Donnerstag (5)
Windelgeschichten.org präsentiert: Donnerstag (5)
Eine Stunde hatte ich auf meinem Bett gelegen. Ich hatte das Tablet hervorgeholt und eine Serie gestreamt. Es war eine anspruchslose Serie für Kinder, aber ich hatte dennoch Probleme ihr zu folgen. So mitgenommen war ich von Silvias merkwürdigem Verhalten, auf das ich mir keinen Reim machen konnte. Warum benahm sie sich so abweisend? Was war bloß mit ihr los? Den Korb mit dem Wickelzubehör hatte sie auch noch nicht zurück in mein Zimmer gebracht. Dafür hatte ich sie im Haus rumoren gehört. Sie schien mir aus dem Weg zu gehen.
Es klopfte. Ich legte das Tablet beiseite. „Ja?“
Silvia kam herein, in ihren Händen der Korb. Ihr Gesichtsausdruck war nachdenklich. „Ich bringe dir die Sachen.“ Was sie sagte war nüchtern, aber die Art, in der sie es sagte, war es nicht.
„Danke“, sagte ich, „stell ihn einfach hin. Ich räume die Sachen gleich wieder ein.“
Sie stellte ihn ab, verließ das Zimmer aber nicht.
„Ist noch etwas?“ fragte ich. Ich wusste, dass noch etwas war.
„Ich wollte mich entschuldigen.“ sagte sie.
„Weswegen?“ Ich dachte, es wäre am besten, wenn ich mich dumm stellte.
„Dafür, wie ich mich heute benommen habe. Ich glaube, ich war ziemlich kalt zu dir.“
Sie sah es also ein.
„Schon gut.“ sagte ich.
„Ich … also, du verstehst das doch, wenn man mal nicht gut drauf ist, oder?“
„Natürlich. Das verstehe ich. Das geht uns doch allen mal so.“
„Danke.“ sagte sie. Und dann fügte sie hinzu: „Ich wollte dir auch sagen, dass du ein ganz toller Bruder bist.“
Sie sagte das nicht einfach so, und das spürte ich. Es fühlte sich gut an. Eigentlich sagte sie so etwas nicht.
„Silvia?“
„Ja?“
„Was ist los?“
Sie antwortete nicht sofort. Stattdessen sagte sie etwas, das ich nicht erwartet hatte: „Darf ich dich noch einmal wickeln?“
„Was?“
„Darf ich dich noch einmal wickeln?“
Ich deutete zwischen meine Beine.
„Die Windel passt super, wie immer. Und ich habe noch nicht hineingemacht. Du hast ja gesehen, wie viel Pipi ich vorher gemacht habe. Du musst mich nicht noch einmal wickeln.“
„Ich weiß“, sagte sie, „aber …“ Sie brach ab und reichte mir die Hand: „Kommst du bitte mit?“
Ich sah misstrauisch auf die mir gereichte Hand. „Wohin?“
„Ist eine Überraschung. Komm mit.“
„Was hast du vor?“
„Siehst du sofort. Jetzt komm schon.“
Neugierig stand ich auf. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, aber mein Vertrauen in meine Schwester war grenzenlos. Sie wollte mir nichts böses, das wusste ich. Ich nahm ihre Hand und sofort ging sie los, mich hinter sich herziehend. Sie war etwas schnell dabei, und meine Windel quietschte, als ich watschelte. Wir gingen nicht weit, nur eine Tür weiter nach rechts. Das Badezimmer.
„Da.“ sagte sie und mühte sich ein scheues Lächeln ab.
„Da drin?“ fragte ich.
„Ja.“
Ich öffnete die Tür. Licht brannte, aber es war nicht das kalte Röhrenlicht der Oberleuchte. Silvia hatte die Stehlampe aus ihrem Zimmer herübergestellt, und der Raum war in ein warmes Orange getaucht. Zwischen Waschbecken, Badewanne und Handtuchregal, wo normalerweise eine etwas ausgetretene beige Fußmatte lag, war jetzt ein zotteliges Schafsfell. Ich hatte keine Ahnung, wo sie das hervorgekramt hatte. Ich lächelte ungläubig. „Was ist das denn?“
„Überraschung“, sagte sie, „gefällt es dir?“
„Was hast du denn vor?“
„Ich bade dich jetzt.“
„Was?“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Es war nicht das erste Mal, dass ihr diese Idee gekommen war. Wir hatten es sogar schon einmal gemacht, und das war eine ziemliche Enttäuschung gewesen. Wir hatten im Wohnzimmer einen großen Waschbottich aufgestellt, so einen, in dem man sonst Kinder badet. Er war mir aber zu eng gewesen und hatte überall gedrückt. Ich hatte nur darin sitzen können, wenn ich die Füße an den Körper presste, und das Wasser war schnell kalt geworden. Nach nicht einmal fünf Minuten hatte ich genug gehabt und wollte aufstehen, dabei kippte der Bottich um und wir waren für eine gute Stunde damit beschäftigt, das Parkett zu retten. Nach dieser frustrierenden Erfahrung hatten wir nie wieder von Baden geredet. Ich verstand nicht, warum sie jetzt plötzlich erneut mit dieser Idee ankam.
„Ich wollte es nochmal probieren. Aber dieses Mal richtig. In der Wanne.“
Ich sah zu der Wanne herüber. Tatsächlich. Sie war gefüllt, aber das Wasser stand nur etwa zwanzig Zentimeter hoch, so dass ich es im ersten Moment nicht gesehen hatte. Natürlich hätten wir es schon vorher mit der Wanne probieren können, aber die Wand war hoch und der Schrank stand so ungünstig, dass es nicht ohne Verrenkung möglich war, dass jemand neben der Wanne sitzen und zu einer Person in der Wanne hereinreichen konnte, um die Person zu waschen.
„Aber … in einer Stunde sind Mama und Papa wieder da.“ sagte ich.
„In anderthalb Stunden. Das reicht dicke.“
„Bist du sicher?“
„Gefällt es dir nicht?“
Ein Schatten von Enttäuschung huschte über ihr Gesicht. Das hatte ich nicht gewollt.
„Nein“, sagte ich, „es ist toll, wirklich super. Du hast dir viel Mühe gegeben. Aber … ich bin völlig überrascht. Damit hatte ich nicht gerechnet.“
„Also gehst du jetzt in die Wanne?“ fragte sie.
Ich lachte nervös. Die Situation war so absurd. „Klar.“ meinte ich.
Sie zeigte auf meine Windel. „Mit der gehst du da aber nicht rein.“
„Natürlich nicht.“ sagte ich und griff an meine Klebestreifen.
„Warte!“ rief Silvia.
„Was ist?“
Lächelnd schob sie meine Hand beiseite. „Das mache ich.“
Ein wohliges Gefühl umfasste mich. Es gibt nicht viel Schöneres, als von einem anderen Menschen ausgezogen zu werden, und wenn es nur eine Windel ist, die einem abgenommen wird. Demonstrativ ob ich die Arme und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
„Dann los.“
Mit der linken Hand griff sie mir in den Schritt, aber so sanft, dass ich es durch die Windel nicht einmal spürte. Dann löste sie mit der rechten die Verschlüsse, erst rechts, dann links. Und dann war es, als ob eine Wolke vorbeizog. Es kribbelte wunderbar. Splitternackt stand ich vor meiner kleinen Schwester, in ihrer Hand das einzige, was bis vor kurzem meine Blöße bedeckt hatte. Es war für uns beide keine ganz neue Situation mehr, aber das hieß nicht, dass es keine Spannung mehr gab. Jedes Mal konnten wir beide nicht so recht glauben, dass das gerade wirklich passierte.
Sie legte meine Windel beiseite und hielt mir beide Hände hin. „Komm.“ sagte sie.
„Was willst du?“
„Ich helfe dir in die Wanne.“
Ich lachte. „Wie?“
„Komm“, sagte sie, „nimm meine Hände. Das wird lustig.“
„Ich kann das selbst.“
„Was du alles selbst kannst und nicht selbst machst!“ sagte sie.
Damit hatte ich sie nicht unrecht. Ich nahm ihre Hände. Gemeinsam machten wir die drei, vier Schritte hinüber zur Wanne. „So“, sagte sie, „ganz vorsichtig. Und jetzt: Heb deinen Fuß und fühl mal vorsichtig mit der Zehnspitze, ob das Wasser gut so ist. Keine Angst, ich halte dich fest.“
Ich musste lächeln. Sie machte das wirklich toll. Sie konnte das wirklich toll machen, wenn sie wollte. Was war bloß vorhin mit ihr los gewesen?
Es war wirklich gut, dass sie mich hielt. Als mein eines Bein den Boden verließ und ich es über den Wannenrand hob, hätte ich wirklich das Gleichgewicht verloren, wenn ich mich nicht festgehalten hätte. „Ich habe dich.“ sagte sie.
Gebannt sahen wir beide zu, wie mein großer Zeh über der Wasseroberfläche schwebte, einmal scheu eintauchte, und ich ihn dann sofort wieder herauszog. „Wie ist das Wasser?“ fragte sie.
„Ich weiß nicht. Ich war nicht lange genug drin.“
Sie lächelte. „Du musst ihn schon etwas länger drin lassen. Sonst weißt du nicht, wie heiß es ist.“
Ich nickte, als ob sie mir etwas sagte, was ich mit meinen zwanzig Jahren nicht schon wusste. Ich senkte den Zeh wieder in das Wasser, aber dieses Mal ließ ich ihn dort.
„Und?“ fragte sie.
„Es ist gut.“ sagte ich.
„Nicht zu heiß?“
„Nein.“
„Dann darfst du jetzt reingehen.“
Ich ließ den Fuß ganz ins Wasser gleiten, dann zog ich den anderen nach. Silvia ließ meine Hände nicht los, ehe ich mich gesetzt hatte. Ich saß im Schneidersitz, und das Wasser stand nicht einmal so hoch, dass es meine Knie ganz bedeckte. Die Spitze meines Penis trieb still an der Oberfläche.
Silvia sah von oben auf mich herab. „Schön so?“ fragte sie.
Ich nickte. „Ja. Es ist toll.“
„Ich habe noch etwas für dich.“ sagte sie und drehte sich um. Mir blieb nicht viel Zeit zu raten, was das wohl war, da reichte sie mir bereits einen gräulichen Plastikgegenstand. „Da.“
Ich sah ihn verwundert an. Der Gegenstand war mir nicht gänzlich unbekannt, aber ich hatte ihn seit Jahren nicht gesehen.
„Weiß du, wer das ist?“ fragte Silvia. Ihre Augen glänzten.
„Das ist mein alter Spielzeughai.“ sagte ich.
„Genau. Und weißt du noch, wie du den genannt hattest?“
„Ich glaube, ich hatte ihm gar keinen Namen gegeben.“
„Doch, überleg mal. Wie hieß der?“
Ich dachte nach.
„Nein, ehrlich. Der hatte keinen Namen.“
Sie zog den Hai hoch und sah mich mit gespielter Strenge an. „Vor zehn Jahren haben wir hier gemeinsam in dieser Wanne gesessen und du hast mit diesem Hai gespielt und du hast mir gesagt, wie er heißt und ich habe mich scheckig gelacht. Also, wie heißt er?“
Ich sah sie ungläubig an. „Daran erinnerst du dich?“
„Ich dachte, du würdest dich auch daran erinnern. Also, wie heißt er?“
Ich dachte nach. „Ich weiß es nicht mehr.“
Sie seufzte enttäuscht. „Tja, schade. Das ist wohl nur noch meine Erinnerung. Er hieß …“
„Warte!“ rief ich. Plötzlich flammte in mir dieses Bild auf. Ich, sie, dieser Hai, viel Wasser, Mama, die schimpfte, dass wir nicht soviel spritzen sollten.
Silvias Gesicht hellte auf. „Ja?“
„Paul“, sagte ich, „das ist Paul, der Hai!“
Sie jauchzte. „Ja, genau! Das ist Paul der Hai! Ich habe ihn vorhin auf dem Dachboden gefunden! Ich wusste, dass er noch da sein musste!“
„Du hast dich an ihn erinnert?“ fragte ich. Ich konnte es kaum glauben. „Ja! Und du auch!“ Sie beugte sich zu mir herunter und knutschte mich auf die Stirn. „Mein kleiner Bruder! Du bist nicht nur nackt, du bist auch klug!“
Ich spürte, wie ich rot wurde.
„Aber warum hast du ihn vom Boden geholt?“ fragte ich.
„Oh“, sagte sie, „ich korrigiere mich: Du bist nicht klug, du bist bloß nackt. Damit du mit ihm spielst, natürlich!“
„Zum Spielen?“
„Ja. Hier! Jetzt nimm Paul!“
Sie reichte mir den Hai. Zögerlich nahm ich ihn entgegen. Das Plastik war alt und eingekerbt. Silvia hatte sich offensichtlich die Mühe gemacht, jahrealten Staub von ihm zu spülen, aber ein leicht muffiger Geruch war an ihm haften geblieben. Ich sah auf das, was ich mit zehn Paul genannt hatte. Es war Plastik, mehr nicht. Wie sollte ich damit spielen?
„Na los“, sagte sie, „fang an.“
Ich tauchte Paul unter Wasser. Das Plastik drängte an die Oberfläche, also musste ich ein bisschen Kraft aufwänden, damit er unter Wasser blieb. Langsam bewegte ich ihn, so dass es aussah, als ob er unter Wasser seine Runden drehte.
„Ja“, hörte ich Silvia sagen, „genauso.“
Und dann kam es wieder hoch. Ganz langsam. Ich erinnerte mich. Ich erinnerte mich, wie viel Spaß ich mit Paul gehabt hatte. Wie hatte ich überhaupt vergessen können, dass er Paul gehießen hatte? Paul war ein gefährliches Tier, die Wanne war der Ozean, und in ihm drehte er seine Runden. Mit meinem Mund machte ich ein dunkles Geräusch, wie ein Echolot auf einem U-Boot. Das hatte zwar nichts mit einem Hai zu tun, aber ich wusste nicht, was für Geräusche ein Hai machte, und es klang irgendwie nach Tiefsee. Dann machte ich mir einen Spaß darauf, Paul gerade so weit auftauchen zu lassen, dass seine Schwanz- und Rückenflosse aus dem Wasser ragten, und so zog ich ihn durch das Wasser. Es sah richtig cool aus, aber es erforderte Konzentration.
„Hey.“ hörte ich Silvias Stimme.
Ich sah auf. „Ja?“
„Darf ich dich mal beim Spielen stören?“
Ich lächelte verlegen. „Klar. Entschuldigung.“
„Eigentlich wollte ich dich ja baden.“ sagte sie.
„Das machst du doch.“
„Naja“, sagte sie, „ich sehe dir zu, wie du badest. Das ist noch etwas anderes.“
Ich verstand nicht. „Was meinst du?“
Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Ich habe noch eine Überraschung.“
Und noch ehe ich darauf antworten konnte, griff sie sich an die Unterseite ihres Oberteils und zog es nach oben hin ab. Ich keuchte erschrocken auf. Es war eine Sache, dass ich nackt war, aber ich wollte nicht, dass sie es auch war. Dann würde ich mich nicht wohl fühlen. Das wollte ich nicht. Erschrocken wich ich in die entfernte Ecke der Wanne zurück, und die Wellen schlugen so hoch, dass sie fast über den Rand geschwappt wären. Ich befürchtete, gleich den nackten Oberkörper meiner kleinen Schwester zu sehen, oder zumindest sie im Büstenhalter, aber Gott sei Dank kam nur ein schwarzes Unterhemd zum Vorschein. Sie warf ihr Oberteil weg und warf mir ein Grinsen zu, dass wohl fragen wollte, ob ich glauben könnte, was sie da gerade tat. Ohne mich aus den Augen zu lassen griff sie sich an die Hose, zog sie herunter und stieg aus ihr heraus.
„Silvia“, sagte ich, „was machst du denn da?“
„Ich bin irre, oder?“ fragte sie, dann schwang sie plötzlich das Bein über den Wannenrand, dann das andere, und nahm mir gegenüber Platz. Ihre Augen funkelten vor Leben. Und erleichtert stellte ich fest, dass das, was ich für ein Unterhemd gehalten hatte, der obere Teil eines Badeanzugs gewesen war.
„Puh.“ sagte ich.
„So“, sagte sie, „jetzt kann ich dich baden.“
„Und ich dachte, du machst dich jetzt nackidei.“ sagte ich.
„Was?“ fragte sie, ungläubig lachend.
„Ja. So plötzlich, wie du dich gerade ausgezogen hast.“
„Ich hüpf doch nicht nackt zu meinem Bruder in die Wanne! Spinnst du?“
„Ich bin ja auch froh, dass du das nicht gemacht hast! Ich hätte das ja auch nicht gewollt!“
Sie schüttelte mit gespielter Fassungslosigkeit den Kopf. „Also wirklich!“
Jetzt saßen wir uns also gegenüber: Ich in der einen Ecke, nackt, mit dem alten Plastikhai aus meiner Kindheit in der Hand, mit dem ich gerade so schön gespielt hatte, in der anderen Ecke meine Schwester meine kleine, zwei Jahre jüngere Schwester, in ihrem Badeanzug, und sie grinste auf das Bild, dass ihr großer Bruder da gerade abgab.
Sie zeigte auf den Hai. „Darf ich denn auch in die Wanne?“, fragte sie, „oder muss ich Angst vor Paul haben?“
Ich tauchte den Hai wieder unter. „Paul kommt und frisst dich.“ sagte ich.
„Oh nein!“ rief sie. Ich zog den Hai schnell vor, bremste dann aber kurz vor ihren Füßen ab und berührte nur ganz leicht ihre Zehen mit seinem Plastikmaul. Dazu machte ich Fressgeräusche mit dem Mund. „Ham-mjam-mjam-mjam!“
„Oh“, rief Silvia und lachte, „oh, Hilfe, Hilfe, ich werde gefressen!“
Ich nahm Paul aus dem Wasser und stupste den Hai gegen Silvias Wade. Das ergab gar keinen Sinn, aber es machte immer noch Spaß. Sie quiekte. „Hilfe! Hilfe! Wer rettet mich denn? Habe ich keinen großen Bruder, der mich beschützt?“
Sofort hörte ich auf, die Geräusche zu machen und zog den Hai von ihrer Wade weg. Ich sah zu ihr auf, etwas unschlüssig, was sie damit meinte. Sie sah zu mir herüber, lächelnd, aber ihre Augen waren auch etwas traurig.
„Ich bin dein großer Bruder.“ sagte ich.
„Und ich bin deine kleine Schwester.“ sagte sie.
Wir schwiegen einen Moment. Das Wasser plätscherte leicht.
„Es ist nicht immer leicht mit mir, oder?“ fragte ich.
„Doch“, sagte sie, „es ist toll mit dir. Ich finde es ja klasse, dass ich herausgefunden habe, dass ich einen kleinen Bruder habe, von dem ich lange nichts gewusst habe, aber … manchmal brauche ich auch wieder meinen großen Bruder.“
Ich beugte mich vor. „Was ist heute passiert?“ fragte ich.
Silvia sah zur Seite. „Willst du, dass ich dir die Haare wasche?“
„Ich will, dass du mir auf meine Frage antwortest.“
„Während ich dir die Haare wasche.“
„Okay.“
Sie setzte sich etwas auf. „Beug deinen Kopf. Weiter.“
Ich streckte den Kopf vor, so dass mein Gesicht nach unten, zum Wasser hin zeigte. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie mit ihren Handflächen eine Schale formte und Wasser schöpfte. Im nächsten Moment rann es mir warm über den Hinterkopf. Es fühlte sich gut an.
„Ich hatte mich heute nicht nach dem Volleyball verquatscht.“ sagte sie.
„Das hatte ich schon vermutet.“
„Ich bin nicht einmal beim Volleyball gewesen.“
„Nein?“ Das überraschte mich schon eher. Sonst ließ sie das Training nie ausfallen.
„Nein“, sagte sie, „ich habe mich mit jemandem getroffen. Mit einem Jungen.“
Ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, dass sie auf eine Antwort von mir wartete.
„So?“ fragte ich.
„Ja.“
„Das ist doch etwas Schönes. Oder nicht?“
„Ja, Julian. Es ist schön. Es ist sogar sehr schön.“
Sie hatte genug Wasser geschöpft und streichelte nun meine Haare, um sicherzugehen, dass sie auch gleichmäßig feucht waren.
„Wo ist dann das Problem?“ fragte ich.
„Das Problem“, sagte sie, „ist, dass ich mich nicht Donnerstags Abend mit ihm treffen kann, weil ich da immer meinen großen Bruder wickeln muss.“
Ich verkniff mir ein Schlucken. Ich wusste, worauf dies hinauslief. „Du musst nicht. Dich hat nie jemand gezwungen.“
„Nein“, sagte sie, „du hast recht. Ich muss nicht. Ich mache es bloß.“
„Und du machst es gerne“, sagte ich, „oder nicht?“
Dieses Mal wartete sie etwas mit der Antwort. „Ja“, sagte sie, „ich mache es gerne.“ Plötzlich presste sie mit ihren Fingerspitzen gegen meinen Kopf, drücke ihn hoch und zwang mich so, in ihre Augen zu sehen. Ihr Blick war eindringlich. „Aber ich werde es nicht mehr machen können, wenn ich einen Freund habe.“
„Wie sicher ist es denn, dass ihr zusammenkommt?“
„Wir sind zusammen“, sagte sie, „seit heute nachmittag.“
„Hey“, sagte ich, „das ging ja schnell! Glückwunsch!“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Das ging überhaupt nicht schnell. Es hatte sich über Wochen angedeutet. Ich habe dir bloß bis heute nichts davon erzählt.“
„Oh.“ sagte ich.
„Ja.“
Wir schwiegen uns an. Dann griff sie zur Seite. „Welches Shampoo möchtest du?“
„Mir egal.“ sagte ich. Ich würde damit ohnehin nur zu Bett gehen und es mir morgen wieder herauswaschen, ehe ich an die Uni fuhr.
„Aprikose?“ fragte sie.
„Von mir aus.“
„Wirklich? Aprikose? Ich dachte, du verabscheust Aprikose!“
„Es ist mir wirklich egal.“
„Also gut. Dann Aprikose. Nimm den Kopf runter.“
Ich senkte ihn wieder. Ich hörte, wie der Plastikverschluss der Flasche klickte.
„Und jetzt willst du mir sagen, dass wir aufhören müssen.“ sagte ich.
„Ja“, sagte sie, „das will ich sagen. Das verstehst du doch, oder?“
Ich dachte nach. Mir rasten tausende Ja‘s und Aber‘s durch den Kopf, aber schlussendlich hatte sie recht. Was wir hier taten, würde wirklich undenkbar sein, wenn sie einen festen Freund hatte. „Ich denke schon.“ sagte ich.
„Danke“, sagte sie, und in ihrer Stimme klang Erleichterung, „es freut mich, dass du es so auffasst. Du bist ein toller Bruder.“
Über mein Haar ergoss sich ein kühles Gel, das abstoßend roch. Ich wusste nicht, wie ich heute nacht bei dem Gestank würde schlafen können. Aber es stimmte, was ich eben gesagt hatte. Es war mir wirklich egal. Meine Gedanken waren woanders.
„Und du bist eine tolle Schwester.“ sagte ich.
„Das hast du heute schon mal gesagt.“
„Dann wird‘s wohl stimmen.“
Sie machte ein Geräusch, dem ich anhörte, wie sehr ihr meine Worte gefielen. Sie begann, die ekelhafte Masse in mein Haar einzumassieren.
„Wie heißt dein Freund?“ fragte ich.
„Lukas.“
„Ich glaube, ich kenne ihn nicht.“
„Du kennst ihn nicht. Ich stelle euch demnächst mal vor.“
Ich wusste nicht, ob ich das wollte. Der Gedanke kam mir seltsam vor.
Dann fiel mir etwas ein.
„Wirst du Lukas auch wickeln?“ fragte ich.
Ihre Finger verharrten in ihren Bewegungen. „Was?“
„Ob du Lukas auch wickeln wirst.“
„Nein. Werde ich nicht.“
„Habt ihr schon darüber gesprochen?“ fragte ich.
„Nein!“ sagte sie und lachte. Offensichtlich kam ihr die Frage absurd vor. Sie massierte weiter.
„Woher weißt du dann, dass er es nicht will?“
„Weil … also … auch wenn er es will, ich werde es nicht machen.“
„Warum nicht?“
„Weil er mein Freund ist“, sagte sie, „ich will meinen Freund nicht wickeln.“
Die Antwort beruhigte und störte mich gleichermaßen. Es beruhigte mich zu wissen, dass das, was ich und Silvia gehabt hatten, etwas Besonderes und Einmaliges bleiben würde. Aber mich störte, wie sie es sagte. Als ob daran etwas Schlechtes wäre. „Warum nicht?“ fragte ich erneut.
Sie dachte kurz nach. „Weil ich ihn dann nicht als Freund lieben könnte“, sagte sie, „das wäre nicht richtig. Da würde ich mich nicht geborgen fühlen.“
„Oh.“ sagte ich.
„Warum ‚Oh‘?“
„Das heißt, dass du dich nicht bei mir als deinem großen Bruder geborgen fühlst?“
„Bei meinem großen Bruder. Ja. Da fühle ich mich geborgen. Aber wenn ich dir den Hintern abwische und du in Windeln rumläufst, dann bist du mein kleiner Bruder.“
„Und jetzt?“ fragte ich, „wenn du mir die Haare wäschst?“
„Heute bist du mein kleiner Bruder. Heute bist du ein letztes Mal mein kleiner Bruder.“
Ich schwieg einen Moment. „Ich werde meine große Schwester vermissen.“ sagte ich.
„Keine Angst. Du hast dafür eine kleine Schwester, die dich sehr lieb hat.“
Sie begann wieder Wasser mit den Händen zu schöpfen und mir den Schaum aus den Haaren zu spülen.
„Wie sieht es bei dir aus?“ fragte sie.
„Was meinst du?“
„Na, du bist doch an der Uni. Da müssten doch bestimmt auch Frauen rumlaufen, die dir gefallen, oder?“
„Ja“, sagte ich, „schon.“
„Willst du dir keine von denen nehmen? Dann könnten wir mal alle zu viert was unternehmen. Das würde ich schön finden.“
Ich dachte einen Moment über diese Vorstellung nach.
Ich musste an Stella denken, die mit mir in der Bodenkundevorlesung saß. Stella hatte blonde Locken und ein schönes Lächeln, und manchmal gingen wir zusammen in die Kantine. Zugegeben, nicht nur sie und ich alleine, üblicherweise in einer Gruppe. Stella mochte ich. Aber sie und meine Schwester an einem Tisch? Der Gedanke war zu verwirrend. Vielleicht würde ich sie mal nach einem Date fragen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, ihr gegenüber zuzugeben, dass ich Windeln trug. Ich glaube nicht, dass sie im Fachbereich herumerzählen würde, was für ein Perverser ich bin, dafür war sie zu nett. Aber sie wäre sicher schockiert und würde sich von mir fernhalten wollten. Sie war eine junge, selbstbewusste, intelligente Frau, die mit den Beinen fest im Leben stand und suchte sicher einen starken Partner an ihrer Seit. Keinen, den sie pudern und wickeln musste.
„Ich weiß nicht“, sagte ich, „das wäre seltsam.“
„Wieso?“
„Einfach so.“
Wir sagten dann beide erst einmal nichts. Ich sah einfach nach unten auf die Wasseroberfläche, wo sich die Reste des hellen Schaums kräuselten.
„Und deswegen warst du vorhin so komisch?“ fragte ich.
„Ja“, sagte sie, „ich war völlig verwirrt. Bislang hatte ich diese beiden Sachen gar nicht zusammen gebracht. Die Sache mit Lukas und die mit dir. Das war ja auch völlig voneinander getrennt. Aber … heute, nachdem wir uns geküsst haben …“
„Ihr habt euch geküsst?“
„Ja. Wieso?“
Dieses Detail hatte mich ein wenig erschreckt. Küsse waren etwas, das Silvia sonst nur mir gab. Aber es waren immer nur flüchtige Küsse gewesen, auf die Stirn oder auf die Wange. Der Kuss, den sie Lukas gegeben hatte, musste von einer ganz anderen Qualität gewesen sein. Länger, mit Gefühl, mit Zunge, leidenschaftlich. Sie hatte etwas mit Lukas, das ich nicht mit ihr hatte, nie haben würde und auch gar nicht anstrebte. „Nur so.“ sagte ich.
„Also“, fuhr sie fort, „mir ist klar geworden, dass das jetzt nicht mehr so geht. Ich kriege das beides nicht mehr zusammen. Ich hatte wirklich vergessen, dass heute unser Donnerstag ist. Und als dann du mich an der Garderobe abgefangen hattest und gewickelt werden wolltest – das war echt zu viel für mich.“
„Oh.“ sagte ich.
„Schon gut.“
Sie goss noch einmal Wasser über meinen Kopf, aber es floss kein Schaum mehr. Meine Haare stanken jetzt nach süßlicher, künstlicher Frucht.
„Aber jetzt sitzt du mit mir in der Wanne und badest mich.“ sagte ich.
„Ja“, sagte sie, „ein letztes Mal. Heute machen wir uns ein schönes letztes Mal.“
Ich sah auf. Sie sah mich mit einem wehmütigen Blick an, in dem die Hoffnung steckte, dass ich verstand, dass es nicht mehr ging. Ich verstand auch. Es war das letzte Mal.
Egal was ich jetzt tat, es würde das letzte Mal sein.
Mir fiel etwas ein.
„Silvia?“
„Ja?“
„Erinnerst du dich an die Fontäne?“
Sie lächelte warm. „Nein. Was war das?“
„Soll ich es dir zeigen?“
„Müssen wir dazu rausgehen?“
„Nein. Ich kann es dir in der Wanne zeigen. Ich kann es dir sogar nur in der Wanne zeigen.“
Und ich sah, dass sie sich erinnerte. Angeekelt wich sie zurück. „Oh! Oh nein! Lass das bitte! Nicht, wenn ich mit dir in der Wanne sitze!“
„Siehst du! Du erinnerst dich! Ich habe das früher immer gemacht!“
„Und du erinnerst dich vielleicht, dass ich das damals schon eklig fand und immer aufgestanden bin, wenn du das gemacht hattest! Und dass du jedes Mal dafür Ärger mit Mama bekommen hattest!“
Ich lachte. „Ach ja, stimmt! Das war lustig!“
„Nein, Julian, das war nicht lustig. Für dich vielleicht, aber nicht für mich! Bitte lass das! Heute ist das letzte Mal, dass du mein kleiner Bruder bist. Bitte lass uns nur Sachen machen, die wir beide wollen.“
Das sah ich ein. „Und wenn du aus der Wanne rausgehst und mir zusiehst?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich will das nicht sehen. Und ich will auch nicht, dass du das in der Wanne machst. Ich bade hier drin!“
Silvia badete in der Tat häufig, ein bis zwei Mal pro Woche, und dann gerne lang und ausgiebig.
„Also gut.“ sagte ich.
„Du kannst die Toilette benutzen wie ein großer Junge. Du hast mir doch heute so schön gezeigt, wie du aufs Töpfchen gehen kannst.“
„Ich muss aber auch noch gewickelt werden!“
„Das wirst du auch. Versprochen. Einmal bekommst du noch deine Windel.“
Ich atmete tief durch. Einmal noch. Ein einziges Mal noch. Danach würde ich mir die Windel selbst anlegen müssen, aber, so viel Mühe ich mir auch gab, ich schaffte es nie, dass sie sich so gut anfühlte wie dann, wenn meine Schwester es tat.
„Wir müssen jetzt raus. Mama ist in einer Dreiviertelstunde wieder da.“ sagte Silvia.
„Das ist noch einige Zeit hin.“
„Aber wir haben noch etwas vor.“
Sie stieg aus der Wanne auf das Lammfell und reichte mir die Hände. „Kommst du?“
Autor: Winger(eingesandt via E-Mail)
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Ist eine sehr schöne Geschichte, würde mich sehr über eine Fortsetzung der Geschichte freuen
Ist eine sehr schöne Geschichte, würde mich sehr über eine Fortsetzung der Geschichte freuen, besonders wie es weiter geht mit der Beziehung von Lukas
Ich finde deinen Schreibstil ganz toll.
Mir fehlt allerdings etwas die Spannung. Aber man muss der Handlung ja auch Zeit geben sich aufzubauen. Erwarte freudig den nächsten Teil.
Danke für euer Feedback.
@Ralf, das Ende steht eigentlich schon fest, aber du hast mich jetzt dazu gebracht, dass ich zum ersten Mal überlege, ob ich sie nicht doch darüber hinaus weiterführe.
@BiC: Danke, das ist ein wertvoller Hinweis. Die Handlung baut sich allerdings nicht mehr viel weiter auf. „Donnerstag“ ist eine kurze Geschichte (vor allem wenn man sie neben „Escortbaby“ hält 😉 ) und schon zu mehr als zur Hälfte rum. Würde mich interessieren, wie du die Geschichte siehst, wenn sie zu Ende erzählt ist.