Felix, Annika und die Fänger im Wald (1)
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Die folgende Geschichte spielt im späten Frühling und somit nur wenige Wochen nach „Felix und der Skikurs“. Annika und Felix sind wieder mit dabei – auch Annikas Mutter spielt am Rade eine Rolle, genau wie Felix Schwester, denn auch diese Geschichte lehnt sich wieder ein bisschen an „Felix und seine Schwestern“ an, und auch diese Geschichte hat einen wahren Kern. Manches ist aber auch frei erfunden, was insbesondere alle Namen und Orte einschließt:
Felix hatte wohl eine Weile gedöst. Die Sonne hatte jedenfalls den Zenit bereits überschritten und ihre schrägen Strahlen, die mühelos durch die lichten Kronen der Bäume drangen, weil das junge Grün noch nicht die Dichte des Sommers erreicht hatte, blendeten ihn und kitzelten Felix an der Nase, der an einen Baum gefesselt alleine inmitten einer kleinen Lichtung stand.
„Warum hast du ein weißes Kleid an? Du bist doch ein Junge?“, fragte die Anführerin von vier Mädchen Felix misstrauisch, der sie nicht hatte kommen sehen, obwohl sie ihn schon eine ganze Weile aus sicherer Entfernung gemustert hatten, nachdem sie zufällig vorbeigekommen waren.
Felix blinzelte mehrmals, aber mit der Sonne im Gesicht konnte er die Sprecherin, die ein gutes Stück größer als er war, nicht klar erkennen. Auch merkte er jetzt plötzlich, dass sein rechter Arm wehtat, weil er eingeschlafen war. Außerdem war sein Mund sehr trocken und er war sicher auch etwas dehydriert. Vor allem hatte ihn aber seine plötzliche Gefangennahme verunsichert und vielleicht auch ein bisschen verwirrt, denn er dachte gar nicht daran, sich irgendwie rauszureden. Stattdessen blieb Felix – nach kurzem Zögern – schlicht bei der Wahrheit und sagte kleinlaut:
„Damit man meine Windel nicht sieht.“
Felix spürte, dass ihn das große Mädchen jetzt noch skeptischer ansah. Doch dann lächelte sie ihren Gefährtinnen zu und hob für einen Moment Felix weißes Kleid an, der sich, weil an Händen und Füßen gefesselt, ja nicht rühren konnte.
Die eckige Form von Felix Windel war unter der weißen Strumpfhose deutlich zu erkennen. Das große Mädchen ließ also Felix Kleid wieder herabgleiten und strich es sogar mit der Hand etwas glatt, bevor sie jetzt nicht mehr misstrauisch, sondern mit lieber Stimme, wie zu einem kleinen Kind weiter fragte, warum Felix eine Windel trug und ihre Art, die Felix gleich für sie einnahm, bewirkte, dass er schnell Vertrauen zu ihr fasste.
Daher dachte Felix über seine Antwort ernsthaft nach:
Sollte er erzählen, wie Annika gestern als sie und ihre Mutter ihn abgeholt hatten, so traurig geworden war, als er stolz erklärt hatte, dass er zum Glück inzwischen auch nachts keine Windeln mehr brauche, und wie er sich dann schlecht gefühlt hatte, weil er sie so – ohne es zu wollen – bloßgestellt hatte, da sie weiterhin für die Nacht eine tragen musste, und wie er dann unter vier Augen zu ihrer Mutter gesagt hatte, dass sie ihm vielleicht besser nicht alles glauben sollte, womit er erreicht hatte, dass sie beim Zubettgehen auf Windeln für beide Kinder bestand, was er ja auch bezweckt hatte, und was Annika sichtlich freute, was aber eben letztlich auch dazu führte, dass er die Windel auch am nächsten Morgen nicht los wurde? (Felix hatte nicht gewusst, dass seine Schwester Annikas Mutter am Tag zuvor, während er noch schnell Annika sein Zimmer zeigte, erzählt hatte, dass es schon oft vorgekommen sei, dass man ihm beim Aufstehen die Windel abgenommen und er dann prompt in die Hose gemacht habe, was zwar gar nicht stimmte oder zumindest lange nicht mehr vorgekommen war, was Felix aber dennoch nicht widerlegen und, nachdem er sich selbst unglaubwürdig gemacht hatte, natürlich auch nicht mehr glaubwürdig bestreiten konnte.)
Felix hatte Annikas Mutter daher erst nicht widersprochen und dann am nächsten Morgen nicht gewagt, sich die Windel entgegen ihrer klaren Anweisung gleich beim Aufstehen selbst auszuziehen, wie Annika es tat, sondern war mit der Windel in seine Jeans geschlüpft, um bei erster Gelegenheit zu fragen, ob er sie nun ablegen dürfe. Darauf waren sie aber auch schon in den Garten gerufen worden, wo sie zum Frühstück warmen Haferschleim, den Annikas Mutter „Porridge“ nannte, essen und Kakao trinken sollten, weshalb Felix beschlossen hatte, erst mal an sich zu halten, was er aber nicht lange durchhielt und was dann unerwartet zu einem nassen Fleck an seinem Po führte, der aber nur die normale Folge davon war, dass es passiert war, während er auf der harten Holzbank saß, von Annikas Mutter aber als Bestätigung der Aussage von Felix Schwester und als Beleg für die Notwendigkeit der Windel insgesamt aufgefasst wurde.
Felix wurde von ihr daher nach dem Frühstück auch gleich freundlich aber bestimmt mit ins Haus genommen, wo er erwartete, die Windel endlich loszuwerden, tatsächlich aber eine Neue angelegt bekam, wobei Annikas Mutter zudem nach einer weiteren Empfehlung von Felix Schwester „für eine trockene Hose“ verfahren war, infolgedessen Felix Windelpo jetzt aber nicht einmal mehr in seine Ersatzhose passte.
Darin sah Annikas Mutter allerdings gar kein Problem. Felix sollte sich einfach etwas Passendes von Annika leihen. Die hatte auch gar nichts dagegen und beriet ihn mitfühlend dergestalt, dass seine Windel unter einem Kleid am wenigstens auffallen würde, worauf sie ihm schnell ein schlichtes weißes Kleid rausgesuchte, dass sie ihm auch gleich schenkte, da es ihr schon lange zu klein war, Felix aber wie angegossen passte, auch wenn es ihm nur knapp bis über die Knie ging. Felix hätte also eine vollständige Erklärung bieten können, doch nach kurzem Zögern sagte er bloß:
„Ich bin zu Besuch und habe mir in die Hose gemacht.“ Damit hatte er alles weggelassen, was er zu seiner Entlastung hätte sagen können. Aber er hatte – und das war ihm wichtig – Annika nicht verraten. Auch schien dem fremden Mädchen die Antwort auch so zu genügen, denn sie fragte sofort weiter:
„Und warum bist du an den Baum gefesselt?“
„Da kamen fünf Jungen mit Pfeil und Bogen und haben mich gefangen genommen und an den Baum gebunden und ich weiß nicht warum“, sagte Felix immer noch mit fast tonloser Stimme, obwohl er froh war, über etwas anderes sprechen zu können.
„Na ja, wir spielen Jungen gegen Mädchen und du siehst echt wie ein Mädchen aus.“ meldete sich eines der anderen Mädchen und eine andere ergänzte fröhlich:
„Ich hätte dich auch für ein Mädchen gehalten – ehrlich!“
Doch dann verstummten die beiden Sprecherinnen, denn der Blick ihrer Anführerin hatte sie erinnert, dass das Spiel im Spiel nicht als Spiel bezeichnet werden durfte.
„Und was macht ein kleines Kind wie du allein im Wald?“, fragte die Anführerin weiter und machte dabei mit dem Tonfall ihrer Stimme deutlich, dass das Spiel jetzt weiterging, auch wenn sie sich gerade selbst noch auf die neue Situation einstellte.
Felix war auch noch nicht so im Spiel, dass er gewusst hätte, wie sein Part darin aussehen könnte. Aber er kam sowieso nicht mehr dazu die Frage zu beantworten, denn in diesem Moment tauchte plötzlich Annika auf und stellte sich schützend zwischen ihn und das große Mädchen.
Annika war einen Kopf größer als Felix, aber immer noch ein gutes Stück kleiner als die Anführerin, dennoch sah sie die fremden Mädchen herausfordernd an und fragte mit fester Stimme:
„Was wollt ihr von meiner Cousine?“
Doch die Mädchen ließen sich nicht herausfordern und lächelten nur amüsiert. Doch dann hatte die Anführerin endlich eine Idee, wie sie ihr Spiel fortsetzen konnten.
„Du bist Annika? Stimmt’s?“, fragte sie freundlich, und als Annika überrascht nickte, fuhr sie schnell fort:
„Ich kenne Dich! Und wir wissen, dass das nicht eure Cousine, sondern euer kleiner Bruder ist, der, wenn er lange genug am Leben bleibt, um seiner Amme entwöhnt zu werden, vielleicht mal Thronfolger wird, weshalb man ihn auf Geheiß eure Mutter für die gefährliche Reise durch diese Wälder als Mädchen verkleidet hat, was immerhin dazu geführt hat, dass ihn die Fänger nicht mitgenommen, sondern nur an diesen Baum gebunden haben, was mich zu der Frage führt, wo ihr während des Überfalls gewesen seid?“
Annika verstand natürlich gleich, dass sie und Felix in ein Spiel geraten waren, was sie sogar sehr freute, da sie seit sie in die Villa am Berg gezogen waren, noch keine Kinder in der unmittelbaren Nachbarschaft kennen gelernt hatte. Dennoch konnte auch sie sich nicht so schnell auf die Situation und die neuen Informationen einstellen und so fragte sie erst mal nur ehrlich verwirrt zurück:
„Und wer seid ihr?“
„Wir sind die heimliche Garde der Königin“, antwortet die Anführerin, die jetzt wieder in ihrem Element war. „Ihr wusstet wohl nicht, dass ihr hier verbündete habt! Dennoch hättet ihr eine sicherere Reiseroute wählen und euren Bruder niemals im Wald allein lassen dürfen; zumal jetzt, da wie jeder weiß, die Fänger wieder unterwegs sind.“
„Aber ich musste doch den Proviant holen, den wir vergessen hatten, da wir überstürzt aufgebrochen waren“, rechtfertigte sich Annika, die eine lebhafte Fantasie hatte und daher schnell in das Spiel fand, und wies auf ihren Rucksack. Das ließen die Mädchen gelten und die Einzige, die bisher gar nichts gesagt hatte, sagte mit gut gespielter Ängstlichkeit in der Stimme:
„Sollten wir hier nicht langsam verschwinden?“
„Ja, stimmt“, bestätigte die Anführerin. „Wir stehen hier schon viel zu lange rum und die Fänger können jederzeit wieder kommen, auch wenn ich vermute, dass sie sich zum Mittagessen in ihre Behausungen zurückgezogen haben.“, und während sie das sagte, zog sie ein sehr großes Messer hervor und begann damit Felix Fesseln eine nach der anderen durchzusägen.
Annika und Felix erschraken etwas über das große gefährlich aussehende Messer, ließen sich aber nichts anmerken und es dauerte auch nicht lange, bis das Seil, mit dem die Jungen Felix an Händen und Füßen gefesselt und an den Baum gebunden hatten, durchtrennt war.
„Komm!“, sagte die Anführerin zu Felix augenblicklich, sobald er losgebunden war, steckte das Messer wieder ein und griff seine Hand, noch bevor er sich überhaupt rühren konnte, und hielt sie fest, während sie zu ihren Begleiterinnen gewandt fortfuhr:
„Nehmt die Seile mit! Das könnten wichtige Indizien in einem möglichen Prozess wegen Hochverrats werden. Und macht schnell! Wenn wir getrennt werden, treffen wir uns bei unserem Lager.“ Dann drehte sie sich um und ohne eine Antwort abzuwarten, zog sie Felix in nördlicher Richtung in den Wald. Felix stolperte daher bereits durch das Unterholz während er noch versuchte sich nach Annika umzudrehen. Doch als er sah, dass sie sich den übrigen Mädchen angeschlossen hatte, sah er nach vorn und lief, so schnell er konnte, um mit der Anführerin Schritt zu halten. Infolgedessen kamen sie gut voran, und nachdem sie auf einen kleinen Pfad eingebogen waren, auf dem sie nebeneinander gehen konnten, sagte die Anführerin zu Felix, dass ihr Name Franziska sei und dass sie ihn Anna nennen werde.
„Dann seid ihr Annika und Anna“, sagte Franziska fröhlich und als die Anderen zu ihnen aufgeschlossen, teilte sie ihnen mit, dass der Deckname von Annikas Bruder jetzt Anna laute. Die anderen waren damit einverstanden. Annika auch, die sichtlich froh war, in den Kreis der Mädchen aufgenommen zu sein.
Den restlichen Weg gingen sie nun in mäßigem Tempo, denn es war nicht mehr weit und die Wahrscheinlichkeit, hier von den Fängern überrascht zu werden, war in diesem Teil des Waldes sehr gering, den das Gelände war überaus weitläufig. Auch das Lager hatten die Fänger nie gefunden, obwohl es im wesentlichen nur eine große Kuhle im Waldboden war, die die Mädchen mit grünen Wolldecken ausgelegt hatten.
Alle zogen sich die Schuhe, aus bevor sie das Lager betraten und Felix und Annika stellten fest, dass das Lager nur auf zwei Seiten durch ein Gebüsch und nahe Bäume vor Blicken einigermaßen geschützt war. Franziska hatte daher so unrecht nicht, als sie feststellte, dass Felix Kleid ein ziemliches Sicherheitsrisiko sei, weil es so strahlend weiß war, dass man es noch von Weitem gut zu sehen konnte.
„Sonst habe ich aber nur eine dunkelrote Strumpfhose und ein Shirt mit“, sagte Annika, die gerade dabei war den Proviant aus ihrem Rucksack auszupacken, und lächelte entschuldigend.
„Das ist wird schon gehen“, erwiderte Franziska. „Sicher findet sich hier auch noch Pulli für Anna.“
„Ja!“, sagte das kleinste der Mädchen, das Lea hieß und bisher am wenigsten gesagt hatte, und zog einen dunkelblauen Kaschmir-Pullover aus ihrer Umhängetasche.
„Danke“, sagte Franziska, fasste Felix Kleid am Saum und zog es ihm ohne Vorwarnung über den Kopf, sodass er plötzlich selbst nur noch weißen Stoff und Sonnenlicht sah, gleichzeitig aber wusste, dass er praktisch nur noch in seiner Sumpfhose dastand, und ihm, wenn er nicht so stehen bleiben wollte, gar nichts anderes übrig blieb, als mitzuhelfen, damit sie ihm das Kleid fertig ausziehen konnte. Felix beeilte sich also, seine Arme zu heben und den Kopf aus dem Kleid zu ziehen. Er war dabei jedoch nicht schnell genug, um Annika zuvor zu kommen, die ihm gleichzeitig seine weiße Strumpfhose bis zu den Knöcheln herunter zog.
Felix fand sich daher im nächsten Moment bis auf die Windel ausgezogen und vor Schreck und Scham schoss ihm augenblicklich das Blut in den Kopf und seine Ohrspitzen und Wangen begannen augenblicklich zu glühen, während das junge Blut das Rot seiner Lippen zum Leuchten brachte. Doch sonst passierte nichts. Keines der Mädchen schien den Anblick komisch zu finden. Sie kicherten auch nicht und sie ließen ihn auch nicht lange so stehen, sondern zogen ihm schnell die rote Wollstrumpfhose und das graue T-Shirt aus Annikas Rucksack und danach den blauen Pulli von Lea an. Felix wusste derweil kaum, wie ihm geschah, saß aber schon im nächsten Moment auf einer der Decken, während Franziska noch das weiße Kleid sorgfältig zusammenlegte.
„Sehr schön!“, sagte Franziska zu Annika, der sie das zusammengelegte Kleid gab, damit sie es in ihren Rucksack packen konnte.
„Ja“, sagte Annika. „Bis vor Kurzem hat es noch mir gehört. Aber gepasst hat es mir leider nie“ und während sie das sagte, packte sie weiter den Proviant aus, wobei plötzlich auch eine frische Windel zu Vorschein kam. Doch Annika, die Felix nicht noch mehr zumuten wollte, stopfte die Windel schnell zusammen mit dem Kleid und der weißen Strumpfhose zurück in den Rucksack. Aber dennoch hatten alle die Windel gesehen, auch wenn Annika jetzt ihre Aufmerksamkeit auf den Proviant lenkte, den sie sehr freundlich anbot:
„Wir haben genügend kalte Pfannkuchen und Pfefferminitee für alle!“, sagte sie lächelnd in die Runde.
„Cool! Das ist ja wie bei Pippi-Langstrumpf Annika!“, lachte Lea.
„Stimmt! Und du heißt auch noch Annika!“, sagte darauf Katharina, die zu Anfang das mit dem Spiel-Jungen-gegen-Mädchen gesagt hatte, und damit jetzt wieder das offensichtliche aussprach, was ihr ein bisschen hämisches Grinsen einbrachte, bevor sich alle über die Pfannkuchen hermachten.
Die Pfannkuchen schmeckten gut und waren für alle (außer Annika), etwas Besonderes.
Und da sie bereits lange an der frischen Luft waren, wurden sie nach dem Essen etwas müde. Um alle wach zu halten, verkündete Franziska daher sofort, es solle jetzt ein Spähtrupp gebildet und nach den Fängern im Wald Ausschau gehalten werden. Katharina und das vierte Mädchen sagten aber, sie müssten langsam nach Hause und verabschiedeten sich schnell.
„Und kommt ihr später wieder?“, fragte Franziska enttäuscht. Doch Katharina schüttelte den Kopf:
„Aber du kannst ja später noch bei mir vorbeikommen.“
„Ja, vielleicht“, sagte Franziska und wandte sich Lea, Annika und Felix zu.
„Ich bleibe noch“, sagte Lea. „Aber ich finde, Anna sollte jetzt erst mal ihren Mittagsschlaf nachholen.“
„Ja, gut“, antwortete Franziska, die auf Leas Anwesenheit keinen großen Wert zu legen schien. „Bleibst du dann hier?“ Lea nickte und Franziska sagte:
„Na, dann komm Annika!“, der die überraschende Aussicht, mit Franziska allein etwas zu unternehmen gleich gefiel. Also verließen Franziska und Annika kurz darauf das Lager und Lea und Felix blieben allein zurück. Das war für beide etwas merkwürdig, da sie sich ja kaum kannten. Doch Lea ließ sich nichts anmerken und blieb einfach im Spiel. Sie holte zwei der Decken von der anderen Seite und legte sie so übereinander, dass sie auf zwei Decken liegen und sich mit einer weiteren Decke zudecken konnten. Dann legte sie sich demonstrativ hin und klopfte mit der Hand leicht auf die Decke neben sich, worauf Felix auch tatsächlich gleich zu ihr gekrabbelt kam, und Lea die zweite Decke über sie beide werfen konnte.
Das war überraschend angenehm, denn obwohl es ein schöner Tag war, was es im Schatten noch kühl und die Decken waren schön warm und weich, sodass es augenblicklich sehr gemütlich war, und weil er auch wirklich müde war, und sowieso nicht wussten, was er sagen sollte, machte Felix lieber gleich die Augen zu, und so schlief er kurz darauf ein.
Lea gefiel sein stummes Vertrauen und die Tatsache, dass Felix nicht so recht in das übliche Schema Junge-Mädchen zu passen schien. Jedenfalls kam er ihr gar nicht wie ein verkleideter Junge vor. Mehr noch Lea hatte keine Schwierigkeiten sich Felix als ihre kleine Schwester vorzustellen.
„Es ist, als ob meine kleine Schwester ein geheimes Doppelleben und den Verstand eines acht oder neun Jahre älteren Jungen hätte“, dachte Lea. „Aber in Wirklichkeit ist es ja eher umgekehrt!“, wunderte sie sich, während sie Felix noch eine Weile neugierig ansah. Aber es gefiel Lea, in dieser Weise verwirrt zu sein. Außerdem fühlte sie sich dem Schlafenden überlegen und dass verstärkte ihren Beschützer Instinkt, sodass sie bereits sehr für Felix eingenommen war und nach einer Weile sogar noch etwas an den Schlafenden heranrückte und ihm sacht über das Haar strich. Das wiederum gefiel Felix wohl, denn er lächelte im Schlaf und Lea dachte schon, sie hätte ihn aufgeweckt, doch dann merkte sie, wie sich seine Atmung weiter verlangsamte, weil er in immer tieferen Schlaf versank. Das rührte sie so, dass sie schließlich einen Arm um ihn legte, bevor sie, wie es Eltern beim Zugbettbringen ihrer Kinder oft passiert, entgegen ihrer Absicht wenig später selbst fest einschlief.
Lea und Felix träumten also seelenruhig und wachten auch nicht auf, als es einige Zeit später leicht zu regnen anfing. Auch, als der Regen stärker wurde, und Franziska und Annika beschlossen, sich unterzustellen, wachten sie nicht auf, denn sie waren beide fest eingeschlafen und die Decken hielten sie weitgehend trocken. Lea und Felix waren höchstens unbewusst noch etwas enger zusammen gerückt, da es, seit es zu regnen angefangen hatte, auch merklich kühler wurde. So hatten sie es jedenfalls weiter warm und Annika machte sich daher grundlos Gedanken, als sie sich fragte, was Lea und Felix jetzt im Regen taten. Das meinte auch Franziska, die überzeugt war, Lea würde sich schon kümmern, und so blieben Annika und Franziska unter ihrem Unterstand und warteten ab, bis der Regen aufhörte.
Für Annika war das keine verlorene Zeit, da sie sich von Franziska so viel wie möglich abgucken wollte. Doch Franziska langweilte sich wohl bald, denn als es aufhörte zu regnen, hatte sie beschlossen, auch nach Hause oder zu Katharina zu gehen. Jedenfalls verabschiedete sie sich schnell von Annika, die es nicht so toll fand, dass sie nun allein zum Lager zurückfinden musste, was auch tatsächlich einige Zeit dauerte. Annika war daher noch auf dem Rückweg, als es bereits merklich dunkel wurde, sodass sie sich langsam doch sorgte oder zumindest ernsthaft fragte, ob sie Felix und Lea überhaupt im Lager antreffen würde.
Annika war daher wirklich sehr erleichtert, als sie Lea und Felix eng umschlungen und in mehrere Decken eingewickelt schlafend im Lager vorfand. Vorsichtig weckte sie Lea, die auch sofort wach wurde, und behutsam aufstand, um Felix weiter schlafen zu lassen. Die Decke hatte den Regen bis zum Schluss gut abgehalten, aber ihre Haare waren nass und ihr war trotz allem ein bisschen kalt, daher sagte Lea leicht fröstelnd zu Annika:
„Danke, dass du mich geweckt hast!“ und als sie erfuhr, dass Franziska bereits nach Hause gegangen war, schüttelte Lea leicht resigniert den Kopf und fragte Annika, ob sie nicht vielleicht Lust habe noch mit zu ihr zu kommen.
„Es ist nur den Berg rauf und ich habe ein Auto“, fuhr Lea fort, als Annika zögerte.
Annika war einverstanden, sah aber fragend zu Felix, der immer noch in der nassen Decke schlief.
„Na, den nehmen wir natürlich mit!“, sagte Lea sofort. Dann fügte sie leise fragend hinzu:
„Wie heißt er den eigentlich wirklich?“
„Felix“, flüsterte Annika und erkundigte sich schon wieder besorgt, ob Leas Eltern auch bestimmt nichts dagegen haben oder sich über ihren Besuch nicht sehr wundern werden.
„Na ja, so würden sie sich vielleicht schon wundern. Aber wir ziehen ihm im Auto einfach das weiße Kleid wieder an. Dann stellen sie bestimmt keine blöden Fragen.“
Annika nickte und bückte sich um Felix zu wecken. Der wurde aber nur langsam wach. Doch Lea und Annika nahmen drauf keine Rücksicht und, da sie ihm mit den Schuhen geholfen hatten und weil das Auto tatsächlich ganz in der Nähe stand, waren sie dort, bevor Felix richtig wach war. Inzwischen war es völlig dunkel und daher machte es Felix auch nicht viel aus, sich im schwachen Licht der Innenraumbeleuchtung des Wagens wieder in das weiße Kleid helfen zu lassen.
Das Umziehen ging auch dieses Mal recht schnell. Lea hatte daher schon auf dem Fahrersitz platz genommen, als Annika, die Felix noch die rote Strumpfhose aus und die weiße wider angezogen und dabei auch seine Windel kontrollierte hatte, sich neben sie auf den Beifahrersitz setzte, nachdem sie ihn bereits auf der Rückbank angeschnallt hatte.
Jetzt wollte sich Annika gerade selbst anschnallen, als ihr die Frage durch den Kopf ging, wie alt Lea eigentlich war.
„Hast du überhaupt schon einen Führerschein?“, fragte Annika Lea plötzlich, die bereits im Begriff war, den Wagen zu starten.
„Nee, natürlich nicht!“, sagte Lea lachend. „Aber es ist wirklich nicht weit und ich habe ja extra das Auto von meinem Papa genommen. Das ist echt supersicher und mit dem werden wir auch garantiert nicht angehalten und wenn, passiert auch ganz bestimmt nichts, denn mein Papa ist ja so was wie der Chef von allen Polizisten hier.“
Annika war überrascht und beeindruckt zugleich und sie merkten auch erst jetzt, dass sie in einer wirklich luxuriösen Limousine saßen. Annika nickte daher nur, achtete aber sorgfältig darauf, dass sie auch wirklich richtig angeschnallt war.
„Sehr gut! Ich garantiere die sicherste Fahrt überhaupt!“, versprach Lea, wobei die Felix über den Rückspiegel zuzwinkerte, der Lea wie sie sehr gut wusste, sowieso überall hin gefolgt wäre.
Lea ließ also den Motor an und die Scheinwerfer läuteten augenblicklich auf. Dann sah sie ruiniert über ihre rechte Schulter und schlug das Lenkrad ein, bevor sie den Wagen langsam auf die Straße rollen ließ, von wo er majestätisch durch die Nacht zu dem etwas abseitsstehenden großen Haus glitt, in dem Lea mit ihren Eltern lebte.
Teil 2
Lea, Annika und Felix betraten das Haus durch die Tiefgarage, daher führte sie ihr Weg vorbei an der Waschküche über eine kleine Treppe in den ersten Stock. Annika und Felix waren daher ziemlich überrascht, als sie plötzlich in einem großen nur spärlich beleuchteten Foyer mit einer weiß laktierten Freitreppe standen. Doch Lea zögerte keine Sekunde und führte sie die große Treppe hoch in den ersten Stock, wo am Ende eines kleinen Flurs ihr Zimmer lag. Im Vergleich zum Eingangsbereich war das Zimmer winzig klein, auch wenn ein großes Bett, ein Schreibtisch, ein Schrank und zwei Regale darin platz hatten. Das Zimmer wirkte nachts aber auch kleiner als am Tag, denn die zwei großen hohen Fenster, die den Raum bei Sonnenschein über Eck beleuchteten, waren jetzt nur große schwarze glänzende Flächen, während alles Licht nur von einem einfachen weißen Papier-Lampinon kam, der an der Decke hing.
„Ihr müsst unbedingt heute hier übernachten. Ich habe nie Übernachtungsgäste!“, sagte Lea und riss sofort ihren Schrank auf.
„Hier Annika! Für dich habe ich einen superschönen Schlafanzug.“ und mit diesen Worten zog Lea einen rot-blau karierten Schlafanzug hervor. „Und wir haben einen richtigen Strauß frischer Gästezahnbürden im Bad!“
Annika konnte Leas Wunsch sehr gut nachempfinden und ein Teil ihres Herzens wollte die Einladung auch wirklich gerne annehmen. Doch sie sah keine Möglichkeit hier zu übernachten, ohne zugeben zu müssen, dass sie nachts noch relativ häufig ins Bett machte, und daher im Bett genau wie Felix eine Windel tragen musste. Das Risiko schien ihr jedenfalls viel zu groß, zumal sie Lea ja erst wenige Stunden kannte, und Lea schließlich auch auf ihre Schule ging, wenn auch eine oder zwei Klassen höher. Daher sagte Annika nur, dass sie erst ihre Mutter fragen müsse, und dass die es wohl nicht erlauben werde.
„Doch das muss sie!“, bettelte Lea. „Wir lassen einfach meine Mutter mit deiner Mutter sprechen. Die kriegt sie sicher rum!“ Annika erschrak sehr, ob dieser Reaktion, da es natürlich gar nicht in ihrem Sinne war, dass Leas Mutter mit ihrer Mutter sprach, denn wie sollte sie so ihr Geheimnis schützen und verhindert, dass ihre Mutter Leas Mutter ins Vertrauen zog? Daher sagte Annika schnell:
„Ich glaube nicht, dass das hilft. Außerdem braucht Felix sein Zeug.“
„Ja, was braucht er denn?“, fragte Lea neugierig. „Eine frische Windel hast du ja noch im Rucksack!“ Annika hatte nicht mit einer so direkten Antwort gerechnet. Doch jetzt merkte sie, dass sie sich mit ihrer Ausrede nur noch mehr in Schwierigkeiten gebracht hatte. Aber hier kannte sie sich immerhin aus.
„Ja schon. Ich glaube sogar mehr als eine“, sagte sie langsam, um etwas Zeit zu gewinnen.
„Aber Windeln allein reichen nicht.“ fuhr Annika fort, indem sie sich an Felix kleines Unglück vom Morgen erinnerte. „Besser ist beispielsweise, noch ein Überhöschen aus Frottee oder so anzuziehen.“ Annika war ziemlich zufrieden mit ihrer Erklärung, da sie davon ausging, dass Lea keine Lust haben würde, sich um Felix wie um ein Baby zu kümmern. Aber Lea sagte nur:
„Gut. Was noch?“ Das verwirrte Annika und so dachte sie Hilfe suchend an das, was Babys typischerweise sonst so zum Schlafen anhaben und sagte:
„Na ja, zum Schlafen ist auch ein Body wichtig, damit die Windel nicht aufgeht oder verrutscht.“ Das stimmte ja eigentlich nicht – jedenfalls glaubte Annika nicht wirklich, dass es notwendig wäre. Auch fand sie ihre Lügen Felix gegenüber langsam wirklich unfair. Doch Lea sagte nur:
„Stimmt!“ und fuhr dann zu Felix gewandt fort:
„Willst du mir vielleicht ein Bild malen? Ich und Annika haben kurz etwas zu tun.“ Das kam überraschend, aber Felix war einverstanden und stimmte zu, wie er zu allem was Lea sagte, jagesagt hätte.
Lea räumte also schnell ihren Schreibtisch etwas frei und gab Felix einen Stoß unterschiedlicher Blöcke und zwei Kisten mit Stiften und anderen Farben. Dann rückte sie den Strebtischstuhl zurecht und Felix setzte sich auch sofort brav hin.
Kaum hatte Felix den Mädchen den Rücken zugewandt, begann er, da er am Tisch sitzend ja auch gar nichts anderes tun konnte, die Blöcke anzusehen und die Eigenheiten der unterschiedlichen Farben und Papiersorten zu untersuchen. Felix fand das wirklich interessant. Aber nach einer Minute musste er noch einmal aufstehen, weil Lea den Umfang seiner Hüfte und die Länge seines Oberkörpers messen wollte. Das tat sie mit einem sehr professionell wirkenden Maßband und wirkte dabei auch sehr geschickt. Annika erzählte sie später, dass sie vielleicht mal Schneiderin oder Designerin werden wollte. Felix bekam aber gar nicht wirklich mit, worum es ging, denn er hatte plötzlich eine tolle Idee für das Bild, das er malen wollte. Daher vertiefte er sich auch gleich in seine Arbeit und Lea und Annika ließen ihn allein, mit dem Versprechen bald wieder zu kommen.
Lea und Annika waren aber noch nicht wieder da, als Leas Mutter einige Zeit später auf der Suche nach Lea ins Zimmer kam. Doch da Felix annahm, es seien Lea und Annika, hatte er sich zuerst nicht einmal umgedreht, sodass ihm Leas Mutter bereits über die Schulter blickte, als er sie bemerkte.
„Lass dich nicht stören mein Kind!“, sagte sie sofort, als sie seinen erschrockenen Blick sah, und wandte sich sofort zum Gehen. Doch an der Tür blieb sie stehen und sah noch einmal zu Felix herüber:
„Wenn Lea wieder da ist, sag ihr bitte, dass ich sie sehen will und sie soll dich ruhig mitbringen.“, mit diesen Worten verließ Leas Mutter ihr Zimmer und Felix widmete sich weiter seinem Bild.
Derweilen waren Lea und Annika den Weg, den sie gekommen waren bis zur Waschküche zurückgegangen, wo auch ein großer weißer Wandschrank für Wäsche stand, aus dem Lea zuerst ein altes rotes Shirt und dann ein Handtuch in einer bestimmten Größe und Farbe holen wollte, um daraus für Felix ein Überziehhöschen zu nähen.
„Du willst aus einem Handtuch einfach so ein Höschen nähen? Ist das nicht viel zu aufwendig?“, fragte Annika überrascht, als Lea sie in ihr Vorhaben einweihte.
„Nee das ist ganz leicht“, erwiderte Lea. „Das gilt aber nur für Baby- und Bikini-Höschen.“
„Was ist ein Bikini-Höschen?“, wollte Annika jetzt wissen.
„Na ja, ich meine so eine Badehose für Frauen, die links und rechts der Hüfte mit zwei Schleifen getragen werden“, fuhr Lea fort. „Das ist dasselbe Prinzip. Schau. Das Handtuch hat zwei lange und zwei kurze Seiten. Wenn wir jetzt zwei Bänder nehmen und sie entlang der kurzen Seiten am Saum annähen und dann die beiden Enden auf der linken zusammenbinden und dasselbe auf der rechten Seite machen, kann man das Handtuch wie ein einfaches Höschen tragen.“ Zur Verdeutlichung nahm Lea dabei das Handtuch, legte die kurzen Enden übereinander und hielt es an den offenen Ecken hoch, sodass ihre Hände die Schleifen ersetzten. Annika begriff langsam:
„Wenn die Länge der kurzen Seiten zusammen dem Hüftumfang entspricht, ist aber doch viel zu viel Stoff zwischen den Beinen?“, wunderte sie sich.
„Na ja“, Lea schmunzelte. „Für ein normales Höschen schon. Aber bei einem Windel-Höschen ist das nicht schlimm, denke ich. Im Gegenteil. Ich glaube, der zusätzliche Stoff könnte als extra Auslaufschutz an den Beinen sogar ganz nützlich sein. Du wirst schon sehen!“
Inzwischen waren die beiden in einem kleinen Raum im zweiten Stock angekommen, der schräge Wände hatte, und in dem – abgesehen von einigen schmalen Schränken – nur ein kleiner Nähtisch mit einer elektrischen Nähmaschine stand.
Lea setzte sich an den Nähtisch und kramte aus einem Schub hinter dem Tisch ein rosa Band hervor, das ca. einen Zentimeter breit war. Davon maß sie dreimal die Strecke der kurzen Seite des Handtuchs ab und schnitt die so bestimmte Länge ab. Dann legte sie das restliche Band wieder in die Schublade.
„Hast du nicht gesagt, dass es zwei Bänder haben soll?“, erkundigte sich Annika sofort.
„Ja. Aber ich hatte gerade eine Idee, wie es auch mit nur einem geht und so verhindern wir glaube ich auch, dass unser Windelkind sich des Höschens später selbst wieder auszieht.“ sagte Lea, zwinkerte Annika lustig zu und schlug auf einer der kurzen Seiten etwa eine Handbreit des Handtuchs um, bevor sie das Band geschickt in die entstandene Falte zog. Dann schaltete sie die Nähmaschine an und ließ die umgefaltete Kante sehr schnell unter der schnell laufenden Nadel entlang gleiten und wiederholte das viermal, wobei sie das Nähmuster beim zweiten Mal ruiniert auf Zickzack stellte.
Danach zeigte sie Annika das Ergebnis. Das Band war in der Falte ordentlich festgenäht.
Jetzt nahm Lea eine Nietenzange aus dem Regal hinter der Nähmaschine und legte eine Lochniete ein, die sie frei etwa eine Handbreit vom Rand entfernt in der Mitte der anderen schmalen Seite des Handtuchs platzierte. Ein fester Druck mit der Zange – fertig – und dann gleich noch eine dicht daneben. Annika war beeindruckt. Aber Lea fädelte nur schnell die beiden Enden des rosa Bands durch je eine Öse und legte den Stoff dann wieder unter die Nähmaschine. Eine weitere Naht, die wieder vierfach verstärkt wurde, entstand. Das war’s!
Lea knotete das rosa Band zu einer schönen Schleife und reichte das fertige Kleidungsstück Annika zu Begutachtung.
„Genial!“, sagte Annika. Aber Lea lachte nur, griff nach dem langen verwaschenen roten Shirt, dass sie auch aus dem Wäscheschrank geholt hatte, und legte es auf den Tisch, als wollte sie es anziehen. Doch statt hineinzuschlüpfen, nahm sie eine Schachtel mit Druckknöpfen aus der Schublade unter der Nähmaschine. Fasziniert sah Annika, dass es einfach eine spezielle kleine Plastikklammer gab, um die Druckknöpfe anzubringen. Das sah auch ganz einfach aus:
Lea schob den Stoff zwischen die Klammer. Ein fester Druck und der erste Knopf saß knapp über der Naht des Saums genau mittig auf der Vorderseite des Shirts. Von oben war aber nur ein kleiner dünner silberner Ring mit einem Durchmesser von etwa 10 Millimetern zu sehen. Annika fand auch diese Technik sehr beeindruckend und sie hatte noch zwei weitere Male Gelegenheit Lea dabei zu beobachten. Doch sie musste gut aufpassen, denn Lea arbeitet schnell und kurz darauf hatte das T-Shirt vorne und hinten jeweils drei Knöpfe, die mittig mit einem Abstand von je drei Zentimetern entlang des Saums angebracht waren und tatsächlich genau so aussahen, wie die, die Annika schon oft bei echten Babysachen gesehen hatte. Nur waren diese Knöpfe vielleicht etwas größer. Lea schloss probehalber alle drei Knöpfe und demonstrierte Annika mit den Händen, wo später Felix Beine sein sollten.
„Genial“, sagte Annika wieder. Doch dann hatte sie plötzlich ein schlechtes Gewissen, denn weil sie Angst hatte, und nicht bei Lea übernachten wollte, hatte Lea sich die ganze Mühe jetzt umsonst gemacht. Aber dann faste Annika einen Entschluss.
„Kann ich hier mal irgendwo telefonieren?“ wandte sie sich an Lea.
„Klar!“, sagte Lea. „Komm wir können jetzt eh wieder runter gehen. Da kannst du an Papas Schreibtisch ungestört telefonieren.“
Lea nahm die Sachen, die sie für Felix gemacht hatte, mit und führte Annika in das Arbeitszimmer ihres Vaters. Da gab es einen riesengroßen Schreibtisch aus schwerem dunklen Holz und an allen Wänden waren Bücherregale mit dicken in Stoff gebundenen Bänden. Doch Lea schon Annika einfach den Schreibtischstuhl zurecht und langte über den Schreibtisch um das altmodische Telefon zu sich heranzuziehen.
„Kannst du die Nummer auswendig?“, fragte sie noch und, als Annika nickte, ließ Lea Annika allein und Annika nahm vorsichtig hinter dem Schreibtisch platz. Dann wählte sie schnell die vertraute Nummer. Ihre Mutter war auch gleich dran und das Gespräch dauerte nicht lange, denn natürlich hatte sie Verständnis für ihre Tochter, auch wenn sie ihr etwas anderes gewünscht hätte.
Annika verließ also wenig später das Arbeitszimmer. Sie fand Lea in ihrem Zimmer, wo sie hinter Felix stand, der immer noch am Schreibtisch saß.
„Echt für mich?“, sagte Lea gerade und Annika spürte, dass Lea ehrlich gerührt war.
„Dann musst du es mir aber noch auf der Rückseite signieren!“
„OK“, sagte Felix stolz. Doch dann zögerte er: „Aber welchen Namen soll ich schreiben?“, fragte er schüchtern.
„Ich glaube, du kannst ruhig Felix schreiben“, mischte sich Annika ein, worauf sich Felix sofort zu ihr umdrehte und ihr zur Begrüßung ein Lächeln schenkte.
„Ja stimmt“, bestätigte Lea. „Das ist dann sozusagen dein Künstlername!“ Das gefiel allen und Felix stand auf, weil er ihnen nicht länger den Rücken zu wenden wollte.
„Halt! Stopp!“, rief Lea sofort. „Es fehlt ja noch der Titel. Oder soll ich den Titel dazu schreiben?“
Felix nickte. „Ja, bitte!“
„Wie heißt es denn?“, fragte Lea. Doch Felix wollte Lea den Titel nur ins Ohr flüstern. Also hielt sie ihm ihr Ohr hin und sagte dann laut:
„Das Bild heißt ‚für Lea‘? Das ist süß. Aber sollte es nicht besser ‚Auf der Flucht‘ oder ‚Flucht vor den Fängern im Wald‘ heißen?“
„’Die Fänger im Wald‘ ist auch gut“, sagte Felix schüchtern und so schrieb Lea über seine etwas kindliche Unterschrift ganz vorsichtig, damit es sich nicht durchdrückte, mit einem weichen Bleistift „Die Fänger im Wald“ und fügte dann noch das aktuelle Jahr hinzu.
„Fast hätte ich es vergessen. Deine Mutter will dich sehen und wir sollen glaube ich auch mitkommen“, sagte Felix schnell, dem sein Auftrag gerade erst wieder eingefallen war.
„Na dann kommt! Wir zeigen das Bild gleich meiner Mutter. Die muss mir unbedingt auch einen schönen Rahmen dafür besorgen.“ Und mit diesen Worten sprang Lea auf und Annika und Felix folgten ihr in eines der repräsentativen Wohnzimmer, wo Leas Mutter an einem langen Esstisch saß und Zeitung las.
Als sie die Kinder kommen sah, legte sie die Zeitung beiseite und hieß sie Willkommen, indem sie Annika und Felix die Hand gab. Dann betrachtete sie lange Felix Bild, das einen dunklen Wald zeigte, in dem eine Person in einem weißen Kleid vor einem unsichtbaren Verfolger floh. Das Bild war überraschend ausdrucksstark und wirkte in Anbetracht der einfachen Mittel, Wachskreide auf Papier, technisch erstaunlich gut. Das weiße Kleid war zwischen den dichten dunklen Stämmen, die bunte aber deshalb nicht weniger bedrohliche Schatten hatten, klar zu erkennen. Auch die Bewegung der Flucht wurde sehr deutlich. Gleichzeitig war alles bei genauer Betrachtung so grob, dass es fast schon abstrakt wirkte. Diesen Eindruck verstärkte die teilweise ungewöhnliche Farbwahl. Dennoch wirkte das Bild nicht unnatürlich.
„Ich habe das Bild geschenkt bekommen. Würdest du es für mich rahmen lassen?“, fragte Lea, nachdem ihre Mutter schon eine ganze Weile geschwiegen hat.
„Sicher!“, sagte Leas Mutter immer noch in das Bild vertieft. Aber dann blickte sie auf und sah Felix prüfend an.
„Bist du dir sicher, dass du das Bild weggeben willst?“, fragte sie streng, und als Felix nicht gleich antwortete, fügte sie hinzu: „Es ist wirklich gut. Viellicht wirst du nie ein besseres mahlen.“
Felix sah Leas Mutter verständnislos an. Doch dann lächelte er und flüsterte, dass das Bild für Lea sei.
„Na dann, danke“, sagte Leas Mutter stellvertretend für Lea. Dann fügte sie hinzu:
„Ich habe oben in der Galerie ein kleines Foto, dass ich dir schenken möchte. Bleibst du heute Nacht hier?“
Felix war überrascht und gerührt und sah fragend zu Lea, die aber im ersten Moment nur vielsagend lächelte. Doch dann nickte sie und bestätigte so, dass Felix bei ihr übernachten würde.
„Sehr schön“, sagte Leas Mutter und erhob sich, bevor sie zu Lea fortfuhr:
„Du musst gleich zu Frau Schubert gehen, und sie bitten Euch noch etwas zu essen zu geben. Außerdem soll sie deiner kleinen Freundin noch die Windel wechseln. Aber ihr dürft sie nicht zu lange beanspruchen. Du weißt, dass sie um acht Uhr Feierabend hat.“
Damit waren die Kinder entlassen und Leas Mutter verabschieden sich freundlich. Doch Felix und Annika konnten darauf nur mechanisch reagieren. Felix war immer noch zu erschrocken und auch Annika schien sich Sorgen zu machen. Aber Lea führte sie nur schnell zurück in ihr Zimmer.
„Was machen wir den jetzt?“, fragte Annika besorgt, kaum dass sie außer Hörweite waren.
Doch Lea lachte nur und sagte:
„Frau Schubert könnten wir alles erzählen. Die ist supercool! Aber wir brauchen Felix doch nur das Kleid aus und ein Shirt anzuziehen. Dann ist er eben heute Abend ein kleiner Junge und das kleine Problemchen ist gelöst! Meine Mutter sehen wir sowieso frühestens morgen Mittag wieder. “
Das beruhigte Annika und Felix fand es auch ganz gut, das Kleid loszuwerden zumal es seine Funktion ja offensichtlich nicht mehr erfüllte. Die Drei gingen daher vergnügt in Leas Zimmer zurück, wo Lea Felix auch tatsächlich gleich das Kleid, Annika gleichzeitig aber auch die weiße Strumpfhose auszog. Letztere hätte Felix lieber noch etwas anbehalten, doch er merkte erst, dass er sie wieder angezogen bekam, nachdem Lea ihn schon in das rote Shirt gesteckt hatte. Sein Protest wegen der Strumpfhose lenkte ihn daher genau im richtigen Moment ab, damit Lea die drei Knöpfe zwischen seinen Beinen ungestört schließen konnte, und als Felix plötzlich spürte, wie der Stoff sich spannte, da er kein normales Shirt anhatte, war er für einen Moment so irritiert, dass Lea ihm auch gleich die rote Strumpfhose wieder ordentlich hochziehen konnte. Und als sie ihm schließlich auch noch den dunkelblauen Kaschmir-Pullover angezogen hatten, gab er seinen Widerstand auf und setzte sich wieder brav auf seinen Windelpo.
„Komm! Aufstehen!“, sagte Lea sofort. „Wir dürfen doch Frau Schubert nicht warten lassen.“ und Lea und Annika reichten Felix je eine Hand, um ihm gemeinsam aufzuhelfen. Dann nahmen sie ihn in die Mitte und Lea führte sie zu Frau Schubert, die eine kleine Einliegerwohnung im selben Haus bewohnte.
Anders als die Ermahnungen von Leas Mutter hatten vermuten lassen, schien Frau Schubert überhaupt nichts dagegen zu haben, dass die Kinder zu ihr kamen und etwas von ihr wollten.
„Aber natürlich mache ich Euch noch ein Abendbrot!“, sagte sie liebevoll. „Was wollt Ihr den essen?“
„Danke! Wir nehmen, was da ist. Hauptsache es passt für Dich zeitlich…“, erwiderte Lea.
„Ach Lea!“, seufzte darauf Frau Schubert. „Da spricht deine Mutter aus dir. Du weißt doch, dass Zeit für mich nicht dieselbe Bedeutung hat.“
„Zum Glück!“, sagte Lea, aus tiefstem Herzen und lächelte Frau Schubert vielsagend an und Annika und Felix merkten plötzlich, wie vertraut Lea mit Frau Schubert sprach. Viel vertrauter als mit ihrer eigenen Mutter.
„Aber wir haben noch eine Bitte. Mein kleiner Freund hier braucht vor dem Zubettgehen auch noch einen Windelwechsel!“, fuhr Lea fort und schob Felix bei den letzten Worten einen halben Schritt vor.
„Kein Problem!“, lachte Frau Schubert. „So was hatten wir ja hier seit Jahren nicht! Da muss ich gleich mal schauen, ob noch Windeln da sind.“
„Hier wäre eine“, sagte Annika schüchtern und reichte Frau Schubert die Windel, die sie beim Verlassen von Leas Zimmer noch schnell aus ihrem Rucksack geholt hatte.
„Ah – sehr gut!“, sagte Frau Schubert. „Ich verstehe. Ihr Mädchen wisst nur nicht, wie es geht?“
Annika hätte es aus eigener Erfahrung zwar schon gewusst. Aber vorsichtshalber sagte sie nichts und Frau Schubert sprach auch gleich weiter:
„Ist eigentlich ganz leicht. Aber jetzt bekommt ihr drei erst mal was zu essen!“ und mit diesen Worten führte sie dir drei Kinder in die Küche, wo auch ein kleiner schmaler Tisch stand, an dem sie nebeneinander Platz fanden: Annika außen, Lea in der Mitte und Felix neben Lea.
Die Kinder sahen so direkt auf Frau Schuberts Rücken, die sogleich geschäftig zwischen Kühlschrank und Herd hin und her ging und dabei lustige Geschichten erzählt, wähnend sie kochte und die routinierte Art, mit der sie das tat, ließ Annika und Felix vermuten, dass Frau Schubert Lea schon oft so bekocht hat. Sie wusste jedenfalls genau, was sie taut und kurze Zeit später stand vor jedem Kind ein tiefer Teller, gut gefüllt mit viel Rahmspinat, Kartoffelbrei und je einem perfekten Spiegelei. Zuvor hatte Frau Schubert Felix noch schnell ein Küchentuch als Lätzchen umgebunden, was er klaglos ertrug, da er wegen des anstehenden Windelwechsels sowieso auf einiges gefasst war. Felix sagte daher auch nichts dazu, dass er – anders als die Mädchen – zum Essen nur einen Löffel bekam, sodass er sich mit dem Spiegelei von Lea helfen lassen musste, die jedoch scheinbar gerne die große Schwester spielte, und ihm unaufgefordert sein Spiegelei in kleine mundgerechte Stücke schnitt. Frau Schubert sah ihnen derweil an den Kühlschrank gelehnt beim Essen zu und unterhielt sie weiter mit kleinen Anekdoten aus ihrem Leben, das wohl sehr abwechslungsreich gewesen sein musste, wenn es sich bei den kleinen Geschichten nicht um eine Art Küchen-Seemannsgarn handelte, was außer vielleicht Lea aber keines der Kinder einzuschätzen in der Lage gewesen wäre.
Dann als alle ihren Spinat aufgegessen hatten, wurde die Tafel auch schon aufgehoben. Lea und Annika waren frei zu tun, was sie wollten und so gingen sie von der kleinen Küche direkt in den dunklen Garten, dessen Wege jetzt durch kleine automatische Lampen beleuchtet waren, während Felix in das untere Bad geführt wurde, wo Frau Schubert gleichzeitig Felix dabei beaufsichtigte, wie er sich die Zähne putzte und warmes Wasser in die Wanne einlaufen ließ. Kaum hatte Felix ausgespuckt, begann Frau Schubert ihn auch schon auszuziehen, denn genau, wie Lea gesagt hatte, stellte Frau Schubert wirklich nicht viele Fragen. Nur als sie Felix schließlich die Windel abnahm und feststellte, dass die inzwischen gründlich benutzt war, sah sie ihn zweifelnd an und sagte:
„Wir setzen dich jetzt aber trotzdem erst mal aufs Töpfchen, oder?!“. Aber das war eigentlich auch keine richtige Frage, denn ohne eine Antwort abzuwarten, platzierte sie Felix auf dem Toilettensitz. Felix war das alles sehr peinlich und so sah er nur schüchtern zu Boden, als Frau Schubert ihm jetzt sacht über den Kopf strich.
„So! Ich bin gleich um die Ecke“, sagte Frau Schubert unbekümmert, bevor sie ihn allein ließ und die Tür zu machte, sodass Felix nur noch gedämpft hörte, wie Frau Schubert den Tisch abräumte und die Töpfe spülte. Felix war aber nur kurz allein, denn wie zu erwarten war, kam Frau Schubert ziemlich bald wieder, um nach ihm zu sehen. Da hatte Felix aber schon gespült und war auch sonst schon fertig und so durfte er gleich in die Badewanne steigen, die riesengroß war, und in der sich mittlerweile ein sehr großes Schaumgebirge auftürmte, sodass Felix nur umso lieber darin untertauchen wollte. Felix beeilte sich daher sehr ins Wasser zu kommen, sodass beim Einsteigen sogar etwas Badewasser aus der Wanne schwappte, bevor er im nächsten Moment überglücklich in der Wanne saß.
Felix fühlte sich augenblicklich pudelwohl, fürchtete aber kurz, Frau Schubert könnte ihn wegen des Wassers am Boden ausschimpfen. Doch als sie Felix gleich darauf wieder über den Kopf streichelte, sagte sie nur:
„Ja, in der großen Wanne zu baden, hat die kleine Lea auch immer geliebt!“, worauf sie sich auf die Badewannenkante setzte und Felix tief in die Augen sah:
„Ich kann dich doch jetzt wieder einen Moment allein lassen, ohne dass du hier was anstellst?“
Felix nickte.
„Und ertrinken wirst du auch nicht?“
Felix nickte wieder.
„Oder soll ich dir eines der Mädchen zum Aufpassen schicken?“
Felix schüttelte den Kopf.
„Aber dürfen die Mädchen später zusehen, wenn ich dir frische eine Windel anlege?“
Felix wich ihrem Blick nicht aus, zucke aber nur schüchtern mit der Schulter. Daher fragte Frau Schubert weiter:
„Ist Annika deine Schwester?
Felix nickte, ohne zu zögern.
„Hat sie schon mal zugeschaut, während du gewickelt wurdest?“
Felix überlegte kurz. Dann nickte er wieder.
„OK“, sagte Frau Schubert. „Dann denke ich, dass es in Ordnung ist, wenn es dazu kommen sollte. Gibt es sonst etwas, was ich beachten oder wissen muss?“
Felix dachte nach. Dann fragte er:
„Waren sie früher Leas Kinder-Frau?“
Frau Schubert lachte. „Ja, das kann man sagen. Andere würden Kindermädchen sagen. Aber ich sehe mich mehr als ‚die Amme‘ in William Shakespeares Rome und Julia.“
Felix verstand die Anspielung nicht ganz. Aber das machte nichts, denn Frau Schubert hatte sich schon erheben, streichelte ihm noch einmal kurz über den Kopf und ging dann wieder in die Küche. Doch dieses Mal ließ sie die Tür zum Bad offen stehen.
Die Tür blieb auch offen, als Frau Schubert nach ein paar Minuten wieder kam, um Felix aus der Wanne zu holen und abzutrocknen. Dass die Tür offenblieb, vergaß Felix allerdings gleich wieder, denn, als Frau Schubert wieder bei ihm war, überraschte sie ihn, indem sie ihm ganz selbstverständlich einen Schnuller in den Mund steckte. Frau Schubert schien seine Überraschung gespürt zu haben, jedenfalls hielt sie kurz inne, doch da Felix nicht protestiert und auch sonst nichts sagte, wandet sie sich ab und breitete schnell die Windel, die Annika ihr gegeben hatte, auf der Waschmaschine aus, die neben der Badewanne stand.
Ob es am Schnuller oder an Frau Schuberts freundlich verbindlicher Art lag, hätte Felix nicht sagen können, aber es war ihm wie seine tägliche Routine vorgekommen, als er sich, nachdem er abgetrocknet war, auf die Waschmaschine helfen ließ, wo er die Beine baumeln lassen konnte, bevor er sich automatisch auf den Rücken legte, damit Frau Schubert die Windel umfalten und auf seinem Bauch glatt streichen konnte. Damit war Felix eigentlich bereits so gut wie fertig gewickelt. Doch in diesem Moment drehte sich Frau Schubert zur offenen Tür um und sagte fröhlich:
„Ja, ja. Kommt nur herein. Ihr kommt gerade richtig!“ Darauf erschienen Lea und Annika neben der Waschmaschine, die Frau Schubert als Wickeltisch diente, und Frau Schubert erklärte den Mädchen, worauf sie beim Anlegen einer Windel achten sollten.
„Die Bündchen müssen dicht anliegen. Dürfe aber natürlich nicht einschneiden!“, erklärte sie. „Zwei Finger sollten immer zwischen Babybauch und Windel passen“, fügte sie hinzu, währen sie langsam die Klebestreifen schloss, sodass sie genau gerade und im gleichen Abstand zu Felix Bauchnabel fixiert waren, infolgedessen die Windel absolut gerade und wie angegossen saß. Dass die Windel wirklich gut saß, merkte auch Felix gleich, als er sich nun von der Waschmaschine gleiten ließ und irgendwie machte das die ganze Situation viel natürlicher, als objektiv betrachtet war. Es spielte aber anderseits auch wieder keine so große Rolle, denn nun zog Lea Felix das Höschen an, dass sie für ihn genäht hatte, und zeigte Frau Schubert stolz, wie es mit einer Schleife und einem Doppelknoten am Rücken geschlossen werden konnte. Frau Schubert schien davon sehr angetan zu sein und sie versuchte sogar probehalber das Höschen in geschlossenem Zustand herunter zuziehen.
„Keine Chance!“, sagte sie lächelnd.
Nun war der improvisierte Body an die Reihe und als Lea die drei Knöpfe in Felix Schritt zugeknöpft hatte. Merkte Frau Schubert sofort an, dass der Stoff des Höschens, der an den Beinen überstand und nun unter dem umgearbeiteten Shirt hervorschaute, ein sehr guter zusätzlicher Auslaufschutz sei.
„Aber ich denke nicht, dass das notwendig sein wird!“, schloss sie, während sie Felix die rote Strumpfhose an und ordentlich hochzog und ihn dann mit einem leichten Klaps auf seinen Windelpo entließ.
Lea dankte Frau Schmidt, die aber keinen Dank wollte, und den Kindern stattdessen einen schönen Abend und später schöne Träume wünschte, worauf die Drei in Leas Zimmer zurückgingen, wo Annika auf die Uhr sah und feststellte, dass sie in fünfzehn Minuten abgeholt werden würde.
„Aber du bleibst hier!“, sagte sie zu Felix, der verwirrt schaute, obwohl er ahnte, was der Grund dafür war, dass Annika Leas Angebot nicht hatte annehmen wollen.
„Aber morgen früh kommst du wieder!“, versicherte sich Lea, worauf Annika nickte. Damit war Lea zufrieden und Felix wurde in Leas Bett geschickt, wo sie ihn zwischen ihnen Kuscheltieren platzierte und ihm, als sie mit dem Arrangement zufrieden war, auftrug die Augen zuzumachen und zu schlafen, da sie selbst mit Annika nach untergehen und dort auf ihre Mutter warten werde.
Felix gehorchte, war jedoch noch nicht eingeschlafen, als Annika zwanzig Minuten später zurückkam, sich im Dunkeln auszog, bevor sie erst in ihren Schlafanzug und dann in ihr Bett unter die Decke schlüpfte.
Am nächsten Morgen kam Annika wieder und sie frühstückten noch alle zusammen. Dann erschien Leas Mutter und Felix bekam eine kleine gerahmte Fotografie geschenkt, die einen Blick in einen wunderschönen dichten Wald zeigte. Doch Leas Mutter erinnerte Lea auch, dass sie bald zu einer Hochzeit aufbrechen müssten, sodass die gemeinsame Zeit der Kinder ein einigermaßen plötzliches Ende fand, obwohl es der Abschied immerhin noch dadurch verlängert wurde, dass Leas Mutter einwilligte, Annika und Felix mitzunehmen und sie noch nach Hause zu fahren. Felix sah Lea jedoch lange Zeit nicht wieder, der er sich weiterhin verbunden fühlte.
Auch dachte er oft an sie und das gerahmte kleine Foto, dass ihre Mutter ihm schenkte, hatte einen festen Platz über seinem Schreibtisch. Aber sie sahen sich erst wieder, nachdem Felix eines Tages in der hinteren Ecke einer Kommodenschublade ein Mixed-Tape mit dem Song „You touched me by my heart, when you took me by my hand“ fand und ihr endlich einen kleinen Brief schrieb, wie er es bereits oft vorgehabt hatte. Dem Brief legte Felix die Kassette bei. Darauf erhielt er einige Tage später von Lea eine Karte, die rosa und weiß und wie eine Windel gefaltet war.
Felix wusste gleich, dass er, sobald er den Brief gelesen hat, zu seiner Schwester laufen und ihr davon erzählen wird. Dennoch war er froh, dass er die Karte in einem Umschlag erhalten, und dass er den Umschlag erst in seinem Zimmer aufgemacht hatte. Mit klopfendem Herzen faltete er die mit einer kleinen rosa Schleife verzierte rosa Papierwindel auseinander: Wie eine Einlage hatte Lea einen weißen Streifen Papier in die Windel geklebt und darauf stand in blass blauer Mädchenschrift, dass er sie gerne einmal wieder besuchen dürfe.
Autor: N. N. (eingesandt via E-Mail)
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Was Annika für Felix näht, sieht übrigens so aus:
wickelecke.wordpress.com/2017/03/03/zum-selbermachen/
Wann kommt die fortsetzung?
Kennt jemand noch weitere Geschichten über Felix und seine Schwestern? (Bisher habe ich gefunden: Felix und der Skikurs, Felix, Annika und die Fänger im Wald, Felix und die Orchsterfahrt, Felix und seine Schwester, Felix und die Schweizer Berge und Felix und das Haus am Meer
[…] Felix, Annika und die Fänger im Wald (2) – 1. Teil […]