Kein Zurück (4)
Dieser Eintrag ist Teil 4 von 12 der Serie Kein Zurück Windelgeschichten.org präsentiert: Kein Zurück (4)
Kapitel 4: Kapitel 4: Du müsstest halt eine Windel tragen
Am Montagmorgen war ich als Erster auf dem Schulhof am Treffpunkt bei den Tischtennisplatten. Die coolen Kids, trafen sich außerhalb des Schulgeländes, um vor dem Unterricht noch zu rauchen. Sophie, Leon und JayJay waren mir lieber und Gott sei Dank alle Nichtraucher. Als ich mit dem Rad zur Schule fuhr, dachte irgend so ein Typ aus der Oberstufe, er müsse mich auf dem Radweg überholen und so war ich jetzt verschwitzt und viel zu früh in der Schule. Mit mir würde der sich jedenfalls nicht noch mal anlegen.
Zum Glück kamen die anderen auch bald und das übliche spaßige Gequatsche – also das Highlight des Schultages – begann. Jannik legte sofort los: „Hey Nico, weil du uns gestern nicht angefeuert hast, haben wir voll eins auf die Mütze bekommen. Das war’s dann mit der Meisterschaft. Wie lief‘s bei dir am Samstag?“
„Mist gebaut und verloren.“
„Schade, du hast so hart trainiert“, ärgerte Jannik sich aufrichtig: „Aber was Positives: Ich war Samstag Segelfliegen, das war krass.“
„Segelfliegen? Ah, das hast du also mit deinem Onkel gemacht. Das hast du mir noch gar nicht erzählt. Braucht man da nicht sowas wie einen Führerschein?“, frage Janina.
„Nee, ich saß in einem Zweisitzer hinten als Passagier bei ihm drin. Ich sag euch, Achterbahnfahren ist Kindergarten dagegen. Zwei Stunden hat der Flug gedauert, danach war mir ganz schön flau im Magen. Aber immerhin blieb das Essen drin.“
„Zwei Stunden? Und was macht man, wenn man da mal muss?“, fragte Janina, die mit ihrer schwachen Blase vermutlich in jeder Situation erst mal das stille Örtchen abcheckte.
Jannik antwortete: „Ich halte locker zwei Stunden ohne Klo durch und du müsstest halt eine Windel tragen.“
Janinas Gesichtszüge entgleisten.
Jannik blickte sie entschuldigend an: „Sweety – Sorry. Aber das war kein Scherz. Mein Onkel macht öfter so richtig lange Flüge fast den ganzen Tag. Den habe ich das Thema auch mal gefragt. Es gibt tatsächlich Piloten die Windeln benutzen. Es gibt auch Segelflugzeuge mit einer Art Trichter und Schlauch als Klo. Einige machen auch in Tüten, Flaschen oder Kondome. Ah Mist, wir müssen los…“
Den ganzen Vormittag im Unterricht drifteten meine Gedanken zu einem Thema ab. Segelflieger tragen Windeln! In der großen Pause schnappte ich mir sofort Jannik. Janina war immer noch etwas sauer auf ihn wegen seines Spruchs am Morgen. Ich fragte ihn: „Du, darf da eigentlich jeder in so einem Zweisitzer mitfliegen?“
„Klar. Wenn du niemanden kennst, musst du halt ein bisschen was zahlen, aber das ist echt human im Vergleich zu einer Minute Achterbahn auf dem Rummel. Mein Onkel liegt mir damit schon ewig in den Ohren. Aber für mich wäre das als Hobby nichts. Unter uns, jetzt wo Janina nicht dabei ist … Ich habe vorhin geflunkert. Mein Essen blieb nicht drin und an dem Ende hilft auch keine Windel“, lachte Jannik.
***
Nach der Schule und dem Mittagessen konnte ich es kaum erwarten, mit den Hausaufgaben fertig zu sein. Ich schaltete den PC an und gab in die Suchmaschine ein: „Pinkeln im Segelflugzeug“. Der erste Treffer listete sechs Methoden auf. Platz eins war ‘Windeln’. Ich traute meinen Augen nicht. Ich hatte ein bisschen gefürchtet, dass das mit den Windeln doch nur ein schlechter Scherz von Jannik auf Janinas Kosten war, wobei so fies war Jannik eigentlich nicht. Auf meiner großen flachen Trainingsrunde kam ich immer an einem Segelflugplatz vorbei. „Mal bei Maps schauen, wie der heißt. Ah, hier. Die haben auch eine Homepage.“ Unter ‘Gastflieger’ stand: „Jugendliche zahlen einen reduzierten Unkostenbeitrag von 20 € und müssen das verlinkte Dokument mit der Unterschrift eines Erziehungsberechtigten mitbringen.“
In mir reifte ein Plan, der funktionieren könnte.
Ich wollte auch einmal in einem Segelflugzeug mitfliegen. Aber war das plausibel, dass ich dazu eine Windel anzog? Vermutlich würde der Flug ja nicht mehrere Stunden dauern. Ich überlegte. Normalerweise musste ich relativ selten auf Klo zum Pinkeln, also nicht nur im Vergleich zu Janina. In der Schule bis Mittag musste ich nie. Aber wenn ich nervös war, schlug mir das immer auf die Blase.
Vor wichtigen Rennen musste ich mehrmals vorher auf Klo, auch wenn dann nur ganz wenig kam. Während der Rennen war ich mit anderem beschäftigt. Da musste ich so oft oder wenig wie alle anderen auch. Dazu hielt man in kleinen Gruppen an einer passenden Stelle kurz rechts an und fuhr gemeinsam zurück ins Feld. Bei einem meiner ersten Rennen habe ich circa zehn Minuten vor dem Ziel in Führung liegend gehalten, um zu Pinkeln, und dadurch verloren. Maik war damals ziemlich sauer und meinte, beim nächsten Mal einfach in die Hose machen, die muss eh gewaschen werden. Aber zum Glück musste ich bisher noch nicht in die Hose machen. Einmal wollten die Jungs aus dem Verein von Maik wissen, wie das geht, während der Fahrt zu Pinkeln, wie die Pros es machen. Maik sagte: „Also wenn ihr mir versprecht, das nicht im Rennen zu machen, können wir es im Training gerne mal probieren. Aber wie gesagt, nicht im Rennen machen. Dafür könntet ihr Ärger gekommen. Bei den Pros gibt’s dafür auch regelmäßig Geldstrafen. 150 bis 200 Franken. Aber die zahlen das aus der Portokasse.“ Auf der folgenden Trainingsfahrt durfte es also jeder probieren, der musste und wollte. Maik schob ihn dazu mit der Hand am Rücken an. Ich probierte es und das war richtig schwer. Das gute Stück mit einer Hand aus den engen Klamotten fummeln, mit der anderen Hand am Lenker die Spur halten und dann auch noch Pinkeln. Danach musste ich mein Rad waschen. Die Klamotten sowieso. Bei Lukas lief es noch schlechter, zuerst hätte er sich beinahe zweimal auf die Nase gelegt und dann schaffte er es auch noch Maik anzupinkeln. Wir anderen sind vor Lachen fast vom Rad gefallen.
Aber ich war mir den Gedanken abgedriftet. Zurück zum Segelfliegen. Ich hatte keine Angst vor dem Segelfliegen. Klar sonst würde ich es ja nicht probieren wollen. Aber etwas mulmig war mir schon davor, mich in ein so kleines Flugzeug ohne Motor zu setzen. Ich würde also vor und zu Beginn des Flugs sicher nervös sein. In dieser Situation war es sicher besser, eine Windel zu haben, als Pinkeln müssen und nicht können. Ohne den Windeltraum wäre ich sicher nicht von selbst auf die Idee gekommen, zum Segelfliegen eine Windel anzuziehen, aber jetzt wo ich es mir so überlegte, war es gar nicht so unpraktisch. Also nicht, dass ich sie benutzen wollte. Aber für den Notfall. Am nächsten Samstag wollte ich mir den Segelflugverein ansehen und versuchen herauszubekommen, ob man als beim Mitfliegen auch Windeln tragen sollte. Puh, hoffentlich hatte ich die Eier, das Thema Pinkeln und Windeln anzusprechen.
***
Montagnachmittags hatte ich immer Krafttraining und Gymnastik mit den Jungs vom Radsportverein. Das machte mir keinen Spaß, weil es erstens sehr anstrengend war und man zweitens sich dabei nicht mal zur Ablenkung unterhalten konnte, weil man ja ständig die Station wechseln und die Wiederholungen mitzählen musste. Stattdessen hatte ich Kopfhörer drin und hörte so Sachen wie ‘Five Finger Death Punch’. Danach wollte ich immer so schnell wie möglich nach Hause unter die Dusche, Abendessen und dann im Bett den Rest des Abends mit Musik entspannen.
An dem Abend hörte ich ein YouTube-Video eines Livekonzerts von ‘Damien Rice’ in Berlin an. Vor zwei Jahren hatte ich angefangen Gitarre zu spielen. Es hat sich aber dann schnell herausgestellt, dass ich im Gegensatz zum Radfahren dafür so überhaupt gar kein Talent hatte. Oder wie mein Musiklehrer, ein Hippie aus Bayern, meinte: „Mei Bua, der liebe Gott hat dir’s Talent halt in die Beine g‘legt und net die Hände.“ Also habe ich das Gitarrespielen wieder aufgegeben. Aber ich war noch in dem Mail-Verteiler, in der er regelmäßig Hörtipps verschickte und Mann, der hatte vielleicht einen exquisiten Musikgeschmack. Man konnte ihm auch schreiben und sagen ich bin gerade dieser Stimmung oder jener Laune und er hatte immer den passenden Soundtrack parat. Von ihm stammte der Link zum Video.
Plötzlich klingelte mein Telefon. Eine mir unbekannte Nummer. Ich pausierte das Video und ging ran: „Hallo? Nico hier.“
„Hallo Nico. Ich bin’s Steffi. Anja hat mir angeboten, dass du gerne ab und zu auf Anne aufpassen würdest. Ich kann eine solche Hilfe sehr gut gebrauchen, wollte das aber noch mal von dir selbst hören. Nicht dass Anja dich da zu ‘was überredet hat.“
„Hi Steffi. Nein, Mom hat schon recht. Ich würde das gerne machen. Also so wie Sonntag, wenn du in der Nähe bist. Alleine mit Anne würde ich mich erst mal nicht trauen.“
„Und wie oft hättest du Lust und Zeit?“
„Jetzt wo das Schuljahr fast vorbei ist und in den Ferien gerne zweimal die Woche. Nach den Ferien kann ich dir noch nichts versprechen. Da muss ich erst schauen, wie der neue Stundenplan und das Training zusammenpassen.“
„Ja klar, Schule und Sport gehen vor. Aber in den Ferien wäre mir das eine ganz große Hilfe. Vor allem weil noch Nina, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, regelmäßig auf Anne aufpasst und die drei Wochen im Urlaub ist. Wenn du in der Zeit einspringen könntest, wäre das super. Würde es bei dir schon morgen nachmittags ein bis zwei Stunden passen?“
„Klar. Morgen passt ganz gut, da ist mein trainingsfreier Tag. Wann immer du willst morgen. Ich bin flexibel.“
„Dann gerne um drei.
„Passt mir.“
„Danke schon mal. Dann bis morgen und guten Abend.“
„Danke. Ciao. Bis morgen.“
***
Am Dienstag war ich nach der Schule und den Hausaufgaben nachmittags wie vereinbart bei Steffi, um auf Anne aufzupassen. Wobei aufpassen heute eher Bewegungstherapie war. Steffi hob Anne in eine Art Laufgestell und wies mich an: “Du musst sie erstens motivieren, dass sie sich bewegen will, also die berühmte Karotte vor die Nase halten und zweitens ab und zu eines ihrer Beine führen.“ Das machte mir zwar viel Spaß, hielt mich aber auch ganz schön auf Trab. Steffi nutzte die Zeit, um ein paar Dinge in Ruhe zu erledigen. Natürlich hat sie sich danach noch ein bisschen mit mir unterhalten: „Willst du wirklich Radprofi werden?“
„Nein. Eine Zeit lang habe ich davon geträumt. Auf den ersten Blick hört sich das toll an. Den ganzen Tag nur Trainieren, Reisen und die vielen Rennen. Aber ich fürchte, für die große Karriere reicht es bei mir dann doch nicht. Es gibt zu viele auf der Welt, die in meinem Alter schon wesentlich besser sind. Da müsste ich spätestens übernächstes Jahr den Sprung in ein professionelles Nachwuchsteam schaffen. Mein Trainer Mike war Profi und der hat mir mal ein bisschen erzählt, wie das wirklich ist. Der Leistungsdruck, maximal Fernbeziehungen und wenn deine Existenz komplett von deiner Gesundheit abhängt. Und das Tempo mit denen die Pässe runterfahren ist lebensverachtend. Ne, ich glaube ich mache das lieber nur als Hobby, solange es mir Spaß macht und schaue, dass ich die Schule und eine gute Ausbildung hinbekomme.“
„Was willst du mal werden?“
„Jetzt erst mal Abiturient. Ich habe ja noch ein bisschen Zeit mir das zu überlegen.
„Und wie läuft’s in der Schule?“
„Diese Woche ist nochmal stressig. Die letzten wichtigen Schulaufgaben für dieses Schuljahr stehen an und dann sind nur noch zwei Wochen Cool Down und dann endlich Ferien.“
„Und da hast du heute Zeit zum Babysitten und musst nicht lernen?“
„Bei mir stehen alle Noten schon fest. Da brennt nichts mehr an. Aber meine Freunde sind gerade heftig am Lernen und deshalb habe ich diese Woche keine anderen Aktivitäten außer Training.“
„Dann bist du also auch noch ein guter Schüler?“
„Anfangs habe ich mich auf dem Gymi schwergetan und Mom hatte Angst, dass mich das überfordern würde. Inzwischen werde ich immer besser und viele Klassenkameraden immer fauler und schlechter. Für Jannik wird es heuer ziemlich knapp. Es ist nicht so, dass ich, was die Schule angeht, nicht auch faul bin. Aber ich profitiere ziemlich von meinem guten Gedächtnis und mache halt gerade so viel, dass es für zwei bis drei reicht. Die restliche Energie stecke ich ins Radtraining. Also geht so, aber ich glaube, ich könnte mit etwas mehr Ehrgeiz noch besser sein.“
„Und was macht die Liebe?“
„Hmm, ich habe noch keine Freundin, falls du das meinst, aber hätte gerne eine.“
„Hast du eine bestimmte im Auge?“
„Nein. Und ich traue mich auch nicht Mädchen anzusprechen und kennenzulernen“, keine Ahnung, warum ich so offen zu Steffi war.
„Das kommt meistens erst mit dem Alter und jeder braucht da unterschiedlich lange. Außerdem ist nur wichtig, dass du den nötigen Mut findest, wenn du dich in die Richtige verliebst. Manchmal hilft einem auch der Zufall. Mach dir da nicht so viele Sorgen, sonst wirst du nur gehemmt. Keine Sorge, Mädchen beißen nicht und sind genauso unsicher wie du.“
In ein paar Jahren würde ich das hoffentlich auch so sehen. Im Moment beschäftigte mich das jedenfalls ziemlich. Das und das mit den Windeln.
Steffi sagte: „Nina, die regelmäßig auf Anne aufpasst, zahle ich fünf Euro die Stunde. Passt dir das?“
„Ich nehme doch da kein Geld dafür.“
„Warum nicht? Das ist schon üblich. Ich weiß nicht, ob mir das sonst recht ist, vor allem wenn du das jetzt regelmäßig machst. Da reden wir nochmal drüber, ja? Du glaubst gar nicht, wie schwierig das ist, junge Leute zu finden, die das nebenher machen wollen und auch noch zuverlässig sind. Viele machen das zwei drei Mal und dann wird ihnen das zu langweilig. Und ich weiß dann nie, ob sie kommen oder nicht und wie ich die Dinge, die ich erledigen will, planen soll. Jemanden Zuverlässigen zu haben, ist mir das Geld schon wert.“
„Aber ich sitze doch hier nur rum und unterhalte mich mit Anne oder dir. Wenn ich jetzt Anne die Windel wechseln würde oder so was, dann vielleicht.“
„Würdest du das machen, Anne die Windeln wechseln? Wenn ich dich nämlich mit Anne alleine lassen könnte, um zum Beispiel abends auszugehen, wärst du als Babysitter natürlich noch wertvoller und könntest mir noch mehr helfen. Außerdem würde ich dann sogar noch mehr zahlen.“
„Da habe ich noch nie darüber nachgedacht. Im Notfall, so wie bei ‘Drei Männer und ein Baby’, wahrscheinlich schon. Aber Groß ist schon eklig. Ich weiß nicht…“
„Ja, muss ja auch nicht sein. Es hatte mich nur interessiert, ob du dich trauen würdest. Wir können ja mal schrittweise üben, wenn du willst.“
„Ich mache mir mal Gedanken dazu“, sagte ich und machte mich langsam auf den Weg. Beim Abschied fragte mich Steffi: „Hast du am Donnerstag nochmal so eine dreiviertel Stunde Zeit? Da kommt eine Friseurin zu uns nach Hause und macht Anne und mich hübsch. Da ist es immer gut, wenn ich mal ein paar Minuten Ruhe habe. So gegen drei Uhr?“
„Klar, passt. Aber spätestens vier muss ich los zum Training. Euch hübsch machen sollte ja nicht so lange dauern, da gibt’s ja nicht viel zu tun.“
„Danke, das ist lieb gemeint. Aber ein kleiner Tipp von mir für dich, Casanova. Sei vorsichtig, wenn einer Frau sagst, dass sie sich nicht hübsch machen muss, weil sie schon hübsch ist, selbst wenn du es aufrichtig meinst. Das ist zwar nett gemeint, aber meistens will eine Frau das nicht hören. Wichtig ist, ob eine Frau sich hübsch fühlt. Wenn nicht, ist es sehr schwer, sie vom Gegenteil zu überzeugen“, sagte Steffi auf eine charmante Art, die ich nicht als Zurechtweisung empfand.
„Danke, das merke ich mir. Dann bis Donnerstag um drei. Ciao Anne. Tschüss Steffi. Ah ja und setz‘ dir bitte bis Donnerstag eine Mütze auf. Mit den Haaren kannst Du echt nicht unter die Leute. Besser?“, sagte ich mit einem breiten Grinsen. Steffi spielte übertrieben, wie sie sich darüber empörte und gab mir zum Abschied einen lauten Klaps auf den Po.
***
Als ich nach Hause kam, wartete Leon schon auf mich. Ich hatte ihm versprochen, mit ihm Physik für die anstehende Schulaufgabe zu lernen. Normalerweise war lernen mit Leon immer lustig, aber diesmal war er ziemlich gestresst. Er machte sich selbst ziemlich Druck, weil er sich unbedingt noch auf eine Zwei verbessern wollte. Als wir fertig waren, schickte ich ihn heim, mit der strickten Anweisung, er solle sich bis morgen noch etwas ausruhen, statt wie üblich noch etwas mit ihm abzuhängen.
***
Die Mathearbeit am Donnerstag hatte ich verhauen. Mein Zweier im Zeugnis war fix, also war es eigentlich egal, aber es ärgerte mich trotzdem. Der Klassiker: Festgeklebt. Ich fing mit einer Aufgabe an, die mir lag, aber ich hatte irgendwo einen Fehler gemacht und ewig gebraucht, bis ich den fand und das Ergebnis endlich Sinn ergab. Dadurch wurde mir für den Rest die Zeit knapp. Ich konnte zwar bei allen Aufgaben noch etwas hinschmieren, aber dabei waren mir ganz sicher jede Menge Fehler unterlaufen. Bei Janina gab es sogar mal wieder dicke Tränen. Ich fand das immer übertrieben, denn sie hatte noch bessere Noten als ich und ihre Ergebnisse waren meistens bei weitem nicht so schlecht, wie es das Drama vermuten ließ, das sie nach den Prüfungen machte. Jannik und Sophie waren auch nicht der Laune, sie groß zu trösten.
***
Das Haareschneiden am Nachmittag bei Anne war das erste Mal, dass ich sie anstrengend erlebte. Sie hatte Angst vor dem Haareschneiden und so mussten Steffi und ich sie gemeinsam ablenken, damit die Friseurin ihre Arbeit machen konnte, die sich größte Mühe gab, nett zu Anne zu sein. All die Dinge, die ich sonst machte, um sie zu beschäftigen, waren vergebens und sogar ihr Kuschelhase half nichts. Letztlich musste Steffi zu maximaler Bestechung greifen und ihr einen Lutscher geben.
***
In der großen Pause am Freitag fragte ich, ob wir heute Abend etwas unternehmen wollen. Es kam eher selten vor, dass das mal von mir ausging, aber ich war in Feierlaune. Physik war super gelaufen. Sophie und JayJay hatten aber keine Lust. Sie wollten erst die Ergebnisse dieser Woche abwarten und sehen, ob es wirklich etwas zu feiern gab. Leon sagte: „Ich muss mit meinen Eltern mal wieder in so ein stinklangweiliges klassisches Konzert.“ Ich war der Einzige, der wusste, dass das ein Code war, und ich konnte ihn entschlüsseln. Das hieß, Leon ging mit seinen Eltern in die Oper. Leon liebte die Oper. Aber es war ihm peinlich, sich diesbezüglich den anderen gegenüber zu outen. Ich wusste das auch nur, weil seine Mutter mal Migräne hatte und er mich fragte, ob ich mit ihm und seinem Vater in die Oper gehen wolle. Ich war mit Mom auch schon öfters im Theater und in der Oper. Wir sahen uns zum Beispiel die Zauberflöte an. Mit Leon war ich in La Traviata. Mir hat es zwar auch sehr gut gefallen, aber nicht so gut wie Leon, der völlig hin und weg war.
***
Am Nachmittag textete ich Felix, meinen Sandkastenfreund vom übernächsten Haus, der etwas älter als ich war und der mich öfters überredete, mit ihm zu feiern. Felix stand total auf möglichst kurze Messages auf Englisch und hatte immer neue kreative Abkürzungen. Ich schrieb ihm also „esc?“, was so viel bedeutete wie ‘Willst Du mal wieder ausgehen?‘. Kurz darauf kam „sry 2day me pty 2mow ice?“, also ’Sorry, tut mir leid. Ich bin heute schon auf einer Party eingeladen. Gehen wir morgen Abend zur Eisdiele?‘. Mit der Antwort tat ich mir schwer, weil ich morgen wiederum am Badeweiher verabredet war und mir dafür partout keine sinnvolle Abkürzung einfiel. Ich probierte es mit „sry 2mow me swim call bk“, wobei der letzte Teil für ’Ich melde mich ein anderes Mal’ stand. Ich überlegte dann noch, ob ich zum Ausgehen am Abend die Jungs aus dem Verein beim Training fragen sollte, aber bei denen drehte sich immer nur alles nur um Radthemen wie FTP, Reifenbreiten, Felgenhöhen und warum Shimano besser ist als SRAM. Auf Dauer wurde sogar mir das zu eintönig. Und so verbrachte ich den Abend dann doch lieber allein zu Hause und mit ‘Peter Gabriels’ Alben ‘Us’ und ‘Up’
Autor: Hans_Steam | Eingesandt via Mail
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Das junge Leben ist bunt und vielfältig. Deswegen habe ich alle Sterne vergeben. Der Alltag und Gedanken sind gut benannt.
Eine interessante Fortsetzung der Geschichte. Nur das Du am Ende auf diese Abkürzungen in den Nachrichten gekommen bist, hat mich etwas aus dem Konzept gebracht, auch wenn es eine Erklärung der Kürzel gab. Bin schon auf den nächsten Teil gespannt!
Hallo Hans, ja auch ich bin gespannt wann Nico seinen „Kick“ mit der Windel bekommen wird. Sehr schön geschrieben.
Coole Geschichte. Bin selber Segelflieger Pilot und wollte das mit den Windeln beim Fliegen auch schon probieren. Ist jedoch schon peinlich.@ Autor, bist du Pilot oder so?
> @Autor, bist du Pilot oder so?
Nein. Ich bin auch keine fünfzehn Jahre alt;-)