Spiegel der Schuld (2)
Da Tag Eins besser angekommen ist als erwartet, kommen jetzt Tag 2 ( leider habe ich es nicht geschafft jedes Detail hinzufügen, sonst wäre der Text zu lang. Ich hoffe dass sie sie sich mehr Details gewünscht haben – z.B. Volker der mir ein Kommentar geschrieben hat – tut mir persönlich ein wenig leid.) Aber hier ist Teil zwei von „Spiegel der Schuld“ von Leam Kiaska’vas:
Die Nacht hatte Hanna mehr verändert, als sie zugeben wollte. Der Schlaf war unruhig gewesen, voller Bilder von Teddybären, Windeln und Leams Blick, doch er hatte ihre Wut wie ausgewaschen. Als sie am Morgen die Augen öffnete, war da keine glühende Hitze mehr in ihrem Kopf, sondern eine seltsame Ruhe.Doch diese Ruhe hielt nur Sekunden. Kaum richtete sie sich auf, fiel ihr Blick auf die bunten Bilder an der Wand, die grell lächelnden Comicfiguren, und den Teddybär, der sie mit seinen Glasaugen musterte. „Das ist nicht mein Zimmer,“ murmelte sie, und die Ruhe wich einem dumpfen Widerstand.
Sie zog den Hoodie über, trat an den Schreibtisch – und da lagen sie: die Windeln, ordentlich gestapelt, daneben der Schnuller. Hanna verzog das Gesicht, als hätte jemand Gift vor ihr abgestellt. Sie schob alles mit einer schnellen Bewegung zur Seite, als wollte sie es aus ihrem Blick verbannen.Ein Klopfen an der Tür. Leam trat ein, wie er es fast jeden Morgen tat. Hanna blinzelte überrascht. „Wieso bist du jetzt schon hier?“ fragte sie, die Hände tief in die Hoodie-Taschen vergraben.
Leam zuckte leicht mit den Schultern. „Ich komme immer so gegen neun. Heute bist du nur später dran. Halb zehn ist es schon.“ Hanna runzelte die Stirn. „Halb zehn? So lange?“ „Ja,“ nickte er. „Normalerweise bist du doch schon um sieben wach. Du musst wirklich tief geschlafen haben.“
Hanna sah ihn prüfend an, legte den Kopf leicht schief. „Du wirkst irgendwie… unstimmig. Sonst bist du immer so klar. Was ist los mit dir?“
Leam schwieg einen Moment, seine Finger trommelten unruhig auf seinem Knie, bevor er antwortete. „Ich… weiß nicht. Es fühlt sich hart an. Ich sehe, wie sehr es dich verletzt.“ Er hob den Kopf, seine Stimme leiser: „Aber deine Eltern glauben, dass du nur so etwas lernst. Ich… ich will dir helfen, es durchzustehen.“
Hanna starrte ihn an, als hätte er gerade etwas völlig Unerwartetes gesagt. Normalerweise war Leam derjenige, der nie schwankte, der immer wusste, was er dachte und wie er es ausdrücken sollte. Doch jetzt wirkte er unsicher, fast widersprüchlich.
„Moment mal,“ sagte sie langsam, ihre Stirn in Falten gelegt. „Du… du bist doch sonst nie so. Immer klar, immer überzeugt. Und jetzt kommst du mir mit ‚Ich weiß nicht‘?“
Leam wich ihrem Blick aus, strich sich durchs Haar. „Ja… vielleicht. Aber diesmal ist es anders.“ „Anders?“ Hanna schnaubte. „Du klingst, als würdest du selbst nicht glauben, was du sagst.“
Er schwieg einen Moment, dann sah er sie wieder an. „Weil ich es auch nicht ganz glaube. Ich sehe, wie sehr dich das verletzt. Und das macht es für mich schwer, einfach zu sagen, dass es richtig ist.“
Hanna zog die Kapuze enger um ihr Gesicht, als wolle sie sich dahinter verstecken. „Das ist verrückt. Du bist der Einzige, der sonst immer weiß, wo’s langgeht. Und jetzt… jetzt bist du genauso durcheinander wie ich.“
Leam lächelte schwach, fast entschuldigend. „Vielleicht, ja. Aber das zeigt dir doch, dass du nicht allein bist.“
Hanna starrte ihn an, als hätte er gerade etwas völlig Absurdes gesagt. „Nicht allein? Meinst du das ernst?“ Ihre Stimme war scharf, fast spöttisch. „Ich kenne keinen – ich wiederhole: keinen – Menschen, der von seinen Eltern gezwungen wird, ein verdammtes Baby zu sein. Windeln, Schnuller, Teddybär – das ist doch nicht normal!“
Leam atmete tief durch. „Vielleicht wollen sie dich nicht brechen, vielleicht wollen sie dir—“
„Vielleicht wollen sie mir was?“ fuhr Hanna dazwischen, ihre Stimme schneidend. „Sag schon. Willst du mich jetzt auch umstimmen? Bist du deswegen hier?“
Leam blinzelte, überrascht von der Heftigkeit in ihrer Stimme. „Ich bin hier, weil ich dich sehen wollte.“
„Bullshit.“ Hanna verschränkte die Arme. „Du bist hier, weil du denkst, du kannst mich überreden. Weil du glaubst, wenn du nur nett genug bist, dann zieh ich mir freiwillig diese Scheiße an und spiele das Spiel mit. Ich dachte, du wärst mein Bro, aber da hab ich mich wohl getäuscht!“
Da riss Leam der Geduldsfaden.
„Verdammt nochmal, Hanna!“ brüllte er, seine Stimme donnerte durch das Zimmer. „Du tust gerade so, als wärst du die Einzige auf der Welt, die leidet! Als wärst du die Einzige, die verletzt ist! Aber weißt du was? Du bist nicht die Einzige, die das hier mitnimmt! Ich bin jeden Tag hier, höre mir deine Wut an, deine Vorwürfe, deine verdammte Mauer, die du um dich ziehst – und trotzdem komm ich wieder! Weil ich dich liebe!“
Dann drehte er sich zur Wand und schlug mit der Faust dagegen. Ein dumpfer Knall, gefolgt von einem kurzen, scharfen Schmerz. Die Tapete riss leicht auf, und in der Gipswand blieb eine kleine Delle zurück – nicht groß, aber deutlich sichtbar. Ein stiller Abdruck seiner Wut.
Er atmete schwer, schüttelte die Hand aus, sagte aber nichts dazu. Stattdessen hob er den Blick, seine Stimme nun rau, aber nicht mehr laut.
„Du willst wissen, warum ich so oft hier bin? Warum ich kaum noch bei mir zu Hause bin?“ Er lachte bitter. „Weil es da nicht besser ist. Weil meine Eltern sich seit Monaten anschreien, als wär’s ein verdammter Boxkampf. Türen knallen, Stimmen überschlagen sich, und ich sitz dazwischen wie ein Geist. Ich hab keine Lust mehr, mir anzuhören, wie sie sich gegenseitig zerlegen. Also bin ich hier. Bei dir. Selbst wenn du mich wegstößt.“
Hanna stand da, wie erstarrt. Ihre Wut war noch da, aber sie wusste nicht mehr, wohin damit. „Ich… das wusste ich nicht“, flüsterte sie.
Leam sah sie an, seine Stimme brüchig. „Natürlich nicht. Du fragst ja nie.“
Stille. Schwer und dicht wie Nebel. Leam stand da, die Schultern hochgezogen, die Faust noch immer leicht zitternd. Hanna hatte sich nicht bewegt. Ihre Augen ruhten auf der kleinen Delle in der Wand – frisch, kantig, das weiße Gipsinnere sichtbar unter der aufgerissenen Tapete.
Dann, nach endlosen Sekunden, Schritte auf dem Flur. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Hannas Mutter trat ein.
„Was war das für ein—“ Sie verstummte, als sie die Szene sah. Ihr Blick wanderte zur Wand – und blieb an der Delle hängen.
„Was ist hier passiert?“ Ihre Stimme war leise, aber scharf.Leam antwortete knapp, ohne sie anzusehen. „Alles gut.“
Ein Moment verging. Dann atmete die Mutter theatralisch durch die Nase, trat näher an die Wand heran und beugte sich vor, als würde sie die Delle begutachten. „Aha. Mhm. Alles gut, sagt er.“ Sie tippte mit dem Finger gegen die beschädigte Stelle. „Klein, aber sichtbar. Natürlich. Genau auf der frisch gestrichenen Wand. Warum auch nicht.“
Sie richtete sich auf, verschränkte die Arme und begann, scheinbar mit sich selbst zu sprechen – aber laut genug, dass es niemand überhören konnte. „Wie krieg ich das jetzt wieder hin? Muss ich die ganze Wand neu machen? Wo war nochmal dieser Farbton? War das ‚Vanilletraum‘ oder ‚Sahneweiß‘? Ach, ich hab’s mir natürlich nicht aufgeschrieben. Warum auch, ich hab ja sonst nichts zu tun, außer Wände zu reparieren, die andere mit ihren Fäusten bearbeiten…“
Hanna verdrehte die Augen, Leam starrte betreten zu Boden. Die Mutter warf ihnen einen letzten, bedeutungsschwangeren Blick zu, dann sagte sie mit einem zuckersüßen Lächeln: „Na dann. Ich bin unten, falls ihr noch mehr renovieren wollt.“ Und schloss die Tür.
Die Stille kehrte zurück, diesmal mit einem leichten Echo aus Farbeimer und Pinsel.
Hanna atmete flach. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch. „Ich… ich will’s versuchen. Aber nur, weil ich’s will. Nicht, weil sie’s wollen.“
Leam nickte, seine Stimme rau. „Und wenn diese Stimme in dir wieder schreit, dass du dich verrätst… dann schrei zurück. Und ich schrei mit.“
Hanna sah wieder zur Wand. Die Delle war klein, aber sie war da. Ein Abdruck. Ein Riss. Ein Zeichen, dass etwas passiert war – etwas, das nicht mehr rückgängig zu machen war.
Und vielleicht, dachte sie, war das gar nicht das Schlechteste.
Sie standen noch immer da, wo die Worte sie zurückgelassen hatten. Hanna mit gesenktem Blick, Leam mit der Faust, die langsam aufhörte zu zittern. Die Luft zwischen ihnen war dicht, aufgeladen, aber nicht mehr feindlich. Eher wie nach einem Gewitter – schwer, aber geeinigt.
Dann kam er. Ganz plötzlich. Der Geruch.
Würzig. Warm. Tomatig. Ein Hauch von Rauchfleisch, Paprika, Lorbeer. Soljanka.
Hannas Magen zog sich zusammen, dann knurrte er laut und unüberhörbar. Sie verzog das Gesicht, fast erschrocken. „Wow“, murmelte sie. „Ich glaub, ich hab gestern fast nix gegessen.“
Leam hob eine Augenbraue. „Ich hab’s gehört.“
Und dann – wie auf Stichwort – hallte es von unten durchs Haus, mit dieser typischen Mischung aus genervter Routine und mütterlicher Autorität: „Essen is fertig! Kommt runter, bevor’s kalt wird!“
Hanna blinzelte. Der Moment war plötzlich absurd real. Sie sah Leam an, der sie nur wortlos anlächelte, und dann gingen sie los – langsam, fast zögerlich, als würden sie aus einem anderen Raum in die Wirklichkeit zurückkehren.
In der Küche dampfte der große Topf in der Mitte des Tisches. Der Duft war jetzt überall. Brot, saure Sahne, Zitronenscheiben – alles stand bereit. Hannas Mutter tat so, als hätte sie nichts gehört, nichts gesehen. Nur ein kurzer Blick, dann ein neutrales „Setzt euch.“
Hanna tat es. Ohne zu diskutieren. Ohne Widerstand. Sie füllte sich einen Teller, dann noch einen halben. Brot, Löffel, erster Bissen. Der Geschmack war intensiv, fast überwältigend. Beim zweiten Löffel spürte sie, wie ihr Körper sich erinnerte, dass er lebte. Beim dritten war sie einfach nur hungrig.
Die Schwester saß bereits mit am Tisch, hatte den Apfel gegen einen Teller Soljanka getauscht und aß mit gespitzten Ohren. Ihre Augen wanderten zwischen Hanna und den Eltern hin und her, als würde sie innerlich Bingo spielen: Was passiert als Nächstes? Wer flippt zuerst aus?
Hannas Vater kam mit einem Glas Wasser herein, blieb aber abrupt stehen, als hätte ihn jemand gegen eine unsichtbare Wand laufen lassen. „Was hast du gesagt?“, fragte er, nicht unfreundlich, aber mit dieser typischen Mischung aus Vorsicht und Ungläubigkeit, die Eltern haben, wenn sie glauben, ihr Kind macht einen Scherz auf ihre Kosten. Hanna legte den Löffel ab, atmete tief durch. Ihre Stimme war ruhig, aber fest: „Ich mach mit.“
Ein Moment lang war es, als hätte jemand die Zeit angehalten.
Ihre Mutter hielt mitten in der Bewegung inne, der Löffel in ihrer Hand zitterte leicht über dem Suppentopf. Der Blick wanderte langsam von der Delle in der Wand zu ihrer Tochter. Der Ausdruck in ihrem Gesicht war eine Mischung aus Überraschung, Hoffnung – und vorsichtiger Skepsis. Leam hingegen bewegte sich kaum. Er hob nur kurz den Blick, als wollte er sich vergewissern, dass Hanna es wirklich laut gesagt hatte – nicht nur oben im Zimmer, nicht nur zu ihm. Jetzt war es offiziell. Und er lächelte kaum merklich, sagte aber nichts. Für ihn war es längst Realität.
Hanna sah sie alle an, dann wiederholte sie, diesmal noch klarer: „Ich mach mit. Nicht, weil ihr mich zwingt. Sondern weil ich’s will. Aber ich will wissen, was auf mich zukommt. Ehrlich. Kein Drumherum. Kein ‚Wir schauen mal‘. Ich will’s wissen. Jetzt.“
Die Mutter setzte sich langsam, als müsste sie sich erst vergewissern, dass der Stuhl noch da war. Der Vater stellte sein Glas ab, ohne zu trinken. Die Schwester hörte auf zu kauen, starrte Hanna an, als hätte sie gerade verkündet, sie wolle Astronautin werden.
Leam lehnte sich zurück, die Hände locker auf den Oberschenkeln. Er war still – aber in seinem Blick lag etwas wie Stolz. Nicht auf sich. Auf sie.
Die Soljanka dampfte noch immer. Und Hanna griff wieder zum Löffel. Sie aß. Und diesmal schmeckte sie nicht nur die Suppe – sondern auch den Anfang von etwas Neuem.
Die Suppe dampfte noch, als Hannas Mutter gerade ansetzen wollte: „Also… Hanna, wir wollten heute mit dir über—“
BZZZ BZZZ BZZZ.
Das Handy ihres Vaters vibrierte laut auf der Anrichte. Er war sofort aufgesprungen, ein Blick aufs Display reichte. „Mist. Ich muss ran. Einsatzleitung.“
Hanna verzog das Gesicht. „Jetzt? Echt jetzt?“
„Tut mir leid“, sagte er, während er sich das Headset ins Ohr schob. „Ich will beim Gespräch unbedingt dabei sein. Bitte wartet auf mich. Ich beeil mich.“
Und weg war er. Die Küchentür schloss sich leise hinter ihm.
Die Familie blieb zurück, etwas ratlos. Hanna schob sich einen Löffel Soljanka in den Mund, dann noch einen. „Na super. Jetzt hab ich mich endlich entschieden, und keiner redet mit mir.“
Leam grinste schief. „Willst du’s nochmal sagen, wenn er zurück ist? Oder soll ich’s für dich wiederholen?“
„Ich ess erst mal“, murmelte Hanna. „Wenn ich schon warten muss, dann wenigstens satt.“
Die Mutter seufzte, setzte sich wieder. „Tut mir leid, Hanna. Wir wollten das wirklich beim Essen besprechen. Aber du weißt ja, wie’s ist, wenn er Bereitschaft hat.“
„Schon okay“, sagte Hanna. „Ich lauf ja nicht weg.“
Ein leises Klicken an der Küchentür kündigte seine Rückkehr an. Hannas Vater trat ein, legte das Handy auf die Anrichte und schaltete es stumm. „Entschuldigt. Das war wichtig. Aber jetzt bin ich ganz da.“
Hanna sah ihn direkt an. Ihre Stimme war ruhig, aber fest: „Ich hab gesagt, ich mach mit. Und ich will wissen, was das heißt. Alles. Ohne Schönreden.“
Die Mutter nickte langsam. „Gut. Dann bekommst du das auch. Aber du musst wissen: Das hier ist keine Einladung zum Spielen. Es ist eine Konsequenz. Für das, was du getan hast.“
Der Vater setzte sich, sah sie ernst an. „Du hast Leam hintergangen. Und deine Schwester verletzt – nicht nur einmal. Du hast ihre Schwächen ausgenutzt, um dich stark zu fühlen. Das hat Grenzen überschritten.“
Hanna senkte den Blick, sagte aber nichts.
Die Mutter stand auf, holte ein großes, laminiertes Blatt von der Anrichte. Es war bunt, mit Aufklebern und kindlicher Schrift gestaltet – fast zu fröhlich für das, was es bedeutete. Sie legte es vor Hanna auf den Tisch.
„Das ist dein Wochenendplan. Er gilt ab Freitagabend. Und er ist verbindlich.“
Hanna beugte sich vor, überflog die Zeilen. „‚Zähneputz-Zauber‘? ‚Kuschelzeit mit Teddy‘? Wirklich?“
„Ja“, sagte die Mutter ruhig. „Du wirst geführt. Du gibst Verantwortung ab. Du bekommst den Rahmen, den du anderen verweigert hast.“
Der Vater verschränkte die Arme. „Und damit das klar ist: Wenn du dich nicht an die Regeln hältst – wenn du dich verweigerst, provozierst oder versuchst, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen – dann wird das Wochenende verlängert. Auf unbestimmte Zeit.“
Hanna sah auf. „Wie – unbestimmt?“
„Solange, bis du zeigst, dass du verstanden hast, worum es geht“, sagte die Mutter. „Wenn du dann nicht hörst, wird es nicht leichter. Sondern konsequenter.“
Hannas Schwester pfiff leise durch die Zähne. „Oha.“
Hanna starrte auf das Blatt. Ihre Finger glitten über die Zeilen, blieben bei „Schlummerzeit – Licht aus, Klappe zu“ hängen.
„Also gut“, sagte sie. „Ich hab’s gesagt. Ich zieh’s durch.“
Stille.
Dann hob Leam den Kopf. Seine Stimme war ruhig, aber fest: „Ich will mitmachen.“
Alle drehten sich zu ihm um.
Die Mutter blinzelte. „Wie bitte?“
Der Vater runzelte die Stirn. „Leam… das ist nicht deine Strafe. Es ist Hannas Konsequenz.“
„Ich weiß“, sagte Leam. „Aber ich will trotzdem mitmachen. Nicht, um sie zu kontrollieren – sondern um ihr zu helfen.“
Hanna starrte ihn an, als hätte er gerade vorgeschlagen, sich selbst Windeln anzuziehen. „Spinnst du? Das ist meine Strafe, nicht deine!“
„Ich weiß“, wiederholte Leam. „Aber ich hab dir versprochen, dass ich dich nicht allein lasse. Und wenn du durch das hier musst, dann geh ich mit.“
Er atmete kurz durch, zuckte mit den Schultern. „Dann tu ich das. Und ehrlich gesagt… ich glaub, ich brauch so eine nette Abwechslung auch mal. Einfach mal nicht funktionieren müssen. Geführt werden. Kein Druck.“
Die Mutter sah ihn nachdenklich an. Der Vater wirkte kurz überrascht – fast gerührt.
„Das… hätten wir nicht erwartet“, sagte sie leise.
„Du bist dir sicher?“, fragte der Vater. „Das heißt, du gibst dein Handy ab. Du folgst dem gleichen Plan. Du wirst genauso geführt.“
Leam nickte. „Bin ich. Ich will, dass Hanna merkt, dass wir das ernst meinen – aber dass sie nicht allein ist.“
Hanna schüttelte den Kopf. „Das ist doch total bescheuert. Ich brauch keinen Babysitter.“
„Ich bin kein Babysitter“, sagte Leam ruhig. „Ich bin dein Freund. Und für dieses Wochenende… bin ich wie ein Bruder. Wird bestimmt Spaßig.“
Einen Moment lang war es still. Dann sagte die Mutter leise: „Dann gilt der Plan. Für euch beide.“
Hanna sagte nichts mehr. Sie starrte noch einen Moment auf den Plan, dann schob sie ihren Stuhl zurück. „Ich geh ins Bett“, murmelte sie.
Die Mutter sah überrascht auf. „Jetzt schon?“
„Ja“, sagte Hanna. „Wenn das hier ernst ist, dann fang ich auch ernst an. Ich will nicht, dass ihr denkt, ich mach das nur halb.“
Sie stand auf, nahm das Blatt mit dem Plan an sich und verließ die Küche. Ihre Schritte waren leise, aber bestimmt. Die Tür zu ihrem Zimmer fiel sanft ins Schloss.
Die Mutter sah ihr nach, dann drehte sie sich zu Leam. „Du bist wirklich sicher, dass du das willst?“
„Bin ich“, sagte Leam. „Aber ich muss das mit meinen Eltern klären. Ich kann nicht einfach hierbleiben, ohne was zu sagen.“
Der Vater stand auf und griff nach seiner Jacke. „Ich fahr dich rüber. Wir erklären es gemeinsam.“
Es war ein kurzer Weg, aber die Stille im Auto war schwer. Leam saß aufrecht, die Hände in den Taschen, der Blick nach vorn gerichtet. Hannas Vater warf ihm einen Seitenblick zu.
„Du weißt, dass du das nicht tun musst, oder?“
„Ich weiß“, sagte Leam. „Aber ich will.“
Die Haustür öffnete sich. Leams Mutter stand da, die Stirn in Falten gelegt. „Was ist los? Warum bist du nicht bei Hanna?“
Leam trat einen Schritt vor. „Ich… ich hab meine Jacke vergessen. Und ein paar Sachen. Ich schlaf heute bei einem Kumpel.“
Hannas Vater hob eine Augenbraue.
„Bei wem?“, fragte Leams Vater, der gerade aus dem Wohnzimmer kam.
„Bei… Jonas“, sagte Leam. „Wir machen ein Projekt für die Schule. Bleibt das ganze Wochenende.“
Ein Moment Stille. Leams Mutter verschränkte die Arme. „Und das fällt dir jetzt ein?“
„War spontan“, sagte Leam. „Aber wichtig.“
Hannas Vater sagte nichts. Er sah Leam an – nicht streng, nicht vorwurfsvoll. Nur prüfend. Und dann hörte er es: den Ton in Leams Stimme. Dieses angespannte, zu glatte „War spontan“. Die Art, wie er den Blick mied. Die Art, wie er sich kleiner machte, als er war. Und plötzlich fiel es ihm auf.
Leam war seit Wochen nicht mehr in der Schule gewesen. Nicht einmal zur Abschlussfeier war jemand aus seiner Familie gekommen. Kein Foto, kein Glückwunsch, kein Gespräch. Und jetzt das: ein Schulprojekt, das es gar nicht geben konnte. Denn Leam war längst fertig. Raus. Abschluss in der Tasche.
Aber seine Eltern wussten es nicht.
Sie hatten es nicht bemerkt.
Oder nicht gefragt.
Oder nicht zugehört.
Hannas Vater spürte, wie sich etwas in ihm zusammenzog. Nicht Wut. Nicht Mitleid. Etwas dazwischen. Eine stille, kalte Erkenntnis.
Er wandte sich an Leams Eltern.
„Wir übernehmen die Verantwortung. Er bleibt bei uns. Wir haben alles abgesprochen.“
Leams Mutter hob eine Augenbraue. „Na, wenn ihr meint. Aber das ist euer Ding. Ich misch mich da nicht ein.“
„Pack deine Sachen“, sagte sein Vater. „Und benehm dich!“
Zurück im Auto sagte Hannas Vater lange nichts. Erst als sie fast wieder vor dem Haus standen, sprach er leise:
„Jonas, hm?“
Leam starrte aus dem Fenster. „Ja.“
Ein kurzes Nicken. Dann ein ebenso leises:
„Ich hab’s gehört.“
Leam zuckte zusammen. „Was?“
„Wie du gelogen hast. Nicht was du gesagt hast – wie du’s gesagt hast.“
Leam schwieg.
„Ich sag nichts“, fuhr Hannas Vater fort. „Aber ich weiß jetzt, warum du mitmachst. Und ich find’s… mutig.“
Er sagte nicht, was er wirklich dachte. Dass kein Vater so gleichgültig reagieren sollte. Dass kein Junge seinen Schulabschluss verheimlichen müsste, weil es niemanden interessiert. Dass Leam offenbar schon länger allein durchs Leben ging, als er zugeben wollte.
Aber er dachte es. Und er beschloss, es nicht zu sagen – sondern zu handeln.
„Komm rein“, sagte er. „Du bist jetzt bei uns.“ …
Dieses Jahr werde ich kein weiteren Teil schreiben. Aber ich schreibe auf jeden Fall weiter. Bis nächstes Jahr, schöne Weihnachten und frohes neues Jahr. Euer Leam Kiaska’vas
Autor: LE | Eingesandt via Formular
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Auch dieser Teil war ein sehr interessanter, wenn auch bedrückender. Das die Eltern von Leam sich nicht für Ihren Sohn interessieren ist schon traurig. Umsomehr ist es bemerkenswert das Er so lorlial und vernünftig sich gibt. Freu mich auf Fortsetzungen!
Besinnliche Festtage und einen ruhigen Jahreswechsel auch für Dich.