lange, prüfte Herz, Lunge, schließlich auch den Bauch.
Und ich saß da – mit ihm auf dem Schoß, sein Kopf an meiner Schulter, seine kleinen Finger um Pandi geschlungen – und hoffte, dass er spürte: Er ist nicht allein. Nicht mehr.
Dr. Schneider legte das Stethoskop zur Seite und warf einen Blick auf den dunklen Bluterguss, der sich über Florians Bauch zog. Ihr Gesicht blieb ruhig, aber ihre Augen wurden weich.
„Das sieht ganz schön bunt aus, Florian…“ Sie sprach langsam, mit einer sanften Stimme, als würde sie ein scheues Tier ansprechen. „Drückt das manchmal? Oder tut das weh, wenn man dagegenkommt?“
Florian reagierte nicht. Kein Nicken, kein Kopfschütteln. Nur sein Blick wanderte kurz an ihr vorbei, dann wieder zurück zu Pandi, den er fest umklammerte.
Ich strich ihm sacht über den Rücken. „Heute Morgen hat er beim Duschen gezuckt, als ich mit dem Waschlappen drüber bin“, erklärte ich leise. „Ich glaube, das war unangenehm – er hat nichts gesagt, aber ich hab’s gemerkt.“
Dr. Schneider nickte verständnisvoll. „Das kann ich mir gut vorstellen. So ein Bluterguss kann noch eine ganze Weile wehtun – gerade an der Stelle. Das ist nach einer Reanimation leider oft so.“
Sie wandte sich wieder an Florian, ihre Stimme wurde noch sanfter.
„Weißt du, wenn du möchtest, können wir dir etwas geben, das die Schmerzen ein bisschen leichter macht. Du musst nichts aushalten, nur weil du so tapfer bist. Sag einfach Bescheid, ja?“
Dann richtete sie sich leicht zu mir. „Wie ist er denn sonst so bei Schmerzen? Sagt er was? Oder versucht er, es eher still auszuhalten?“
Ich überlegte kurz und schüttelte dann leicht den Kopf.
„Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht. Florian ist ein Pflegekind… Er lebt erst seit kurzer Zeit bei mir. Und bisher gab’s noch keinen Anlass für ein Schmerzmittel.“
Dr. Schneider nickte langsam, mit einem Blick, der mehr sagte als Worte.
„Verstehe. Dann tasten wir uns vorsichtig heran. Wir geben nichts, was er nicht braucht – aber er muss auch nichts unnötig aushalten. Wir bieten es an. Und er darf entscheiden.“
Sie schenkte Florian noch ein kleines, aufmunterndes Lächeln.
„Und du darfst auch heute einfach mal sagen, wenn was doof ist. Dafür sind wir da.“
Dr. Schneider warf nach dem Abhören noch einmal einen prüfenden Blick auf Florians Oberkörper, dann wanderte ihr Blick zu seinem Arm – zum Infusionszugang, der unter einem durchsichtigen Pflasterverband an der Beuge klebte. Ein dünner Verband hielt alles an Ort und Stelle. Sie beugte sich leicht vor, betrachtete ihn genauer.
„Darf ich mir das hier noch kurz anschauen, Florian?“
Ihr Ton war sanft, aber bestimmt genug, dass es keine Unsicherheit ließ. Florian antwortete nicht, zog den Arm auch nicht zurück. Also öffnete sie vorsichtig den Verband und hob die Ränder leicht an.
Ihr Gesicht veränderte sich nur minimal – professionell, aber aufmerksam.
„Ist der beim Duschen nass geworden?“
Ich nickte sofort. „Ja… heute früh. Ich hab versucht, vorsichtig zu sein, aber… er war am Ende doch feucht.“
Sie richtete sich auf und sah mich mit ruhigem, aber ernstem Blick an.
„Das ist nicht gut – der Verband muss trocken bleiben, sonst kann sich schnell was entzünden. Wir haben dafür eigentlich spezielle Überzieher zum Duschen – die halten das sicher trocken. Ich lasse gleich einen neuen anlegen.“
„Natürlich…“, murmelte ich, mehr zu mir selbst als zu ihr. Ich spürte, wie sich ein Knoten in meiner Brust zusammenzog. Warum habe ich da nicht selbst dran gedacht?
Schwester Kerstin trat ohne viele Worte näher, trug schon Handschuhe. Ihre Bewegungen waren routiniert, sicher, beinahe elegant in ihrer Effizienz. Sie legte das Material bereit und begann, den alten Verband vorsichtig zu lösen.
Ich blickte auf Florians Gesicht. Er sagte nichts, verzog auch keine Miene – aber ich wusste, dass er genau spürte, was geschah. Ich hielt ihn ein kleines bisschen fester, ohne ihn einzuengen.
Während die Schwester arbeitete, ging mir der Gedanke nicht aus dem Kopf: Sie hat völlig recht. Ich hätte besser aufpassen müssen. Warum hab ich das nicht bedacht?
Ich hoffte nur, dass noch nichts passiert war. Keine Rötung, keine Keime, keine Entzündung. Ein Fehler, den er ausbaden müsste – das darf nicht passieren, dachte ich. Nicht bei ihm.
Dr. Schneider warf noch einen letzten Blick auf den frisch gewechselten Verband an Florians Arm, dann richtete sie sich wieder auf. Ihr Blick blieb einen Moment ruhig auf ihm ruhen, dann wandte sie sich an mich.
„Wie war denn seine Nacht?“ Ihre Stimme war weiterhin sanft, aber mit dem Interesse einer, die wirklich wissen will, wie es dem Kind geht – nicht nur medizinisch.
Ich seufzte leise. „Unruhig. Er ist gegen vier aufgewacht – ganz plötzlich. Ich hatte ihn gerade gewickelt… und dann hat er sich erschrocken. War völlig durch den Wind. Ich glaub, er hat was geträumt – oder sich an was erinnert. Er hat nicht gesprochen, aber er hat gezittert.“
Dr. Schneider nickte, und ihre Augen wurden ein Stück weicher. „Das klingt nach einem typischen Stress- oder Erinnerungstrauma. Das Gehirn verarbeitet nachts das, was es tagsüber nicht aussprechen kann – und bei einem Kind wie Florian ist da wahrscheinlich einiges, was noch keinen Platz gefunden hat.“
Sie sah kurz in die Unterlagen, blätterte eine Seite um, holte einen Stift aus ihrer Kitteltasche und notierte etwas. Ihre Schrift war ruhig, geübt, kein Haken zu viel.
Dann hob sie wieder den Blick und wandte sich diesmal etwas behutsamer an mich – ihre Stimme wurde etwas zurückhaltender, vorsichtig tastend.
„In den Unterlagen steht, dass Florian inkontinent ist – und ich sehe, dass er eine Windel trägt.“
Sie machte eine kurze Pause, dann sprach sie weiter, fast wie ein Angebot:
„Das war schon vor dem Ereignis so, oder?“
Ich schluckte kurz und antwortete dann leise, aber klar:
„Ja und Nein… Als er aus seiner Familie herausgenommen wurde, hat er keine Windeln getragen. Aber es hat sich schnell gezeigt, dass er offenbar keine Kontrolle über seine Blase hat.“
Ich strich Florian über den Rücken, fast automatisch.
„Er hat wohl oft einfach nichts getrunken. Seine Mutter hatte ihm eingeredet, dass er dann ’nicht so oft nass‘ ist…“ Ich hielt kurz inne. „Man hat letzte Woche Montag – übrigens hier im Krankenhaus – festgestellt, dass er eine Verletzung an der Wirbelsäule hat. Das war wohl nie diagnostiziert worden.“
Dr. Schneider hörte aufmerksam zu, ohne zu unterbrechen. Ihr Blick wurde ernster, aber nicht wertend – nur still betroffen.
„Das erklärt einiges. Wenn die Blasenkontrolle nie funktioniert hat und trotzdem Druck auf ihn ausgeübt wurde, dann kann das ein Kind sehr belasten – körperlich und auch emotional. Kein Wunder, dass er so sensibel reagiert.“
Dann blickte sie nach dem Gespräch über die Inkontinenz noch einmal kurz in die Unterlagen, dann wandte sie sich wieder mir zu – ihr Tonfall etwas aufgelockert, fast ein wenig aufmunternd.
„Und wie war’s denn heute Morgen mit dem Essen? Hat er schon ein bisschen Appetit gezeigt?“
Ich lächelte leicht und nickte. „Er hat ein ganzes Brötchen gegessen. Und sogar einen halben Apfel.“
Ein ehrliches Lächeln huschte über das Gesicht der Ärztin. „Das klingt doch gut. Ein gesunder Appetit ist immer ein gutes Zeichen – gerade nach so einer Belastung.“
Dann blickte sie zu Florian, der immer noch ruhig auf meinem Schoß saß, Pandi fest in den Armen, die Stirn halb an meine Schulter gelehnt.
„Und wie sieht’s mit dem Trinken aus?“
Ich schüttelte leicht den Kopf. „Ein bisschen Tee. Mehr war’s nicht. Zwei, drei Schlucke vielleicht.“
Dr. Schneider nickte, ohne Tadel, nur mit einem leicht mahnenden Ton.
„Da müssen wir wohl noch ein bisschen unterstützen. Flüssigkeit ist wichtig – der Körper braucht sie, um sich zu erholen, und auch für die Verdauung. Du bekommst nachher nochmal eine kleine Infusion, Florian – das hilft deinem Körper ein bisschen.“
Dann beugte sie sich leicht vor, sprach direkt, aber freundlich zu ihm:
„Und heute über den Tag versuchst du, ein paar Schlucke Tee oder Wasser zu trinken, ja? Nicht auf einmal – ganz langsam, aber regelmäßig. Dein Körper wird’s dir danken.“
Florian reagierte nicht mit Worten, aber ich spürte, wie er sich ein wenig aufrichtete. Nicht viel – aber genug, dass ich merkte: Er hatte zugehört. Und vielleicht auch verstanden, dass hier niemand etwas von ihm verlangt, was er nicht schaffen kann.
„Dann wären wir beim nächsten Thema: Wie sieht es mit den Ausscheidungen aus?“ Sie warf einen kurzen Blick auf Florian, sprach aber deutlich zu mir – wohl wissend, dass es ihm unangenehm war.
„Sie sagten vorhin, dass Sie ihn heute Nacht frisch machen mussten? Mit dem Urin klappt alles soweit?“
Ich nickte. „Ja, das klappt… also, es ist genug. Die Windeln waren beide ziemlich voll. Er scheint regelmäßig zu pullern.“
Ich spürte, wie sich Florians kleine Finger wieder fester in meinen Pullover krallten. Seine Haltung wurde angespannter.
Er hörte genau zu. Und es war ihm hörbar unangenehm.
Ich streichelte ihn sanft über den Rücken.
„Und wie sieht es mit dem Stuhlgang aus?“
Ich schüttelte leicht den Kopf. „Nein… da war bisher noch nichts. Aber das war auch vorher schon ein Thema. Er hat oft Verstopfung. Zuhause bekommt er seit letzter Woche Movicol – niedrig dosiert.“
Die Ärztin nickte verstehend. „Okay, das ist gut zu wissen.“
„Wann hat er denn das letzte Mal Stuhlgang gehabt?“ fragte sie, diesmal leiser, aber weiterhin sachlich.
Ich dachte kurz nach, ließ meinen Blick zur Decke wandern. „Puh… das kann ich gar nicht ganz genau sagen. Aber… seit Freitag auf jeden Fall nicht mehr.“
Dr. Schneider notierte sich etwas auf dem Klemmbrett und sagte dann ruhig:
„Dann behalten wir das im Blick. Die Sedierung, die Medikamente, die ungewohnte Umgebung – all das kann den Darm erst mal träge machen. Wir können ihn hier weiterhin mit Movicol unterstützen, eventuell auch mit einem milden Zäpfchen, wenn sich bis morgen nichts tut. Aber kein Druck – Hauptsache, es kommt wieder in Gang.“
Sie sah noch einmal zu Florian, der mittlerweile wieder etwas tiefer in meine Arme gerutscht war, den Panda ganz fest an sich gedrückt.
„Florian, das ist alles gar nicht schlimm, weißt du? Dein Körper braucht manchmal ein bisschen Hilfe – und dafür sind wir da.“
Er reagierte nicht. Kein Nicken. Kein Schütteln. Nur dieses stille, fast angespannte Verharren.
Ich senkte den Kopf leicht, drückte meine Wange sanft an seine Stirn. In Gedanken entschuldigte ich mich bei ihm, weil ich wusste, wie unangenehm ihm diese Themen waren.
Aber es musste sein. Damit ihm geholfen werden konnte.
Frau Dr. Schneider schaute noch einmal freundlich zu Florian hinüber.
„Und wie fühlst du dich sonst so, Florian?“ fragte sie sanft.
Keine Reaktion.
Er sah sie nicht einmal an, starrte auf Pandis zerknitterte Ohren, die er in den Händen drehte. Ich spürte, wie er sich innerlich wieder ein Stück zurückzog – leise, fast unmerklich, wie ein kleiner Schatten, der langsam verblasst.
Ich beugte mich leicht zu ihm, streichelte ihm sachte den Rücken.
„Mein Schatz… magst du mir sagen, wie es dir geht?“ flüsterte ich behutsam.
Langsam hob er den Blick. Seine Augen suchten meine, zaghaft, wie jemand, der nicht sicher ist, ob er wirklich gemeint ist.
„Tut dir sonst noch etwas weh?“ fragte ich leise.
Ein winziges Kopfschütteln. Fast so, als hätte er Angst, die Bewegung könnte etwas falsch machen. Aber es war ein klares Nein – sein leises „Es geht schon“.
Frau Dr. Schneider nickte verständnisvoll und wartete noch einen Moment, bevor sie fragte:
„Hast du vielleicht noch eine Frage an mich, Florian?“
Wieder keine Antwort. Nur dieser stille Blick zu mir.
Ich lächelte ihn an. „Willst du noch etwas wissen von der Ärztin, Florian?“
Er beugte sich ein klein wenig zu mir, legte den Kopf fast an meine Schulter und flüsterte so leise, dass ich es kaum verstand:
„Wann können wir wieder zu dir nach Hause?“
Mir wurde das Herz schwer. Ich legte meine Wange ganz kurz gegen seine Stirn, drückte ihn sanft. „Das ist jetzt auch dein Zuhause Florian“ flüsterte ich ihm zu.
Frau Dr. Schneider hatte es mitbekommen. Sie lächelte, warm und offen.
„Das ist eine sehr wichtige Frage, Florian“, sagte sie. „Und ich verspreche dir: Wir behalten dich nicht länger hier, als nötig. Aber wir müssen dich noch ein bisschen untersuchen – einfach um sicherzugehen, dass dein Körper sich gut erholt.“
„Heute machen wir noch ein EKG – das ist ein Gerät, das schaut, ob dein Herz ganz gleichmäßig schlägt. Das tut überhaupt nicht weh, kitzelt höchstens ein bisschen, wenn die Aufkleber dran sind.“
Sie zwinkerte ihm leicht zu. „Und dein Panda darf natürlich mitgucken.“
Ich sah, wie Florian einen ganz kleinen, kaum merklichen Hauch von Bewegung zeigte – keine richtige Reaktion, aber auch kein Wegducken. Vielleicht ein vorsichtiges Okay. Mehr konnte man gerade nicht verlangen.
Ich hielt ihn fest. Und hoffte, dass er spürte, dass dieses „noch nicht nach Hause können“ nichts mit Strafe zu tun hatte. Sondern nur mit Fürsorge.
Frau Dr. Schneider warf noch einen kurzen Blick in die Akte, dann richtete sie sich wieder an Florian, ihre Stimme blieb ruhig und weich.
„Und weißt du was, Florian? Später schauen wir uns auch nochmal deinen Bauch an – mit einem Gerät, das heißt Sonografie. Oder einfach: Ultraschall.“
Florian blickte nicht auf, aber seine Finger hörten kurz auf, Pandis Ohr zu drehen. Ich merkte, dass er zuhörte.
„Das tut gar nicht weh, versprochen. Ich gebe nur etwas Gel auf deinen Bauch – das fühlt sich vielleicht ein bisschen kalt an, so ähnlich wie Joghurt.“ Sie lächelte beruhigend. „Dann fahre ich mit einem kleinen Gerät darüber, das macht einfach nur Bilder. Es gibt keine lauten Geräusche und keine Nadeln. Wir schauen nur mal, wie’s deinem Bauch geht – ob der Darm wieder in Schwung ist. Und wie’s deiner Blase geht, die ist ja bei dir manchmal ein bisschen empfindlich.“
Sie wartete kurz, als wollte sie ihm Zeit geben, das zu verdauen. Florian sagte nichts, aber er zog sich nicht zurück. Für ihn war das schon fast Zustimmung.
Dann sah sie uns beide an – erst mich, dann wieder ihn. Ihr Ton wurde etwas ernster, aber blieb dabei so behutsam, dass selbst Florian nicht zusammenzuckte.
„Wenn wir damit durch sind – mit dem EKG und dem Ultraschall – fände ich es wichtig, dass ihr euch noch ein bisschen Zeit mit Frau Mangold nehmt.“
Ihr Blick wanderte wieder kurz zu Florian, diesmal etwas länger, fast als wolle sie ihm versichern, dass er die Kontrolle behalten darf.
„Das, was ihr erlebt habt… das lässt sich nicht einfach wegdrücken. Und es ist wichtig, dass man darüber sprechen darf – wenn man so weit ist. Ohne Zwang. Ohne Druck. Aber mit jemandem, der helfen kann, die Gedanken ein bisschen zu sortieren.“
Ich nickte. Florian sagte nichts. Aber ich spürte, wie seine Stirn ganz kurz meine Wange berührte – und wie seine Hände sich ein kleines bisschen lockerten.
„Danke“, sagte ich leise. Mehr ging in dem Moment nicht.
Aber ich wusste: Sie hatte recht. Und ich hoffte, dass auch Florian das irgendwann spüren würde. Nicht heute vielleicht. Aber bald.
Sebastian:
Ich stand reglos neben meinem Vater und spürte, wie sich die Spannung in meiner Brust wie ein unsichtbarer Draht immer enger zog. Die Beamten bewegten sich langsam und mit ernsten Gesichtern aus dem Haus, einige tauschten leise Worte miteinander, während sie Notizen machten oder Funkgeräte prüften.
Schließlich trat der leitende Polizist auf uns zu, ein Mann mittleren Alters mit einem Gesicht, das weder freundlich noch feindselig wirkte, aber eine ruhige Autorität ausstrahlte. Er blieb stehen und musterte uns kurz, bevor er sprach.
„Wir sind hier jetzt fertig“, begann er mit ruhiger Stimme. „Unsere Durchsuchung hat keine belastenden Beweismittel ergeben. Sie erhalten in Kürze eine schriftliche Bestätigung der heutigen Maßnahme und des Ergebnisses.“
Ich fühlte, wie sich meine Anspannung für einen Moment lockerte, doch sie verschwand nicht ganz. Meine Kehle war trocken, als ich vorsichtig nachfragte: „Bedeutet das, dass die Sache damit für uns erledigt ist?“
Der Polizist sah mir tief in die Augen, und ich hatte das Gefühl, als versuchte er, etwas in meinem Gesicht zu erkennen, das ich selbst nicht sehen konnte. „Vorläufig bedeutet es nur, dass wir heute hier nichts gefunden haben. Alles Weitere entscheidet die Staatsanwaltschaft.“
Mein Vater verschränkte die Arme vor der Brust und trat einen Schritt näher heran, seine Stimme fester und eindringlicher. „Wer genau hat eigentlich diese Vorwürfe erhoben? Wer behauptet, Sebastian hätte irgendetwas getan?“
Der Beamte zögerte, als suche er nach der passenden Antwort, dann antwortete er knapp: „Ich darf Ihnen momentan nicht sagen, wer die Aussage gemacht hat. Aber die Anschuldigungen waren konkret genug, um diese Durchsuchung zu rechtfertigen.“
Mein Herz raste, als ich die Worte hörte. Ein Gesicht tauchte sofort vor meinem inneren Auge auf: Pierre. Plötzlich ergab alles Sinn. Nur er hätte einen Grund, mir etwas anzuhängen. Meine Hände begannen zu zittern, und ich verbarg sie in den Taschen meiner Jeans, während mir ein bitterer Geschmack im Mund hochstieg.
Mein Vater legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter. Ich konnte spüren, dass er ebenso angespannt war wie ich, doch seine Haltung strahlte eine Stärke aus, die ich dringend brauchte.
Als das letzte Polizeifahrzeug knirschend den Kies unseres Hofes verließ und der Motor in der Ferne verklungen war, herrschte für einen Moment absolute Stille. Mein Vater atmete hörbar aus und wandte sich dann zu mir.
„Sebastian, wir rufen jetzt einen Anwalt an. Das lassen wir nicht einfach so stehen. Irgendjemand versucht hier, dir etwas anzuhängen, und ich werde nicht tatenlos zusehen, wie jemand deine Zukunft aufs Spiel setzt.“
Ich nickte stumm und ging langsam in mein Zimmer. Schon beim Öffnen der Tür traf mich eine eigenartige Leere. Es roch wie immer – nach Waschmittel, Holz und meinem Parfum – und doch wirkte alles fremd. Entstellt.
Die Schubladen meines Schranks standen offen, ihr Inhalt ordentlich gefaltet auf meinem Bett aufgeschichtet, als hätte jemand versucht, höflich einzubrechen. Mein Rucksack lag geöffnet am Boden, alle Fächer durchwühlt. Bücher aus dem Regal waren aufeinander gestapelt, manche halb geöffnet, als hätte jemand mitten im Lesen aufgehört. Das Kissen war verrutscht, die Matratze leicht angehoben. Jeder Winkel meines Zimmers war durchsucht worden.
Und mein Laptop – er war weg. Nur das Ladekabel hing schlaff über die Tischkante, als wäre es der letzte Zeuge. Sie hatten ihn mitgenommen. Für die Auswertung, wie sie gesagt hatten.
Ich atmete flach, ging langsam durch den Raum, ließ meine Fingerspitzen über die Möbel gleiten. Alles war angefasst worden. Jede Schicht meines Lebens war durchleuchtet worden – und das auf der Suche nach etwas, das es nie gegeben hatte.
Dann blieb mein Blick an der Wand hängen. Dort hing noch immer das Foto. Pierre und ich, lachend am Fluss. Zwei junge Männer, voller Leichtigkeit und Hoffnung. Unsere Gesichter dicht aneinander, fast kitschig, fast zu perfekt. Und jetzt – nichts davon war echt.
Ich starrte es an. Sein Lächeln, mein Lächeln – zwei Fremde auf Papier. Da war keine Wahrheit mehr in diesem Bild. Nur Lüge.
Etwas in mir riss. Ich trat zwei Schritte auf das Bild zu, riss es von der Wand und schleuderte es mit aller Kraft gegen die gegenüberliegende Wand. Das Glas splitterte, der Rahmen krachte auf den Boden. Das Geräusch schnitt durch die Stille wie ein Schrei.
Im selben Moment hörte ich schnelle Schritte. Mein Vater erschien in der Tür, alarmiert. „Sebastian?!“
Ich drehte mich langsam zu ihm um. Unsere Blicke trafen sich – und plötzlich war da nichts mehr, was ich zurückhalten konnte.
Ich sackte auf die Knie. Tränen schossen mir in die Augen, und ein ersticktes Schluchzen drängte sich aus meiner Kehle. „Papa… ich versteh das nicht…“ Meine Stimme war brüchig, kaum noch zu erkennen. „Wir haben uns geliebt! Ich hab ihm vertraut… Wie kann jemand, der einen so kennt… so etwas tun?“
Papa war sofort bei mir, kniete sich neben mich und schloss mich in eine feste Umarmung. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Schulter, klammerte mich an ihn wie ein Kind, das in einem Sturm seinen Halt sucht.
„Wie soll ich je wieder jemandem vertrauen können?“ Meine Stimme brach erneut. „Wie, verdammt noch mal… wie?“
Mein Vater hielt mich noch eine Weile fest, bis sich mein Zittern langsam beruhigte. Dann hörte ich seine Stimme – leise, fast flüsternd. Nicht wie die eines Vaters, der seinem fast erwachsenen Sohn Mut zuspricht, sondern wie jemand, der sein verletztes Kind trösten will.
„Es wird alles gut, Sebastian…“, sagte er, mit dieser sanften, fast kindlichen Wärme in der Stimme. „Wir schaffen das. Auch wenn es sich gerade anfühlt, als würde alles auseinanderbrechen – es wird wieder besser. Wirklich.“
Er strich mir mit der Hand über den Rücken und fuhr mit einem Hauch von trockenem Humor fort: „Weißt du, Sohnemann… das Leben ist keine Fernsehserie. Es gibt keine Gerechtigkeit in 45 Minuten und keine perfekte Auflösung mit Musik im Abspann.“
Er grinste schief.
„Aber du hast Mama und mich. Und wir hab dich. Und solange wir zusammenhalten, können uns auch ein paar Idioten nicht aus der Bahn werfen. Und hey – wenn du irgendwann wieder vertraust, dann nicht, weil du naiv bist, sondern weil du verdammt mutig bist.“
Er legte die Stirn an meine und sagte noch leiser: „Und du bist nicht allein. Wir sind hier. Ich bin hier. Und ich geb dich nicht auf, verstanden?“
Ich nickte unter Tränen. Vielleicht war noch nicht alles verloren.
Florian:
Der Morgen war irgendwie durcheinander. Schon das Duschen war komisch gewesen – weil Annette dabei war. Ich hab das sonst immer allein gemacht. Aber sie hat gesagt, heute hilft sie mir. Und sie war dabei ganz vorsichtig, fast so, als hätte sie Angst, mir weh zu tun.
Dann das Zähneputzen – auch da hat sie geholfen. Das war mir ein bisschen peinlich. Aber ich hab’s zugelassen. Sie war halt einfach da.
Beim Frühstück war’s kurz ruhig. Aber als Annette dann telefoniert hat, hab ich gehört, wie sie was von der Polizei und dem Hof gesagt hat. Ihre Stimme war leise und schnell, irgendwie angespannt. Ich hab gleich gemerkt, dass das kein normales Gespräch war.
Später hat sie mir erklärt, dass die Polizei auf dem Hof ist – aber dass ich keine Angst haben muss. Dass ich nichts falsch gemacht hab. Kein Kindergefängnis. Das hat sie gesagt. Und ich wollte ihr glauben.
Dann kamen diese vielen Leute. Haben mich untersucht, viel geredet. Waren eigentlich nett. Aber mein Bauch war trotzdem ganz verkrampft. Und jetzt sollen wir noch zu so einer Frau, die mit Kindern redet, wenn irgendwas Schlimmes passiert ist. Ich weiß nicht, wie das heißt. Irgendwas mit „Psycho…“ Vielleicht so eine Gedanken-Frau.
Annette meint, das hilft. Ich hoffe, sie hat recht.
Ich stand neben Annette und hielt ihre Hand ganz fest. In der anderen Hand hielt ich meinen Pandi.  Wir gingen durch einen langen Flur, der so nach Krankenhaus roch, aber irgendwie heller war. Am Ende blieb Annette vor einer Tür stehen und lächelte mich an, so wie sie das manchmal macht, wenn ich ganz komisch im Bauch bin.
„Hier drin wartet Frau Mangold auf uns“, sagte sie leise.
Ich nickte nur. Mein Bauch fühlte sich irgendwie komisch an, als würde er ganz seltsam drücken.
Der Raum war größer, als ich gedacht hatte. In einer Ecke lagen Kissen auf dem Boden, eine kleine Spielecke mit Figuren, ein paar Autos und Bücher. Und auf einem weichen Stuhl saß die Frau mit braunen, lockigen Haaren. Sie sah nett aus. Ihre Augen haben nicht komisch geguckt, aber ich konnte nicht genau sagen, wie.
„Hallo Florian“, sagte sie langsam und nicht laut. „Ich bin Frau Mangold. Du darfst heute einfach nur hier sein. Es gibt nichts, was du tun musst.“
Ich drückte Annettes Hand fester und zog Pandi noch dichter an mich heran. Ich wollte nicht, dass sie geht. Ich wollte, dass sie hier bleibt. Bei mir. Annette beugte sich ein bisschen runter. „Ich bleib hier, Florian. Keine Sorge.“
Frau Mangold setzte sich auf den Boden, ganz in der Nähe von den Spielsachen. „Manche Kinder schauen sich hier einfach ein bisschen um. Manche spielen oder blättern in einem Buch. Das ist alles in Ordnung.“ Dann sah sie meinen Pandi und lächelte. „Dein Panda ist ja auch wieder mit dabei, Florian. Schön, dass du ihn mitgebracht hast.“
Ich sagte nichts. Ich konnte nicht. Meine Gedanken waren wie Watte, und mein Hals war zu. Ich wusste nicht, ob sie wirklich nur nett war oder ob sie gleich Sachen fragt, die ich nicht sagen will.
Annette ging mit mir rüber zur Ecke mit den Spielsachen. Ich ließ ihre Hand erst los, als ich schon saß. Pandi hielt ich immer noch ganz fest. Ich nahm ein kleines Holzauto und rollte es ein bisschen über den Teppich, Pandi neben mir auf dem Boden. Frau Mangold blieb ein Stückchen weg sitzen. Sie sagte nichts mehr. Aber ich merkte, dass sie mich ansah. Warum, wusste ich nicht. Vielleicht wollte sie rausfinden, was ich denke. Oder wie kaputt ich bin. Mama hat früher immer gesagt, ich bin komisch im Kopf.
Nach einer Weile redete Annette mit ihr. Erst ganz leise, dann sagte sie was über Sonntag. Dinge, an die ich mich nicht erinnere. Ich hörte nicht mehr hin. Ich sah aus dem Fenster. Man konnte ein anderes Stück vom Haus sehen. Und da – in einem Fenster gegenüber – stand ein Opa. Er hatte nur ein Hemd an und rauchte. Ich fragte mich, ob ihm nicht kalt ist. Draußen war es heute windig.
Irgendwann hörte ich wieder hin, weil Frau Mangold meinen Namen sagte. „So, Florian. Für heute reicht das. Ich freu mich, wenn du mich demnächst öfter in meiner Praxis besuchen kommst. Und dein Panda natürlich auch.“
Ich blieb einfach still. Weil ich nicht wusste, was man in so einem Moment machen soll.
Aber ich war froh, dass Annette die ganze Zeit dageblieben war und dass ich Pandi dabei hatte.
Als wir das Zimmer von Frau Mangold verließen, war es ganz still auf dem Flur. Ich hielt Annette an der einen Hand fest und drückte Pandi mit der anderen so fest an mich, dass ich sein weiches Fell an meiner Wange spürte. Das fühlte sich irgendwie beruhigend an. Sie ging langsam, so wie immer, wenn sie merkt, dass ich müde bin.
Nach ein paar Schritten beugte sie sich zu mir runter. „War das okay für dich, dass ich Frau Mangold so viel über dich erzählt habe?“, fragte sie leise.
Ich blieb stehen und sah sie an. Über mich? Wann? Ich hatte doch gar nichts gehört. Ich runzelte die Stirn und sah sie fragend an.
Sie sah mich an – und ich wusste, sie hatte es verstanden. „Du hast gar nicht zugehört, oder?“, fragte sie mit einem kleinen Lächeln.
Ich schüttelte den Kopf.
Da nahm sie mich einfach hoch. Ich ließ mich in ihre Arme fallen, hielt Pandi weiter fest und vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. Sie roch nach Annette. Nach Zuhause. Mein Bauch wurde sofort ein bisschen ruhiger. Nicht mehr ganz so voll mit Knoten.
„Ich hab ihr nur erzählt, warum du bei uns lebst“, sagte sie leise, während sie mich trug. „Und was am Sonntag passiert ist. Das war alles.“
Ich hörte zu. Ein bisschen. Aber ihre Nähe… ihr Arm unter meinen Beinen, ihre Hand auf meinem Rücken… das war wie eine warme Decke von innen. Alles wurde schwer. Auch meine Augen. Ich war so froh, dass Pandi bei mir war.
„Ich bin müde“, flüsterte ich gegen ihren Hals.
„Dann mach ruhig die Augen zu, Florian“, sagte sie und streichelte mir mit der Hand ganz langsam über den Rücken. „Ich bring dich ins Bett.“
Und das war das Letzte, was ich hörte, bevor alles ganz weich und leise wurde.
Fortsetzung folgt…

Autor: michaneo | Eingesandt via Mail

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GastUser69
GastUser69
Gast
09/07/2025 00:26

Wieder eine Gelungene Fortsetzung ich hatte auch etwas Mitleid mit Sebastian weil das was ihm Passiert ist auch echt heftig ist er hat ihn geliebt und dann passiert so was ein riesen Vertrauensbruch der lange nachhallen wird in Sebastian freze micn auf die Fortsetzung

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Dragi
Dragi
Gast
Antwort an  GastUser69
09/07/2025 13:31

Ich denke gerade an die Dinge, welche die Polizei finden würde, die man Fremden nicht zeigen möchte.

Gruß Dragi

0
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Michaneo
Michaneo
Gast
Antwort an  Dragi
10/07/2025 16:10

Hallo dragi,
wenn jemand in deine privaten Dinge herumschnüffelt, ist das definitiv ein massiver Eingriff in deine Privatsphäre und wenn das Ganze auch noch offiziell, also durch die Polizei, geschieht, ist es vermutlich noch belastender.

Gerade in seinem Fall, wenn sogar der Computer beschlagnahmt wird auf dem ja oft sehr persönliche Inhalte gespeichert sind fühlt sich das sicher besonders verletzend an. Aber wer weiß, vielleicht ist alles so gut verschlüsselt, dass man da ohnehin gar nicht so leicht drauf zugreifen kann. 🙂

Liebe Grüße
michaneo

1
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Michaneo
Michaneo
Gast
Antwort an  GastUser69
10/07/2025 16:05

Hallo GastUser69,
es freut mich sehr, dass dir dieser Teil gefallen hat.

Das Ende einer Beziehung ist gerade bei Teenagern oder jungen Erwachsenen oft mit großem Kummer und vielen Sorgen verbunden. Wenn dann, wie in Sebastians Fall, auch noch ein tiefer Vertrauensbruch hinzu kommt, wiegt der Schmerz umso schwerer.

Liebe Grüße
michaneo

1
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Erwin
Erwin
Gast
09/07/2025 13:49

Danke habe schon lange nicht mehr so gutes gelesen .
Super habe immer Tränen in die Augen.
Weiter bitte

0
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Michaneo
Michaneo
Gast
Antwort an  Erwin
10/07/2025 16:12

Hallo Erwin,
schön, dass dir der Teil gefallen hat und dich auch emotional berührt hat. Es geht auf jeden Fall bald weiter versprochen!

Liebe Grüße
michaneo

1
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Martin
Martin
Gast
09/07/2025 14:28

Wieder mega geschrieben ich bin gespannt wie es weitergeht

0
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Michaneo
Michaneo
Gast
Antwort an  Martin
10/07/2025 16:13

Hallo Martin,
vielen Dank für das Lob ich freue mich sehr, das zu lesen!

Liebe Grüße
michaneo

0
Antworten
Michael
Michael
Gast
09/07/2025 16:25

Ebenfalls sehr vorsichtig, umsichtig und gefühlvolle Fortsetzung. Danke

Hoffe bald die nächste Folge lesen zu dürfen.

0
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Michaneo
Michaneo
Gast
Antwort an  Michael
10/07/2025 16:15

Hallo Michael,
schön, dass dir der Stil gefallen hat! Der nächste Teil ist bereits fertig ich muss ihn nur noch ein klein wenig überarbeiten. Es dauert also nicht mehr allzu lange.

Liebe Grüße
michaneo

Last edited 1 Monat zuvor by Michaneo
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