Eine Mama für zwei Wochen (8)
Dieser Eintrag ist Teil 8 von 11 der Serie Eine Mama für zwei Wochen Windelgeschichten.org präsentiert: Eine Mama für zwei Wochen (8)
Unsicher blickte Louis auf den in der Luft hängenden Holzpfahl vor sich herab. Vor ihm
war eine ganze Reihe davon angebracht, befestigt an mehreren Stahlseilen. Und das in
mindestens drei Metern Höhe. Von oben sah es sogar noch höher aus, als vom Boden.
Vorsichtig setzte er einen Fuß darauf. Der Pfahl wackelte. Sein Bein zitterte ein wenig vor
Aufregung, was es nicht gerade leichter machte, das Gleichgewicht zu halten. Worauf
hatte er sich da eingelassen…?
Bereits bei ihrer Ankunft im Kletterwald hatte der Neunjährige beunruhigt nach oben in die
Bäume gesehen. Einige der Konstruktionen waren wirklich beängstigend hoch angebracht.
Er hatte direkt wieder nach Lenas Hand gegriffen. Das fühlte sich immer sicherer an. Es
gab ihm das Gefühl, nicht allein zu sein. Auch wenn er sie direkt wieder los ließ, als sie die
Kasse erreichten und Louis einige andere Besucher erspähte. Er wollte ja nicht wie ein
Kleinkind wirken, sondern wie der große Junge, der er doch eigentlich war. So, als wäre er
mutig.
Auch die Windel hatten sie selbstverständlich abgenommen, bevor sie das Haus verlassen
hatten. Tatsächlich fühlte es sich im ersten Moment immer ein wenig komisch an, wieder
gewöhnliche Unterwäsche zu tragen. Die war einfach nicht so weich und flauschig.
Ein wenig entfernt war ein Vater mit zwei kleinen Mädchen zu sehen, denen er gerade
dabei half, die Kletterausrüstung anzulegen. Die waren definitiv jünger als er, aber wirkten
überhaupt nicht nervös. Zumindest lachten sie und alberten herum. Offenbar hatten die
keine Höhenangst.
Als Louis den Klettergurt, der ihn vom Herunterfallen schützen sollte, dann selbst in den
Händen hielt, bemerkte er schnell, dass auch er Hilfe beim Anlegen benötigte. Lena
dagegen schien genau zu wissen, was sie tat. Sie hatte sich selbst im Handumdrehen
fertig. Dann widmete sie sich ihm. Louis stand ganz still und folgte ihren Anweisungen.
„Alles okay?“, fragte Lena, da ihr sein nervöser Blick selbstverständlich nicht entgangen
war. Als Antwort bekam sie nur ein zögerliches Nicken. Aber das war schon in Ordnung.
Dass der Junge am Anfang ein wenig aufgeregt war, konnte sie gut verstehen.
Nachdem die beiden eine kurze Einweisung in die Sicherheitsvorschriften bekommen
hatten, konnte es dann auch direkt losgehen. Louis hatte dabei ganz aufmerksam
zugehört. Einerseits war es gut zu wissen, dass offensichtlich wirklich viel getan wurde,
damit nichts beim Klettern passieren konnte. Andererseits hatte er auch ein wenig Angst
davor, etwas falsch zu machen und doch runterzufallen.
„Ich würde vorschlagen, wir fangen einfach mal mit dem leichtesten Parkour an“, schlug
Lena vor, da entdeckte Louis etwas anderes.
„Können wir nicht erstmal das da versuchen…?“, fragte er schüchtern und deutete auf
einen Kinderparkour der nur wenige Zentimeter über dem Boden aufgebaut war. Der war
eigentlich für Kinder unter sechs Jahren gedacht. Eine Mutter half gerade ihrem kleinen
Sohn dabei an der Hand über ein breites Seil zu balancieren.
Lena lachte ein wenig und beugte sich zu ihm hinunter: „Ich glaube, für den bist du schon
ein wenig zu groß… Den würdest du doch ganz einfach schaffen.“
Eigentlich stellte Louis es sich ganz schön vor, an der Stelle dieses kleinen Jungen zu
sein. Aber vermutlich hatte Lena recht. Das war definitiv zu leicht für ihn. Er würde ihre
Hilfe gar nicht brauchen. Also gingen sie ihrem Vorschlag nach und folgten dem Weg
hinauf zum ersten Kletterpfad.
Und da stand er nun, mit seinem ersten Fuß auf dem schwebenden Holzpfahl. Lena war
direkt hinter ihm. Er griff mit seinen Armen nach den beiden gespannten Seilen, die als
Geländer dienten. Dabei versuchte er sich einzureden, dass er ja eigentlich gesichert war.
Das Seil von seinem Klettergurt war sicher über ihm befestigt. Es konnte gar nichts
passieren…
Ganz langsam setzte er einen Fuß vor den anderen und begab sich über das wackelige
Konstrukt zur nächsten Plattform. Dort war er für einen kurzen Moment erleichtert, bis er
realisierte, dass es jetzt eigentlich kein Zurück mehr gab. Vor ihm baumelten kleinere
Plattformen aus dunklem Holz, die nur an zwei Stoffseilen hingen, die wohl gleichzeitig
zum Festhalten dienten. Das sah nicht besonders sicher aus… Die gaben bestimmt nach,
sobald man drauftrat.
Glücklicherweise war sonst nicht allzu viel los, sodass Louis ganz in seinem Tempo
arbeiten konnte. Auch mit dem Wetter hatten sie es gut erwischt, da es heute nicht so
extrem heiß war, wie in den letzten Tagen. Es ging sogar ein leichter, angenehmer Wind,
der die Blätter in den Baumwipfeln hin und wieder sanft rascheln ließ.
„Und weiter geht’s!“, versuchte Lena ihn zu motivieren. „Halt dich am besten erst an den
Seilen fest und steig dann auf das Brett.“
Der Neunjährige folgte ihren Anweisungen und griff nach den Seilen. Schließlich vertraute
er ihr. Aber vermutlich hätte er es ohnehin so gemacht. Dann stieg er zögerlich auf das
wackelige Brett. Und jetzt? Nachdenklich analysierte er die Lage, als er Lenas Stimme
wieder hinter sich vernahm.
„Jetzt steigst du erst mit dem Fuß auf das nächste Brett, solange du dich noch festhalten
kannst. Und dann greifst du mit einer Hand nach dem nächsten Seil“, versuchte sie ihn zu
unterstützen. Schritt für Schritt folgte Louis ihren Anweisungen. Dann wiederholte er das
ganze hochkonzentriert, bis er auf der anderen Seite angekommen war. Dass Lena dabei
war und ihm half, gab ihm ein kleines bisschen mehr Sicherheit.
Vor ihm befand sich nun eine kleine Kletterwand, wie auf dem Spielplatz. Die war maximal
zwei Meter hoch. An sich wäre das kein Problem, wäre sie nicht eine kreative Lösung, um
noch weiter nach oben zu gelangen. Irgendwie wollte er gerade einfach nur das Ende
erreichen, damit es vorbei war.
Ein Stück entfernt sah er wieder ein paar andere Kinder, die gerade weitere
Herausforderungen meisterten. Ein Junge – vielleicht ein bisschen älter als er – lief
konzentriert, aber zügig über einige in der Luft baumelnde Balken. Er wirkte auch nicht, als
hätte er Angst. Und das, obwohl er sogar noch einige Meter über Louis war.
„Super gemacht!“, lobte Lena ihn, kaum war sie nach wenigen Sekunden wieder bei ihm.
Sie hatte die wackeligen Holzplattformen mit Leichtigkeit überwunden. Doch Louis zuckte
nur mit den Schultern und beobachtete weiter die anderen Besucher.
Erneut begab sie sich zu ihm auf Augenhöhe, legte ihre Hände auf seine Schultern und
drehte ihn mit sanftem Druck zu sich.
„Hey… Ist alles gut? Ist es dir doch zu hoch?“, fragte sie mit ruhiger, fürsorglicher Stimme.
Der Junge verzog leicht die Mundwinkel: „Mmmh, geht schon…“, murmelte er, „Es ist nur…
Ich hab das Gefühl, alle anderen Kinder sind viel besser als ich.“
Lena warf einen kurzen Blick zu dem Kind, dass er gerade beobachtet hatte.
„Naja, du bist ja auch zum ersten Mal hier. Ich bin mir ziemlich sicher, die meisten Kinder
hier haben schon ein bisschen mehr Übung. Und vielleicht hatten die am Anfang auch ein
bisschen Höhenangst“, versuchte sie ihn zu ermutigen. Louis kniff ein wenig die Augen
zusammen, als würde er ihr nicht so wirklich glauben.
„Aber… Es ist ja nicht nur hier so… Ich meine generell. Beim Schwimmen ja auch. Und die
haben alle keine Angst, so wie ich immer!“
„Ach, Schätzchen… Das stimmt doch gar nicht“, begann Lena ihn mit ihrer sanften Stimme
aufzuheitern. „Andere Kinder haben auch Angst, nur vielleicht vor anderen Dingen. Und
vielleicht fällt dir das Klettern oder Schwimmen ein bisschen schwerer als den anderen,
aber dafür kannst du doch andere Dinge gut. Ich kenne zum Beispiel kein anderes Kind,
das so gut zeichnen kann, wie du.“
Gut, das klang logisch. Und vermutlich konnte er ziemlich gut zeichnen. Aber dass andere
Kinder auch so viel Angst haben sollten, wie er, konnte er sich irgendwie nicht so ganz
vorstellen. Da sagten seine Beobachtungen definitiv etwas anderes!
„Außerdem…“, fügte Lena an, als hätte sie seine Gedanken gelesen, „Ja, möglicherweise
bist du ein wenig ängstlicher als die meisten Kinder in deinem Alter. Aber das ist doch nicht
schlimm… Du bist eben ein bisschen sensibler. Dafür achtest du zum Beispiel sehr darauf,
wie es anderen geht. Und ich finde, das macht dich zu einem total süßen und
liebenswerten Jungen. Und ich mag dich genau so, wie du bist.“
Okay, das war aufheiternd! Louis wandte seinen Blick ab in Richtung Boden, während sich
ein leichtes verlegenes Lächeln auf seine Lippen schlich. Eigentlich dachte er immer, dass
es ein Problem war, dass er so ängstlich war. Aber Lena schien ihn trotzdem zu mögen.
Oder vielleicht sogar gerade deshalb, weil er so war. Sie stellte es ja fast so hin, als wäre
seine Ängstlichkeit etwas Gutes.
Möglich, dass er dadurch einen kleinen Höhenflug bekam, aber jetzt wollte er Lena zeigen,
dass er das hier konnte. Er wollte diesen Parkour im Kletterwald meistern und seine Angst
überwinden! Vielleicht wäre sie dann sogar ein bisschen stolz auf ihn.
Zielstrebig begann der Neunjährige die Kletterwand hinaufzuklettern. Auch hier gab ihm
Lena ein wenig Hilfestellung mit Tipps, wo er am besten hingreifen oder seine Füße
abstellen konnte. Anschließend folgte eine Röhre, durch die man hindurchkrabbeln
musste. Das war nicht allzu schwer.
Hinter der nächsten Plattform erwartete ihn ein Netz aus weißen Seilen. Hier musste man
an der Seite entlangklettern. Auch das sollte er ohne Schwierigkeiten hinbekommen. Er
sollte dabei nur nicht nach unten sehen. Seine Beine zitterten immer noch ein wenig,
während er sich nach und nach zur nächsten Plattform arbeitete. Und dann war auf einmal
Schluss! Nur ein Seil war über ihm gespannt. Überfordert blickte er in die Ferne, wo er
eine andere Plattform am Boden erkennen konnte. Wie sollte er da denn hinüberkommen?
Lena stieß nach wenigen Sekunden wieder zu ihm: Gratuliere, du hast es geschafft!“,
meinte sie anerkennend.
„Hä?“, gab Louis verwirrt von sich. Das sollte das Ende sein? Wie sollten sie denn von hier
wegkommen?
„Jetzt kommt lustige Teil. Hier darfst du einfach von der Plattform springen und zum Ende
gleiten“, entgegnete die junge Frau. Der Junge riss die Augen auf und starrte von der
Plattform hinab. Da sollte er runterspringen!? Dann spürte er bereits wieder Lenas Hände
auf seinen Schultern.
„Keine Sorge, das Seil hält dich. Da kann nichts passieren“, erinnerte sie ihn.
Ganz wohl war ihm nicht dabei. Aber was hatte er für eine Wahl? Außerdem wollte er
seine Angst ja überwinden. Also tat er, was sie sagte.
Ein wenig spürte er, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, als er nach vorne trat, sich
mit beiden Händen an seinem Seil festhielt und sich dann einfach von der Plattform fallen
ließ. Das Sicherheitsseil an seinem Klettergurt rutschte das gespannte Stahlseil über ihm
entlang und beschleunigte Stück für Stück immer mehr, ähnlich wie bei Seilrutschen auf
dem Spielplatz. Zügig bewegte er sich auf das Ende zu und landete schließlich auf der
letzten von Matten gepolsterten Plattform. Dann bildete sich ein zufriedenes Lächeln in
seinem Gesicht. Das war eigentlich tatsächlich ganz lustig gewesen. Und außerdem war
das der eindeutige Beweis, dass man wirklich nicht herunterfallen konnte! Vielleicht konnte
der Kletterwald doch Spaß machen. Irgendwie wollte er die anderen Herausforderungen
jetzt doch ausprobieren…
Als die beiden am frühen Abend von ihrem gemeinsamen Ausflug zurückkamen, war Louis
sichtlich erschöpft und auch noch ein wenig verschwitzt. Seine Finger taten noch ein
bisschen weh vom Greifen der vielen Seile, aber nachdem er den ersten Parkour
gemeistert hatte und wusste, dass wirklich nichts passieren konnte, hatte es ihm
tatsächlich Spaß gemacht.
„Vielleicht willst du nochmal schnell unter die Dusche springen. Wenn du dir auch gleich
die Haare wäscht, musst du das morgen nicht mehr machen“, schlug Lena vor.
„Jaa“, erwiderte Louis knapp, entledigte sich seiner Schuhe ohne dabei die Hände zu
benutzen und kickte sie nahezu beiseite in Richtung Wand neben dem Schuhregal. So
sorgfältig er mit seinen Sachen normalerweise umging, seine Schuhe waren da eine
Ausnahme, sofern sie nicht nagelneu waren. Anschließend flitzte er die Treppe nach oben,
nur um auf halber Höhe stehenzubleiben. Unweigerlich musste er an die letzte Woche
denken. Auch da war er auf der Treppe stehengeblieben. Und in erstaunlichem Kontrast
dazu, stellte er dieses Mal eine ganz andere Frage. Hätte ihm das jemand vor einer
Woche gesagt, er hätte ihm nicht geglaubt!
„Kannst du das wieder machen…?“, fragte er schüchern, als würde er befürchten, dass sie
nein sagte. Doch das tat sie nicht.
„Klar, wenn du das möchtest. Aber dann wirst du baden müssen, sonst würde ich da
vermutlich gleich ungewollt mitduschen“, lachte sie.
„Okay“, antwortete der Neunjährige und rannte die restlichen Stufen hinauf. Das ergab
vermutlich Sinn. Wobei Lena ja eigentlich auch Klettern war. Da konnte ihr eine Dusche ja
wohl auch nicht schaden. Aber möglicherweise wollte sie das lieber alleine tun…
Auf dem Weg kam ihm bereits sein großer Bruder entgegen, der wohl gehört haben
musste, dass sie zurück waren.
„Hey. Na, wie war’s beim Klettern?“, fragte er beiläufig. Es interessierte ihn tatsächlich.
Hauptsächlich, ob Louis sich wirklich getraut hatte. Aber es wirkte nicht so. Kein warmes
Lächeln, wie bei Lena. Generell lächelte Jack deutlich weniger, seit ihr Vater gestorben
war. Aber gerade änderte sich die gesamte Atmosphäre für Louis zum ersten Mal merklich.
Bei Lena musste er sich kaum Gedanken über irgendetwas machen. Durfte einfach so
sein, wie er war und fühlte sich sicher. Alles war gut gewesen. Doch jetzt kamen mit einem
Mal ganz andere Gedanken zurück. Die Erwartungen von seinem großen Bruder. Das
Gefühl, beurteilt zu werden und die Angst etwas falsch zu machen und ihn zu enttäuschen.
Sein gesamtes Auftreten wirkte in den letzten Monaten viel ernster. Es war fast schon ein
bisschen einschüchternd geworden.
„Gut…“, antwortete Louis deutlich ruhiger, als er es eigentlich wollte.
„Freut mich für dich“, entgegnete Jack. Auch das klang nicht wirklich so gemeint. Und
eigentlich war das auch nur so halb, denn die Antwort war nicht besonders aussagekräftig.
Also würde er einfach gleich seine Freundin nach mehr Infos fragen.
Während er nach unten ging, blieb Louis noch einen Moment im Gang stehen und blickte
ihm nach. War ihr Verhältnis wirklich so schlecht geworden? Der Neunjährige beschloss
diesen Gedanken sofort abzuschütteln. Sein Bruder hatte ihn ganz sicher gern! Vielleicht
war er einfach nur gestresst wegen seiner Arbeit. Er selbst hätte sicher auch keine gute
Laune, wenn er die ganze Nacht in der Schule sitzen müsste.
„Hey!“, begrüßte Jack nun auch Lena: „Wie war euer Ausflug?“
„Lief alles super. Louis war am Anfang ein bisschen nervös, aber hatte dann echt Spaß“,
erzählte Lena direkt. Sie selbst hatte auch merklich gute Laune.
„Wirklich? Er hat das echt durchgezogen? Ich dachte eigentlich, er würde kneifen“, meinte
der blonde Polizist, während er in die Küche zum Kühlschrank lief und zwei Energy Drinks
hervorholte. Eigentlich trank er die inzwischen deutlich seltener als früher, aber für heute
Nacht waren die wohl notwendig.
„Na, du hast ja ’ne hohe Meinung von deinem kleinen Bruder…“, erwiderte Lena wenig
begeistert von seiner Aussage.
Seine Meinung von Louis hatte in den letzten Tagen aus diversen Gründen tatsächlich ein
wenig nachgelassen, doch das sagte er ihr nicht. Das bedeutete nicht, dass er den Jungen
mit genug Nachdruck nicht zum Klettern hätte bewegen können. Aber so, wie er seine
Freundin kannte, hatte er eigentlich damit gerechnet, dass das ein wenig anders
abgelaufen war. Louis hätte sich nicht getraut und Lena hätte direkt gesagt, dass das in
Ordnung war und sie etwas anderes unternehmen konnten. Vermutlich hätte sie noch
gesagt, dass er es ja zumindest mal probieren konnte, Louis hätte eingeschüchtert den
Kopf geschüttelt und dann wären sie gefahren. Im besten Fall hätte sie ihm dann noch ein
Eis gekauft, das er sich eigentlich eher nicht verdient hätte. Aber offenbar hatte Lena ihn
trotz ihrer liebevollen Art dazu bewegen können und es hatte ihm wohl sogar gefallen. Sie
war wirklich immer wieder beeindruckend!
„Du bist schon in Aufbruchsstimmung?“, setzte Lena ihre Unterhaltung stattdessen fort, als
sie die Dosen in seiner Hand wahrnahm.
„Ja, ein paar Freunde vom Revier wollten sich vorher noch treffen. Eigentlich wollten die
noch ins Gym. Ich hoffe, das kann ich denen noch ausreden“, antwortete Jack. Abgesehen
davon, dass er danach nur müde wäre, war er von Fitnessstudios tatsächlich nie so
angetan gewesen, wie die meisten in seinem Umfeld. Klar, man konnte da schon mal
einen Tag mit Freunden verbringen, um fit zu bleiben. Bis zu einem gewissen Grad
machten ihm Sport und Training auch Spaß. Aber das war auch schon alles. Die
Begeisterung seiner Kollegen teilte er dabei nur begrenzt.
Während sich die beiden unterhielten, hatte Louis bereits das Wasser angestellt. Ein
wenig erschöpft sah er zu, wie sich die Wanne langsam damit füllte, als es an der Tür
klopfte.
„Jaaa…?“, fragte er vorsichtig. Er hatte gerade erst realisiert, dass ja auch sein Bruder
reinkommen könnte und er hier nur in Unterwäsche stand. Allerdings wäre das wohl kaum
peinlicher, als neulich in der Früh, wo man die vollgepullerte Pampers unter seiner
Schlafanzughose erkennen konnte. Doch es war ohnehin Lena, die da eintrat.
„Hey! Ich hab da noch ’ne Kleinigkeit“, meinte sie und hielt dabei irgendeine Plastikflasche
hoch. Die sah ähnlich auf wie Haarshampoo, war aber offensichtlich keins. Die junge Frau
trat an ihm vorbei und gab ein wenig davon ins Wasser.
„Mir ist letzte Woche aufgefallen, dass dein Badewasser so trostlos aussah…“, fügte sie
hinzu, während das Wasser zu schäumen begann. Merklich begeisterter blickte der
Neunjährige wieder auf die Wasseroberfläche. Sein Mund stand leicht offen. Ein
Schaumbad hatte er schon seit Jahren nicht mehr gehabt! Eigentlich hatte er vollkommen
vergessen, dass das überhaupt eine Option war. Schade, dass er jetzt nicht auch noch
Spielzeug für die Wanne hatte.
Lena lächelte bei dem Anblick. Es war so schön zu sehen, wie er sich innerlich freute.
Manchmal war er wirklich leicht zu begeistern. Jack hatte wirklich keine Ahnung, wie toll
sein kleiner Bruder eigentlich war. Ihrer Meinung nach sollte er das definitiv mehr zu
schätzen wissen.
„Na dann hüpf mal rein!“, meinte sie noch, ehe Louis sich seiner Boxershorts entledigte
und in das warme Wasser stieg. Jetzt war es eigentlich genau wie letzte Woche. Nur war
es ihm diesmal überhaupt nicht peinlich. Dieses Mal wollte er, dass Lena bei ihm war und
er würde es genießen.
„Können wir danach wieder einen Film anschauen…?“, fragte er und sah sie dabei
erwartungsvoll an. Wie könnte sie diesen unschuldigen blauen Augen einen Wunsch
abschlagen? Außerdem hatte er sich heute beim Klettern super geschlagen und seine
Angst überwunden. Da hatte er es sich definitiv verdient, sich heute noch einen Film
aussuchen zu dürfen.
„Klar können wir das. Gleich nach dem Abendessen. Hast du schon eine Idee, was du
gern anschauen würdest?“, antwortete sie freundlich lächelnd. Louis schüttelte den Kopf.
Das müsste er sich später noch aussuchen. Aber er hatte ja noch ein wenig Zeit zum
Überlegen.
Als Lena sich wenig später um seine Haare kümmerte, genoss er es richtig. Irgendwie
fühlte es sich einfach gut an, dass sie das machte. Auch dieses Mal passte sie auf, dass
kein Wasser in seine Augen kam. Kurz darauf verließ er auch schon wieder das Wasser
und die junge Frau reichte ihm sein Handtuch. Eigentlich war dem Neunjährigen direkt ein
wenig kühl, aber er dachte nicht daran, sich selbst abzutrocknen!
„Ich seh schon, worauf das hier hinausläuft…“, lachte Lena. Louis biss sich ein wenig
ertappt auf die Unterlippe und versuchte so ein fast schon freches Grinsen zu
unterdrücken, während sie wieder nach dem Handtuch griff.
„So…“, meinte sie, als sie fertig war, „Schlafanzug und Nachtwindel?“
Der Junge nickte nur und versuchte erneut ein zufriedenes Grinsen zu unterdrücken. Ganz
so offensichtlich musste es ihm ja nun auch nicht gefallen. Auch wenn Lena das ohnehin
wusste. Also war es eigentlich egal…
Schnell huschte er über den Gang in sein Zimmer und legte sich erwartungsvoll aufs Bett.
Lena griff direkt nach der Creme und begann ihn sorgfältig einzucremen. Vor allem, da
seine Haut nach dem Baden vielleicht ein wenig trockener war. Als sie dabei ihre Hände
ein wenig höher als sonst in Richtung Bauch bewegte, zuckte Louis kurz zusammen und
kicherte ein wenig. Es kitzelte. Auch Lena musste dadurch unweigerlich lachen.
„Ich wusste gar nicht, dass du kitzlig bist…“, meinte sie amüsiert, widerstand jedoch zum
Glück dem Drang, weiterzumachen. Obwohl sich der Neunjährige gar nicht so ganz sicher
war, ob er das bei ihr nicht sogar lustig finden würde. Vielleicht durfte sie ihn kitzeln…
Im Grunde lag er ihr hier ja eigentlich schutzlos ausgeliefert. Aber genau das machte es ja
vermutlich so schön. Es fühlte sich gut an, ihr vollkommen vertrauen zu können und sich
keine Gedanken über irgendetwas machen zu müssen.
Nachdem die Pampers sicher verschlossen war, half Lena ihm noch in seinen
Schlafanzug. Anschließend ging sie selbst ebenfalls noch schnell duschen, ehe sie sich
ums Abendessen kümmerte. In der Zwischenzeit konnte Louis sich in Ruhe einen Film
aussuchen. Schließlich entschied er sich für „Alles steht Kopf“.
Während Lena den Film startete, ging er noch einmal in die Küche, um sich noch etwas zu
trinken zu holen. Augenblicklich wollte er sein Glas einfach mit Wasser füllen, da fiel es
ihm ins Auge. Das Fläschchen von gestern Abend! Und auf einmal war ihm gar nicht mehr
so nach Wasser. Vorsichtig nahm er es in die Hand und musterte es einen Moment
nachdenklich.
Gerade hüpfte die Lampe auf dem Bildschirm das „i“ des „Pixar“-Logos in den Boden, da
kam der Neunjährige wieder zurück. Plötzlich überraschend schüchtern hielt er das kleine
leere Fläschchen fragend in seinen Händen, sagte aber nichts. Lena brauchte einen
kurzen Moment, um zu verstehen, was der Junge ihr mitteilen wollte.
Mit einem liebevollen Lächeln nahm sie es ihm aus der Hand und begab sich nun selbst in
die Küche. Die ersten Minuten des Films verbrachte Louis also allein auf dem Sofa, bis sie
schließlich mit der warmen Milch zurückkam.
„So, vielleicht willst du die heute aber selbst trinken. Sonst können wir uns ja gar nicht
richtig auf den Film konzentieren“, meinte sie, während sie ihm das Fläschchen wieder
überreichte.
„Mmmh… Na gut“, erwiderte Louis und nahm es zögerlich entgegen. Kurz hatte er
überlegt, kam dann aber zu dem Entschluss, dass Lena damit wohl recht hatte. Außerdem
konnte er sie ja nicht alles machen lassen. In ihren Armen wollte er aber trotzdem liegen!
Selbstverständlich zog die junge Frau ihn zu sich, sodass er sich an sie kuscheln konnte.
Zufrieden verfolgte er die bunte Welt auf dem Bildschirm, während er entspannt die warme
Milch trank. In diesem Moment fühlte er sich so unfassbar geborgen. Sie mussten nicht
mal zwischendrin pausieren, weil er auf die Toilette musste. Stattdessen pullerte er einfach
los und genoss die angenehme Wärme zwischen seinen Beinen.
Lena bekam davon tatsächlich überhaupt nichts mit. Bestenfalls, dass er ein wenig die
Position wechselte. Aber so genau achtete sie da ja auch nicht drauf. Was sie dagegen
schon mitbekam war, wie Louis sich zwischendrin hin und wieder ein wenig fester an sie
kuschelte. Und zwar immer bei emotional ergreifenderen Szenen. Einmal bemerkte sie
sogar leichte Tränen in seinen Augen, die er vermutlich zurückhielt. Ganz sanft streichelte
sie ihm dabei über den Kopf. Er war so unglaublich sensibel. Und das war gut so.
Eigentlich fand Lena das sogar richtig süß.
Als der Film schließlich zuende war, schickte sie ihn zum Zähneputzen, was er trotz
fortgeschrittener Müdigkeit auch tat. Natürlich hatte er eigentlich keine Lust, aber er würde
niemals widersprechen, wenn sie ihm etwas sagte. Nicht bei allem, was sie in den letzten
Tagen für ihn tat.
Lena hatte bereits das Buch zum Vorlesen vorbereitet, als er in sein Zimmer kam. Müde
kroch Louis in sein Bett und schnappte sich sowohl seinen Plüschhund als auch den
Schnulli. Er zögerte jedoch noch kurz, ihn in den Mund zu nehmen. Gerade als sie mit
dem Lesen beginnen wollte, wurde sie von ihm aufgehalten.
Seine Stimme war zaghaft und leise, sowohl aus Erschöpfung, als auch aus
Schüchternheit: „Kannst du heute Nacht bitte bei mir bleiben…?“ Die letzte Nacht war
immerhin echt schön gewesen und sein Bruder war eh nicht da. Eigentlich würde er sich
das gerade viel mehr wünschen, als einfach nur vorgelesen zu bekommen.
Ein weiteres mal schaffte er es mit seiner Frage, Lena zum Lächeln zu bringen.
„Ich glaube, dafür ist dein Bett ein bisschen zu klein, Hase… Aber ich kann mich gern noch
zu dir legen, bis du eingeschlafen bist“, schlug sie vor. Klar konnten sie eigentlich auch in
das große Schlafzimmer mit dem Doppelbett gehen. Allerdings wäre Jack davon morgen
früh vermutlich überhaupt nicht begeistert, wenn er heimkam.
Louis nickte müde, nahm seinen Schnulli in den Mund und rutsche ein Stück für sie zur
Seite an die Wand. Bis er eingeschlafen war, war zumindest besser als nichts.
Lena klappte das Buch zusammen, machte das Licht aus und legte sich neben ihn. Dann
legte sie ihren Arm um den Jungen und er schloss die Augen. Ganz sanft spürte er ihre
Hand, wie sie langsam über seinen Rücken strich. Ihr Körper war warm und ihr Geruch
inzwischen so vertraut…
„Ich hab dich lieb…“, murmelte er leise. Es war kaum mehr als ein Flüstern.
„Ich hab dich auch lieb“, entgegnete Lena ebenso leise.
Doch da war noch ein Gedanke… Ein Gedanke, den Louis auch heute morgen schon hatte
und nun fast schon traurig aussprach: „Ich will nicht, dass das alles wieder aufhört…“
Die junge Frau kniff für einen kurzen Moment die Augen zusammen, während ihre Lippen
ein lautloses: „Fuck…“, bildeten. Jack hatte recht gehabt. Oder zumindest nicht ganz
unrecht… Und sie hasste es, sich das gerade eingestehen zu müssen. Natürlich wollte
Louis nicht, dass das alles in einer Woche vorbei war. Sie sah ihm ja an, wie glücklich es
ihn machte. Wie wohl und sicher er sich auf einmal fühlte. Und sie würde sich ja gerne
weiterhin so um ihn kümmern. Wirklich… Aber wie sollte das gehen? Sie musste ja auch
arbeiten und hatte noch ihre eigene Wohnung. Die Windeln wären auf Dauer zu teuer und
auch den Schnulli durfte er sich eigentlich besser nicht wieder angewöhnen.
Innerlich seufzte sie, ehe sie ihm leise antwortete: „Ich weiß, Schätzchen… Aber das geht
leider nicht anders. Du musst ja auch bald wieder in die Schule und dann musst du wieder
ein großer Junge sein.“ Das wollte Louis gerade definitiv so gar nicht hören! Doch Lena
sprach ruhig weiter, während sie begann, langsam und beruhigend seinen Kopf zu
streicheln. „Aber vielleicht können wir das hin und wieder am Wochenende noch machen,
wenn du es brauchst. Und es wird sich absolut nichts daran ändern, dass ich dich wirklich
lieb hab und immer für dich da bin. Okay?“
Ganz schwach konnte sie im Dunkeln ein leichtes, trauriges Lächeln erkennen und spürte
ein leichtes Nicken. Dann sagte er nichts mehr und kuschelte sich einfach nur ganz dicht
an sie. Suchte ihre Nähe. Ganz sanft streichelte sie ihn noch ein wenig weiter, bis er
schließlich eingeschlafen war
Autor: Lucas2242 | Eingesandt via Mail
Diese Geschichte darf nicht kopiert werden.
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Ist bestimmt nicht wenn Er wieder groß sein muss. Aber hat Luis nicht sowieso ein kleines Problem in der Nacht? Dann währen die Windel doch bestimmt mit Haushalt mit eingeplant? Bin gespannt wie es weiter geht und was Luis noch erleben darf, und wie sein Bruder es aufnimmt und ob Er es akzeptieren kann das Luis etwas mehr Braucht
Naja, Louis hat nicht wirklich ein Problem in der Nacht, er wird ja wach. Allerdings würde sein Bruder sich wohl auch wünschen, dass das so bleibt und nicht durch Windeln einen Rückfall riskieren 🙃
Es ist wieder ein sehr gutes Kapitel. Die Unsicherheit und das fehlende Vertrauen kommen super rüber. Ich freue mich auf die Fortsetzung.