Zyklus (1)
Windelgeschichten.org präsentiert: „Lückenfüller:“ Zyklus (1)
Anm. des Autors:
Guten Abend, liebe Leserinnen und Leser. Ja, das ist kein neues Kapitel der „Kerkwald-Geschwister“. Keine Sorge, an der Geschichte rund um Robin, Jakob und David schreibe ich von Herzen gerne weiter. Nur komme ich aktuell kaum dazu – vielleicht habt ihr ja auch schon gemerkt, dass schon einige Wochen kein neues Kapitel mehr kam, obwohl bis zu Kapitel 8 ja alle ein bis zwei Wochen ein neuer Teil fertig wurde. Leider habe ich momentan kaum Zeit zum Schreiben sondern bin mit anderen Dingen, die mir zum Glück auch sehr viel Spaß und Freude bereiten, beschäftigt.
Um euch die unerwartet lange Wartezeit bis zum nächsten Kapitel etwas zu versüßen, habe ich mal in meinem Entwürfe-Ordner gekramt und folgendes „Pilotkapitel“ für eine Geschichte gefunden. Ich habe es vor etwa einem halben Jahr geschrieben, als ich grade mit dem letzten Akt der „Verwandlung“ angefangen hatte und am herumexperimentieren war für das, was ich danach schreiben möchte. Einige der Ideen, der Szenerie oder auch der Figuren habe ich teilweise in übernommen für die „Kerkwald-Geschwister“, vielleicht fallen euch ja die Parallelen auf. ? Vieles ist aber natürlich auch anders.
So. Und jetzt lehnt euch zurück, macht euch einen warmen Kakao, ein frisches Fläschchen Milch oder was auch immer das angemessene Getränk für eur Little-Alter ist und habt viel Spaß beim Lesen!
Im Juli geht es dann auch wieder mit den Kerkwald-Geschwistern weiter, versprochen! ?
Alles liebe,
euer giaci9
Kapitel 1: Dejá vu
Samstag, 13. Mai, 9:14 Uhr – Internat Haus Nordhöhe, Sportgelände
Fröstelnd rieb sich Lars die Arme, während sein Blick müde über den von Nebelschwaden überzogenen Tennisplatz streifte. Auf den Feldern neben dem, an dessen Rand er grade stand, hatten die Teams bereits vor einigen Minuten mit ihren Matches angefangen und nun erfüllte ein stetes Klacken von über den Gummiplatz fliegenden Bällen den Ort. Die Luft war kalt und feucht, das warme Wetter der letzten Tage hatte sich umgekehrt und eine ungemütliche Atmosphäre geschaffen. Selbst auf dem Gummiplatz roch es nach schwerem, nassen Gras und sämtliche Geräusche, die sonst an einem Vormittag über das weitläufige Areal wanderten, wurden von der dicken Nebelsuppe geschluckt. Lars konnte vom Tennisplatz nicht einmal mehr den Schultrakt erkennen, stattdessen endete sein Sichtfeld im kleinen, dichten Wald, der die Wohnbarracken vom Haupthaus trennte. Der Fünfzehnjährige gähnte und wünschte, er wäre noch in seinem warmen Bett. Es war grade erst kurz nach Neun, verdammt früh, um schon auf den Beinen und auf dem Tennisplatz zu sein, grade, wenn man zu allem Überfluss auch noch das Frühstück verpasst hatte.
„Hey, wo bleibt denn deine Partnerin?“, rief Lars‘ Mitspielerin ungeduldig zur anderen Seite des Spielfeldes rüber, während sie sich über das Netz lehnte.
„Keine Ahnung, Mann!“, antwortete ihr Marvin, der zugleich Lars‘ Zimmergenosse, sein bester Freund hier im Internat und einer ihrer beiden Gegner beim gemischten Doppel war. Eigentlich hatte sich Lars nur wegen ihm zum Tennisclub angemeldet, aber nach mehr als einem Jahr musste mittlerweile auch er zugeben, dass es schlimmere Sportarten gab. Das einzige, was hier wirklich störte, waren die verdammten Samstagvormittags-Turniere um 9 Uhr.
„Mit wem haben wir denn überhaupt die Ehre?“, fragte Lars‘ Doppelpartnerin nach einigen stillen Sekunden in Richtung Marvin.
„Aurelia, aus dem Dorf“, antwortete Marvin während er über seine hälfte des Spielfeldes wanderte: „Vielleicht findet sie den Weg nicht bei dem Nebel oder so, keine Ahnung“, scherzte er.
Lars schluckte. Ausgerechnet Aurelia.
„Oh, das wird dann ja wenigstens spannend. Vorausgesetzt, sie taucht endlich mal auf!“, bemerkte Lars‘ motivierte Mitspielerin anerkennend.
Nervös erhob sich der Fünfzehnjährige von der Bank am Spielfeldrand, nahm seinen Schläger und schlenderte lässig rüber zu seinen beiden Mitspielern in die Mitte des Spielfeldes.
„Und, wach und ausgeschlafen?“, fragte Marvin grinsend von der anderen Netzseite, wissend, dass es vor einer halben Stunde ein schweres Unterfangen gewesen war, seinen Zimmergenossen aufzuwecken.
„Für euch wirds wohl reichen“, antwortete der angesprochene murmelnd und zog dabei einen Mundwinkel nach oben. Grade, als Marvin etwas auf Lars Bemerkung erwidern wollte, hörten sie das rattern einer Fahrradkette, das quietschen einer Bremse, und bevor sie eine Chance hatten, die Quelle des Geräusches im dichten Nebel ausfindig zu machen, kam bereits Aurelia mit ihrem mintgrünen Rennrad auf das Areal gebogen, sauste mit definitiv zu hoher Geschwindigkeit über den schmalen Mittelpfad zwischen den Spielfeldern, sprang von ihrem Rad ab und lief eillig auf das Spielfeld, auf welchem Marvin wartete.
„Sorry“, setzte sie an, während sie eine zugleich erklärende und abwehrende Handgeste machte und einen Ball aus dem bereitstehenden Korb nahm: „Mein kleiner Bruder hat mein Handy verloren und wir mussten ewig suchen, das Ding zu finden!“, erklärte sie und führte im selben Atemzug einen beinahe perfekten Aufschlag in Lars‘ Richtung durch.
Der wurde bleich und bewegte sich keinen Zentimeter in Richtung des vorbeisausenden Balles. Hatte sie das grade wirklich gesagt?
Am Abend zuvor:
Es war bereits am späten Abend. Lars hatte noch länger mit den anderen in den Gemeinschaftsräumen und auf den Fluren des alten, verwinkelten Internatsgebäudes rumgehangen, bis sie ein Betreuer schließlich allesamt auf ihre Zimmer gescheucht hatte. Marvin war anschließend rasch ins Bett gefallen und schnell im sanften Reich der Träume verschwunden, immerhin hatten sich die beiden Bewohner von Zimmer A13 ein paar Stunden zuvor beim Schwimmen auch mehr als verausgabt und waren beide entsprechend erschöpft. Doch Lars hatte mal wieder nicht einschlafen können und irgendwann, kurz vor Mitternacht, zum ersten Mal zu den neuen Schlaftabletten in seinem Schrank gegriffen. Lagen bereit genau für solche Fälle, auch wenn er sie bisher immer vermieden hatte. War eigentlich ein No-Go, denn diese Dinger zerstörten einem den Schlafrhythmus erst so richtig. Er hatte sich ins Bett gelegt in der Erwartung, bis morgen früh durchzuschlafen, doch hatte enttäuscht feststellen müssen, dass er nur wenige Momente später wieder bei Bewusstsein gewesen war.
Nur langsam war er zu sich gekommen. Das erste, was er gespürt hatte, war diese Nässe zwischen seinen Beinen gewesen. Alles war warm und nass. Erschrocken hatte er unter seine Bettdecke getastet mit der Erwartung, eine nasse Matratze zu erfühlen und sich dabei über sich selbst geärgert. Er musste ins Bett gemacht haben, verdammt. Vermutlich hatten ihn die Schlaftabletten so tief schlafen lassen, dass er nicht rechtzeitig aufgewacht war. Wie in einer schlechten Windelgeschichte. Hätte er doch besser mal eine der bunten Erwachsenenwindeln, die in seinem abschließbaren Schrank lagerten, angezogen …
Doch genau das fühlte Lars nun, als er seine Hand unter die Bettdecke gewurschtelt hatte: Keine Nässe, stattdessen trug er offenbar eine Windel. Müde blinzelte der Jugendliche und fragte sich, wann er denn gestern Abend doch noch eine Windel angezogen hatte. So recht konnte er sich nicht daran erinnern, was kurz vor seinem Einschlafen passiert war. Er verstand so langsam, warum Schlaftabletten keine gute Idee waren, immer noch war er ein wenig benommen. Aber so erholt. Nicht die Spur eines Muskelkaters, nicht einmal sein Knie schmerzte noch vom harten Aufprall auf dem Rasen gestern Nachmittag. Er fühlte sein weiches Bett so intensiv wie lange nicht mehr. Träge drückte er seinen Kopf in das verführerisch weiche Kissen und öffnete seine Augen wieder einen Spalt. Es musste noch früh am Morgen sein, ins Zimmer drang nur gedämpftes Licht. Benommen erblickte er eine der Grünen Creeper-Figuren aus dem Kinderspiel Minecraft auf seinem Kopfkissen und musste unwillkürlich lächeln. Nur um sich im nächsten Moment selbst daran zu erinnern, dass er als Fünfzehnjähriger Internatsbewohner definitiv keine Minecraft-Bettwäsche auf seinem Bett hatte! Nicht, dass er genau sowas nicht eigentlich wirklich gerne haben wollen würde, aber das könnte er außer Marvin nun wirklich niemandem seiner Freunde erklären. Lars drückte sich verwirrt vom Kopfkissen ab, sah zuerst auf die Matratze unter ihm und anschließend zur gegenüberliegenden Wand, wo sein Mitbewohner Marvin grade in seinem Bett lag. Abgesehen davon, dass gegenüber von Lars kein Marvin war. Nicht einmal ein Bett. Stattdessen eine hellblau-dunkelblau mellierte Wand, ein Bücherregal und ein großes, altmodisches Fenster mit dunkelroten Gardinen. Es brauchte einen Augenblick bis Lars Gehirn wach genug war, um zu realisieren, dass er sich in einem Hochbett befand. Einen Meter über ihm schwebte die Decke und unter ihm schien … war das wirklich möglich?
Panisch sah Lars im Raum umher während sich sein Herzschlag beschleunigte: Spielzeugautos lagen verstreut auf einem Autoteppich und vermischten sich mit Legosteinen, an der Stirnseite des Fensters stand ein kleiner, dunkler Schreibtisch auf dem ein paar Schulhefte ordentlich gestapelt waren. Er schien in einem fremden Kinderzimmer zu sein!
Erschrocken, mehr fallend als kletternd, stieg Lars die Hochbettleiter herab und lief ein paar Meter zur Türe, nur um dann doch wieder zu erstarren. Was war passiert? Wie war er hierhergekommen? Wie sollte er jemandem erklären, was er hier sollte? Er wusste es ja selbst nicht mal. Lars stand paralysiert vor der bedrohlich-riesigen Türe, die sich vor ihm aufbaute. Die musste sicherlich drei Meter hoch sein, selbst die Türklinke war erst auf seiner Brusthöhe angebracht. Der Jugendliche runzelte die Stirn und starrte unschlüssig in das Zimmer hinein, während er verzweifelt versuchte, sich auf die ganze Situation irgendeinen Reim zu machen. Er sah zurück auf das riesige Hochbett aus dem er grade erst herabgestiegen war und blickte als nächstes herunter auf die Ärmel des hellblauen Dinoschlafanzuges, den er offensichtlich anhatte. Passte zu seinem sonstigen Outfit. Hatte ihn jemand entführt und er war jetzt im ABDL-Himmel?
Erst als er heruntersah, verstand er, was grade passierte. Nach seinen Ärmeln traf sein Blick als nächstes die große, spiegelnde Heckscheibe des Spielzeug-Monstertrucks, welcher achtlos vor seinem Füßen geparkt war. Aus dieser Spiegelung sah ihn verwundert ein kleiner, dunkelhaariger Junge an. Blickte ihm mit seinen großen braunen Augen direkt in Lars‘ Pupillen. Lars legte seinen Kopf schief, bewegte seinen Arm vor dem Spiegelbild und war sich sicher: Das was er da in der Spiegelung sah, das war er. Na klar! Das war ein Traum! Er träumte grade, dass er wieder ein kleiner Junge war, ein kleiner Junge in Windeln!
Lars, der seit der Pubertät eigentlich keinen anderen Wunsch sehnlichster gehabt hatte als genau diesen, schlich zögerlich zu dem gemütlich wirkenden orangenen Sitzsack, der unter dem Hochbett stand und kuschelte sich an den großen, weichen Kuschelbären, mit dem er sich sein Zimmer zu teilen schien. Unwillkürlich musste er voller Freude kichern und war selbst erstaunt über die laute, die da aus ihm herauskamen. Er hörte sich an wie ein kichernder, kleiner Junge, der grade ein Weihnachtsgeschenk auspackte. Es war wie Magie.
„Boaah Teddy!“, rief Lars in seiner Euphorie beeindruckt zu dem Kuscheltier und musste abermals kichern, als er realisierte wie seine eigene Stimme klang. So hoch, wie ein aufgeregtes, freudiges Kind: „Was ist das für ein toller Traum! Kannst du auch reden oder so? Hey, wenn das mein Traum ist, kann ich mir einfach vorstellen, dass du reden kannst und dann kannst dus, oder?“, sprudelten die Ideen nur so aus ihm heraus. Den Kuschelbären in seinem Bett schien das allerdings kaum zu beeindrucken, blieb er doch ein recht schweigsamer, lebloser Geselle. Aber weich war er immerhin.
Die nächsten Minuten verbrachte er damit, durch sein Zimmer zu streunen und seine Traumlandschaft genauer zu erkunden. Schnell hatte er bemerkt, dass die Windel, die er anhatte, eine stark benutzte, gelb angelaufene Original-Pampers in der Riesengröße 8 war. Das größte, was es gab aus dem Hause Procter&Gamble. Genau so musste das sein! In den Regalen des gemütlich eingerichteten Kinderzimmers fand sich allerlei Lego, Spielzeugautos, und eine erstaunlich große Mischung verschiedener Kinder- und Jugendbücher. Da waren die Fünf-Freunde-Bücher, die er in Wirklichkeit auch als Kind gelesen hatte, Mickymaus-Comics, aber auch viele Bücher, an die er sich gar nicht erinnerte. Zaghaft schob Lars die Vorhänge an den Fenstern zur Seite, doch sah dahinter wenig mehr als einen dichten Nebel auf der anderen Seite der Glasscheibe. Machte Sinn, irgendwo musste so eine Traumwelt ja auch mal zu Ende sein, war wohl ähnlich wie mit Videospiel-Maps.
Gespannt schlich der kleine Lars über den angenehm warmen Holzboden und drückte erwartungsvoll die knarzende Klinke an der großen Türe herunter und war ganz verwundert, als sich die Türe tatsächlich öffnen lies. Ein großer, dunkler Flur eröffnete sich ihm, still und leer. Der Boden war gesäumt mit denselben rauen Holzdielen wie bei ihm im Zimmer, die Wände waren tapeziert mit einem dunkelgrünen Muster und an den Wänden hingen vereinzelt gerahmte Bilder. Als er einen weiteren Schritt auf diesen Flur hinauswagte, erschrak Lars plötzlich und fror augenblicklich ein. In seinem peripheren Sehfeld hatte er eine Bewegung wahrgenommen. Aufgeregt und leicht misstrauisch drehte er seinen Kopf nach links und seufzte erleichtert: Am Ende des Ganges stand ein altmodischer, messingumrandeter Spiegel in der Ecke, in welchem sich das Bild eines etwa zehnjährigen Jungen abzeichnete. Mit neugierigem, aber auch leicht misstrauischem Blick kam er langsam näher und wieder brauchte Lars eine Sekunde um wirklich glauben zu können, dass das in der Spiegelung er selbst war.
„Hi Spiegel, auch schon wach?“, flüsterte er der gläsernen Fläche verschwörerisch entgegen und beobachtete sein Spiegelbild als könne er nicht fassen, was sich darin abspielte. Ein neugieriger kleiner Junge alberte vor dem Spiegel herum. Sagte erst etwas, zog dann ein paar Grimassen und wackelte mit seinem Kopf hin und her, sodass seine glatten schwarzen Haare nur so umherwirbelten. Seine Augen glänzten vor Begeisterung! Mittendrin kribbelte es auf einmal in seiner Blase und im nächsten Moment musste er plötzlich unglaublich dringend. Bevor Lars überhaupt eine Gelegenheit hatte darüber nachzudenken, dass das ja ohnehin ein Traum war und er eine Traumpampers anhatte, wurde es bereits warm im Vorderteil seiner flauschigen Windel. Für einen kurzen Moment schien es, als hätte jemand seinen Traum angehalten. Lars schloss seine Augen und genoss das intensive Gefühl der sich ausbreitenden Wärme zwischen seinen Beinen. Klar, das war nicht die erste Windel, in die er in den letzten Monaten reingepinkelt hatte, aber es war doch ein völlig neues Gefühl. Lars öffnete seine Augen wieder und kam nicht umhin, noch einmal belustigt zu kichern, als er sein Spiegelbild erblickte. Meine Güte, war er klein!
Lars strich vorsichtig mit seinem Zeigefinger über die geschwungenen, detailreichen Einkerbungen des Messingspiegels und zog erschrocken seine Hand zurück, als der an der Wand nur angelehnte Spiegel zu kippen begann. Grade noch rechtzeitig fing er das schwere Möbelstück auf und versuchte es wieder genau so hin zu stellen, wie es vorher gestanden hatte, bevor er sich langsam rückwärts entfernte. Neben der noch einen Spalt breit geöffneten Tür zu seinem Kinderzimmer befanden sich vier weitere Türen in dem stillen Flur, an dessen, dem Spiegel entgegengesetzten Stirnseite ein kleiner, türloser Torbogen den Weg zu einem Treppenraum freigab. Neugierig stieg Lars die ausgetretenen Holzstufen herab und trat mit seinem linken Fuß am Ende der gebogenen Treppe auf schwarz-weiß gemusterten Fliesenboden. Kalten Fliesenboden! Er zögerte einen Moment, blieb auf der obersten Treppenstufe stehen und sah sich im Raum um. Die dunkelgrüne Mustertapete schien von derselben Art zu sein wie in dem Flur, in dem er eben gewesen war, nur mit dem Unterschied, dass die Wände hier unten bis auf halber Höhe mit einer dunklen Holzvertäfelung versehen war, welche sich auch an der Decke fortsetzte. Es sah classy aus, Traumlars schien ein spannender Innenarchitekt zu sein. Gegenüber von ihm drang dumpfes Licht durch die trüben Fensterscheiben einer zweiflügeligen Holztüre, die ihrem Briefkastenschlitz nach zu urteilen wohl die Haustüre zu diesem Gebäude darstellen musste. Der geräumige Flur war gesäumt mit einer barocken Polstercouch, einem Vitrinenschrank voller Skulpturen und kleiner Bilderrahmen, einer ausladenden Kommode sowie einer an der Wand hängenden Garderobe, beladen mit Jacken und Mänteln in verschiedenen Größen und Farben. Sich immer noch wie ein Einbrecher in einem fremden Haus fühlend, schlich Lars mit seinen nackten Füßen über die kalten Fliesen zu dem Schuhstapel unterhalb der Garderobe und fischte zielsicher ein paar grellgrüner und so gar nicht zu dem altmodischen Ambiete des Hauses passende Crocs aus dem großen Stapel. Das mussten dann wohl seine Hausschuhe sein. Er war froh, eine warme Schlafanzughose an zu haben, als er sich auf den Boden setzte und in seine Hausschuhe hineinschlüpfte. Intensiv spürte er das durchtränkte, lauwarme Saugfließ der Windel an seinem Po, das sich nun beim Hinsetzen wieder deutlich nasser anfühlte als zuvor. Seine Pampers war ziemlich voll, aber das hatte er ja schon in seinem Zimmer bemerkt. Als Lars sich, mit den grellgrünen Schuhen nun gewappnet gegen sämtliche Kälteangriffe des feindlichen Fliesenbodens, wieder aufrappelte, sackte auch seine saugfähige Unterwäsche wieder schwerfällig nach unten. Ein windeltragender Zehnjähriger in einer altertümlichen Villa. Komischster, aber auch bester Traum aller Zeiten!
Gespannt, was ihn hier unten als nächstes Erwarten würde, setzte Lars seine Entdeckungsreise fort. Von den beiden großen Türen, die von der Eingangshalle abgingen, wählte er ohne lange zu zögern die rechte und fand sich daraufhin vor einem großen Tisch wieder, der den Mittelpunkt des Esszimmers zu bilden schien. Auf der anderen Seite des Raumes war anstatt einer Tür ein weiterer, beinahe deckenhoher und aufwändig verzierter Torbogen, über dessen Scheitelpunkt ein ausgestopfter Hirschkopf thronte. Sah gruselig aus. Dasselbe diffuse Dämmerlicht, was bereits den Flur erhellt hatte, schien auch hier durch die leichten weißen Gardinen, die vor den Fenstern hingen. Wie ein Fremdkörper lag ein weißes Smartphone mitten auf dem großen Esstisch und schien vor dem Hintergrund des dunkelbraunen, beinahe schwarzen Holzes fast zu leuchten. Fasziniert schnappte sich Lars das Gerät und sah auf den Bildschirm. Samstag, 13. Mai, acht Uhr vierzehn. Er musste schmunzeln, in der richtigen Welt müsste er in einer halben Stunde zum Tennisturnier loshechten. Lars wischte mit seinem Finger über den Screen um das Gerät zu entsperren, musste aber feststellen, dass das Handy mit einem Code gesperrt war. Er probierte zuerst seinen eigenen Pincode, anschließend ein paar ihm naheliegende Zahlenkombinationen und gab erst auf, als das Gerät ihm mitteilte, dass er erst in ein drei Minuten einen weiteren Entsperrversuch unternehmen dürfte. Faszinierend, was wohl hinter diesem Gerät steckte? Unschlüssig behielt Lars das Smartphone in seiner Hand und durchschritt derweil den Torbogen in das Wohnzimmer des Anwesens um seine Erkundungstour fortzusetzen. Er schien sich nun auf der Rückseite des Hauses zu befinden, die ohnehin nicht besonders kräftige Sonne schien hier noch weniger kraft zu haben. In der Ecke des Raumes stand ein großer, massiver Kamin um den sich eine Couchgarnitur, so dunkel wie die Tafel im Esszimmer, säumte. Weitere Gemälde, ein weiterer, kleiner Tisch, riesige, bis zur hohen Decke reichende Bücherregale voller alt aussehender Wälzer und ein großer Teppich erzeugten ein gleichsam beruhigendes wie auch mysteriöses Flair. Fasziniert fuhr Lars mit seiner Hand über das raue Leder der Couch. Das fühlte sich alles so realistisch an! Gar nicht so wie Träume sonst waren, wo man immerzu von einer Szenerie in die nächste geworfen wurde und sich in ganz verrückten Situationen wiederfand. Abgesehen davon, dass er plötzlich ein Kind zu sein schien und durch ein altes Herrenhaus schlich, schien alles zu sein wie in der Realität.
Einen kurzen Moment lang lauschte der Jugendliche dem klacken der alten Standuhr im Raum und hockte sich auf den großen flauschigen Teppich an der Couchgarnitur, bevor er wieder aufsprang, dem Raum über den seitlichen Knick folgte und schließlich in der Küche landete. Ein vergleichsweise heller Raum, dessen Boden und selbst die Wände bis auf halber Höhe mit kleinen weißen Kacheln gefliest waren. Eine große Kochinsel stand in der Mitte des Raumes und war umgeben von vielen, in hellen türkistönen gehaltenen Hängeschränken. Es sah aus wie eine Mischung aus Großküche und einer normalen Einbauküche. Lars lief vorbei an dem tropfenden Wasserhahn welcher abgesehen von ihm das einzige Geräusch im ganzen Raum erzeugte und drückte zielstrebig die Türe am Ende des Raumes auf. Er war aufgeregt, was würde sich wohl hierhinter verbergen? Dieses Haus schien ein einziges Labyrinth zu sein.
Mit einem lauten knarzen drückte der Jugendliche die Türe auf, sah dahinter einen großen Raum mit hoher decke, weiß-schwarz gemusterten Fliesen, holzvertäfelten Wänden und musste feststellen, dass er sich wieder in dem Flur befand, den er vor einiger Zeit aus der Treppe von oben kommend betreten hatte.
„Auch schon wach, Bärchen?“ fragte ihn urplötzlich eine fröhliche Stimme. Lars zuckte zusammen und versuchte panisch die Quelle der Stimme zu orten. Aus dem Esszimmer kam ihm eine Person entgegen!
„Aurelia??“, fragte Lars mit seiner hohen Kinderstimme schockiert, als er die Person als ein Mädchen aus seiner Parallelklasse identifizierte. Peinlich berührt überkreuzte er instinktiv seine Hände um die umrisse der Windel unter seiner Schlafanzughose zu verbergen. Sie war eine der besten Spielerinnen des Tennisclubs des Internats, ab und zu hatten sie bereits in gemischten Doppeln mit- und gegeneinander gespielt.
„Jap! Ich bin heute auch mal frühs wach, da bist du nicht der Einzige, der hier rumstreifen kann, siehst du mal!“, kicherte die Jugendliche, während sie auf ihn zuging und ihm liebevoll durch die Haare wuschelte. Sie war mindestens zwei Köpfe größer als er und wirkte wie ein Riese.
„Aber sag mal du, hast du irgendwo mein Handy gesehen, du kleiner Detektiv?“, fragte sie während Lars sie mit seinen großen Augen verwundert ansah. Warum war denn Aurelia in seinem Traum? Das war jetzt echt weird!
„Deeein Handy?“, fragte er unsicher und konnte nicht vermeiden erneut überrascht zu sein von der Stimme, die dabei aus seinem Mund drang.
„Jaaa, das weiße! Du weißt schon“, antwortete sie etwas ungeduldig und schnipste mit ihrem Finger als könnte sie das Gerät so herbeizaubern: „Ich muss gleich beim Tennis sein, ich bin eh schon zu spät!“
„Achso!“, stellte Lars fest: „Ja, äh, das lag auf dem Esstisch!“, sagte er und kniff nachdenklich die Augen zusammen.
„Ja genau! Da hab ichs gestern auch liegen gelassen! Aber da isses nicht mehr!“, grummelte sie.
„Äh ja, ich habs … mitgenommen“, antwortete Lars schüchtern.
„Okay, und wo ist es jetzt?“, fragte Aurelia nun in einem leicht genervten Unterton.
„In …“, Lars hob seine linke Hand, in welcher er das Gerät eben noch mit sich herumgetragen hatte. Da war es nicht mehr: „Äh, gute Frage?“
„Och Julius …“, seufzte Aurelia. Julius? Ihrem Blick nach zu Urteilen schien sie damit ihn zu meinen. Strange. Warum hieß er Julius?
„Äh das kriegen wir hin! Wir müssen einfach nur rückwärts da langgehen wo ich grade …“, schlug er bemüht und aufgeregt vor.
„Okay Kleiner, aber dann bitte schnell!“, drängte die Jugendliche. Lars überlegte, ging rückwärts und versuchte dabei genau die selben Blickwinkel einzunehmen wie eben, als er das erste Mal durch das Erdgeschoss gestreift war: „Äääääh, und bevor ich in der Küche war, bin ich durchs Wohnzimmer, hab die Uhr angeschaut …“, murmelte er, während ihm Aurelia belustigt folgte. Es sah lustig aus, wie der kleine Junge rückwärts durch die Wohnräume schlich, konzentriert nachdachte und wie ein Detektiv versuchte, ihr Handy zu finden. Weniger belustigt war sie schließlich, als die Beiden nach einer Rückwärtsrunde wieder im Hausflur standen und sie ihr Smartphone immer noch nicht gefunden hatten.
„Kannst du es nicht anrufen, damit es klingelt?“, bemühte sich Lars um eine Lösung während er instinktiv die Beine zusammendrückte. Der Harndrang war zurückgekehrt, genau so plötzlich und genau so dringend wie beim letzten Mal.
„Ja, hab ich auch schon probiert, aber das Ding ist noch von gestern auf lautlos. Also nicht vibrieren, sondern richtig lautlos wegen der Mathearbeit“, erklärte Aurelia gestresst: „Julius du kannst doch nicht einfach mein Handy verlieren …“
Julius presste angestrengt ein leises „Sorry!“ über seine Lippen, während es in seiner Pampers wieder heiß wurde. Einen Moment lang stand er ohne von außen erkennbaren Grund regungslos da, aber lief dann plötzlich an dem großen Mädchen vorbei wieder in das Esszimmer. Aufgeregt und nachdenklich zugleich fing er wieder an, laut nachzudenken: „Also, ich hab das weiße Handy genommen, angemacht, gesehen wieviel Uhr es ist, den Code ausprobiert …“
„Du hast was?“, empörte sich Aurelia.
„Sorryyy! Ich war neugierig!“, antwortete ihr der kleine Junge entwaffnend ehrlich und charmant: „Und als das nicht mehr ging bin ich rüber ins Wohnzimmer!“, sagte er und legte seinen Kopf wieder in den Nacken um zu dem Hirschkopf hochsehen zu können, während er wieder durch das Tor ins Wohnzimmer ging.
„Ich hab an der Sofalehne rumgepiddelt und mich dann … auf den Teppich gesetzt!“, stellte der Junge euphorisch fest: „Das hab ich eben vergessen!“ Er rannte um die Couchgarnitur herum, kniete sich davor auf den Boden und fischte das gesuchte Smartphone zwischen Couch und Beistelltisch hervor: „Da! Sorry!“, rief er und hielt dem Mädchen, das eigentlich in seine Parallelklasse ging, ihr Handy hin.
„Danke! Bin auch nicht sauer auf dich, Brudi!“, sagte sie, streichelte ihm aufmunternd über die Schulter und steckte ihr Handy in die Hosentasche. Lars erstarrte! Hatte sie grade Brudi gesagt? War Aurelia in diesem Traum etwa seine große Schwester? Okay, sein Unterbewusstsein war echt merkwürdig.
Schnellen Schrittes ging Aurelia in Richtung Haustüre und rief, als sie bereits im Esszimmer war, noch schnell an ihren kleinen Bruder gerichtet: „Und zieh dir mal ne frische Windel an, du fängst schon an zu müffeln!“
Autor: giaci9 (eingesendet via E-Mail)
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Keine Kritik!
Definitiv nicht!
Ich wüsste auch nicht, was es zu bemängeln gibt.
Super, richtig gut geschrieben.
Hoffentlich müssen wir nicht allzu lange warten, bis das nächste Kapitel kommt.
Finger vom Colt!!!
Mir persönlich etwas zu wirr mit Traumwelten, aber dein Stil ist wie immer ausgezeichnet!
Oder wie Mahlzeit es sagt: wIe KaNnSt Du NuR, dA iSt EiN fEhLeR!!11!!! Alles sooooooo schlecht!!!
Sehr gute Geschichte wenn auch ein bisschen verwirrend durch den Traumsprung
Ich bin jetzt erstmal von den Mahlzeiten verwirrt. xD
Kannst du bitte sofort an einer fortsetzung Schreiben ich möchte gerne wissen wie es weiter geht.
Ja ich warte auch schon gespannt auf eine Fortsetzung.
Wirklich sehr gut geschrieben. Bin sehr gespannt wie es weitergeht
Die Geschichte kann gut werden aber im Moment total verwirrend such die darin vorkommmenden personen.
Ja, ich weiß was du meinst – der Protagonist heißt mal Lars, mal Julius – das macht es nicht einfach zu lesen. Ich glaube, ich hätte das Kapitel besser aus der Ich-Perspektive schreiben sollen – das hätte bestimmt besser funktioniert.
Bitte schreibe weiter, ich will weiterlesen. Hat die Handlung etwas mit Zweite Chance zu tun?
Hi. Die Geschichte ist auf absehbare Zeit erstmal nur ein „Entwurf“, tut mir leid. Die Handlung hat nichts mit Zweite Chance zu tun, auch wenn das natürlich echt eine interessante Idee ist! 😀
Hi zusammen. Wie ichs im Vorwort Formuliert hab, „Zyklus“ war nur ein Pilotkaiptel / Entwurf für meine nächste Geschichtenidee, die ich anders umgesetzt habe. Hier gehts also leider auf absehbare Zeit nicht weiter. Tut mir leid! 😀