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Florians Schatten (26)

27/09/2025 2 comments Article Jungs, KI Geschichten Michaneo

Dieser Eintrag ist Teil 26 von 26 der Serie Florians-Schatten
Windelgeschichten.org präsentiert: Florians Schatten (26)

 

Bevor es mit dem neuen Teil weitergeht, möchte ich mich zuerst bedanken:

Ein großes Dankeschön an nice.smile, der wieder einmal mit viel Geduld und Sorgfalt probegelesen hat. Und ebenso ein herzliches Dankeschön an alle, die die letzten Teile kommentiert haben – eure Rückmeldungen bedeuten mir sehr viel und geben mir immer wieder Motivation weiterzumachen.

 

Gleichzeitig möchte ich mich entschuldigen, dass es diesmal so lange gedauert hat. Zum einen gab es technische Probleme, durch die ich einiges neu schreiben musste. Zum anderen kam auch privat einiges zusammen, sodass weniger Zeit fürs Schreiben blieb.

 

Aber keine Sorge: Ich arbeite weiter an beiden Geschichten und freue mich, sie mit euch teilen zu können.

 

 

Annette saß neben mir auf dem Stuhl. Sie hatte meine Hand in ihrer, ganz locker.. Ich sagte nichts.

Ich hatte ein ganzes Brötchen gefrühstückt, und Annette hatte mir heute Morgen eine Jeans zum Anziehen raus gelegt. Unsere Tasche stand schon fertig gepackt am Fußende vom Bett, und oben drauf lag meine Mütze. Und irgendwie war das alles … komisch.

 

Ich wusste, dass wir heute zu Annette nachhause durften. Das hatte uns die Schwester gestern gesagt, und Annette hatte genickt und gelächelt. „Nur noch eine Nacht“, hatte sie gesagt. Und jetzt war es so weit. Ich sollte mich eigentlich freuen. Auf dem Hof ist es besser als im Krankenhaus. Keine Untersuchungen mehr, keine weißen Wände. Und trotzdem war da dieses Ziehen in meinem Bauch, als ob ich irgendwas falsch machen könnte, noch bevor es überhaupt losging.

 

Die Tür war noch zu. Ich starrte sie an, als ob ich sie dadurch schneller aufbekommen könnte. Markus wollte uns abholen. Ich wusste das. Und ich wusste auch, dass er nett war. Dass ich sogar mal mit ihm Traktor gefahren war – Annette hatte das erzählt, so als wäre es eine schöne Erinnerung. Vielleicht war es das auch. Nur nicht für mich. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern. Und das war irgendwie schlimm. Wie wenn alle anderen einen Witz erzählen, den man selbst nicht versteht, obwohl es um einen selbst geht.

Annette hatte auch erklärt, dass ich wegen diesem komischen Zeug, das ich von Pierre bekommen haben soll, vieles nicht mehr wüsste. Ich konnte mir das nicht vorstellen, aber es musste wohl so sein. Schon am Anfang hatte ich ein mulmiges Gefühl bei ihm gehabt – so ein Kribbeln im Bauch, als würde etwas nicht stimmen. Jetzt war es noch viel stärker, wie ein dunkler Schatten, der sich in mir festgesetzt hatte. Ich konnte mich an nichts Genaues erinnern, und gerade das machte es so unheimlich.

Manchmal meinte ich fast, seine Schritte im Flur zu hören oder seine Stimme im Ohr, obwohl ich wusste, dass er gar nicht da war. Und trotzdem war da diese Angst, dass Pierre plötzlich wieder auftauchen könnte. Ganz ohne Grund, einfach so.

Ich griff mein Pandi fester an mich, drückte ihn gegen meine Brust. Wenigstens er war noch da, weich und vertraut. Und ganz langsam wurde mein Atem ein kleines bisschen ruhiger.

 

„Bist du aufgeregt?“, fragte Annette leise.

 

Ich nickte nur. Reden war gerade schwer.

 

Da ging die Tür auf.

 

Markus kam rein. Er war groß. Größer als alles andere im Raum. Und obwohl ich wusste, dass er nichts Böses wollte – mein Herz schlug sofort schneller. Ich rutschte ein Stück näher an Annette ran.

 

„Na, da seid ihr ja schon bereit“, sagte er. Seine Stimme klang leise, fast so, als wollte er mich nicht erschrecken. Er blieb einen Moment stehen, dann kam er langsam näher.

 

Ich sah nur kurz zu ihm auf, dann wieder auf den Boden. Ich wusste nicht, wie ich gucken sollte. Ob ich lächeln sollte. Oder winken. Oder einfach so tun, als wär alles normal.

 

Markus ging in die Hocke, auf Augenhöhe mit mir. „Hey, Florian“, sagte er ruhig. „Schön, dass es dir wieder besser geht und du mit nach Hause kommst.“

 

Ich spürte, wie meine Schultern sich ein bisschen verkrampften. Er war so nah, und trotzdem war da diese Unsicherheit in mir. Ich konnte einfach nicht anders.

 

 

Annette half mir in die Jacke, und ich merkte, wie sie mir kurz über den Rücken strich. Ein ganz kleines Zeichen. Ich wusste, dass sie da war. Und vielleicht war das alles gar nicht so schlimm. Vielleicht konnte ich ja einfach ganz langsam wieder ankommen. Bei ihnen. In ihrem Zuhause.

 

Ich saß angeschnallt auf dem Rücksitz und schaute aus dem Fenster, während die Bäume langsam an uns vorbei zogen. Irgendwas in meinem Bauch fühlte sich komisch an. Nicht so, wie wenn ich krank bin, eher so… wie wenn man etwas fragt, obwohl man die Antwort gar nicht wissen will.

 

„Muss ich morgen eigentlich wieder in die Schule?“ fragte ich leise, fast mehr in den Autositz als zu Annette nach vorne. Ich wusste nicht, warum ich das jetzt fragte. Aber der Gedanke daran machte mir Angst. Einfach so. Ohne Grund. Oder vielleicht doch mit Grund, aber ich konnte es nicht sagen.

 

Annette drehte den Kopf ein Stück zur Seite, ihr Blick war kurz im Rückspiegel. Ich merkte, dass sie es gleich verstanden hatte, noch bevor sie antwortete.

„Nein, mein Schatz“, sagte sie ganz ruhig, mit dieser Stimme, bei der man irgendwie merkt, dass alles in Ordnung ist. „Morgen ist Sonntag. Und die Ärztin hat doch vorhin gesagt, dass du jetzt erstmal zwei Wochen zu Hause bleiben sollst.“

 

Zwei Wochen? Ich schaute zu ihr nach vorn, sagte aber nichts.

„In der Zeit haben wir auch zwei Termine bei Frau Mangold“, fuhr sie fort. „Und am Montag gehen wir erstmal zum Kinderarzt. Danach machen wir uns einen schönen Tag, ja?“

 

Ich nickte langsam. Vorhin, als die Ärztin mit ihr gesprochen hatte, hatte ich gar nicht richtig zugehört. Ich hatte mit meinen Autos gespielt der gelbe Jeep war gerade dabei gewesen, über die Decken falten zu klettern. Die Decke war wie eine Bergstraße, mit Schluchten und Hügeln, und ich musste aufpassen, dass der Jeep sich nicht irgendwo festfuhr. Das Gespräch von den Großen war langweilig gewesen. Und das Bett hatte genau die richtige Höhe zum Spielen.

 

Annette sprach weiter, ruhig und ohne mich zu drängen:

„Und nach den zwei Wochen schauen wir zusammen mit der kinderärztin oder Frau Mangold, wie es dann weitergeht.

Vielleicht gehst du erstmal nur ein, zwei Stunden in die Schule. So zum Reinschnuppern. Ohne Stress, okay?“

 

Ich verstand nicht so richtig, was ich fühlte. Auf der einen Seite war ich froh, dass ich nicht gleich wieder in die Schule musste. Dass ich erstmal zuhause bleiben durfte. Aber auf der anderen… ich hätte Paul gern wiedergesehen. Ich mochte ihn. Er war nett.

Was wohl alles in der Schule passiert war, während ich weg war? Ob sie gefragt haben, wo ich bin? Ob es jemand bemerkt hatte, vielleicht waren sie ja auch froh darüber?

 

Ich lehnte meinen Kopf an die Fensterscheibe. Der Gedanke an Schule fühlte sich immer noch komisch an. Aber bei Annette klang alles nicht mehr ganz so schlimm. Vielleicht war das ja wirklich okay so.

 

Als wir auf den Hof fuhren, fühlte sich irgendwas in mir ruhig an. Es war kalt draußen, und der Himmel sah aus, als hätte jemand dunkle, schwere Wolken darüber geschoben.

 

Als ich aus dem Auto stieg, spürte ich den kalten Wind in meinem Gesicht. Aber es roch vertraut. Nach Stall. Nach Erde. Nach Zuhause? Auch wenn ich das noch nicht richtig so nennen konnte. Ich zog die Schultern hoch, aber irgendwie… war es schön. So, wie wenn man irgendwo ankommt, wo man schon mal war. Die große Halle stand offen. Ich konnte beide Traktoren sehen den einen, kleineren, und den großen mit dem Schneepflug vorne dran. Ich blieb stehen und starrte ihn an.

 

Der große Traktor.

 

Annette hatte gesagt, dass ich da mal mitgefahren bin. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Es fühlte sich komisch an, so als hätte das jemand anderem gehört, dieses Erlebnis. Nicht mir. Aber es war auch… schön. Zu sehen, dass er noch da war. Dass er wirklich existierte. Und ich auch.

 

„Komm, Florian“, riss Annette mich sanft aus meinen Gedanken. Ihre Stimme war nicht laut, aber sie war nah. Ich sah zu ihr hoch.

„Wir gehen erstmal rein, es ist ziemlich kalt. Und ich glaub, es fängt gleich an zu schneien.“

 

Sie nahm meine Hand, und ich ließ es einfach zu. Ihre Hand war warm, meine war kalt.

Markus hatte hinten die Tasche aus dem Auto genommen, aber sagte nichts. Das war okay für mich. Ich mochte es an ihm, das er nicht so viel redete.

 

„Außerdem“, sagte Annette leise, fast so, als wäre es nur für mich gedacht, „müssen wir bestimmt mal nach deiner Windel schauen, oder?“

 

Ich nickte. Sie hatte recht. Zwischen meinen Beinen fühlte es sich schwer und warm an, ein bisschen klamm. Aber ich konnte nicht sagen, wann genau es passiert war.

Manchmal lief es einfach los, ohne dass ich es aufhalten konnte. Irgendwann hatte ich aufgehört, dagegen anzukämpfen.

Meistens merkte ich es erst, wenn es schon passierte – oder wenn die Windel sich langsam voll anfühlte. Manchmal auch erst dann, wenn Annette es bemerkte. Es war mir manchmal ein bisschen peinlich. Aber bei ihr war es nicht schlimm.

 

„Ist nicht schlimm, mein Schatz“, sagte sie noch, als hätte sie meine Gedanken gehört. „Wir machen dich gleich frisch. Und dann trinken wir erstmal einen warmen Tee, ja?“

 

Ich nickte wieder. Ich war froh, dass sie nicht schimpfte. Dass sie das einfach so sagte, wie wenn sie meinte, wir müssten noch die Jacke aufhängen. Ich wusste nicht, ob es woanders auch so gewesen wäre. Aber hier hier war es irgendwie… gut.

 

Oben im Zimmer legte ich als Erstes meinen Pandi aufs Bett. Er war ein bisschen zerdrückt vom Autofahren, aber ich strich ihm sanft über den Kopf und drückte ihn kurz an mich.

Hier oben war es schön warm. Nicht so kalt wie draußen. Ich mochte das. Dieses Gefühl, wenn man wieder irgendwo ist, wo man sich schon ein bisschen auskennt. Ich schaute zum Regal rüber.

Da stand sie noch die halbfertige Lego-Eisenbahn. Die Schienen lagen in einer Kurve, ein paar Waggons waren schon zusammengebaut. Annette hatte gesagt, wir könnten bald weitermachen. Vielleicht jetzt?

 

Sie hatte auch gesagt, dass sie gleich hochkommt. Ich hörte sie unten noch reden, vielleicht mit Markus. Ich ging zur Heizung und ließ mich davor auf den Teppich plumpsen. Der Teppich war weich und warm, und mein Rücken wurde gleich richtig schön warm von der Heizung. Ich zog die Beine an und umklammerte sie locker mit den Armen.

 

Beim Hinsetzen spürte ich es wieder ganz deutlich – dieses seltsame, weiche, etwas schwere Gefühl zwischen meinen Beinen. Das Kissen, das da war, wenn ich mich bewegte. Es fühlte sich manchmal an wie ein Gelkissen. Oder wie ein voll gesogener Schwamm, den man nicht mehr ausdrücken kann.

 

Ich starrte auf einen kleinen Fleck an der Wand und fragte mich plötzlich…

Ob das jetzt für immer so bleibt?

Ob ich selbst wenn ich mal so groß bin wie Sebastian oder Markus noch Windeln tragen werde?

Ob das alle sehen werden? Ob dann alle lachen?

Ich wollte das eigentlich nicht. Ich wollte normal sein. Oder zumindest wissen, wann ich muss. So wie die anderen.

 

Aber ich wusste auch, dass ich es nicht ändern konnte. Und dass es mit dem Willen irgendwie nichts zu tun hatte.

 

Ich schluckte schwer und zog die Beine ein kleines Stückchen näher an mich ran.

Vielleicht würde es besser. Vielleicht nicht.

Aber gerade war ich einfach froh, dass ich wieder hier war. Und dass Annette gleich hochkommen würde.

 

Ich saß noch immer vor der Heizung, die Knie an mich gezogen, und starrte auf die Stelle an der Wand, wo das Licht vom Fenster einen kleinen, blassen Streifen hinterließ. Ich hatte gar nicht gehört, wie Annette die Treppe hochkam. Erst, als die Tür sich leise öffnete, merkte ich, dass sie da war.

 

Annette kam ganz ruhig herein. Sie sagte nichts, sondern ging ein paar Schritte, dann hockte sie sich vor mich hin, so dass ich ihren Blick nicht ausweichen konnte.

„Alles in Ordnung?“ fragte sie leise.

Ich nickte. Einfach so. Ich wusste nicht, ob das stimmte. Vielleicht ja. Vielleicht nein. Ich konnte es selbst nicht sagen.

Sie musterte mich einen Moment, sagte aber nichts weiter, sondern streckte die Arme aus und zog mich vorsichtig zu sich. Ich ließ mich hochheben, ohne Widerstand.

Sie setzte sich mit mir auf das Bett und nahm mich auf den Schoß, so dass ich ihr ganz nah war, mit dem Gesicht zu ihr. Mein Kopf fand von selbst den Weg an ihre Schulter. Ihre Hand legte sich auf meinen Rücken und strich langsam auf und ab. Ich schloss die Augen. Es war warm. Und weich. Und ruhig.

 

„Es ist alles ein bisschen viel im Moment, hm?“ flüsterte sie an mein Ohr. Ich sagte nichts. Ich hörte einfach nur zu. Ich wollte nichts sagen, weil es keinen Satz dafür gab, wie es sich anfühlte. Aber so, wie sie mich hielt, musste ich auch nichts sagen.

„Weißt du… wir sind alle froh, dass du wieder zu Hause bist. Und dass es dir besser geht. Und jetzt machen wir uns einfach ein paar schöne Tage, ohne Druck.“

Ich spürte, wie ihr Kinn leicht an meinem Kopf ruhte.

„Und wenn du über irgendwas reden möchtest, dann kannst du das immer tun. Auch nachts um drei, wenn du nicht schlafen kannst oder dich was wach hält.“

Ich hörte ihre Stimme. Jedes Wort kam ganz langsam bei mir an. Ich hatte es verstanden. Und trotzdem wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Also sagte ich nichts.

Ich ließ nur meinen Kopf ein kleines Stück tiefer an ihre Schulter sinken. Und sie hielt mich einfach fest.

Nach einer Weile spürte ich, wie sie ein bisschen zur Seite rutschte und leiser sagte:

„So… jetzt schauen wir mal nach deiner Windel, mein Schatz.“

Ich nickte, ganz schwach. Ich wusste ja selbst, wie sie sich anfühlte. Schlaff, warm, irgendwie matschig. Aber Annette machte nie ein großes Ding daraus.

Sie hob mich vorsichtig hoch, küsste mir kurz die Stirn und legte mich dann auf die weiche Decke auf dem Bett. Ich ließ es einfach geschehen.

 

Ich lag still auf der weichen Decke, die unter meinem Rücken ganz leicht nachgab. Annette war direkt bei mir, ihre Bewegungen ruhig, vertraut. Ich hörte das leise Rascheln, als sie die Klebestreifen öffnete. Keine Eile, kein Stress.

Nur dieses sanfte Knistern, das ich schon kannte.

 

Die Windel klappte sie vorsichtig auf, und ich spürte, wie die kühlere Luft an meine Haut kam. Es war nicht unangenehm, nur plötzlich da. Ich sagte nichts, hielt einfach still. Es musste ja sein. Und bei Annette war das nicht schlimm.

Nicht beschämend. Sondern fast ein bisschen wie Aufgehoben werden.

 

„Na, das war aber wirklich nötig“, murmelte sie leise, während sie mit einem weichen Tuch über meine Haut fuhr.

 

Sie machte das ganz vorsichtig, in kleinen Bewegungen. Ihre Hand war warm, und das Tuch war nur ein bisschen feucht, aber nicht zu kalt. Ich spürte, dass sie dabei ganz bei mir war. Dass sie aufpasste.

 

Ich sah an die Zimmerdecke, ließ die Gedanken treiben. Ich dachte an nichts Bestimmtes. Nur, dass es gut war, dass sie hier war. Dass jemand da war, der wusste, wie das geht dieses ruhig sein, wenn ich es nicht kann.

 

Annette war inzwischen fertig mit dem Saubermachen. Dann legte sie die frische Windel neben mich und sah mich kurz an.

„Heb mal bitte den Po ein bisschen an“, sagte sie ruhig.

Ich tat, was sie meinte, und sie schob die Windel unter mich. Danach ließ ich mich wieder zurücksinken. Sie zog die Vorderseite hoch und schloss die Klebestreifen mit einem leisen, sicheren Geräusch. Es fühlte sich gleich ganz anders an – trocken, fest, irgendwie wieder richtig.

 

Sie strich mir sanft über den Bauch, so als wollte sie sagen: Alles ist gut. Dann beugte sie sich zu mir herunter und küsste mich leise auf die Stirn.

„Jetzt ist wieder alles frisch“, sagte sie mit einem kleinen Lächeln.

Ich nickte kaum sichtbar. Ja.

Es war besser so. Viel besser.

Vorsichtig kletterte ich vom Bett herunter und ging in Richtung Regal. Da stand mein Lego, das ich schon so lange nicht mehr weiterbauen konnte. Ich wollte unbedingt anfangen, endlich den letzten Waggon fertigzumachen.

Annette hockte sich noch einmal kurz zu mir, legte eine Hand an meine Schulter und sah mich an.

„Wollen wir nicht erstmal eine Kleinigkeit essen und einen Tee trinken?“ fragte sie sanft.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich möchte lieber bauen.“

Annette strich mir über den Kopf und lächelte leicht. „Das versteh ich.“

Dann stand sie auf und verließ das Zimmer.

Ich holte mein Lego aus dem Regal und räumte die Teile auf den Teppich. Endlich konnte ich weitermachen. Jetzt war der letzte Waggon dran. Zwei Container sollten darauf – einer von einer Bank und einer mit einem Jetski.

Gerade hatte ich angefangen, die ersten Steine herauszusuchen, da kam Annette wieder herein. In der Hand hielt sie eine Trinkflasche. Sie stellte sie neben mich auf den Teppich.

„Ich möchte aber, dass du trotzdem ein bisschen was trinkst, okay?“

Ich nickte abwesend und baute weiter.

Annette hockte sich noch einmal zu mir und sprach mich direkt an: „Ich möchte, dass du jetzt etwas trinkst.“

Ich sah zu ihr auf und nickte. Sie reichte mir die Flasche. Der Tee war warm und schmeckte fruchtig. Ich nahm zwei Schlucke und gab die Flasche zurück. Sie stellte sie neben mich.

„Bitte trink immer ein paar Schlucke zwischendurch, ja?“

Ich nickte wieder, während ich schon die nächsten Steine zusammen suchte.

 

Ich nahm die Anleitung neben mir, schob sie mit dem Ellbogen zurecht und suchte die richtigen Teile heraus. Der Bank Container war grau und grün, der andere hatte rote Wände und ein graues Dach. Sie sahen richtig unterschiedlich aus, fast wie kleine Häuser zum Mitnehmen.

 

Ich musste mich konzentrieren. Die Steine sahen sich alle so ähnlich – manche waren fast gleich groß, nur einer hatte eine Noppe mehr oder eine schräge Kante. Ich zählte die Reihen ab, drehte den Stein zweimal in der Hand, bevor ich ihn platzierte. Wenn ich einen Fehler machte, musste ich wieder alles auseinandernehmen. Das wollte ich nicht.

 

Gerade, als ich den ersten Container auf den Waggon setzen wollte, klopfte es ganz leise an der Tür. Zwei Mal, fast so, als wollte jemand sicher sein, mich nicht zu erschrecken.

 

Ich schaute auf.

 

Die Tür ging einen Spalt auf, und dann steckte Sebastian vorsichtig den Kopf hinein.

„Hey“, sagte er leise. „Darf ich reinkommen?“

 

Ich spürte, wie sich etwas in mir freute. So ein kleines warmes Gefühl, das plötzlich da war. Aber ich konnte es nicht zeigen. Ich wusste einfach nicht wie. Mein Körper blieb still, nur mein Kopf bewegte sich ein kleines bisschen. Ein kurzes Nicken.

 

Sebastian trat ein, schloss die Tür langsam hinter sich und setzte sich zu mir auf den Boden. Nicht zu nah. Gerade so, dass es sich gut anfühlte.

 

„Was baust du gerade?“, fragte er.

 

Ich sah kurz zu ihm rüber, dann wieder auf den Waggon. Ich wollte antworten, aber mein Mund blieb still. Die Worte waren irgendwo, aber nicht da, wo ich sie brauchte.

 

Stattdessen nahm ich den nächsten Stein in die Hand, drehte ihn zwischen den Fingern, suchte die richtige Stelle. Ich hoffte, er verstand, dass ich mich freute, dass er da war. Auch wenn ich nichts sagte.

 

Sebastian sagte nichts. Er saß einfach da und schaute mir eine Weile zu, wie ich die denn zweiten Container zusammen setzte. Ich merkte, dass er hin sah, aber es fühlte sich nicht unangenehm an. Nicht wie beobachten. Eher wie … da sein.

 

Dann beugte er sich ein Stück nach vorn, griff langsam in die Schale mit den Lego steinen und wählte einen kleinen, schwarzen Stein aus. Den, den ich als Nächstes gebraucht hätte. Er legte ihn leise neben meine Hand, ohne etwas zu sagen.

 

Ich sah kurz zu ihm rüber. Nur ganz kurz. Dann nahm ich den Stein und setzte ihn an die richtige Stelle. Wieder dieses leise Klicken. Es passte.

 

Ein paar Sekunden später legte er den nächsten hin. Und dann noch einen. Immer genau den, den ich gerade suchte. Ich sagte nichts. Er auch nicht. Aber ich spürte, dass er mich verstand. Ohne Worte.

 

Dann war der Waggon plötzlich fertig. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie schnell das ging. Erst der Container mit der Bank, dann der mit dem Jetski. Zusammen standen sie fest auf der Plattform, grau-grün neben rot und grau.

 

Ich betrachtete sie einen Moment. Mein Herz schlug ein kleines bisschen schneller, aber nicht vor Angst. Es war … Freude. Leise Freude. Die, die nicht rauskommt, aber innen da ist.

 

Und als hätte sie es genau gewusst, ging in dem Moment die Tür auf.

Annette kam herein, mit einem Lächeln im Gesicht.

 

„Na, ihr beiden. Habt ihr Hunger?“

 

Ich sah zu ihr hoch.

Ich mochte ihr Lächeln. Aber essen wollte ich jetzt nicht.

Nicht jetzt. Nicht, wo wir nur noch die Schienen aufbauen mussten.

Dann könnte der Zug endlich fahren.

 

Ich schüttelte den Kopf und wandte mich wieder den Teilen zu. Ich begann, die Schienen zu sortieren – die Kurven auf einen Haufen, die geraden auf einen anderen. Das musste ordentlich sein. Das musste genau passen. Wie in echt.

 

Doch bevor ich weitermachen konnte, hockte sich Annette plötzlich direkt vor mich. Ich sah ihre Knie, dann ihr Gesicht.

Sie sah mich an. Suchte meinen Blick. Und weil sie das tat, konnte ich nicht weitermachen. Meine Hände hielten still.

 

„Florian“, sagte sie ruhig, „du musst auf jeden Fall etwas essen.“

 

Ich senkte den Blick ein bisschen.

„Ich weiß, dass das Spielen gerade ganz viel Spaß macht“, fuhr sie fort, „aber dein Körper braucht jetzt erstmal eine Pause. Und was zu essen.“

 

Eine Pause.

Ich dachte das Wort in meinem Kopf.

Meinte sie damit… ich soll nach dem Essen schlafen?

Ich wollte nicht schlafen. Ich wollte weitermachen. Jetzt. Der Zug war fast fertig. Ich war fast da.

Ich wollte das Gefühl nicht verlieren – das Gefühl, dass etwas funktioniert. Dass etwas weitergeht. Ohne Unterbrechung.

 

Ich sagte nichts.

Ich sah nur zu den Schienen, die in meinen Händen lagen. Ich wollte nicht, dass sie denkt, ich bin bockig. Ich war nur… Ich war nur noch nicht fertig.

Annette blieb noch einen Moment vor mir hocken. Ich sah an ihr vorbei zu den sortierten Schienen. Mein Bauch fühlte sich eng an, aber nicht vor Hunger. Eher, weil ich wusste, dass sie recht hatte.

Ich brauchte was zu essen. Aber ich wollte nicht. Nicht jetzt. Nicht, wo alles fast fertig war.

 

Dann lächelte sie wieder, ein bisschen schief, so wie sie manchmal lächelt, wenn sie was vorschlagen will.

„Weißt du was? Der Eisenbahn anhänger darf mitkommen. Wir stellen sie einfach mit auf den Tisch – so als wäre er beim Bahnhof. Und wenn du ein bisschen was gegessen hast, darfst du gleich weiterspielen. Versprochen.“

 

Ich sah sie an. Ganz kurz. Dann schaute ich zum Waggon. Mitnehmen?

Ich nickte langsam. Es fühlte sich besser an, wenn er dabei sein durfte. Dann war es nicht wie eine Unterbrechung. Mehr wie… eine Pause auf der Strecke.

 

Ich stand langsam auf, nahm den Waggon vorsichtig in die Hände.

Bevor ich zur Tür ging, schaute ich noch mal zu Annette. Und dann fragte ich – ganz leise, fast so, als würde ich es

 

lieber nicht hören wollen:

 

„Muss ich dann … Mittagsschlaf machen?“

 

Annette sah mich an. Nicht gleich. Sie brauchte einen Moment.

Ich merkte, dass sie nachdachte. Und ich wusste nicht, was sie sagen würde.

 

Dann stand sie auf, kam zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ganz sanft.

 

„Weißt du, Florian … du darfst nach dem Essen natürlich weiterspielen, wenn du möchtest. Das hab ich dir versprochen, und das gilt auch. Aber dein Körper hat gerade sehr viel zu tun – er muss sich erholen, Kraft sammeln und wieder stärker werden. Da kann es sein, dass du schneller müde bist als sonst.“

 

Ich sah auf den Boden. Mein Herz klopfte ein bisschen schneller. Ich wollte nicht, dass sie sagt, ich muss.

 

„Wenn du also merkst, dass du müde bist, dann ist es besser, wenn du dich ein bisschen ausruhst. Das heißt nicht unbedingt, dass du ins Bett musst. Wir können uns auch einfach zusammen hinsetzen und ein Buch anschauen oder ich lese dir was vor. Und wenn du dann doch die Augen zumachst, ist das auch in Ordnung. Du darfst entscheiden, ja?“

 

Ich nickte. Es war nicht perfekt. Aber es war okay. Sie hatte verstanden.

Und ich wusste: Wenn sie etwas sagte, dann meinte sie es auch so.

 

 

Nach dem Essen setzten wir uns auf die Couch im Wohnzimmer. Annette hatte eine große, weiche Decke geholt und sie über unsere Beine gelegt. Ich lehnte mich an sie mit meinem Kopf an ihrer Seite, ganz nah. Sie hielt das Buch in der einen Hand und streichelte mir mit der anderen immer wieder leicht über den Kopf. Das war schön. Es fühlte sich an wie Sicherheit.

 

Vorhin beim Mittagessen war es eigentlich auch schön gewesen. Wir hatten alle am Tisch gesessen Markus, Annette, Sebastian und ich. Es gab Nudeln mit Tomatensoße, die so gut roch, dass ich doch ein bisschen Hunger bekam, obwohl ich zuerst gedacht hatte, ich wolle nichts essen. Annette hatte mir die Soße extra an den Rand gemacht, weil sie wusste, dass ich es nicht mag, wenn alles vermischt ist.

Markus hatte etwas witziges erzählt, was ich nicht ganz verstanden hatte, aber Sebastian hatte gelacht, und das hatte irgendwie gutgetan. Es war ruhig gewesen. Kein Drängen. Kein Lautsein. Nur wir vier und mein Lego Waggon.

 

Jetzt, auf der Couch, hielt Annette ein altes Kinderbuch in den Händen.

„Das ist noch von Sebastian, als er noch etwas jünger war als du heute“, hatte sie gesagt und mir das Cover gezeigt. Ein Traktor, rot und grün, mit großen Reifen. Das Buch war schon ein bisschen abgenutzt, an den Ecken leicht eingerissen, aber das machte nichts.

Ich mochte es. Die Seiten waren voller Bilder. Und überall war etwas erklärt was die Reifen machen, wie der Pflug funktioniert, wie man die Hydraulik anschließt.

Ich wusste nicht, was Hydraulik war, aber Annette hatte gesagt, sie erklärt mir das.

 

Sie ließ mich immer ein kleines Stück selbst lesen manchmal ein paar Wörter, manchmal einen ganzen Satz. Und wenn ich stecken blieb, wartete sie. Nicht lange, nur so, dass ich es nochmal versuchen konnte. Dann las sie den Rest vor. Ihre Stimme war weich, fast wie ein Lied, wenn sie langsam durch die Sätze ging.

 

Ich lehnte mich ein Stück näher an sie. Spürte ihre Wärme. Ihre Hand glitt wieder durch meine Haare, ganz langsam.

Immer wieder. Ich spürte, wie meine Augenlider schwerer wurden. Aber es war kein schlimmes Müde. Es war ein gutes.

 

Ich blinzelte noch ein paar Mal. Sah die Traktoren auf der Seite verschwimmen. Hörte Annette leise weiterlesen, ohne zu merken, dass ich schon gar nicht mehr wirklich zuhörte.

 

Und dann war ich einfach eingeschlafen. Ganz nah an ihr.

Und alles war ruhig.

 

Annette:

 

Ich saß still auf der Couch, die Beine unter mich gezogen, während Florian neben mir schlief. Er lag auf einem Kissen, das ich ihm unter den Kopf geschoben hatte, und war inzwischen zugedeckt seine kleinen Finger hatten sich irgendwann an meine Hand geklammert, doch nun ruhte seine Hand auf seiner Brust, der Daumen in seinem Mund.

 

Ich wusste, dass irgendwo oben in seinem Zimmer der Schnuller lag, den er seit Kurzem abends gerne nahm. Aber ich wollte jetzt nicht aufstehen. Nicht, wenn er so friedlich schlief.

Er wirkte so ruhig, so klein. Sein Atem ging ganz regelmäßig, und ich konnte sehen, wie sich seine Brust unter der Decke hob und senkte. Es war einer dieser Momente, in denen alles kurz stillstand in denen man einfach nur dasitzen und das Jetzt spüren konnte.

 

Die Wohnzimmer Uhr tickte leise, irgendwo draußen rauschte ein Auto vorbei. Und dann hörte ich Schritte. Leise, zögerlich. Die Tür öffnete sich ein kleines Stück, und Sebastian trat ein.

 

Er sah erst zu Florian, dann zu mir, und setzte sich mit einem fast lächelnden Ausdruck in den Sessel gegenüber.

„Er schläft ja doch“, sagte er leise, beinahe wie eine Feststellung.

 

Ich nickte und strich Florian eine kleine Haarsträhne aus der Stirn.

„Ja… er ist beim Vorlesen eingeschlafen. Aber das hat man ihm ja schon beim Essen angesehen. Er hat richtig gekämpft, wach zu bleiben.“

 

Sebastian schmunzelte ein wenig. Ich konnte sehen, wie sehr ihm der Kleine schon ans Herz gewachsen war.

 

„Er braucht einfach noch viel Zeit für sich“, fuhr ich leise fort. „Der Schlaf ist wichtig. Und im Moment umso mehr.“

Ich ließ meinen Blick auf Florian ruhen, für einen Moment war da wieder diese Sorge. Die leise Angst, dass der Frieden nur geliehen war.

 

Ich sah zu Sebastian.

„Du hast vorhin am Tisch angedeutet, dass du und Papa mit Herrn Redlich gesprochen habt?“

 

Sein Gesicht wurde ernster. Die wohlwollende Wärme wich einem Schatten, den ich kannte wenn er etwas sagte, das ihn beschäftigte, aber bei dem er keine große Sache daraus machen wollte.

 

„Ja“, antwortete er leise. „Es ist wie vermutet. Pierre hat bei der Befragung gesagt, dass er nichts von den Drogen in meinem Auto gewusst hat. Und… behauptet, ich wäre ein Dealer.“

 

Ich spürte, wie sich mein Magen leicht zusammenzog.

Nicht vor Schreck dazu hatten wir innerlich zu viele Schleifen schon gedreht aber vor diesem Gefühl, dass man alles richtig machen will… und es trotzdem nicht reicht, wenn andere lügen.

 

Ich sagte erst nichts. Legte nur kurz meine Hand auf Florians Decke.

Dann sah ich Sebastian ruhig an.

 

„Wir stehen das durch. Du hast nichts falsch gemacht.“ Meine Stimme war leise, aber klar.

„Und du bist nicht allein.“

 

Sebastian hatte den Blick kurz gesenkt, als er mir von Pierres Aussage erzählte. Er sah nicht wütend aus. Eher erschöpft. Und ich konnte spüren, dass es ihn mehr traf, als er zeigte.

 

Ich streichelte Florian noch einmal über den Kopf. Er schlief tief und fest. Sein Daumen lag ruhig an den Lippen. Dann wandte ich mich wieder Sebastian zu, der nun auf dem Sessel vornübergebeugt saß, die Ellenbogen auf den Knien, die Hände ineinander verschränkt.

 

„Der Anwalt hat vorgeschlagen“, begann er leise, „dass ich Gegenanzeige erstatte. Wegen Verleumdung.“

Er zögerte kurz, dann sah er zu mir auf.

„Ich meine… er hat gelogen. Und er versucht, mich da voll reinzuziehen. Als wäre ich irgendein Dealer, der ihn ausnutzt.“

Er schüttelte leicht den Kopf, bitter.

 

„Dabei hab ich ihm geholfen, wenn bei ihm finanziell gar nichts mehr ging. Ich hab mir seine Geschichten über seine Mutter angehört, ihn aufgefangen, wenn alles zu viel wurde. Und jetzt sowas.“

 

Ich sagte nichts. Ich spürte, dass da noch mehr kam, und ließ ihm die Zeit.

 

„Und“, fuhr er leise fort, „er hat ja nicht nur gelogen. Er hat auch mein Auto genommen. Ohne zu fragen. Einfach so. Während wir gerade bei Florian… und in dem Moment ist er mit meinem Auto verschwunden.“

 

Sein Blick glitt zur Seite, als müsste er die Erinnerung abschütteln, dann sah er mich wieder an.

„Klar… wir waren da noch zusammen. Und ja, früher hab ich’s ihm oft geliehen. Wenn er was erledigen musste oder irgendwohin wollte – das war nie ein Problem. Aber wir haben immer vorher drüber gesprochen. Immer. Er hat’s sich nie einfach genommen. Nie.“

 

Seine Stimme wurde fester.

 

„Aber an dem Tag? Da wusste er genau, was er getan hat. Das war nicht mehr ‚wir‘. Das war nicht mehr Partnerschaft. Er wusste, dass das, was er Florian angetan hat, alles kaputt gemacht hat. Dass wir… danach keine gemeinsame Zukunft mehr haben würden.“

 

Er atmete tief durch, langsam.

„Und trotzdem hat er den Schlüssel genommen. Ist einfach gefahren. Während ich versucht habe, das Kind, das er vergiftet hat, irgendwie am Leben zu halten. Das war keine Lappalie. Das war … Flucht. Und Verrat, vielleicht sogar versuchter Mord.“

 

Ich schluckte schwer, sagte noch immer nichts. Ich sah nur, wie er mit den Händen seine Jeans an den Oberschenkeln glattstrich. Fast mechanisch.

 

„Der Anwalt meint, man könne ihn zwar anzeigen, aber eben nicht wegen Diebstahls. Dafür müsste man ihm nachweisen, dass er das Auto dauerhaft behalten oder sich aneignen wollte. Und genau das ist schwierig, weil er es nur genommen hat, um damit zu fliehen. Juristisch fällt so etwas eher unter unbefugte Ingebrauchnahme – auch wenn es sich für mich natürlich wie Diebstahl anfühlt.“

 

Ich nickte langsam.

„Also heißt das … er hat sich strafbar gemacht, aber nicht so, wie du es empfindest?“ fragte ich leise.

Sebastian atmete einmal tief durch und zuckte mit den Schultern.

„Genau. Für mich war es Verrat. Für die Justiz ist es ‚nur‘ ein Vergehen. Aber er wusste, was er tat. Und er wusste auch, dass er mich damit endgültig verliert.“

 

Ich spürte, wie sich in mir eine Mischung aus Wut und Enttäuschung regte. Nicht wegen Sebastian sondern weil es jemand war, der unsere Offenheit, unsere Gutgläubigkeit ausgenutzt hatte. Und mein Sohn war jetzt der, der dafür büßen sollte.

 

„Und du?“, fragte ich sanft. „Was willst du? Möchtest du diese Anzeige machen?“

 

Er sah mich lange an. Dann sagte er leise:

„Ich weiß es nicht. Ein Teil von mir will einfach, dass es vorbei ist. Dass ich nicht noch mehr mit ihm zu tun haben muss. Aber ein anderer Teil… will nicht einfach dastehen wie der Idiot. Ich will, dass die Wahrheit zählt.“

 

Ich nickte.

„Das versteh ich. Und du musst nichts überstürzen. Herr Redlich kann dir helfen, alles in Ruhe zu prüfen. Wichtig ist nur, dass du nicht das Gefühl bekommst, du müsstest stillhalten, um der Klügere zu sein. Manchmal heißt Stärke eben auch, sich zu wehren. Und du hast jedes Recht dazu.“

 

Ich lehnte mich ein Stück zurück. Florian murmelte leise im Schlaf und drehte sich ein bisschen zur Seite. Ich legte ihm die Decke wieder zurecht.

 

„Was auch immer du entscheidest“, sagte ich schließlich, wir stehen hinter dir. Du bist nicht allein, Sebastian.“

 

Er nickte langsam.

Dann sagte er nichts mehr. Aber ich sah es in seinem Gesicht – das erste Mal seit Tagen wirkte er ein kleines bisschen… erleichtert.

 

Ich sah Sebastian an, doch meine Gedanken wanderten immer wieder zu Florian, der noch immer friedlich neben mir schlief. Seine Wange war halb in das Kissen gedrückt, der Daumen ruhte an den Lippen, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Ein kleiner Junge – so klein, so zerbrechlich. Und doch hatte er schon mehr durchgemacht, als ein Kind je aushalten sollte.

 

Ich spürte, wie sich meine Kehle ein wenig zuschnürte, als ich leise weiter sprach.

„Ich will, dass Pierre zur Rechenschaft gezogen wird…“

Meine Stimme war ruhig, aber ich merkte, wie fest ich meine Hand um die Sofakante geschlossen hielt.

„Nicht nur wegen dem, was er dir angetan hat. Sondern auch… wegen Florian.“

 

Ich blickte wieder zu ihm, zu diesem Kind, das sich so selbstverständlich in unser Leben geschlichen hatte – mit seinen großen Augen, seinem vorsichtigen Lächeln und dieser Sehnsucht nach Sicherheit.

„Er ist noch so klein. Und doch trägt er so viel mit sich herum. So viele Narben, die man nicht sieht…“

 

Ich schluckte.

„Und dann vertraut er. Öffnet sich. Langsam. Und was passiert? Da ist jemand, der das ausnutzt. Der ihn schwächt, in dem Moment, wo er gerade anfängt, zu heilen.“

Ich schüttelte leicht den Kopf, versuchte, den Kloß im Hals wegzudrücken.

„Ich kann das nicht einfach so stehen lassen, Sebastian. Ich will, dass er bestraft wird. Dass er wirklich sieht, was er angerichtet hat. Und wenn das heißt, dass er ins Gefängnis muss – dann ist das eben so. Ich will nicht, dass er noch jemanden verletzt. Vor allem nicht Florian. Nicht dich.“

 

Ich sah, wie Sebastian mich ansah. Ruhig. Vielleicht ein bisschen überrascht, dass ich so deutlich wurde. Ich war nicht oft so klar in meinen Worten, aber in diesem Moment war es, als ob etwas in mir entschieden hätte, was nicht mehr verhandelbar war.

 

„Ich hab ihn vom ersten Moment an geliebt“, flüsterte ich, mehr zu mir selbst als zu Sebastian.

 

„Ich will ihn schützen. Und stark machen. Und ihm zeigen, dass es Menschen gibt, die bleiben. Die ihn nicht ausnutzen. Die ihn ernst nehmen.“

 

Ich atmete langsam aus. Florian bewegte sich leicht im Schlaf, ich zog die Decke etwas höher. Ich strich sie ihm sanft über die Schulter.

 

„Und dafür… muss jemand wie Pierre zur Verantwortung gezogen werden. Nicht irgendwann. Jetzt.“

 

Sebastian schwieg, aber ich spürte, dass er verstand. In seinen Augen lag nichts mehr von der Zerrissenheit, die ihn so lange begleitet hatte. Nur noch stille Zustimmung. Und vielleicht – endlich – das Gefühl, nicht mehr allein kämpfen zu müssen.

 

Florian:

 

Ich wurde langsam wach.

Erst war alles nur weich und dunkel orange hinter meinen Augen. So ein Licht, das irgendwie traurig aussieht, wie wenn der Tag sich verabschiedet. Ich blinzelte vorsichtig. Draußen war es dämmrig. Nicht ganz dunkel, aber die Sonne war schon weg. Der Himmel war grau-violett, und das Wohnzimmer lag in einem ruhigen Schatten, als würde es schlafen.

 

Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, wo ich war. Ich lag auf der Couch. Noch zugedeckt. Im Wohnzimmer.

Ich musste eingeschlafen sein. Ich wusste nicht genau, wann oder wie. Nur, dass ich jetzt wach war und mich komisch fühlte.

 

Die Tür zum Flur stand einen Spalt offen. Dahinter hörte ich leise Stimmen. Ich konnte sie nicht verstehen, nur das Geräusch – wie wenn zwei Menschen ruhig miteinander reden.

Es klang nicht wütend. Trotzdem hatte ich sofort Angst.

Angst, dass gleich jemand reinkommt. Dass irgendwas ist. Dass ich irgendwas gemacht habe, das nicht richtig war.

 

Und dann spürte ich es.

 

Feuchtigkeit.

Zwischen meinen Beinen.

Warm war es nicht mehr. Nur klamm.

Ich setzte mich auf, ganz langsam – und dann sah ich es:

Die Decke war feucht. Und die Couch auch. Ein dunkler Fleck breitete sich an der Seite aus, genau da, wo ich gelegen hatte.

 

Ich spürte, wie mein Hals ganz trocken wurde. Mein Magen zog sich zusammen.

Nicht schon wieder. Nicht hier.

Nicht auf der Couch…

 

Ich starrte auf den Fleck, meine Hände zitterten. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich hatte das Gefühl, ich müsste ganz schnell etwas tun – aber ich wusste nicht was.

Was, wenn sie das sehen? Was, wenn sie denken, dass ich das absichtlich gemacht hab?

Was, wenn sie jetzt enttäuscht sind? Oder genervt?

Was, wenn ich nicht hierbleiben darf, weil ich alles kaputt mache?

Die Stimmen im Flur waren immer noch da. Ich konnte rufen. Aber ich traute mich nicht.

Ich hatte solche Angst, dass sie anders gucken würden. So wie meine Eltern früher.

So wie damals, wenn ich was schmutzig gemacht hab. Wenn ich nicht aufgepasst hab. Wenn ich wieder schuld war.

Meine Augen brannten. Aber ich wollte nicht weinen. Ich durfte nicht weinen.

Ich saß einfach nur da, ganz still, mit angezogenen Beinen und der nassen Decke auf dem Schoß. Ich spürte die feuchte Kälte durch meine Windel kriechen.

 

Und ich dachte nur:

Warum ich? Warum immer ich?

Warum kann ich nicht einfach normal sein?

Warum kann ich nicht einfach alles richtig machen – nur einmal?

 

Fortsetzung folgt…..

 

Autor: Michaneo | Eingesandt per Mail

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Windelspiel
Windelspiel
Gast
29/09/2025 03:20

Hallo Michaneo,
ich habe schon nicht mehr damit gerechnet, daß Du die Geschichte noch weiter schreibst, aber ich wusste ja auch nicht von Deinen Hemmnissen beim Schreiben…
Du hast wirklich ein besonders Talent, die Emotionen des Protagonisten „fühlbar“ zu machen, das war für mich bei Deiner „Zwischen gestern und Morgen“ Geschichte noch nicht so klar spürbar, wie jetzt !
Klar ist der Kleine, nach dem Krankenhaus noch schwach und unsicher – aber ich finde, daß Er sich langsam wieder „fangen sollte“ und zumindest etwas Selbstvertrauen aufbauen könnte…
Das ist natürlich nur meine Meinung und Du führst hier die Regie, keine Frage !
Ich freue mich schon auf weitere Kapitel und wünsche Dir die nötigen Ideen und Zeit dafür .
LG von Windelspiel

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Michael
Michael
Gast
30/09/2025 06:51

Herzlichen Dank für die Fortsetzung.
Natürlich kann man nicht immer am Schreibtisch sitzen und arbeiten. Das Leben hat viele Facetten und es muss weitergehen.
Freue mich auf die nächste Folge und wünsche dir weniger Stress und Gesundheit. 🍀👀👣🫆

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